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Safety-Clip: Akutes Abdomen – Casus einer fatalen Fehldiagnose

Das akute Abdomen beschreibt ein lebensgefährliches Zustandsbild mit besonderer Dringlichkeit für diagnostische und therapeutische Maßnahmen.

Vier potenziell fatale Diagnosen, die einem akuten Abdomen zugrunde liegen können:

  • Herzinfarkt
  • Aortenaneurysma
  • Mesenterialischämie
  • ektope Schwangerschaft, Tubenruptur

Wie fatal sich eine verzögerte Diagnosestellung in Kombination mit organisatorischen Mängeln auswirken kann, verdeutlicht folgender Schadenfall, der in einer Belegklinik passierte.

Eine schwangere Patientin verspürt in den Morgenstunden heftigste Bauchbeschwerden, weshalb sie die Praxis ihres Frauenarztes aufsucht. Dieser führt eine gynäkologische Untersuchung durch. Er findet keinen auffälligen organischen Befund, vermerkt jedoch, dass die Patientin kurz und flach atmet und seit den frühen Morgenstunden unter heftigsten Dauerschmerzen leidet, ausgehend vom Epigastrium und sodann den gesamten Oberbauch und Bauchraum erfassend.

Der Blutdruck wird mit 100/70 mmHg normwertig notiert. Der Puls ist mit 96 spm erhöht. Bei „unauffälligem gynäkologischen Befund“ wird ein kurzes CTG von 9,5 Minuten geschrieben. Danach wird die Patientin unter der Verdachtsdiagnose eines chirurgischen Leidens (Magendurchbruch?) mit dem Krankentransport aus der Praxis in die gynäkologische Belegabteilung des Krankenhauses verlegt. Der behandelnde Arzt ist dort einer der belegenden Frauenärzte. Die stationäre Aufnahme erfolgt um 9.43 Uhr durch eine Ärztin im Praktikum, die über den Belegarzt angestellt ist. Im Lauf der nächsten drei Stunden werden mehrere CTGs geschrieben, die nach Auffassung der Gutachter kontrollbedürftig sind, ohne dass eine akute Notsituation des ungeborenen Kindes allein aus diesen Unterlagen abzuleiten ist.

Um 11.00 Uhr erfolgt in der chirurgischen Ambulanz die konsiliarische Vorstellung der Patientin. Dort wird sonographisch freie Flüssigkeit im Abdomen nachgewiesen und der Verdacht auf eine Uterusruptur erhoben. Aufgrund dessen wird um 11.15 Uhr mit dem gynäkologischen Belegarzt telefoniert, der weiterhin eine gynäkologische Problematik ausschließt und telefonisch die Verlegung in die Chirurgie anordnet.

Die Chirurgen ziehen einen internistischen Kollegen hinzu, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet der Sonographie verfügt. Auch dieser kommt zu der Verdachtsdiagnose Uterusruptur. Erneut schließt der Gynäkologe eine gynäkologische Problematik aus.

Infolgedessen wird eine Probelaparotomie angeordnet. Diese kann jedoch nicht sofort stattfinden, da alle OP-Plätze belegt sind. Aufgrund des Ausschlusses einer gynäkologischen Problematik stuft man das akute Abdomen nicht als Notfall ein und beschließt, die Probelaparotomie im Anschluss an die laufenden Operationen durchzuführen.

Intraoperativ bestätigt sich die Verdachtsdiagnose – eine 10 cm lange Uterusruptur. Aus dieser Ruptur wölbt sich die intakte Fruchtblase hervor. Ganz offensichtlich handelt es sich um eine protrahierte, zunächst still verlaufende Ruptur mit allmählichem Blutverlust. Die Fruchtblase wird geöffnet und ein 1.600 g schweres, schlaffes, gräuliches Kind wird aus dem Mutterleib geholt.

Der Geburtszeitpunkt ist in der Akte mit 14.27 Uhr vermerkt. Gegen 14.35 Uhr erfolgt die weitere Versorgung des Kindes durch das neonatologische Team eines anderen Krankenhauses. Das Kind überlebt mit dauerhaften hirnorganischen Schäden.

Einige Ursachen und Begleitumstände dieses Falles sollen näher beleuchtet werden.

Fallstricke bei der Diagnosefindung

Ein Arzt (in diesem Fall der Gynäkologe) trifft ein vorschnelles Urteil (Abdominalschmerz ist nicht gynäkologisch begründet) und verteidigt dieses energisch, obwohl im weiteren Verlauf gegensätzliche Hinweise und Befunde (Sonographie) auftauchen, die einen anderen Schluss (Uterusruptur) nahelegen. Eine Verifizierung der Aussage durch Hinzuziehung eines anderen Gynäkologen wird nicht veranlasst.

Die Fallstricke, in die jeder Einzelne bei der Diagnosefindung geraten kann, sind kognitiv erklärbar. Die Psychologie hat dazu Erkenntnisse beigesteuert und Phänomene wie „Ankereffekt“ und „Framing-Effekt“ beschrieben, d. h. Menschen lassen sich in ihren Entscheidungen stark vom ersten Eindruck leiten und von souverän/dominant vorgetragenen Aussagen beeinflussen. Kritiklosigkeit in Bezug auf Autoritäten oder Technologien können ebenso eine Rolle spielen, wie Vorerfahrungen mit scheinbar ähnlichen Fällen.

Dringlichkeit/Triage

Im geschilderten Casus wurde die Dringlichkeit einer chirurgischen Intervention nicht erkannt bzw. bei der Anmeldung des operativen Eingriffs nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. In vielen Notaufnahmen werden die eintreffenden Patienten unmittelbar nach ihrem Eintreffen anhand der Leitsymptome einer Dringlichkeitsstufe zugeordnet, die alle weiteren Handlungen leitet. Günstig ist es, wenn diese Einstufung durch ein farbiges Symbol (bspw. farbiges Patientenarmband) allen Beteiligten verdeutlicht wird. Ein Ampelsystem mit den Farben Rot, Gelb und Grün ist fast selbsterklärend. Durch eindeutige Sprachregelungen (schriftlich fixiert) lässt sich die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen reduzieren. In Verbindung mit Diagnostik- und Behandlungsleitlinien lassen sich Prozesse durch solche Regelungen beschleunigen. In der Geburtshilfe ist beispielsweise durch die Festlegung von Sectio-Dringlichkeitsstufen und Alarmierungskaskaden ein positiver Einfluss auf die E-E-Zeiten (Zeitraum bis zur Entwicklung des Kindes) belegt.

