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BDC-Praxistest und Kommentar: Bedeutung von Zertifikaten im Gesundheitswesen – für Zentren, Gesundheitspolitik und chirurgisch Tätige

Anfang Januar 2025 hat das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) bekanntgegeben, dass die Zertifikate der DGAV e.V. in den Bundes-Klinik-Atlas (B-K-A) des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) aufgenommen werden. Damit ist aus Sicht der Zentren und aus Sicht der DGAV e.V. ein wichtiger Meilenstein erreicht, der die Türen für weitere Schritte öffnet: in den Zentren vor Ort, aber auch auf politischer Ebene für die Expertinnen und Experten, die sich in der DGAV e.V. engagieren und Kriterien für die Qualität der allgemein- und viszeralchirurgischen Behandlung definieren. Im Folgenden werden die sich ergebenden Möglichkeiten beschrieben und in die aktuellen politischen Entwicklungen u. a. des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) eingeordnet.

Zertifizierte Zentren der DGAV e.V.

Seit 2008 werden durch die Arbeitsgemeinschaften der DGAV e.V. in Zusammenarbeit mit weiteren Fachdisziplinen und -gesellschaften, Kriterien für Zentren in der Allgemein- und Viszeralchirurgie definiert und das Erfüllen der Kriterien in Zertifizierungsaudits vor Ort überprüft. Ziel des Zertifizierungssystems ist es, eine bestmögliche Behandlung der Patientinnen und Patienten bei allgemein- und viszeralchirurgischen Erkrankungen zu gewährleisten. Dazu gehört, die Qualität der Behandlung mit Umsetzung eines PDCA-Zyklus zu analysieren und wenn nötig, zu verbessern. Die obligate Dokumentation in die StuDoQ-Register ermöglicht die Beantwortung von wissenschaftlichen Fragestellungen [1] und soll für Versorgungsforschungsprojekte in den zertifizierten Zentren genutzt werden. Ende 2024 waren 437 Zentren in 11 Zertifizierungsbereichen zertifiziert [2].

Die positive Bewertung des Zertifizierungssystems der DGAV e.V. mit nachfolgender Aufnahme in den B-K-A ist das Ergebnis der Anwendung von Kriterien für „Aussagekräftige Zertifikate und Gütesiegel“ durch das IQTIG. Diese Kriterien stehen am Ende eines langen politischen Prozesses, der erstmals mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Jahr 2013 angestoßen wurde.

Politische Grundlagen für die Entwicklung von Kriterien für Zertifikate

In dem Koalitionsvertrag war für das neu zu gründende IQTIG vorgesehen, dass es u. a. „eine online einsehbare Vergleichsliste erstellen und führen und die Vielzahl von Zertifikaten [in Krankenhäusern] bewerten und einordnen“ solle [3]. Dieser Auftrag ist dementsprechend auch seit 2014 im SGB V als Aufgabe des IQTIG beschrieben (§ 137a Abs. 3 Satz 7) und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Qualitätsmanagement-Richtlinie von 2015 bereits darauf hingewiesen, dass „sobald Gütekriterien […] beschlossen sind, […] Zertifikate und Gütesiegel, die diesen Gütekriterien genügen, von den Krankenhäusern, Vertragsarzt- und Vertragszahnarztpraxen zum Nachweis der Einhaltung der QM-Verpflichtung [nach § 135a SGB V] herangezogen werden können“ [4].

Interessanterweise gerieten diese sinnvollen Ideen, nämlich zum einen das IQTIG mit einer Bewertung von Zertifikaten zu beauftragen und die Zertifikate dann zum Nachweis der Erfüllung von Anforderungen in G-BA-Richtlinien, Gesetzen o. ä. zu verwenden, zunächst aus dem Fokus: 2020 wurde das IQTIG durch den G-BA beauftragt, Kriterien zur Bewertung von Zertifikaten in der Gesundheitsversorgung zu erarbeiten und „diese für Patientinnen und Patienten verständlich, leicht anwendbar und nachvollziehbar [darzustellen]. In der vom G-BA […] beschlossenen Beauftragung des IQTIG [wurde] klargestellt, dass eine Bewertung einzelner Zertifikate und Qualitätssiegel nicht Teil des Auftrags ist“ [5].

Damit waren die ursprünglichen Absichten für die Entwicklung von Kriterien nicht mehr Teil der Aufgabe und fast erwartungsgemäß kam das IQTIG in seinem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass eine selbstständige Anwendung der entwickelten Kriterien für die Beurteilung von Zertifikaten durch Betroffene letztlich kaum möglich sei, weil Fachwissen notwendig wäre, das nicht als gegeben vorausgesetzt werden könne. Zudem stehe der zeitliche Aufwand für das Durchführen einer Bewertung durch Betroffene in keinem Verhältnis zu ihrem Informationsbedürfnis [6]. Als notwendige Weiterentwicklung empfahl das IQTIG dann auch folgerichtig die standardisierte Bewertung von Zertifikaten durch eine unabhängige Stelle.

Erfreulicherweise hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach diesen Vorschlag im März 2024 mit dem Krankenhaustransparenzgesetz (KHTG) aufgegriffen. Das Gesetz sieht vor, dass die Qualität des Leistungsgeschehens in den Krankenhäusern in einem Transparenzverzeichnis (Bundes-Klinik-Atlas (B-K-A)) veröffentlicht wird. Dazu gehört u. a. der Nachweis, ob am Krankenhausstandort aussagekräftige Zertifikate vorliegen, also Zertifikate, die die oben genannten Bewertungskriterien des IQTIG erfüllen (§ 135d Abs 3 Satz 5 SGB V).

Der B-K-A ging im Mai 2024 an den Start und enthielt zunächst die Zertifikate, die bereits in der Weißen Liste, die ihre Arbeit Ende März 2024 eingestellt hatte, ausgewiesen waren. Die erste Prüfungsrunde durch das IQTIG, in der auch die Zertifikate der Weißen Liste offiziell bewertet wurden, haben 13 Zertifikatherausgeber mit zusammen 57 Zertifikaten bestanden (Stand: 12.02.2025 [7]). Die Zertifikate der DGAV e.V. sind Teil der ausgezeichneten Gütesiegel und bekommen damit ihre Aussagekraft und Wertigkeit durch eine unabhängige Stelle bestätigt.

Was ergibt sich aus der Aufnahme der Zertifikate in den Bundes-Klinik-Atlas?

Neben der positiven Aussage über den grundsätzlichen Aufbau und die Umsetzung des Zertifizierungssystems der DGAV e.V., bedeutet die Aufnahme in den B-K-A natürlich auch eine vermehrte Sichtbarkeit für die ausgewiesenen Zentren.

Die hohe Qualität, die die klinisch Tätigen in den Zentren erreichen, kann durch Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen eingeschätzt werden und hilft diesen, informierte Entscheidungen über den Ort ihrer Behandlung zu treffen und sich für, aber auch gegen Leistungserbringende zu entscheiden.

Darüber hinaus sieht das KHVVG vor, dass aussagekräftige Zertifikate, also die Zertifikate, die in den B-K-A aufgenommen wurden, durch den Medizinischen Dienst (MD) genutzt werden können, um das Erfüllen der Qualitätskriterien in den Leistungsgruppen zu prüfen (§ 275a SGB V). Das KHVVG greift damit sinnvollerweise die oben beschriebene Idee der QM-Richtlinie des G-BA von 2015 wieder auf, weitet sie aus und trägt damit sehr praktisch zu dem unbedingt benötigten Bürokratieabbau und der Entlastung der Zentren und des MD bei. Doppelt und dreifach Ein- und Angaben sollen vermieden und der aufwandsarme Nachweis mit Hilfe aussagekräftiger Zertifikate gefördert werden.

Damit die Zertifikate durch den MD berücksichtigt werden können, ist es notwendig, die Zertifikate bzw. ihre Inhalte in die Leistungsgruppen (LG) zu integrieren. Vorbild dafür ist die Aufnahme der „Zertifizierung als Brustzentrum NRW“ in die „Sonstigen Struktur- und Prozesskriterien“ der Leistungsgruppe „Senologie“ bei der Krankenhausplanung NRW [8]. Das Zertifikat „Brustkrebszentrum NRW“ ist wie die DGAV-Zertifikate auch, im B-K-A genannt, so dass man hier einen sehr guten Ausgangspunkt für ein analoges Verfahren hat, um alle im B-K-A aufgeführten Zertifikate in die LG aufzunehmen. Dieses Vorgehen wird zudem durch die Begründungen des Gesetzgebers für die Einführung des Transparenzgesetzes in Verbindung mit der Krankenhausreform bekräftigt: eine qualitativ hochwertige und für Patientinnen und Patienten sichere medizinische Versorgung soll sichtbar gemacht, gefordert und gefördert werden. Daraus ergibt sich notwendigerweise, dass die Inhalte der Zertifikate, die im B-K-A als qualitativ hochwertig ausgewiesen sind, eben auch Teil der LG des KHVVG sind (Abb. 1).

