Alle Artikel von Dr. med. Kristina Götzky

Homeoffice in der Chirurgie – ist das möglich?

Erfahrungsbericht einer Weiterbildungsassistentin

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist seit langem ein aktuelles und vieldiskutiertes Thema – eine Patentlösung gibt es vermutlich nicht und wenn man zu Beruf und Familie auch noch die chirurgische Weiterbildung als Ziel hinzunimmt, kann es durchaus schwierig werden und der Kommentar „das wird nix“ ist nicht selten.

In anderen Arbeitsbereichen gibt es seit gut 20 Jahren Modelle, die das Arbeiten von zu Hause ermöglichen. 2012 haben 12 % der Erwerbstätigen zeitweise oder hauptsächlich im Homeoffice gearbeitet. Gemäß dem DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) gehören Lehrer, Manager, Vertreter, Juristen, IT-Kräfte, Ingenieure sowie Geistes- und Naturwissenschaftler zu den häufigsten Berufsgruppen mit Home-Office (DIW Wochenbericht Nr. 8.2014). Für eine/n (chirurgischen) Kliniksarzt/-ärztin klingt das allerdings utopisch. Muss aber nicht unbedingt sein!

Nach 12 Monaten Elternzeit sollte mein sechstes Weiterbildungsjahr in der Viszeralchirurgie beginnen. Schon während der Schwangerschaft hatte ich mich mit meinem Mann entschieden, in Teilzeit zurückzukehren, wie es in meiner Abteilung bereits seit Jahren möglich ist. 18 % aller Kliniksärztinnen und -ärzte arbeitete 2011 in Teilzeit, in der Chirurgie waren es 11 % (Statistisches Bundesamt 2011). Meine Vorstellung waren 70 bis 80 %, um „nicht zu viel in der Klinik zu fehlen“, aber auch noch effektive Zeit für meine Familie, insbesondere für unser Kind zu haben. In weiteren Gesprächen ergab sich, dass die übrigen 20 bis 30 % der Vollzeitstelle für den Arbeitgeber allerdings unattraktiv, da „nicht besetzbar“, waren.

Eine 50 %-Stelle war für mich nicht reizvoll, da sich meine Weiterbildung dadurch in die Länge ziehen würde. Jede zweite Woche zu kommen, war für mich ebenso wenig vorstellbar, wie eine Arbeitszeit von 7.15 bis 11.15 Uhr. Da hätte ich mich von vorneherein für einige Punkte auf dem OP-Plan aus dem Rennen genommen. Wenn die zweiten 50 % anderweitig besetzt worden wären, hätte das für die Abteilung zusätzliche Herausforderungen beim Informationsmanagement bedeutet.

Urplötzlich sah ich mich mit dem Angebot von „Homeoffice“ konfrontiert: Mein Chef fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, 80 % in der Klinik tätig zu sein und 20 % der Arbeitszeit vom Homeoffice aus zu erledigen. Was in anderen Arbeitsbereichen geht, muss sich doch auch in einer Klinik machen lassen. Aufgaben fielen sowohl ihm als auch mir mehr als genug ein.

Gesagt getan. Es wurde ein Antrag bei der Personalabteilung eingereicht. Unsere Idee brachte hier zwei wesentliche Fragen auf: Auf der einen Seite konnte sich keiner vorstellen, wie man eine chirurgische Weiterbildungsassistentin versichert, die zu Hause arbeitet. Zum anderen fürchtete man Begehrlichkeiten im Kollegenkreis. Die Google-Suche zu Homeoffice in der Medizin ergibt Null Treffer, somit konnte ich auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen. Die Versicherungsangelegenheit ließ sich mit der BG schnell klären. Grundsätzlich ist man bei allen Tätigkeiten gesetzlich unfallversichert, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Arbeit stehen.

Meine Kollegen haben sehr kollegial und teamorientiert auf das Homeoffice-Modell reagiert. Natürlich spürte ich auch die Verpflichtung, ihnen vom Homeoffice ein bisschen „Papierkram“ abzunehmen.

So kam es, dass ich mit einer Vier-Tage-Woche in der Klinik startete. Ich hatte die Freiheit, mir die Homeoffice-Stunden frei einzuteilen, so dass ich den fünften Tag für „Familie und Haushalt“ nutzen konnte und jeden Abend ein bis drei Stunden Homeoffice machte, so, wie es gerade möglich oder nötig war. Ich erhielt einen externen Zugang zum KIS und kümmerte mich am Abend um Arztbriefe, QS der Cholezystektomie, Tumorboard-Anmeldungen, OP-Berichte, HIPEC-Register, interne Statistiken, Dienstplanerstellung, Urlaubsplan. Insgesamt lassen sich damit sehr gut (mindestens) 20 % der Arbeitszeit ausfüllen.