Allerdings wird dieser positive Effekt durch Verzögerungen in der Befundbeurteilung nicht selten relativiert. Auch im vorliegenden Fall wurden die Fachdisziplinen nacheinander und nicht gemeinsam tätig, eine gemeinsame Sichtung der Befunde fand nicht statt. Dieses Vorgehen ist noch immer in vielen Notaufnahmen üblich und bedarf einer Neuorientierung. Es muss der Grundsatz gelten: Bei Patienten mit der Verdachtsdiagnose „akutes Abdomen“ erfolgt die sofortige und gleichzeitige Hinzuziehung aller relevanten Fachdisziplinen (operativ/konservativ/anästhesiologisch) in Form von erfahrenen Ärzten.

Von der Diagnose zur Therapie:

Hierbei ist das Handeln der Ärzte auch im Kontext des jeweiligen Arbeitsumfeldes zu betrachten, in diesem Fall ein Belegarztsystem. Hegt ein konsiliarisch hinzugezogener Kollege Zweifel an der fachlichen Entscheidung des primär behandelnden Arztes, ist die Einflussnahme auf das weitere Geschehen begrenzt. Gerade in Belegkliniken sind Vernetzung und interprofessionelle Zusammenarbeit nicht gerade Charakteristika und für Notfallsituationen fehlen meist konkrete Absprachen.

Fazit:

Eines der Hauptkriterien für qualitativ hochwertige Entscheidungen, die Ärzte meist unter Zeitdruck und Stress zu treffen haben, ist die Entwicklung von Fähigkeiten, mit denen die üblichen Denkfehler und Fallstricke überwunden werden können. Wenn es gelingt, ein Klima zu schaffen, in dem sich jeder traut, Bedenken laut zu formulieren, wäre das ein großer Gewinn. Ärzte sollten ihre Kollegen ermuntern, auch Aussagen von Autoritäten „taktvoll“ in Frage zu stellen und zu überprüfen. Das „menschliche Versagen“ von einzelnen Ärzten darf den Blick für die Systemfaktoren nicht trüben. Nach einem schwerwiegenden Vorfall sind in der Regel auch gravierende organisatorische Änderungen erforderlich, die von den Organisationsverantwortlichen unmissverständlich eingefordert werden sollten. Unter Moderation sind solche Änderungen leichter zu entwickeln.

Literatur:

J. Bach, H.-P. Bruch, J. Heber, J. Jähne (Hrsg.): Behandlungsfehler und Haftpflicht in der Viszeralchirurgie. Kapitel Akutes Abdomen: S. Kersting und H.-D. Saeger . Springer Medizin Verlag Heidelberg 2011.

Rober M. Wachter: Fokus Patientensicherheit. ABW Wissenschaftsverlag GmbH 2011

Siering M. Safety Clip: Akutes Abdomen – Casus einer fatalen Fehldiagnose. Passion Chirurgie. 2011 Dezember; 1(12): Artikel 03_03.

Safety Clip: Koloskopie – Wenn aus Komplikationen Behandlungsfehlervorwürfe werden

Die Koloskopie gilt in der Darmkrebsvorsorge als Gold-Standard und als eine Untersuchungsmethode mit einer geringen Komplikationsrate. Selten kommt es zu gefährlichen Blutungen oder zu einer operationsbedürftigen Verletzung der Darmwand.

Die Komplikationsrate könnte allerdings höher sein als bisher angenommen, denn heutzutage wird diese diagnostische Maßnahme oft ambulant durchgeführt. Die Patienten werden wenige Stunden nach der Untersuchung wieder nach Hause entlassen. Wenn sie dann Komplikationen erleiden, wenden sie sich nicht notwendigerweise an den Arzt, der die Endoskopie durchgeführt hat. Daher werden nicht alle Komplikationen erfasst. Fakt ist: Patientenbezogene Faktoren (Alter, Geschlecht, Einnahme von gerinnungshemmenden Medikamenten), die Wahl des Verfahrens (Polypektomie, Sedierung) sowie die Koloskopiefrequenz bzw. die Qualifikation des Untersuchers können sich auf die Komplikationsrate auswirken.

Komplikationen bei ambulanter Koloskopie (kanadische Studie)

  • Blutungsrate: 1 in 600 Koloskopien (1/600)
  • Perforationsrate: 1 in 1.200 Koloskopien (1/1.200)

(Quelle: Rabeneck L et al. Bleeding and perforation after outpatient colonoscopy and their risk factors in usual clinical practice. Gastroenterology 2008 Dec; 135:1899)

Eine anschauliche Darstellung der individuellen eingriffsbezogenen Risikokonstellation ist gebotene ärztliche Pflicht, deren Unterlassung erhebliche Konsequenzen haben kann, wie ein Fallbeispiel aus der aktuellen Rechtsprechung zeigt.

Aushändigung eines Aufklärungsbogens ersetzt nicht das Arzt-Patienten-Gespräch

Unabhängig vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers kann eine Haftung für die Folgen einer Koloskopie vorliegen, wenn die Einwilligung in den Eingriff mangels hinreichender Aufklärung unwirksam gewesen ist. Im vorliegenden Fall hatte der gastroenterologische Facharzt den handelsüblichen Aufklärungsbogen zwar rechtzeitig an den Patienten ausgehändigt, sich aber bei Abgabe des unterzeichneten Vordrucks lediglich erkundigt, ob noch Fragen bestehen. Diese in der Praxis und Klinik durchaus übliche Art der Gesprächsführung unmittelbar vor einer Endoskopie wurde vom Gericht als nicht ausreichend bewertet.Der beklagte Arzt konnte den Nachweis nicht erbringen, dass die Risiken der Koloskopie – insbesondere die Gefahr einer Darmperforation mit nachfolgender Operation und Anlage eines künstlichen Darmausganges – dem Patienten vor seiner Entscheidung ausreichend dargelegt wurden. Eine Kolonperforation nach Polypektomie machte beim Kläger eine solche OP (Sigmaresektion) erforderlich. Aufgrund der nicht rechtswirksamen Einwilligung sprach das Gericht dem Geschädigten im Berufungsverfahren ca. 70.000 Euro Schmerzensgeld zu (OLG Oldenburg, AZ 5 U 43/08, publiziert in openJur).