Abb. 1: Zusammenwirken von Zertifikat, Transparenzverzeichnis und Krankenhausreform

Bisher sind 65 LG, davon fünf viszeralchirurgische LG und eine LG Allgemein Chirurgie und nur wenige Qualitätskriterien im KHVVG beschrieben, das am 12.12.2024 in Kraft getreten ist [9]. Mit dem neuen § 135e SGB V „Mindestanforderungen an die Qualität der Krankenhausbehandlung“ ist jedoch bereits vorgesehen, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen Ausschuss einrichtet, der u. a. die Aufgabe hat, genau diese Qualitätskriterien der LG festzulegen. Die Inhalte der Rechtsverordnung, die der Ausschuss im Sinne von Empfehlungen definieren soll, sollen bis zum 31.3.2025 mit Wirkung zum 01.01.2027 erlassen werden. Dafür haben sich die Mitglieder des Ausschusses, also der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Bundesärztekammer, die Hochschulmedizin, die Berufsorganisationen der Pflegeberufe und in beratender Funktion die Patientenorganisationen und der MD am 28.01.2025 zu einer Auftaktsitzung getroffen.

Der § 135e SGB V ist die einzige Stelle im KHVVG, die es den wissenschaftlichen Fachgesellschaften in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ermöglicht, sich an der Definition „Was macht eine qualitativ hochwertige Versorgung aus?“ zu beteiligen und ihre Expertise einzubringen. Bedauerlicherweise ist die im Referentenentwurf (15.04.2024) noch verpflichtend vorgesehene Einholung eines Vorschlags der AWMF für die Weiterentwicklung der LG und Qualitätskriterien im weiteren Verlauf in eine „kann“-Formulierung („kann der Ausschuss hierzu zunächst einen Vorschlag der [AWMF] einholen“) abgeschwächt worden. Ungeachtet dessen hat die AWMF den Vorschlag eingegeben, als ständiger Gast an den Sitzungen des Ausschusses teilzunehmen und Expertinnen und Experten bei spezifischen Fragstellungen vorschlagen zu können. Die DGAV e.V. ist Mitglied in der „Ad hoc Kommission Versorgungsstrukturen“ der AWMF und bringt unter anderem an dieser Stelle ihre Vorschläge für die Weiterentwicklung der LG und Qualitätskriterien auf Grundlage des Zertifizierungssystems der DGAV ein.

Zusammenfassung und Ausblick

Mit der Aufnahme des Zertifikates der DGAV e.V. in den BKA ergeben sich Möglichkeiten, die durch Zentren, gesundheitspolitische Institutionen und Expertinnen und Experten der DGAV genutzt werden können und sollen:

  • Die hochwertige Behandlung durch zertifizierte Zentren der DGAV wird (nicht nur) für Patientinnen und Patienten sichtbar und gibt ihnen eine Entscheidungshilfe.
  • Die Zertifikate des B-K-A sollen durch den Medizinischen Dienst für den Nachweis der Erfüllung von Qualitätskriterien in LG genutzt werden können.
  • Für die nachhaltige Abbildung im B-K-A, wird das Zertifizierungssystem der DGAV kontinuierlich weiterentwickelt (z. B Initiierung von Zertifizierungskomitees mit Aktualisierung der Kriterien und der StuDoQ-Register uwm.) und bietet damit den chirurgisch Tätigen in der DGAV die Möglichkeit, ihre Expertise in die Weiterentwicklung einzubringen.
  • Gesundheitspolitische Aktivitäten werden auf verschiedenen Ebenen u.a. mit Eingaben für die Weiterentwicklung der Qualitätskriterien durch die DGAV unterstützt.

Die aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen zeigen, dass qualitativ hochwertige Zertifikate im Gesundheitssystem eine zunehmende Bedeutung haben. Damit steigen die Anforderungen an die Expertinnen und Experten wissenschaftlicher Fachgesellschaften, aber es bietet sich gleichzeitig auch die Möglichkeit der gemeinsamen innovativen Weiterentwicklung allgemein- und viszeralchirurgischer Inhalte.

Literatur

[1]   Publikationen mit StuDoQ-Daten: http://www.dgav.de/studoq/ueber-studoq/publikationen.html
[2]   Informationen über das Zertifizierungssystem der DGAV e.V.: http://www.dgav.de/zertifizierung.html
[3]   Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, https://www.bundestag.de/resource/blob/194886/696f36f795961df200fb27fb6803d83e/koalitionsvertrag-data.pdf (Zugriff am 18.02.2025)
[4]   Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Qualitätsmanagement-Richtlinie, https://www.g-ba.de/downloads/40-268-3574/2015-12-17_QM-RL_Erstfassung_TrG.pdf (Zugriff am 18.02.2025)
[5]   Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Freigabe der Berichte Entwicklung von Kriterien zur Bewertung von Zertifikaten und Qualitätssiegeln. Bericht zu Teil A sowie Abschlussbericht zu Teil B zur Veröffentlichung, https://www.g-ba.de/downloads/39-261-6399/2023-12-21_Freigabe-IQTIG-Bericht_Zertifikate-Qualitaetssiegel.pdf (Zugriff am 18.02.2025)
[6]   Kriterien zur Bewertung der Aussagekraft von Zertifikaten und Qualitätssiegeln
[7]   Abschlussbericht zu Teil B: Kriterienentwicklung, https://iqtig.org/downloads/berichte/2022/IQTIG_Kriterien-Zertifikate-Qualitaetssiegel_Abschlussbericht-Teil-B_2022-09-30.pdf
[8]   IQTIG, Aussagekräftige Zertifikate und Siegel: Übersicht, https://iqtig.org/qs-instrumente/bundes-klinik-atlas/zertifikaten-und-siegel/aussagekraeftige-zertifikate-und-siegel-uebersicht/ (Zugriff am 18.02.2025)
[9]   Übersicht über die Qualitätskriterien für die Krh-Planung in NRW, https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/uebersichtstabelle_ueber_die_qualitaetskriterien.pdf (Zugriff am 18.02.2025)
[10] Bundesministerium für Gesundheit. Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz-khvvg.html (Zugriff am 18.02.2025)

Kommentar: Less is more

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Eine zentrale Handlungsvorgabe aller in den aktuellen Tagen inaugurierten Regierungen und Konzernleitungen ist der Abbau von Bürokratie. Und so treten auch die aktuellen Reformgesetze im Gesundheitswesen an. Less is more! Das wäre zu schön, aber natürlich ist alles wieder mal nicht so einfach. Ganz konträr und ganz ungebremst entwickeln sich im System nämlich die Kurse in der Qualitätssicherung. Die immer umfangreicheren Vorgaben vertiefen sich im ruinösen Wettbewerb der verschiedenen Anbieter in immer kleinere Details um nur ja den Unterschied zu treffen. Das ist zermürbend und ermattend. Deshalb hat so mancher bei der Durchsicht der Kriterien für die Leistungszuteilung im Krankenhaus und den neuen Mindestzahlen schon frohlockt. Wer braucht ein Zertifikat, wenn die Zahlen erfüllt und die Zuteilungen erfolgt sind? Schade, schade, Schokolade – weit gefehlt. Der Verwaltungskrake hat immer noch ein Ass im Ärmel. Nämlich den Bundes-Klinik-Atlas! Dieser erratisch zusammengestolperte Thesaurus wird jetzt auch um chirurgische Zertifikate ergänzt. Es bleibt unklar, ob das nicht doch die hübschen Embleme der Auditoren als das diskreditiert, was viele Kritiker schon immer behaupten: ein Instrument des Wettbewerbs. Nein, nein, wir sind nicht gegen Zertifizierungen, wir sind für gute. Gute Zertifikate repräsentieren – gerne schlank – gute Qualität. Aber ob man dafür im B-K-A auftauchen muss? Nicht jede Botschaft gewinnt im trivialen Gewand. Less ist dann doch more.

Viele Grüße
Prof. Dr. med. C. J. Krones und Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

 

Korrespondierende Autorin:

PD Dr. med. Simone Wesselmann, MBA

Geschäftsführerin

Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) e.V.

wesselmann@dgav.de

Prof. Dr. med. Waldemar Uhl

Präsident der DGAV e.V.

Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie

Katholisches Klinikum Bochum

St. Josef-Hospital

Prof. Dr. med. Jörg Kalff

Generalsekretär der DGAV e.V.

Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie

Universitätsklinikum Bonn (UKB)

Gesundheitspolitik

Wesselmann S, Uhl W, Kalff J: BDC-Praxistest: Bedeutung von Zertifikaten im Gesundheitswesen – für Zentren, Gesundheitspolitik und chirurgisch Tätige. Passion Chirurgie. 2025 Mai; 15(05): Artikel 05_01.

Mehr Artikel zum Thema finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Qualität&Patientensicherheit.

Rolle der Weiterbildung in der Krankenhausreform

Herausforderungen und Lösungen

Die ärztliche Weiterbildung stellt nach dem Studium der Humanmedizin den entscheidenden Abschnitt in der ärztlichen Bildungssystematik dar. Damit wird eine fachärztliche Kompetenz mit entsprechenden Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erlangt, die den weiteren beruflichen Weg prägt. In Deutschland obliegt die ärztliche Weiterbildung der jeweiligen Landesärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts, gesetzlich verankert in den Heilberufe- und Kammergesetzen. In diesen ist für Kammern die Aufgabe festgelegt, die Weiterbildung der Kammermitglieder in einer Weiterbildungsordnung zu regeln sowie Grundsätze der Weiterbildung und Weiterbildungsbezeichnungen im Hinblick auf die wissenschaftliche Entwicklung und einer angemessenen Versorgung der Bevölkerung zu bestimmen.

Anders als in anderen Ländern beginnt in Deutschland die ärztliche Weiterbildung nach erfolgreichem Abschluss des Studiums und Erlangung der Approbation. Damit verbunden ist die Erlaubnis, ärztliche Heilkunde vollumfänglich ausüben zu dürfen. Sie ist gekennzeichnet durch ein möglichst direktes Verhältnis eines von der Landesärztekammer damit hoheitlich beauftragten Weiterbildungsbefugten mit einem Weiterzubildenden an einer zugelassenen Weiterbildungsstätte mit einer vorgeschriebenen Mindestweiterbildungszeit, die nach europäischem und deutschem Recht grundsätzlich hauptberuflich und ganztätig erfolgt. In dieser Zeit werden definierte Weiterbildungsinhalte erworben, nach deren Erlangung sowie Absolvierung der Mindestweiterbildungszeit eine halbstündige Prüfung vor einem Prüfungsausschuss einer Landesärztekammer abgelegt wird. Nach erfolgreicher Prüfung wird eine entsprechende Urkunde für die Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatz-Weiterbildung überreicht, die erlangte Weiterbildungsqualifikation ist ankündigungsfähig und führbar.

Die genannten Vorgaben werden in der jeweiligen Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer hinterlegt, die auf einer (Muster-)Weiterbildungsordnung beruht. Diese wird auf Bundesärztekammerebene zusammen mit allen Landesärztekammern unter Einbezug der entsprechenden Fachgesellschaften und Berufsverbänden erarbeitet und von einem Deutschen Ärztetag verabschiedet. Rechtlich bindend sind nur die Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern, diese können Unterschiede aufweisen. Die aktuelle (Muster-)Weiterbildungsordnung von 2018 hat den Gedanken der kompetenzbasierten Weiterbildung mit den kognitiven und Methodenkompetenzen auf der einen Seite und den Handlungskompetenzen auf der anderen Seite umgesetzt. Während zuvor maximale Weiterbildungszeiten im ambulanten Bereich definiert waren, sind jetzt nur Mindestweiterbildungszeiten im stationären Bereich hinterlegt. Bei den meisten Gebieten, auch in der Chirurgie, gibt es keine Differenzierungen – die Kompetenzen werden dort erworben, wo entsprechende Leistungen durchgeführt werden. Die Dokumentation des Kompetenzerwerbs erfolgt jetzt über ein elektronisches Logbuch.

Die Herausforderungen in der ärztlichen Weiterbildung sind vielfältig, exemplarisch dargestellt im Gebiet Chirurgie. Es sind viele Inhalte definiert, die auch als Handlungskompetenz erworben werden müssen, also selbstständig vom Weiterzubildenden durchgeführt werden müssen. Bei zunehmender Komplexität und Spezialisierung wird es immer schwieriger, diese Kompetenzen zu erlangen. Hinzu kommt, dass nicht mehr alle Weiterbildungsinhalte an einer Weiterbildungsstätte angeboten werden können, so werden bestimmte Eingriffe zunehmend nur noch ambulant durchgeführt. Die Weiterbildungszeiten in Deutschland sind meistens länger als die in der Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen Union festgeschriebenen Mindestdauern. Dieser Umstand in Verbindung mit der zunehmenden Teilzeittätigkeit von Ärztinnen und Ärzten verlängert die Weiterbildungszeiten und verzögert damit den Erwerb der Facharztkompetenz. Notwendige vorbereitende Skill-Labs sind nicht flächendeckend vorhanden, anvertraubare professionelle Tätigkeiten kaum definiert. Dagegen ist es zu einer zunehmenden Arbeitszeitverdichtung und zu vermehrten bürokratischen Tätigkeiten gekommen. Diese kosten Zeit, die für die Weiterbildung nicht zur Verfügung steht. Umfragen zeigen eine steigende Unzufriedenheit der Weiterzubildenden mit ihrer Weiterbildung, aber auch der Weiterbildungsbefugten.

Die Krankenhausreform akzentuiert mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz diese Herausforderungen noch zusätzlich mit ihren 65 Leistungsgruppen, davon allein 28 mit direktem Bezug zum Gebiet Chirurgie samt Transplantationsmedizin, da in diesen Leistungsgruppen als personelle Ausstattung eine Qualifikation aus dem Gebiet Chirurgie festgeschrieben ist. Die im Gesetz genannten Mindestvoraussetzungen inklusive weiterer Auswahlkriterien und der personellen Ausstattung mit Qualifikationen und Verfügbarkeit erschweren die ärztliche Weiterbildung. Stationär zu erlangende Inhalte können nicht mehr in allen Krankenhäusern vermittelt werden, da die Kriterien der einzelnen chirurgischen Leistungsgruppen nicht mehr erfüllt werden können und landesplanerisch nicht mehr diesen Krankenhäusern zugeordnet werden. Das wird insbesondere den Umfang der chirurgischen Weiterbildungsbefugnisse in Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung betreffen, die meistens nur die Leistungsgruppe 14 „Allgemeine Chirurgie“ erhalten werden. Auch größere Krankenhäuser werden ihr chirurgisches Leistungsspektrum anpassen müssen, da bestimmte, jetzt dort noch durchgeführte Leistungen und Operationen nicht mehr abgebildet werden können. Das wird bei vielen chirurgischen Facharztkompetenzen zu einer Reduktion der Befugnisumfänge führen, was vermehrte Rotationen für Weiterzubildende bedingt. Da diese Inhalte zukünftig nur in definierten, planerisch festgelegten Krankenhäusern zu erlangen sind, muss ein Wechsel für den Erwerb genau dieser Inhalte dorthin erfolgen. Das wird zu einer Engpasssituation führen, zumal Weiterzubildende sich in das neue Krankenhaus einarbeiten und die ärztliche Leitung bzw. die Weiterbildungsbefugten sich erst eine Übersicht über die vorhandenen Kompetenzen der neuen Mitarbeitenden verschaffen müssen. Eine vom Bundesgesetzgeber angestrebte deutliche Ausweitung der Leistungsgruppen würde diese Problematik noch verschärfen. So richtig die Konzentration von spezialisierten Leistungen in entsprechende Zentren aus verschiedenen Gründen ist, wird es perspektivisch zu vermehrten Wechseln der Weiterbildungsstätten und eher zu einer Verlängerung der Weiterbildungszeit führen. Als Folge wird der Facharztstatus erst später erreicht. Damit werden diese Qualifikationen dem ambulanten Bereich im System der gesetzlichen Krankenversicherung und dem stationären Bereich zur Deckung der geforderten personellen Ausstattung in den Leistungsgruppen mit zeitlicher Verzögerung zur Verfügung stehen.