Nach einem halben Jahr in diesem Arbeitsmodell habe ich nun umgestellt auf tägliche Präsenzzeit von 7.15 bis 13.45 Uhr, da sich in unserer Abteilung ein ganzer freier Tag (der „Homeoffice-Tag“) als schwer realisierbar herausgestellt hat. Mein Homeoffice-Tag hat häufig eine Lücke hinterlassen und zudem waren vermehrte Übergaben notwendig, da mir quasi ein Tag vor Ort „fehlte“. Natürlich habe ich Flexibilität mitgebracht und bin gerne auf die Wünsche und Anforderungen der Abteilung eingegangen. Mein eigentlich fester Homeoffice-Tag wurde variabel in den Dienstplan eingeplant oder musste auch mal ausfallen. Dadurch war letztlich die langfristige Planung (z. B. Besuch eines regelmäßigen Kinderkurses an einem festen Vormittag in der Woche) für mich nicht mehr gegeben. Zudem habe ich für unser Kind und mich festgestellt, dass wir mehr davon profitieren, täglich Zeit am Nachmittag miteinander zu verbringen, als geballt an einem Tag der Woche und an vier Tagen nur wenige Stunden.

Nach einem Arbeitstag gilt die Aufmerksamkeit unserem Kind – wenn dieses im Bett ist, gibt es das ein oder andere zu erledigen und zu besprechen. Zudem engagiere ich mich ehrenamtlich und einmal pro Woche gehe ich abends mit einer Freundin joggen. Und danach beginnt mein Homeoffice, es bedarf schon einer gewissen Selbstdisziplin, sich nach einem langen Tag noch an den Schreibtisch zu setzen. Manchmal ist dies erst ab 22.30 Uhr für ein, zwei Stunden möglich. Ohne die Unterstützung meines Mannes und auch meiner Eltern wäre es allerdings deutlich schwieriger.

Auch vor der Schwangerschaft habe ich natürlich an manchen Abenden Aufgaben für die Klinik oder für meine Weiterbildung gehabt, aber Regelarbeitszeit am Abend abzuleisten, fühlt sich anders an. Die Abendstunden sind dementsprechend sehr ausgefüllt und das Gefühl, nie wirklich Feierabend zu haben, macht sich dann und wann bemerkbar. Nur nochmal kurz diesen einen Brief schreiben und wie war nochmal das Labor von Patient XY… Es kam auch schon vor, dass ich spätabends den Diensthabenden angerufen habe, weil mir noch ein Befund aufgefallen ist, der mich nicht hätte ruhig schlafen lassen.

Natürlich wurde ich auch gefragt, ob eine chirurgische Weiterbildungsassistentin denn am Schreibtisch etwas lernen könne, aber auch bei 100 %-iger Präsenz in der Klinik verbringt man erfahrungsgemäß nicht 100 % seiner Arbeitszeit am Patienten. Der administrative Aufwand ist heutzutage enorm, aber letztlich ist es unerheblich, ob dieser in der Klinik oder zu Hause erledigt wird.

Mein Fazit zu diesem Arbeitsmodell fällt insgesamt positiv aus. Es ermöglicht mir eine Kombination aus Vorteilen der Teilzeitarbeit mit Zeit am Nachmittag für unser Kind mit Vorteilen der Vollzeittätigkeit, was die Weiterbildungszeit und den Verdienst betrifft. Zudem konnte somit meine Vollzeitstelle erhalten bleiben, was in Zeiten des Personalabbaus nicht unwesentlich ist.

Schließlich habe ich mich für die Kombination aus Beruf, Familie und chirurgischer Weiterbildung entschieden und freue mich, dass ich dieses innovative Arbeitsmodell testen darf. Teilzeitarbeit und/oder Homeoffice wird sich hoffentlich im Laufe der nächsten Jahre schrittweise auch in der Chirurgie etablieren können, nicht nur als „notwendiges“ Übel, sondern als anerkanntes Arbeitsmodell.

Götzky K. Homeoffice in der Chirurgie – ist das möglich? Passion Chirurgie. 2015 März, 5(03): Artikel 02_03.