Polypentfernung: Erhöhtes Risiko der Darmperforation

Die Perforationsgefahr bei einer Koloskopie erhöht sich, wenn gleichzeitig mittels Schlinge ein Polyp entfernt wird. Auf dieses Risiko muss der Patient explizit hingewiesen werden. Ebenso hat der Untersucher die Vor- und Nachteile der Maßnahme sorgfältig abzuwägen.Nicht bei jedem Polypen besteht eine Indikation zur Abtragung, wie folgendes Beispiel belegt: Hält der Untersucher eine kleine Wucherung im Bereich des Coecalpols aufgrund ihres Aussehens für ein Lipom und entscheidet sich trotzdem für eine Schlingenabtragung, kann dies einen Behandlungsfehler darstellen. Das Risiko der Darmverletzung ist in diesem anatomischen Bereich deutlich erhöht und der Untersucher setzt sich dem Vorwurf aus, ohne Not die Gefahr einer Perforation eingegangen zu sein (zitiert aus einem Gutachten in einem Schlichtungsverfahren).

Vermeidbare Fehler nach einer Koloskopie

Nicht selten findet sich nach einer Schlingenabtragung von Tumoren im Kolon beim Patienten eine Reizung des Peritoneums, was mit Unterbauchschmerzen einhergehen kann. Kommen weitere Symptome wie Übelkeit und ein Anstieg von Entzündungsparametern hinzu, müssen diese als Hinweise auf eine Komplikation ernst genommen werden und erfordern ein zügiges Handeln. Ob die erforderlichen Maßnahmen tatsächlich in ausreichendem Maße getroffen worden sind, lässt sich anhand der Patientenakten im Falle einer Anspruchsstellung oft nicht nachweisen.

Fehlerhafte Prozesse, die im Zusammenhang mit einer Koloskopie eine Schädigung des Patienten zur Folge hatten, und einige typische Dokumentationslücken seien hier erwähnt:

  • Der Untersucher bricht eine Koloskopie wegen unüberwindbarer Stenose ab, trifft nur mündliche Anordnungen. Wegen lückenhafter Weitergabe der Informationen werden die nach einigen Stunden auftretenden klinischen Beschwerden von den behandelnden Ärzten nicht sofort als Indiz für eine mögliche Perforation interpretiert. Stattdessen wird eine Schmerztherapie verordnet. Eine erneute Visitation unterbleibt, bis eine weitere Zustandsverschlechterung zur Hinzuziehung des diensthabenden Arztes führt.
  • Differentialdiagnostische Maßnahmen wie eine Kontrastmitteldarstellung des Dickdarms werden mit zeitlicher Verzögerung eingeleitet.
  • Hinweise auf eine Zustandsverschlechterung des Patienten nach Koloskopie werden im Pflegebericht notiert. In der ärztlichen Verlaufsdokumentation fehlen Einträge, die eine umfassende Befunderhebung belegen.
  • Erhobene Laborbefunde (Anstieg von CRP, Leukozyten), die auf ein Entzündungsgeschehen hindeuten, werden nicht kontrolliert. Dadurch verzögern sich Diagnose und Therapie der Komplikation.
  • Laborparameter werden fehlinterpretiert: Der Abfall von Leukozyten und der zeitgleich dramatisch ansteigende CRP-Wert werden nicht als Anzeichen einer lebensbedrohlichen Sepsis erkannt. Eine Differentialdiagnostik bei anhaltender Schmerzsymptomatik wird unterlassen.
  • Die Antibiose wird post-operativ (nach Sigmaresektion bei Vorliegen einer Darmperforation) nicht fortgesetzt. Ursächlich dafür ist eine Lücke in der Informationsübermittlung zwischen Operateur und Stationsarzt.

Klinisches Risikomanagement Koloskopie

Ein funktionierendes Komplikationsmanagement zeichnet sich dadurch aus, dass bei allen Ärzten im Behandlungsteam das notwendige Risikobewusstsein für die angewandten Diagnostik- und Therapieverfahren vorhanden ist. Nicht nur der Untersucher, sondern alle beteiligten Ärzte und das Pflegepersonal müssen die typischen Komplikationen kennen. Während der Untersuchung ist ein gerätegestütztes Monitoring der Vitalparameter (Pulsoxymeter) erforderlich. Post-interventionell ist eine regelmäßige Visitation des Patienten notwendig, um Zustandsänderungen zeitnah zu erfassen. Bei Anwendung von Sedativa gelten darüber hinaus strenge Sicherheitsmaßstäbe, die in der S3-Leitlinie zur Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie exakt definiert sind.Bereits die ersten, vielleicht noch unspezifischen Anzeichen einer Komplikation erfordern Beachtung und weitere Diagnostik – hierzu sollten in der Fachabteilung Algorithmen und Richtlinien existieren, die sich an den Vorgaben der Fachgesellschaft orientieren.Nach Erkenntnissen aus der Schadenfallanalyse hat die Informationskette oft entscheidenden Einfluss auf den weiteren Komplikationsverlauf.