Was sind mögliche Lösungsansätze für diese Herausforderungen? Aus Sicht der ärztlichen Weiterbildungssystematik und der Ärztekammern können folgende fünf Antworten diskutiert werden:

  1. Kritische Überprüfung, ob die Mindestweiterbildungszeiten reduziert werden können, zumal bei vielen Weiterbildungen, so auch im Gebiet Chirurgie, 12 Monate auch in anderen Gebieten erfolgen können und in der eigentlichen Facharztkompetenz nur 48 Monate zusätzlich zu dem jeweils halben Jahr Intensivmedizin und Notfallaufnahme abgeleistet werden müssen.
  2. Kritische Überprüfung der Inhalte, insbesondere der Handlungskompetenzen. Ausgangspunkt dafür ist die Frage, was eine Fachärztin bzw. ein Facharzt nach erfolgter Facharztprüfung beherrschen muss, um sich im ambulanten Bereich niederzulassen oder im stationären Bereich Rufdienste übernehmen zu können. Nicht alle Spezialitäten können bei dem rasant wachsenden medizinischen Fortschritt und Möglichkeiten in einer Facharztweiterbildung vermittelt werden und sind erst nach Erlangung des Facharztstatus im Rahmen der fachärztlichen Tätigkeit in einer entsprechenden Abteilung zu erlernen. Dies lässt sich an folgendem Beispiel aus der viszeralchirurgischen Weiterbildung verdeutlichen: in der (Muster-)Weiterbildungsordnung werden 30 Eingriffe am Kolon, 3 Magenteilresektionen, 3 Leberwedgeresektionen, 10 Enddarmoperationen sowie 80 erste Assistenzen bei Eingriffen höherer Schwierigkeitsgrade, z.B. Pankreasresektionen, Gastrektomien und Rektumresektionen gefordert. Diese Handlungskompetenzen sind allenfalls in bestimmten größeren Krankenhäusern oder spezialisierten Abteilungen vermittelbar. Hier ist zu hinterfragen, ob nicht eine kognitive und Methodenkompetenz ausreichend ist bzw. auf solche Inhalte verzichtet werden könnte. Die Zusatzweiterbildung Spezielle Viszeralchirurgie, die zukünftig ein Schwerpunkt zum Facharzt für Viszeralchirurgie werden soll, kann nicht mehr alle Spezialitäten der operativen Eingriffe des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes und des hepatobiliären Systems abdecken, sondern benötigt einen jeweiligen modularen Aufbau, auch unter Einbezug der endokrinen Chirurgie.
  3. Schaffung von erleichterten Rotationsmöglichkeiten und von Weiterbildungsverbünden. Schon jetzt sind Rotationen in großen Krankenhäusern nicht einfach zu organisieren. Da diese zukünftig zunehmen werden, sind weiterbildungstechnische, organisatorische und arbeitsrechtliche Maßnahmen notwendig, um diese Wechsel zu erleichtern oder sogar als Kriterium für die Zuordnung von bestimmten Leistungsgruppen aufzunehmen. In der Weiterbildungsordnung ist dies bereits hinterlegt, da eine Befugnis mehreren Ärztinnen und Ärzten an einer oder mehreren Weiterbildungsstätten gemeinsam erteilt werden kann. Ein festgelegter Gesamtablauf der Weiterbildung als ein organisierter und von der Landesärztekammer genehmigter Zusammenschluss von mehreren Weiterbildungsbefugten, welche unterschiedliche Weiterbildungsinhalte an einer oder mehreren Weiterbildungsstätten unter Berücksichtigung regionaler Aspekte beinhalten, ist eine Lösung. Dabei ist arbeitsrechtlich noch die Arbeitnehmerüberlassung zu klären, sofern es nicht nur einen Arbeitgeber im Rahmen dieses Gesamtweiterbildungskonzeptes gibt. Jeder Arbeitgeberwechsel bei Rotationen ist mit erhöhtem bürokratischen Aufwand versehen, was zu vermeiden ist.
  4. Gegenfinanzierung des Aufwandes für die Weiterbildung. Das umfasst die Aufwendungen für die Weiterbildung als solche, also für die eingesetzten personellen Ressourcen, für Anleitung, zeitliche Aspekte, den erhöhten organisatorischen Aufwand sowie Simulationstrainings und Skill-Labs in der Anschaffung und Nutzung. Außerdem muss auch im ambulanten Bereich die Bezahlung der ärztlichen Tätigkeit von Weiterzubildenden geregelt werden, da Weiterbildung in diesem Bereich zunimmt. Es ist zu überlegen, ob ambulante Eingriffe am Krankenhaus, die von Ärztinnen und Ärzte im Rahmen ihrer Weiterbildung durchgeführt werden, außerhalb des ambulanten Budgets gesondert gegenfinanziert werden.
  5. Neben der fachärztlichen personellen Ausstattung ist eine ärztliche Personalbedarfsbemessung einzuführen. Diese spiegelt den ärztlichen Gesamtbedarf einer Abteilung wider und stellt die patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung sicher. Dies wird wesentlich zu einer Verbesserung der Weiterbildungssituation beitragen, da mehr Zeit für Weiterbildung vorhanden sein wird. Ein weiterer Aspekt dabei könnte eine Verringerung der Teilzeittätigkeit von Ärztinnen und Ärzten sein, falls mit einer besseren Personalausstattung geplante Arbeitszeiten verlässlich eingehalten werden. Darüber hinaus können qualifizierte, auch akademisierte Gesundheitsberufe im ärztlichen Bereich Entlastung bewirken und damit Ressourcen für die Weiterbildung schaffen.

Die Lösungen auf die skizzierten Herausforderungen können nur gemeinsam umgesetzt werden. Dazu bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen Ärztekammern, den jeweiligen Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Diese findet zurzeit im Rahmen der Weiterentwicklung der (Muster-)Weiterbildungsordnung statt unter Einbezug der sich weiterbildenden Ärztinnen und Ärzte der jeweiligen Fachgruppe, da es diese am meisten betrifft. Nachfolgend sind auch die weiteren Akteure im deutschen Gesundheitswesen, die Politik und die Gesellschaft gefragt. Eine qualitativ hochwertige und quantitativ ausreichende ärztliche Versorgung in Deutschland auf Facharztniveau ist nur zukunftssicher, wenn eine gute ärztliche Weiterbildung erfolgt und eine wertschätzende Weiterbildungskultur gelebt wird.

DHG-Hernientage Herniamed Studientreffen

online, 15. – 16. Mai 2025

Hernienoperationen zählen zu den weltweit häufigsten allgemeinchirurgischen Eingriffen, die für viele Chirurginnen und Chirurgen zum Alltag gehören. BDC-Mitglieder und Mitglieder der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) erhalten die reduzierte Teilnahmegebühr. Den Einwahl-Link zum Webinar erhalten Sie am Freitag vor dem Webinar per E-Mail.

Informationen und Anmeldung…

BDC|Akademie

Prof. Dr. med. Henrik Herrmann

Präsident Ärztekammer Schleswig-Holstein

Bismarckalle 8-12

23795 Bad Segeberg

Henrik.Herrmann@aeksh.de

Chirurgie

Herrmann H: Rolle der Weiterbildung in der Krankenhausreform. Passion Chirurgie.
2025 April; 15(04): Artikel 03_04.

Mehr lesen Sie über die Krankenhausreform auf BDC|Online (www.bdc.de) in der Rubrik Politik.

Krankenhausplanung und -finanzierung anhand von Leistungsgruppen – wird nun alles besser?

Eine Analyse zum Systemstart in NRW am 01.04.2025

Krankenhausplanung ist eine Teamleistung. Das auf Leistungsgruppen basierende Planungsverfahren in NRW wurde in einem mehrjährigen Prozess durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW unter einer intensiven Beteiligung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW, der Verbände der Krankenkassen, der kommunalen Spitzenverbände, der Ärztekammern in NRW, der Pflegekammer NRW, der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, der Katholischen Kirche, der Evangelischen Landeskirche, des Verbandes der privaten Krankenversicherung, der Landschaftsverbände in NRW und der Psychotherapeutenkammer NRW entwickelt. Neben einer hohen zweistelligen Anzahl von Gremiensitzungen durch die oben genannten Institutionen und ergänzenden schriftlichen Abstimmungen, wurden in regelmäßigen Abständen umfangreiche Auswirkungsanalysen unter Zuhilfenahme des Datensatzes nach § 21 KHEntgG, detaillierter Strukturdaten zu allen Krankenhausstandorten in NRW und Statistiken der Ärztekammern in NRW zu den Fachärztinnen/Fachärzten durchgeführt sowie die medizinischen Fachgesellschaften in einem Stellungnahmeverfahren angehört. Dieses partizipative und datenbasierte Vorgehen war und ist die Grundlage für einen gemeinschaftlich getragenen und im April 2022 veröffentlichten „Krankenhausplan Nordrhein-Westfalen 2022. Die Strukturen müssen für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Strukturen!“.

Die insgesamt 60 somatischen und vier psychiatrisch-psychosomatischen Leistungsgruppen ermöglichen einen evolutionären und unbürokratischen Systemumstieg in NRW, weg von einer Bettenplanung hin zu einer Leistungsgruppensystematik, die den regionalen Versorgungsbedarf der Bevölkerung sowie landeseinheitliche Qualitätskriterien sorgfältig und angemessen berücksichtigt. Der hiermit einhergehende Transformationsprozess soll qualitätsgesicherte und etablierte Versorgungsstrukturen bewahren und dort, wo Verbesserungspotentiale bestehen, zu strukturierten Veränderungen führen.

Die Auswahl der Leistungsgruppen orientierte sich an der jeweiligen Behandlungsschwere, der Behandlungshäufigkeit und dem hiermit einhergehenden strukturellen und finanziellen Ressourcenbedarf. Im Ergebnis konnten sich die Prozessbeteiligten auf die dringlichsten stationären Versorgungsaufgaben in NRW verständigen und diese in Leistungsgruppen überführen. Die für jede Leistungsgruppe definierten Qualitätsmerkmale verfolgen nicht den Ansatz einer allumfassenden Abbildung von der initialen Diagnostik bis hin zur idealerweise vollständigen Genesung/Heilung der Patientinnen und Patienten, sondern fokussieren sich auf die jeweiligen stationären Kernprozesse.

Die Definition der Leistungsgruppen, das heißt die Beschreibung der leistungsgruppenspezifischen Patientenkollektive führte zu einer realitätsnahen Balance aus allgemeinen und spezifischen Leistungsgruppen. Die Leistungsgruppen der „Allgemeinen Inneren Medizin“, der „Allgemeinen Chirurgie“ und die anderen allgemeinen Leistungsgruppen ergeben sich aus den Weiterbildungsordnungen für Ärztinnen und Ärzte der Ärztekammern in NRW. Spezifische Leistungsgruppen richten sich nach den Operationen- und Prozedurenschlüsseln nach § 301 SGB V, der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems der Weltgesundheitsorganisation und anderen geeigneten Merkmalen (zum Beispiel das Alter der Patientinnen und Patienten). In diesem Zusammenhang waren die Versorgungsqualität, der Erhalt der ärztlichen und pflegerischen Aus- und Weiterbildung, die Mobilität der Mitarbeitenden sowie die Wirtschaftlichkeit, aber auch die Erkenntnis einer mangelnden Abgrenzbarkeit zahlreicher Behandlungsfälle (unter anderem welcher Fall gehört in die Leistungsgruppe „Allgemeine Innere Medizin“ oder in die Leistungsgruppe „komplexe Gastroenterologie“, welcher Fall gehört in die Leistungsgruppe „Allgemeine Chirurgie“ oder in die Leistungsgruppe „Kinder- und Jugendchirurgie“) und die Pseudo-Genauigkeit einer strengen Fallzuteilung über OPS- und ICD-Kodes handlungsleitend.

Die Versorgungspartner in NRW waren und sind sich einig, dass zunächst die 60 somatischen und vier psychiatrisch-psychosomatischen Leistungsgruppen in regionalen Planungsverfahren in einem größtmöglichen Konsens eingeführt und deren Wirkung auf die Versorgung zeitnah evaluiert werden sollen. In diesem Zusammenhang können bedarfsnotwendige und nicht zeitlich befristete Ausnahmen zur Anwendung kommen. Ein starres, theoretisch-algorithmisches Verfahren würde eine passgenaue Ausrichtung der Versorgungsstrukturen an die regionalen Bedarfe und Möglichkeiten verhindern. Die im Rahmen der konkreten Umsetzung des Krankenhausplans gewonnenen Erkenntnisse sollen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Leistungsgruppen im Sinne eines „Lernenden Systems“ genutzt werden. Auch hierbei soll nicht das abstrakte Ziel einer möglichst kleinteiligen und hochdifferenzierten Systementwicklung, die an einer Maximierung der Anzahl der Leistungsgruppen orientiert ist, angestrebt werden, sondern versorgungsnotwendige Entwicklungen im Vordergrund stehen.

Die Planungsverfahren wurden mittlerweile mit dem Versand der Feststellungsbescheide am 16.12.2024 beendet. Der Systemstart ist auf den 01.04.2025 datiert. Für zehn Leistungsgruppen (EPU/Ablation, Interventionelle Kardiologie, Kardiale Devices, Bauchaortenaneurysma, Carotis operativ/interventionell, Endoprothetik Hüfte, Endoprothetik Knie, Wirbelsäuleneingriffe, Bariatrische Chirurgie, Stroke Unit) besteht eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2025.

Relevante Abweichungen von diesem Vorgehen führen zu nicht kalkulierbaren Risiken für die stationären Versorgungsstrukturen in den Bundesländern, da diese weder mit den in den Bundesländern Versorgungsverantwortung tragenden Institutionen abgestimmt sind noch diesbezüglich aussagekräftige und umfassende Auswirkungsanalysen vorliegen.

Eine deutliche Veränderung der Leistungsgruppen-Systematik aus NRW ergibt sich aus den unrealistischen Anforderungen des KHVVG an die Anzahl der Fachärztinnen/Fachärzte in den jeweiligen Leistungsgruppen, geänderten Mindestmerkmalen der NRW-Leistungsgruppen, fünf ergänzenden Leistungsgruppen, deren Sinnhaftigkeit sich nicht unmittelbar erschließt, den sogenannten onkochirurgischen Fallkonstellationen (Indikationsbereiche) und den Mindestvorhaltezahlen des KHVVG.

Die beiden letztgenannten Instrumente können als eine neue Form der Mindestmengen, die üblicherweise in einem streng reglementierten und wissenschaftlich fundierten Verfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss entwickelt werden oder als verdeckte zusätzliche Leistungsgruppen, die sich ausschließlich an der Fallzahl orientieren, verstanden werden. Das Ziel ist eine Zwangsverlagerung dieser Behandlungsfälle durch eine finanzielle Sanktionierung (Unterschreitung der Grenzzahl der onkochirurgischen Indikationsbereiche = Verlust der Rest-DRG, Unterschreitung der LG-spezifischen Mindestvorhaltezahlen = Verlust der Vorhaltefinanzierung). Das KHVVG liefert keinerlei wissenschaftliche Begründung für dieses Vorgehen, das erheblich in die Planungshoheit der Bundesländer eingreift.

Unabhängig von den kurz skizierten medizinisch-inhaltlichen und methodischen Kritikpunkten am KHVVG, ist dieses vollkommen ungeeignet, die finanziellen Herausforderungen der Krankenhäuser kurz- bis mittelfristig zu lösen. Eine Brückenfinanzierung zum Ausgleich der inflationsbedingten Defizite der Krankenhäuser ist unverändert von einer elementaren Bedeutung. Parallel hierzu muss das System der Betriebskostenfinanzierung der Krankenhäuser vollständig überdacht und reformiert werden. Die Vorhaltefinanzierung des KHVVG führt zu keiner Existenzsicherung insbesondere kleiner Krankenhäuser, geht bei einer Fallzahlsteigerung bei größeren Einrichtungen zunächst mit einem Erlösverlust einher, ersetzt nicht die DRGs, stellt einen erneuten Aufwuchs erheblicher bürokratischer Lasten dar und setzt zusätzliche Fehlanreize [1]. Im Ergebnis handelt es sich bei der Vorhaltefinanzierung des KHVVG um eine fallzahlabhängige Finanzierungsform, die zudem noch hochkomplex und hochbürokratisch ausgestaltet ist.

Insofern sollten stattdessen für eine Übergangszeit aktuell bereits existierende fallzahlunabhängige Finanzierungsformen über eine Anhebung bereits bestehender Zuschlagssysteme (z. B. „Notfallstufenzuschläge“, „Sicherstellungszuschläge-Regelungen“, „Zentrumszuschläge“) erwogen und parallel hierzu durch die Selbstverwaltungspartner eine grundlegende Anpassung der Betriebskostenfinanzierung erarbeitet werden. Ziel sollte dabei eine deutlich fallzahlunabhängiger als bislang ausgestaltete Finanzierung apparativer und personeller Ausstattungen für die Patientenversorgung sein. Der regelmäßige Liquiditätsfluss an die Krankenhäuser unabhängig vom tatsächlichen Fallabrechnungs- und Fallüberprüfungsgeschehen, z. B. in Form fallunabhängiger Abschlagszahlungen auf das Krankenhausbudget, sollte ebenfalls in den Blick genommen werden. Dies würde im Übrigen auch zur Krisenresilienz der Krankenhäuser beitragen (Fallzahleinbruch in der Corona-Pandemie). Wichtig ist bei alledem, dass eine Anpassung der Betriebskostenfinanzierung in der praktischen Umsetzung einfach zu handhaben ist und keine neuen Bürokratie- und Meldepflichten ausgelöst werden.