Es empfiehlt sich daher, vorsorglich klare Anweisungen zu formulieren, wie im Komplikationsfall die erhobenen Befunde und Informationen verlässlich kommuniziert und wie sie für eine Entscheidungsfindung zügig auf Facharztebene verdichtet werden sollen. Die Diagnostik und Behandlung einer Komplikation kann und darf nicht bis zur nächsten regulären Visite warten!Nach Einleitung der notwendigen medizinischen Maßnahmen für den Patienten sollte auch daran gedacht werden, den Vorfall unter Haftungsgesichtspunkten zu betrachten. Zur eigenen Absicherung ist es daher sinnvoll, das dokumentierte Vorgehen und die Patientenakte auf Vollständigkeit zu prüfen!Last but not least: Jede bedeutsame Komplikation sollte zum Anlass genommen werden, die abteilungsinternen Vorgehensweisen und Standards zu hinterfragen und ggf. zu aktualisieren. Eine interprofessionelle Fallkonferenz mit einem strukturierten Vorgehen bietet dazu die richtige Plattform.

Literatur

The Incidence and Cost of Unexpected Hospital Use After Scheduled Outpatient Endoscopy. Leffler, Daniel A et al. Arch Intern Med. 2010;170(19):1752-1757. Complications of colonoscopy in an integrated health care delivery system. Levin TR et al.Ann Intern Med 2006 Dec 19; 145:880-6.S3 Leitlinie zur Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie, DGVS. 2008. AWMF-Register-Nr. 021/014OLG Brandenburg: Koloskopie und Aufklärungspflichten, Urteil vom 27.03.2008 (AZ 12 U 239/06)OLG Oldenburg, Urteil vom 27.05.2009 (AZ 5 U 43/08), Publiziert in Internetportal openJur 2010, 227Vermeidbare Fehler bei der Koloskopie: Aus der Arbeit der Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein. Rheinisches Ärzteblatt 09/2000Aus Fehlern lernen: Durchführung einer Koloskopie bei gesundheitlich vorbelasteten Patienten. Ärzteblatt Baden-Württemberg. ÄBW 10/2008Schadenakten der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH, u.a. Gutachten der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen ÄrztekammernProktologie: Sedierung und Überwachung während der Koloskopie aus Sicht des Chirurgen. Giensch, M. Chirurgen Magazin 36, 6. Jahrgang, Heft 6.08

 

Siering M. Safety Clip: Koloskopie – Wenn aus Komplikationen Behandlungsfehlervorwürfe werden. Passion Chirurgie. 2011 September; 1(9): Artikel 03_03.

Safety Clip: Schmerztherapie – Iatrogene Schäden bei Infiltrationen im Wirbelsäulenbereich

Die minimal-invasive Schmerztherapie zur Behandlung von Rückenschmerzen ist eine Option in modernen, multimodalen Therapiekonzepten. In der Fachliteratur werden die Methoden, die Indikationen und Kontraindikationen ebenso kontrovers diskutiert wie die Erfolgsaussichten. Die Infiltrationstherapie ist bisher nicht umfassend erforscht.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Einsatzmöglichkeiten von Infiltrationsmethoden bei Wirbelsäulenschmerzen und stellt die mit der Intervention verbundenen Risiken dar. Einige haftungsrelevante Risikokonstellationen sind aus der Fachliteratur entnommen, andere aus der Arbeit der Gutachterstellen. Die aufgezeigten Lösungsansätze zur Minimierung der Risiken resultieren u. a. aus der Risikoberatung.

Einsatzmöglichkeiten der Infiltrationsbehandlung

Grundsätzlich lassen sich Rückenschmerzen unterschiedlicher Genese mit Infiltrationen behandeln. Voraussetzung dafür ist, dass ihre Ursache nicht primär in einer Bandscheibenschädigung liegt, sondern dass die Beschwerden auf entzündlichen, traumatischen, degenerativen Veränderungen an den Zwischenwirbelgelenken (Facetten) oder den Nervenwurzeln beruhen oder an der Verbindungsstelle zwischen Becken und Wirbelsäule lokalisiert sind.

Es gibt auch diagnostische Einsatzgebiete der Infiltrationstechnik. Im Rahmen der Neuraltherapie werden bspw. die schmerzauslösenden Areale durch die Injektion von Lokalanästhetika identifiziert.

Generell gilt: Infiltrationen sind in jedem Teil der Wirbelsäule möglich, d. h. an der HWS, BWS, LWS. Die Schmerzausschaltung ist durch unterschiedliche Mechanismen zu erzielen. Nicht immer ist eine punktgenaue Injektion erforderlich. Zur Schmerzbehandlung werden Medikamente mit analgetischer Wirkung sowie entzündungshemmende Komponenten verwendet. Die Prozeduren werden in Praxen ebenso wie in Kliniken, meist ambulant, vorgenommen. Tendenz steigend.

Die einmalige Applikation ist eher selten. Meist wird die Therapie über einen längeren Zeitraum intermittierend durchgeführt. Zur richtigen Justierung der Nadel und zur Erhöhung der Patientensicherheit propagieren einige Anwender eine radiologische bzw. eine CT-Überwachung. Der Preis für den Sicherheitseffekt ist eine nicht unerhebliche Strahlendosis, vor allem, wenn die Infiltration mehrfach erfolgt. Durch die Anlage eines speziellen Katheters (analog zur Epiduralen Anästhesie) können Mehrfachpunktionen vermieden werden.

Durchführung einer Infiltrationstherapie

Für die Vorbereitung des Patienten (notwendige Befunderhebung) sowie seine Überwachung während und nach der Intervention gelten Standards, die sich aus den anästhesiologischen Prozeduren ableiten. Für diese gibt es Leitlinien der Fachgesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin. Nicht explizit geregelt ist bisher die Notwendigkeit eines anästhesiologischen Stand-by.

Ein Fallbeispiel

Der Casus: Bei einer Patientin werden 2006 eine Injektionstherapie und eine manuelle Therapie vorgenommen. In zeitlichem Zusammenhang mit der Infiltrationsbehandlung treten Komplikationen (Pneumothorax) ein. Die Patientin muss sich in Folge der fehlerhaft durchgeführten Therapie einem operativen Eingriff unterziehen und leidet auch danach an erheblichen Schmerzen. Ihre Atmung ist zudem eingeschränkt. Daraus resultieren Leistungseinbußen in Beruf und Freizeit.

Der Gutachter beurteilt das Vorgehen des beklagten Arztes in mehreren Punkten als behandlungsfehlerhaft:

  1. Eine ausreichende Diagnostik wurde unterlassen. Das ist die Folgerung daraus, dass in der Patientenakte keine Befunde von einer körperlichen oder funktionellen Untersuchung der Klägerin vorhanden sind. Die Diagnosen sind nicht ausreichend durch Untersuchungsbefunde abgesichert.
  2. Konservative Maßnahmen wurden – behandlungsfehlerhaft – nicht angewandt. Ohne weitere Diagnostik wurden eine Infiltrationstherapie im Bereich der Wirbelsäule sowie chirotherapeutische Maßnahmen durchgeführt, für die keine Indikation vorlag. Eine konservative Therapie mit physikalischen Maßnahmen sowie eine Schmerzmedikation wären anhand der Beschwerden laut Gutachter bei Weitem ausreichend gewesen.
  3. Die Ausführung der Infiltrationstherapie entsprach nicht dem fachlichen Standard (zu lange Nadel verwendet).
  4. Symptome (Hustenreiz, Schmerzen), die während und kurz nach Durchführung der Therapie auftraten, wurden nicht als Hinweis auf eine mögliche Komplikation (Pneumothorax) erkannt. Kontrollbefunde wurden nicht erhoben.

Kommt es infolge der Behandlung zu einer Schädigung des Patienten, kann eine umfassende Dokumentation Antworten auf strittige Fragen geben: Zwischen Soll- und Ist-Situation klaffen manchmal große Abstände, aus denen sich mitunter erhebliche beweisrechtliche Konsequenzen ergeben. In Gutachten wird häufig eine lückenhafte Darlegung der Untersuchungsbefunde, Anordnungen, Überwachungsmaßnahmen gerügt.

Zu den iatrogenen Schäden am Rückenmark gehören sub- oder epidurale Blutungen, Empyeme oder Abszesse, die sich durch klinische Symptome wie umschriebener Rückenschmerz, Fieber, Entzündungsparameter sowie radikuläre oder spinale Ausfallerscheinungen bemerkbar machen können. Das zeigen Ergebnisse einer Begutachtung iatrogener Polyneuropathien und Rückenmarksläsionen (P. Marx, UKBF, vorgestellt auf der Jahrestagung Neurologie, 2006 Würzburg).

Die Gutachterkommission Nordrhein hat 2002 Berichte über vermeidbare Fehler bei therapeutischen Infiltrationen veröffentlicht.

Aus einem Bericht der Gutachterkommission Ärztekammer Nordrhein

„Bei Infiltrationen im Bereich des Thorax wurde bislang von der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein 34-mal ein Pneumothorax beobachtet und festgestellt, dass er durch fehlerhaftes Vorgehen herbeigeführt oder/und die Komplikation nicht oder verspätet erkannt wurde. Darunter sind 8 Verfahren, in denen zudem die Risikoaufklärung unzureichend erfolgt ist. Diese Bewertung betraf überwiegend Orthopäden und Allgemeinmediziner, aber auch Internisten, Chirurgen, Anaesthesisten und Gynäkologen. Bei paravertebralen Infiltrationen von Lokalanästhetika gelangte die Nadel 17-mal in das Rückenmark, davon 9-mal mit der Folge einer Querschnitts-Symptomatik. Ein postpunktionelles Liquorverlustsyndrom wurde 8-mal verkannt. Es wurde auch versäumt, darauf hinzuweisen, dass bei Eintritt von Kopfschmerzen Bettruhe mit Kopftieflagerung einzuhalten ist. In 2 Verfahren unterblieb die Risikoaufklärung. Einmal wurde bei der Infiltration die Niere und zweimal der Nervus ischiadicus verletzt. Als vorwerfbar fehlerhaft wurde auch bewertet, dass Infiltrationen nicht im Liegen, sondern im Sitzen ohne hinreichende Sicherung der Patienten vorgenommen wurden. Hierdurch kam es infolge eines Sturzes von der Liege einmal zu einer Sprunggelenksfraktur und einmal zu einer Schulterprellung. Eine unter Markumar kontraindizierte paravertebrale Infiltration hatte eine retro- und intraperitoneale Blutung zur Folge. 7-mal wurden paravertebrale Abszesse verkannt, weshalb es u. a. zu einer Meningitis kam.“

Lösungsansätze

Wie können aus derartigen Schadenereignissen und Gutachten Erkenntnisse in den klinischen Alltag transferiert werden? Durch Ablaufdiagramme oder Behandlungspfade mit integrierten Risiko-Kontrollpunkten lassen sich alle notwendigen Schritte einer Prozedur sowie die verantwortlichen Personen übersichtlich darstellen. Dadurch wird Transparenz geschaffen – ein Faktor, der den Mitarbeitern ein sicheres Arbeiten erleichtert. Die fachlichen Standards ergeben sich aus Leitlinien (siehe stichwortartige Darstellung unten):

Diagnostische Maßnahmen: in Abhängigkeit von der Anamnese und den aktuellen Symptomen (siehe Leitlinien der Fachgesellschaften)

Befunddokumentation

Diagnose

Therapieplanung: leitlinienkonform, Abweichungen begründen

Arzt-Patienten-Gespräch: Behandlungsmöglichkeiten erörtern (u.a. kurz- und mittelfristige Erfolgsaussichten, Kontraindikationen, Behandlungsalternativen sowie Risiken)

Aufklärung des Patienten über geplante Therapie (Behandlungsoptionen, Risiken des Eingriffs, patientenbezogene Risiken, Nebenwirkungen)

Erweiterte Diagnostik (Labor, Röntgen): optional vor der Intervention

Vorbereitung des Patienten (Lagerung/Position bei der Punktion)

Vorbereitung des Arbeitsplatzes (funktionsfähiges Equipment inklusive Notfallausrüstung, zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen: bspw. für HWS-Injektionen und wenn Patient aufgrund seiner Komorbidität gefährdet ist)

Behandlung: Anspruch des Patienten auf Facharztstandard, Sorgfaltspflichten beachten (bspw. bzgl. der Einhaltung von Hygienerichtlinien = RKI, der korrekten Positionierung der Nadel, des Einsatzes erprobter Medikamente, des Einsatzes einer CT-gesteuerten Injektion in der oberen Wirbelsäule)

Überwachung während und nach Injektion: fachkompetente Betreuung gewährleisten, notwendige Überwachung verordnen (umfasst das Allgemeinbefinden, die Vitalparameter, die Ausbreitung/Wirkung der Therapie), Erkennen von Komplikationen, fakultativ technisches Monitoring (bspw.: Bei welchen Infiltrationen im HWS-Bereich ist ein anästhesiologisches Stand-by geboten?)