Neben einer dringend notwendigen Reformierung der Betriebskostenfinanzierung durch den Bund besteht weiterhin eine nicht ausreichende Investitionskostenfinanzierung durch die Bundesländer. Die Länder haben dies erkannt und streben eine Erhöhung dieser zweiten Säule der Krankenhausfinanzierung an. Beispielhaft kann in diesem Zusammenhang angeführt werden, dass die Investitionsmittel in NRW in den letzten Jahren erhöht wurden. So stellt das Land NRW konkret zur Umsetzung des neuen Krankenhausplans bis zum Jahr 2030 insgesamt 2,5 Mrd. Euro zur Verfügung.

Schlussendlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die immer weiter steigenden Bürokratielasten einen entscheidenden Kostenfaktor im Gesundheitssystem darstellen. Trotz zahlreicher Ankündigungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), durch das KHVVG maßgeblich zu einem Bürokratieabbau beizutragen, ist bedauerlicherweise das Gegenteil der Fall. Die 55 konkreten Vorschläge der Deutschen Krankenhausgesellschaft zu einer Entbürokratisierung der stationären Versorgung fanden leider keine Berücksichtigung durch das BMG und müssen zwingend durch eine neue Bundesregierung aufgegriffen und umgesetzt werden [2].

Literatur

[1]   Hansis E., Dahnke H. (2024) Datenbasierte Folgenabschätzung Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), https://www.vebeto.de/khvvg, letzter Aufruf am 07.01.2025
[2]   Deutsche Krankenhausgesellschaft (2024) Drei verlorene Stunden für die Patientenversorgung – Bürokratie frisst Zeit und verschärft das Fachkräfteproblem, https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/drei-verlorene-stunden-fuer-die-patientenversorgung-buerokratie-frisst-zeit-und-verschaerft-das-fachkraefteproblem/, letzter Aufruf am 07.01.2025

Peter-Johann May

Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen e. V.

Düsseldorf

pmay@kgnw.de

Chirurgie

May PJ: Krankenhausplanung und -finanzierung anhand von Leistungsgruppen – wird nun alles besser? Passion Chirurgie. 2025 April; 15(04): Artikel 03_05.

Mehr über die Krankenhausreform auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Politik.

Fachkräftemangel – ein nationenübergreifendes Problem

Gedanken aus der Schweiz

In der Schweiz leben um die (rund) 9 Millionen Einwohner, also die Hälfte des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Deutschlands, Nordrhein-Westfalen. Deutschland ist in jeder Hinsicht mit Abstand der wichtigste Partner der Schweiz. 70 % der Schweizerinnen und Schweizer sprechen deutsch und haben somit die gleiche Sprache und Kultur. Gegen 340.000 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger leben dauerhaft in der Schweiz. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz ist das Gesundheitswesen föderalistisch strukturiert (Bundesländer, beziehungsweise Kantone). Gemäß Umfragen besteht vermehrt der Wunsch nach Teilzeitarbeit, der Leistungsdruck in den Spitälern steigt, viele Kliniken haben offene Stellen [1]. Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte der Baby-Boomer-Generation erreichen das Rentenalter und ziehen sich aus dem aktiven Berufsleben zurück. In den vergangenen Jahren sind Gesetze in Kraft getreten, die eine Reduktion der Arbeitszeit verlangen, was den Fachkräftemangel akzentuiert. Durch die Reduktion der Arbeitszeit wird die Ausbildung in chirurgischen Fächern nicht gerade erleichtert. Wie sollen die Facharztkandidatinnen und -kandidaten in der üblichen Weiterbildungszeit noch genügend operative Routine erlangen? Die Ausbildungsdauer nimmt tendenziell zu.

Status quo

Die zu lösenden Probleme sind nebst ungebremstem Kostenanstieg hauptsächlich zunehmender Fachkräftemangel, also in beiden Ländern fast identisch. Dennoch gibt es einige gewichtige Unterschiede.

In der Schweiz sind ungefähr 40.000 Ärztinnen und Ärzte tätig, wovon 40 % ihr Medizinstudium im Ausland absolviert haben, die Hälfte davon in Deutschland. Ohne „Support“ unserer Nachbarländer müsste in der medizinischen Versorgung in der Schweiz der Notstand ausgerufen werden. Im Jahr 2040 sollen nach Schätzungen 5.000 Ärztinnen und Ärzte fehlen. Endlich reagiert die Schweizer Politik und will die Medizinstudienplätze markant erhöhen. Unlängst hat das eidgenössische Parlament in Bern die Abschaffung der umstrittenen Eignungsprüfung (eine Art Numerus clausus) beschlossen, an welcher mehr als die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten für das Medizinstudium scheiterten. Wie viele dennoch geeignete Studentinnen und Studenten in den vergangenen Jahren an diesem Examen hängen geblieben sind, bleibt für immer ein Geheimnis.

Vom Beginn des Studiums dauert es mindestens 12 Jahre bis die Facharztausbildung abgeschlossen ist und die neuen Kolleginnen und Kollegen einigermaßen eigenverantwortlich handeln können. Kurzfristig sind die Anstrengungen, mehr Studentinnen und Studenten zum Medizinstudium zu animieren keine Option.

Als kurzfristig wirksame Maßnahme bleibt lediglich der Versuch, ausgebildete Ärztinnen und Ärzte vom Ausstieg aus der Medizin abzuhalten. Präzise Zahlen existieren nicht. Es wird vermutet, dass bis zu 30 % im Verlaufe der Jahre vorzeitig der Medizin den Rücken kehren. Die Gründe mögen vielfältig sein: Frauen, die aus familiären Gründen ausscheiden, weil vielerorts keine geeigneten Teilzeitmodelle angeboten werden, sowie jüngere Kolleginnen und Kollegen, die sich infolge allseits anerkanntem Bürokratiewahnsinn enttäuscht abwenden, weil sie mehr Zeit vor dem Computer verbringen als im Kontakt mit Patientinnen und Patienten. Allgemein akzeptiertes Anliegen unter Spitalärztinnen und Spitalärzten ist der dringende Wunsch, die ausgeuferte Bürokratie zu straffen.

Mentoringprojekt

Die Ausbildung auf Assistenzarztniveau in der Schweiz gilt offiziell als gut. Gemäß den jährlichen Umfragen von der FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum, entspricht der Deutschen Bundesärztekammer) und dem Schweizerischen Institut für Weiter- und Fortbildung (SIWF) schließt die Globalbeurteilung von 648 ausgewerteten Fragebögen für das Fach Chirurgie im Jahr 2023 mit der Note 4.5 ab (6 wäre die beste Note). Verbesserungspotential ist also sicherlich vorhanden. Das SIWF ist ein Tochterunternehmen der FMH. Es ist verantwortlich und zuständig für die Facharztausbildung und erteilt die entsprechenden Diplome [2].

Ziel einer guten Ausbildung ist die Vermittlung von Kompetenzen. Gute Ausbildung hängt wesentlich von Mentorinnen und Mentoren ab. Eine Möglichkeit, die bis heute noch wenig praktiziert wird, ist der Teilzeiteinsatz von emeritierten Chefärztinnen und Chefärzten in der Notfallstation.