Komplikationsmanagement (lebensbedrohliche Folgen bei Infiltrationen auch bei korrekter Ausführung möglich), daher: vorbeugende Maßnahmen treffen (in der Klinik wie in der Praxis)

– – gefährlich: unmittelbar im Zusammenhang mit der Infiltration auftretende Komplikationen (allergische Reaktion, Herz-Kreislauf-Versagen, neurologische Ausfälle, Blutung); Notfallplan zur Beherrschung der Akutsituation bereitstellen, Erstmaßnahmen beherrschen, Alarmierungskette verbindlich regeln, Handlungsoptionen für unterschiedliche Dringlichkeiten definieren, Notfallequipment bereithalten, Funktionsfähigkeit des Equipments regelmäßig prüfen, Notfallmaßnahmen trainieren

– – bei neurologischen Ausfällen: unverzüglich handeln, sofort Hilfe anfordern

– – bei Infektionszeichen (z.B. Rötung/Erwärmung an der Einstichstelle, Schmerzen, Fieber): Labordiagnostik vornehmen (Leukozyten, CRP, Abstrich, Blutkultur); ggf. Indikation anderer diagnostischer Verfahren (abhängig von der Symptomatik und der durchgeführten Therapie): z. B. Sonographie bei Verdacht auf Hämatom, Röntgen bei Verdacht auf Pneumothorax

Dokumentationspflichten beachten (Untersuchungsbefunde, Anamnese, Diagnose, Therapieplan, Aufklärung des Patienten = Risiko- und Sicherungsaufklärung, Einwilligung des Patienten in das Verfahren, durchgeführte Maßnahmen der Diagnostik und Therapie = verwendete Materialien, applizierte Medikamente, Injektionsort, Wirkung, Überwachungsmaßnahmen, post-interventionelle Anordnungen/Maßnahmen, Behandlungsverlauf)

Fazit

Das Volksleiden „Rückenschmerzen“ kann viele Ursachen haben. Daraus ergibt sich für den behandelnden Arzt die Notwendigkeit, die auslösenden Faktoren systematisch einzugrenzen. Eine durch sorgfältige Befunderhebung abgesicherte Diagnose ermöglicht die Auswahl geeigneter Verfahren. Infiltrationsmethoden gehören zu den anerkannten Verfahren in der Schmerztherapie. Bei ihrer Durchführung sind Fach- und Sicherheitsstandards einzuhalten, die noch nicht umfassend von den Fachgesellschaften formuliert sind.

Die eingriffstypischen Risiken verwirklichen sich selten, dürfen deshalb aber keineswegs bagatellisiert oder unterschätzt werden. Einige Internetseiten niedergelassener Ärzte erwecken den Eindruck, die Risiken dieser Schmerztherapie seien kaum vorhanden bzw. voll beherrschbar und der Erfolg fast garantiert. Solche Darstellungen können unrealistische Erwartungen beim Patienten auslösen. Unzufriedenheit bei Ausbleiben des Heilungserfolgs führt nicht selten zur Einschaltung eines Anwalts – und zum Vorwurf eines Behandlungsfehlers.

Eine seriöse Patienteninformation darf die Risiken nicht verschweigen und muss die Chancen und Gefahren der unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten anschaulich vermitteln. Nur so kann eine wirksame Einwilligung erzielt werden. Die Fachliteratur und die Gutachten belegen, dass es bei Wirbelsäuleninfiltrationen in Einzelfällen zu akuten Ereignissen mit vitaler Gefährdung und zu dauerhaften Lähmungen bis hin zur Tetraplegie kommen kann. Ärzte, die eine minimalinvasive Schmerzbehandlung mittels Wirbelsäuleninjektion anbieten, müssen nicht nur die Technik der Punktion beherrschen, sondern in ihrer Praxis oder Abteilung auch sichere Rahmenbedingungen für die gesamte Behandlung und Nachsorge schaffen und im Falle eines Falles eine Komplikation managen können.

Siering M. Safety-Clip: Schmerztherapie – Iatrogene Schäden bei Infiltrationen im Wirbelsäulenbereich. Passion Chirurgie. 2011 April; 1(4): Artikel 03_02.

Safety Clip – Bein-Amputation nach Routineeingriff durch Kompartmentsyndrom

Ein derartiger Fall sorgte in Berlin Anfang 2010 für Schlagzeilen. Im Zusammenhang mit einem mehrstündigen gynäkologischen Eingriff in Steinschnittlagerung war es bei einer Patientin zu einer schwerwiegenden Durchblutungsstörung in der unteren Extremität gekommen, die eine Amputation erforderte. Ähnliche Fälle sind in der Literatur beschrieben. An der MHH wurden 2007 iatrogene Nervenschädigungen in der Gynäkologie untersucht. In 4 von insgesamt 46 Fällen handelte es sich bei den Schädigungen um ein Kompartmentsyndrom.

Kompartmentsyndrom: Gewebedruckerhöhung in geschlossenen, von Fascien umgebenen Räumen(Logen), die zu einer Störung der Mikro- und Makrozirkulation führt. Daraus können vorübergehende oder dauernde Funktionsbeeinträchtigungen von Nerven und Muskeln resultieren.

In den Schadendaten der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH tritt das Kompartmentsydrom als postoperative Komplikation in folgenden Fallkonstellationen auf:

  1. Bei einem elektivem Eingriff (Bauchchirurgisch, urologisch, gynäkologisch) entsteht eine Gefäßverletzung. Das  daraus resultierendes Risiko der Durchblutungsstörung in den unteren Extremitäten und die Gefahr eines Kompartmentsyndroms wird in der postoperativen Phase nicht bedacht, die Diagnose zu spät gestellt.
  2. Durch fehlerhafte (Steinschnitt-) Lagerung auf dem OP-Tisch in Verbindung mit risikoerhöhenden Faktoren wie langer OP-Dauer und einer bestehenden Adipositas des Patienten entwickelt sich eine massive Durchblutungsstörung in den Beinen. In den Gutachten werden bspw. die unterlassene Kontrolle der Durchblutung der Extremitäten während des operativen Eingriffs sowie unzureichende Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Druckschäden bemängelt.

In einigen Fällen wird der postoperativ auftretende Druckschmerz und die Schwellung als Hinweis auf eine Beinvenenthrombose interpretiert. Durch eine solche Fehldiagnose verstreicht wertvolle Zeit und der bei einem Kompartmentsyndrom erforderliche Noteingriff (Fascienspaltung) erfolgt verspätet oder kann überhaupt nicht mehr durchgeführt werden. Im Extremfall führt die Ischämie zu Nekrosen, zahlreichen (bis zu 15!) Folgeoperationen und zur Amputation von Körperteilen.

Risikomanagement

Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse, wie man bei mehrstündigen Eingriffen, die eine extreme Positionierung des Patienten erfordern, die Entstehung eines Kompartmentsyndroms wirksam verhindern kann. Zu den üblichen Sorgfaltspflichten für das Operationsteam gehören Lagerungsstandards, bei denen geeignete Präventionsmaßnahmen zur Druckreduzierung eingesetzt werden.  Die Lagerungsart, dabei verwendete Lagerungshilfsmittel sowie Befunde (Durchblutungskontrollen) sind zu dokumentieren.

Risikopräventiv wäre es, die Gefahren der Steinschnittlagerung, die Symptome des Kompartmentsyndroms sowie aus der Diagnose resultierende chirurgische Notfallsituation in der ärztlichen Weiterbildung zu vermitteln.

Klinische Anzeichen

  • Bohrende, stechende Schmerzen mit steigender Intensität, die mit dem Verletzungsausmaß nicht erklärbar sind.
  • Verhärtung und Druckschmerz der betroffenen Logen.
  • In der frühen Phase: Parästhesien, sensible Ausfälle.
  • Spätzeichen: Ödem, Schwellung, Rötung, Spannungsblasen, periphere Verminderung der Puls- und Kapillarzirkulation.

Kompartmentsyndrom in der Traumatologie

Die Druckerhöhung in Muskellogen als Folge schwerwiegender Traumen, insbesondere an den unteren und oberen Extremitäten, ist ein bekanntes Phänomen. Unter forensischen Gesichtspunkten ist eine erhöhte Aufmerksamkeit für diese Thematik in der Unfallchirurgie geboten, da funktionelle Defizite der Extremitäten nach adäquater und erfolgreicher Behandlung von Knochenbrüchen auf einem übersehenen oder unbehandelten Kompartmentsyndrom beruhen können.

Die Schadendatenauswertungen lassen folgende Ursachen für die Haftpflichtanspruchsstellungen erkennen:

  • Diagnosefehler in der Erstdiagnostik (Rettungsstelle) in Form nicht erkannter Gefäßverletzung oder zu spät erkannter Durchblutungsstörung.
  • Behandlungsfehler in der Primärversorgung von Unfallverletzungen, z.B. konservative Behandlung, fehlerhaft angelegter Gipsverband.
  • Nach einer Frakturversorgung wird die Diagnose Kompartmentsyndrom verspätet gestellt. Unzureichende Überwachung des Patienten und der Durchblutung der betroffenen Extremität in der postoperativen Phase. Differentialdiagnostik unterlassen.
  • Verzögerte Behandlung eines Kompartmentsyndroms, bspw. weil Hinzuziehung von Spezialisten oder Verlegung in eine Spezialklinik verzögert erfolgte.
  • Fehlerhafte Behandlung der Komplikation, z.B. unvollständige Fascienspaltung.

Risikomanagement

In der unfallchirurgischen Primärversorgung sollte das Behandlungsteam die Entstehung eines Kompartmentsyndroms einkalkulieren bei Frakturen (insb. bei Schaftfrakturen, bei kindlichen Frakturen), Dislokation der großen Gelenke mit Muskel- und Gefäßzerreissung, ausgedehnten Weichteilverletzungen.

Besteht das Risiko der Entstehung eines Kompartmentsyndroms, so ist die engmaschige Überwachung des Patienten und hierbei speziell die Prüfung der betroffenen Region erforderlich. Durch regelmäßige Arztvisiten sowie konkrete Instruktionen für das Pflegepersonal ist der Behandlungsverlauf besonders in den ersten 24h engmaschig zu beobachten und zu dokumentieren.

Bei bewusstlosen Patienten kann in den betroffenen Logen eine direkte Druckmessung durchgeführt werden. Die Trendentwicklung der Messwerte kann eine Entscheidungshilfe sein.

Diagnose Kompartment: Die Zeit läuft!

Wird die Diagnose Kompartmentsyndrom gestellt, so ist rasches Handeln geboten. Zu den allgemeinen Erstmaßnahmen gehört die breite Spaltung aller einengenden Verbände. Die betroffene Extremität sollte nicht über Vorhofniveau gelagert werden.

Durch eine zügig und fachgerecht ausgeführte Fasciotomie können häufig die Gewebeschädigungen in ihrem Ausmaß reduziert und Folgeschäden vermindert werden.

Literatur: 

Für immer verloren:  Komplikation während einer Routine-OP in der Charité: Die Ärzte amputieren einer Patientin ein Bein.  Tagesspiegel; 25.01.2010, Ingrid Müller

Castellani, C., Amerstorfer, F, Weinberg, A.M.: Das Kompartmentsyndrom des Unterschenkels im Kindesalter. Universitätsklinik für Kinderchirurgie, Medizinische Universität Graz

Grechenig, W. Pichler, N.P. Tesch: Kompartmentsyndrom – Fasciotomie. Univerisitätsklinik für Unfallchirurgie, LKH Graz

Krahn, N.E.: Das akute Kompartmentsyndrom (Dissertation, 2005), BG Klinik Bochum

Lukojanova, A.: Iatrogene Nervenläsionen in der Gynäkologie (Dissertation, 2007), Neurologische Klinik der MH Hannover

Safety Clip: Probenverwechslung – ein unterschätztes Risiko?