Schweizweit sind gemäß offizieller Statistik 1.226 Assistenzärztinnenstellen und Assistenzarztstellen für chirurgische Disziplinen verfügbar. Diese sind mit 648 Facharztanwärterinnen und -anwärtern besetzt, 434 übrigens mit Diplom aus einem EU-Staat [2]. Schweizer Randregionen bekunden oft Mühe, die verfügbaren Stellen zu belegen. Mit Mentoring-Projekten kann das Interesse und die Freude junger Leute am Beruf nachweislich gefördert werden. Im Spital Samedan, einem Regionalspital der erweiterten Grundversorgung im peripher gelegenen Engadin, einer bekannten und sowohl im Winter als auch im Sommer gut frequentierten alpinen Tourismusregion, sind zwei der Autoren (HPS, PB), beides pensionierte Chefärzte, je einmal monatlich für ein verlängertes Wochenende im chirurgischen Notfall tätig und decken somit etwaige Tage ab. Es ist unser Ehrgeiz, jede Patientin/jeden Patienten, die/der in die chirurgische Notfallstation eingeliefert wird oder sich als „walk-in-patient“ vorstellt, mit der zuständigen Assistentin/dem zuständigen Assistenten interaktiv zu beurteilen, die Diagnostik abzuschließen und Therapievorschläge zu erarbeiten. Kleinere Eingriffe, teilweise auch solche in Narkose, wie Wundversorgungen, Repositionen von luxierten Gelenken sowie Einlage von Thoraxdrainagen, werden zusammen oder unter Aufsicht vorgenommen. Durch diese enge Betreuung nach dem Prinzip des „Clinical Reasoning“ wird nicht nur die klinische Ausbildung deutlich verbessert, sondern auch Qualität und Effizienz im Betrieb [3–7]. Zudem wird das Pflegefachpersonal und das ärztliche Kader entlastet, was in einem Tourismusort wie Samedan mit teilweise extremen Spitzenbelastungen sehr erwünscht ist. Wir bemühen uns zudem, der Empfehlung von Hauke Lang, dem ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu folgen: „Die beste Investition in die nächste chirurgische Generation ist die Lehre, die für das Fach begeistert. Es muss gelingen, junge Menschen für die Chirurgie zu faszinieren, nicht nur verbal, sondern durch Begleitung im Alltag.“ Die pensionierten Chefärzte sind ausschließlich für die Notfallstation zuständig. Sie haben keine anderen Aufgaben, sind also nicht dauernd auf Visite, in der Sprechstunde oder im OP und schwer erreichbar. Im Weiteren erteilen sie interaktive Fortbildungen und beantworten gerne die zahlreichen Fragen, welche die meist jungen, noch unerfahrenen Kolleginnen gen haben.

Aus Sicht des amtierenden Chefarztes ist es eine Herausforderung, eine chirurgische Klinik in einer attraktiven Tourismusregion zu führen. Die Personaleinsatzplanung wird durch erhebliche saison- und wetterbdingte Schwankungen erschwert. In einem Tal mit 20.000 permanenten Einwohnerinnen und Einwohnern tummeln sich plötzlich 120.000 Personen, die oft sportlichen Aktivitäten frönen.

Unser Mentoringprojekt wird allseits geschätzt. Es wurde 2024 vom Schweizerischen Institut für Weiter- und Fortbildung (SIWF) mit einem Award für besonders gute Weiterbildung ausgezeichnet. Solche Projekte eignen sich vor allem für Regionalspitäler, die etwa für die Hälfte der medizinischen Versorgung in der Schweiz verantwortlich sind. Die großen Kliniken brauchen solche Projekte eher nicht, weil sie genügend Manpower haben. Die optimierte Weiterbildung durch dieses Mentoringprojekt hat sich herumgesprochen, da auch in den Medien darüber berichtet wurde. Das hat dazu geführt, dass die Anzahl Bewerbungen um Assistentinnen- und Assistentenstellen, insbesondere durch ehemalige Unterassistentinnen und -assistenten (entspricht dem praktischen Jahr PJ) an der Klinik für Chirurgie in Samedan deutlich angestiegen ist.

Es gäbe wohl genügend Mentorinnen und Mentoren

Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte sind nach dem in der Schweiz mit 65 Jahren üblichen Eintritt ins Rentenalter nicht ausgebrannt und wären wohl gewillt und bereit, sich in Mentoringprojekten zu engagieren.

Besonders wichtig ist unseres Erachtens die Begleitung von Universitätsabgängerinnen und -abgängern, um ihnen den Übergang vom Studium zu selbstverantwortlichem Arbeiten zu erleichtern [8]. Unser Feedback deutet klar darauf hin, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen ihren Notfalldienst bei unserer Präsenz und steten Verfügbarkeit vollkommen stressfrei bewältigen können. Unsere persönliche langjährige Erfahrung deckt sich mit den Resultaten einer nicht repräsentativen Umfrage unter den neun Assistentinnen und Assistenten der Chirurgischen Klinik am Spital Samedan. Die junge Generation ist hochmotiviert und bereit, bei Patientinnen und Patienten vollen Einsatz zu leisten. Teilzeitarbeit ist derzeit noch keine Option, käme allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt für Frauen mit familiären Verpflichtungen in Frage oder könnte sehr erwünscht sein.

In grauen Vorzeiten hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass Frauen für die chirurgischen Fächer eher nicht geeignet sind. Dies haben glücklicherweise begabte Chirurginnen längst widerlegt. Wir sind geneigt, zu diesem Gerücht den früheren deutschen Staatsmann Helmut Schmidt zu zitieren, der einmal (allerdings in anderem Zusammenhang) gesagt haben soll: „Das ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil davon richtig ist“.

Sollten alle geplanten und gestarteten Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels scheitern, kann die Schweiz das tun, was sich bei Eishockey- und Fussballteams bewährt hat, wenn die eigene Nachwuchsabteilung nicht genügend Kaderspieler oder -spielerinnen hergibt: Auf dem Transfermarkt mit hohen Löhnen Spieler von anderen Clubs abwerben. Die Schweizer Spitallandschaft müsste attraktivere Arbeitsbedingungen, insbesondere für Frauen, schaffen und hohe Löhne zahlen. Dadurch ließen sich weiterhin Ärztinnen und Ärzte aus unseren Nachbarländern dazu animieren, in die Schweiz zu ziehen. Das ist nicht gerade ein freundnachbarliches Verhalten, aber möglicherweise zielführend. Mit diesen Methoden könnte das berühmte Merkel Zitat „wir schaffen das“ Gültigkeit erlangen.

Fazit

Der drohende Fachkräftemangel in chirurgischen Fächern nimmt sehr konkrete Formen an und wird sich in naher Zukunft noch drastisch verschärfen, weil die Babyboomer-Generation sich nach und nach aus dem aktiven Berufsleben zurückzieht. Die Nachwuchsförderung hat nicht rechtzeitig eingesetzt und nimmt bei nun erkanntem Problem mindestens 12 bis 15 Jahre in Anspruch, sodass die Schweiz über einen längeren Zeitraum dringend auf „freundnachbarliche Hilfe“ angewiesen bleibt. Als kurzfristige Option bleibt einzig der Versuch, aktive Ärztinnen und Ärzte vom Ausstieg aus der Medizin abzuhalten. Eine in kleinem Rahmen erprobte Möglichkeit ist der Teilzeiteinsatz von emeritierten Chefärztinnen und Chefärzten, beispielsweise in Notfallstationen, um junge Kolleginnen und Kollegen für die schönen und sehr befriedigenden chirurgischen Fächer zu begeistern.

Literatur

[1]   Rudert M, Ruchholtz S, Blätzinger M, Schädel-Höpfner M, Böcker W, Pennig D. Wie steht es um unseren Nachwuchs? Stellensituation in O und U für das Jahr 2023. Orthopädie und Unfallchirurgie 2023; 13: 22-23
[2]   https://www.siwf.ch/weiterbildungsstaetten/umfrage-assistenzaerzte.cfm
[3]   Biegger P, Conti M, Jäggi Chr, Schmitt H, Simmen H.P. Regionalspital geht neue Wege. SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG 2023;104(3):38-40
[4]   Guerra A, Biegger P. La formazione medica necessita miglioramenti? Se si, come? Esperienza all’Ospedale Regionale di Bellinzona e Valli. Tribuna medica ticinese 86 Novembre-Dicembre 2021
[5]   Biegger P. Überlegungen und Praxis in der Ausbildung der Humanmedizin SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG 2018;99(51–52):1843–1846
[6]   Biegger P. Braucht die medizinische Ausbildung einen Paradigmenwechsel? SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG 2016;97(21):764–766
[7]   Bowen JL. Educational strategies to promote clinical diagnostic reasoning. NEJM 355; 21:2217-2229
[8]   Luchsinger L, Berthold A, Bauerc W, Brodmann Maederd M, Siegrist M. Vom Studium in den Alltag als Arzt und Ärztin in Weiterbildung. SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG 2021;102(29–30):944–947

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. Hans-Peter Simmen

Professor emeritus für Chirurgie Universität Zürich

Ehemaliger Direktor der Klinik für Unfallchirurgie

Universitätsspital Zürich

Via Veglia 38

CH-7503 Samedan

hans-peter.simmen@uzh.ch

Paul Biegger

Ehemaliger Chefarzt

Reparto di Chirurgia

Ospedale La Carità

CH-6900 Locarno

Michel Conti

Chefarzt

Klinik für Chirurgie

Spital Oberengadin

CH-7503 Samedan

Panorama

Simmen HP, Conti M, Biegger P: Fachkräftemangel – ein nationenübergreifendes Problem. Gedanken aus der Schweiz.
Passion Chirurgie. 2025 April; 15(04):
Artikel 09.