Im klinischen Alltag werden täglich bei fast allen stationär behandelten Patienten Blutuntersuchungen durchgeführt und Gewebeproben analysiert. Von der Etikettierung bis zur Befundübermittlung können Fehler auftreten, über deren Art und Ausmaß bisher wenig bekannt ist. Besonders gefährlich sind Verwechslungen im Zusammenhang mit der Bestimmung von Blutgruppen und der Vorbereitung von Transfusionen. In den Medien erregte der Fall von Claudia Pechstein Aufsehen, die das Ergebnis ihrer Dopingtests auf eine Probenverwechslung zurückführte.

Ein Blick in die Archive des Medizinrechts zeigt, dass falsche oder zu spät erhobene Befunde gelegentlich zu einer haftungsrelevanten Patientenschädigung führen. Der Jurist, Prof. Dr. Bergmann, schreibt, dass es sich bei der Durchführung von labormedizinischen Untersuchungen im Rahmen der Organisation und Koordination des Behandlungsbetriebes, um ein voll beherrschbares Risiko i.S. der höchstrichterlichen Rechtsprechung handeln dürfte (vgl. bspw. OLG Hamm, Urt. V. 12.12.2001 zur Sicherung von Gewebeproben in Plastiksäcken), mit der Folge der Beweislastumkehr zugunsten des Patienten. Ebenso dürfte das Vertauschen von Blutproben ein grobes Organisationsverschulden im Klinikbetrieb begründen mit der Folge der Beweislastumkehr (Quelle: MedR 2009, 27: 42-43).

Ein Beispiel aus der Rechtssprechung: Unterlässt ein Arzt es, eine Blutprobe zeitnah auszuwerten, so liegt darin ein Behandlungsfehler, für dessen Folgen ihn der Patient haftbar machen kann. In diesem Fall muss der Patient die Kausalität zwischen Gesundheitsschaden und Arztfehler nicht belegen, sondern der Mediziner muss eben diesen Zusammenhang widerlegen (Umkehr der Beweislast). In dem konkreten Fall lag der Befund einer CRP-Bestimmung nicht wie üblich innerhalb von 24 h, sondern erst nach 4 Tagen vor. Der 14-jährige Patient mit akuten Beschwerden musste infolge der Krankheitsverschlimmerung eine Not-Operation und vorübergehend einen künstlichen Darmausgang erhalten. Für die vermeidbaren Folgen wurden dem Kläger 12.000 Euro Schadenersatz zugesprochen (OLG Zweibrücken, AZ 5 U 2/06).

Prozessabschnitte für Blutuntersuchungen

Aus der Risikoberatung verdichten sich Hinweise darauf, dass dies die Spitze eines Eisbergs darstellen könnte und die Anzahl der kritischen Ereignisse wesentlich höher liegt. In einer Berliner Klinik haben Mitarbeiter des Labors Risikobewusstsein bewiesen und durch konsequente Berichterstattung im CIRS (Critical Incident Reporting System) auf Probleme und Gefahrenquellen im Zusammenhang mit der Blutentnahme aufmerksam gemacht. Als innerhalb von 3 Monaten eine Häufung von Zwischenfällen beobachtet wurde, war dies Anlass für eine detaillierte Prozessanalyse, die überraschende Erkenntnisse brachte.

Die gravierendste Fehlerquelle liegt in der unzureichenden Identitätsprüfung vor der Blutentnahme. 

In der genannten Klinik erfolgt die Blutentnahme meist durch Ärzte oder wird von ihnen an Famulanten oder PJ`ler delegiert. Die Risikoanalyse ergab, dass es weder bei Ärzten noch bei allen Pflegekräften selbstverständlich ist, jedes Probenröhrchen und die darauf haftenden Etiketten mit den Patientendaten abzugleichen.

Eine weitere Quelle für Verwechslungen entsteht, wenn Ärzte zum Zeitpunkt der Blutentnahme den Patienten nicht kennen, weil eine Dienstübergabe oder Visite noch nicht stattgefunden hat.

Der Patient selbst ist ebenfalls ein Risikofaktor: Es ist nicht immer sofort ersichtlich, ob ein Patient zur eigenen Person verlässliche Angaben machen kann. Bereits geschlossene Fragen wie „Sind Sie Herr Müller?“ können die Fehlerkette bei schwerhörigen, desorientierten oder durch Medikamente beeinträchtigten Patienten in Gang setzen.

Risikomanagement

Empfehlungen zur Erhöung der Patientensicherheit:

Identitätssicherung:
  • Alle Probenröhrchen/Etiketten überprüfen
  • Sichere Quelle für Identitätssicherung benutzen, wenn Patient nicht bekannt ist;
  • Einführung von Namensbändchen forcieren
Kommunikation:
  • Erst Informationen einholen, dann tätig werden
  • Auf Verwechslungsrisiken (gleiche Patientennamen) hinweisen
Verfahrensstandard:
  • Durchführung der Blutentnahme verbindlich regeln, inkl. Identitätssicherung
Qualifizierung:
  • Berufsanfänger:  Pflichtfortbildung, Blutentnahme, zentrale Schulung, Video nutzen
Arbeitsorganisation:
  • „Blutentnahme-Team“ ?
Arbeitsmaterialien:
  • Qualität der Etiketten (Klebeeigenschaften) beim Einkauf berücksichtigen

Fazit:

Aus dem Reporting von Beinahe-Ereignissen und kritischen Zwischenfällen können wertvolle Hinweise auf Gefahrenquellen resultieren. Jedes Offenlegen von Fehlerquellen schärft das Risikobewusstsein und durch die Analyse der systembedingten Faktoren wird der Blick für grundlegende Problemlösungen geöffnet.