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Der Abschied vom Bett. Wie ambulantisieren Krankenhäuser?

Im deutschen Gesundheitswesen hat sich über viele Jahrzehnte eine tripelsektorale Versorgungsstruktur gebildet. Eine Vernetzung zwischen den drei Sektoren (ambulante Versorgung, stationäre Versorgung und Rehabilitation & Pflege) ist dabei traditionell eher weniger gegeben. Zwar gibt es eine Vielzahl an Berührungspunkten zwischen den drei Sektoren und im Sinne einer patientenzentrierten Versorgung sind sektorübergreifende Versorgungsstrukturen ein Muss, jedoch sind diese notwendigen ineinandergreifenden Strukturen in Deutschland kaum ausgereift. Nicht zuletzt hat sich die Begrifflichkeit der Sektorengrenze daher in den Sprachgebrauch in Bezug auf die Patientenversorgung gefestigt.

Es ist somit nicht verwunderlich, dass Patienten und Patientinnen ihren Weg nur schwierig durch den Versorgungsdschungel, besonders über die Sektorengrenzen hinweg, finden. Die geringe Transparenz über die verschiedenen Versorgungsstrukturen macht es nicht leicht, die richtige Anlaufstelle für das spezifische Leiden zu finden. Die Ansammlung der Patienten und Patientinnen in zentralen Notaufnahmen von Krankenhäusern ist in Teilen auf die Intransparenz zurückzuführen. Sicherlich wird diese Entwicklung auch in vielen Regionen durch eine Unterversorgung mit Fach- und Hausärzten im ambulanten Bereich gefördert. Es ist zudem festzustellen, dass es auch für die in den verschiedenen Sektoren arbeitenden Beschäftigten nicht einfach ist, sich in den Strukturen sicher zu bewegen. Meist ist wenig Wissen und nur begrenztes Verständnis für die Arbeits- und Prozessweise des anderen Sektors bei den Leistungserbringern vorhanden. Eine patientenorientierte Steuerung über die Sektorengrenzen hinweg und damit die Übernahme einer Art Lotsenfunktion für Patienten:innen kann daher meist nur bedingt von den handelnden Personen erbracht werden. Wenn beispielswiese für die niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen nicht nachvollziehbar ist, warum Patienten und Patientinnen nur per Einweisung in einem Krankenhaus vorstellig werden können und keine Überweisung ausgestellt wird, können Patient:innen nicht zielgerichtet in den anderen Sektor gesteuert werden.

Aber besonders trifft das Unwissen über die Inhalte und die Ausgestaltung einer umfassenden sektorübergreifenden Versorgungslandschaft auf Akteure zu, die in ihrem beruflichen Weg ausschließlich im stationären Bereich gearbeitet haben. In der Regel sind keine umfassenden Kenntnisse zu Finanzierungsstruktur, Prozessen, Leistungsspektren oder Qualifikationsvoraussetzungen der ambulanten Bereiche vorhanden. Daher werden Patienten und Patientinnen auch hier nicht wirklich zielgerichtet durch die stationären Einrichtungen und erst recht nicht zwischen den Sektoren gesteuert. Bevor jedoch genauer auf das Thema Ambulantisierung aus Krankenhaussicht geschaut wird, sollte zunächst Klarheit darüber bestehen, welche zentralen Merkmale in der Unterscheidung zwischen ambulantem und stationärem Sektor bestehen.

Der grundsätzliche Unterscheidungsfaktor zwischen dem ambulanten und stationären Sektor im Gesundheitswesen ist, dass alle medizinischen Leistungen an Patient:innen im ambulanten Bereich am selben Tag behandelt und Patient:innen auch dann wieder entlassen werden, ohne eine Über-Nacht-Leistung (Bettenleistung) zu benötigen.

Tab. 1: Übersicht der zentralen Merkmale des ambulanten bzw. stationären Sektors mit Beispielen

Merkmale

Einrichtungsbeispiele

Ambulanter Sektor

Behandlung ohne Übernachtung

Haus- & Facharztpraxen

Flexiblere & wohnortnahe Versorgung

Medizinische Versorgungszentren (MVZ)

Kosteneffizienter als stationäre Behandlung

Ambulante Rehabilitation & Therapiezentren

Stärkere Eigenverantwortung des Patienten

Ambulante OP-Zentren

Stationärer Sektor

Aufnahme in eine Einrichtung mit Übernachtungspflicht

Krankenhäuser & Universitätskliniken

Intensivere medizinische Versorgung

Rehabilitationskliniken

24/7-Überwachung durch medizinisches Personal

Psychiatrische Kliniken

Höhere Kosten als im ambulanten Bereich

Oft längere Behandlungsdauer & Nachsorge erforderlich

Die Finanzierung der einzelnen Sektoren erfolgt über unterschiedliche Finanzierungswege und es gibt damit impliziert auch verschiedene Abrechnungsmodi, -wege und -töpfe. Aus ökonomischer Sicht ist es eher schwierig, wenn der ein oder andere Leistungserbringer seine Sektorengrenzen verlassen möchte. Ein zentraler Schritt aus den vorhandenen Schnittstellen an den Sektorengrenzen zumindest bei der Vergütung Nahtstellen zu machen, wird seitens der Politik mit dem Hybrid-DRG-Modell, welches am 01. Januar 2024 [1] in Deutschland eingeführt wurde, forciert. Seit diesem Datum gibt es für bestimmte Eingriffe und Operationen, die zuvor überwiegend stationär durchgeführt wurden, eine spezielle sektorengleiche Vergütung, die sogenannten Hybrid-DRGs. Diese Fallpauschalen werden unabhängig davon gezahlt, ob der Eingriff ambulant oder stationär erfolgt. Durch dieses Modell sollen in den kommenden Jahren ab dem Jahr 2026 jährlich mindestens eine Millionen Fälle über Hybrid-DRGs abgerechnet werden. Diese Zahl soll bis 2028 auf 1,5 Millionen und bis 2030 auf zwei Millionen Fälle ansteigen [2]. Dieses Modell zielt theoretisch darauf ab, die Ambulantisierung zu fördern und die Sektorengrenzen im Gesundheitssystem zu überwinden. Je nach Studienlage wird das ambulante Potential zwischen 15–30 % [3, 4] angegeben, was rund 2,5 Millionen Fällen entspricht. Somit schlummert aktuell noch in stationären Einrichtungen eine erhebliche Anzahl an Fällen, die aus dem Bett in den ambulanten Bereich durch beispielsweise die Hybrid-DRG wandern sollen.

Jedoch ist festzustellen, dass die meisten stationären, aber auch in Teilen die ambulanten Einrichtungen, noch gar keine entsprechenden Versorgungsstrukturen haben, um effizient in der Welt der Hybrid-DRGs agieren zu können. Die Finanzierung in den ambulanten Strukturen setzen eine hohe Effizienz und Effektivität der Prozesse voraus. In stationären Einrichtungen sind Prozesse meist vom Gegenteil geprägt. Für stationäre Einrichtungen ist es daher besonders herausfordernd ihre Prozesse auf den mit den Hybrid-DRGs verbundenen Ambulantisierungsweg auszurichten. Es bedarf nicht nur dem Kow-how wie in einem auf stationäre Leistungen ausgerichteten Setting ambulante Strukturen wirtschaftlich parallel existieren können, sondern alle in den Primärprozess involvierte Berufsgruppen (speziell: Ärztinnen/Ärzte, Pflege, Funktionsmitarbeiter:innen und medizinische Fachangestellte) müssen sich maximal sicher zwischen diesen beiden „Welten“ bewegen können. Dafür bedarf es zum einen unterstützende Prozessstrukturen in den stationären Einrichtungen. Jedoch viel wichtiger ist es, dass die Beteiligten an der Leistungserbringung so früh wie möglich im Patientenversorgungsprozess erkennen, in welches Versorgungssetting (ambulantes oder stationäres Setting) der Patient/die Patientin eingeschleust werden muss. Bereits beim Erstkontakt der Patient:innen mit der stationären Einrichtung ist die korrekte Weiche zu stellen, um den Patient:innen in die richtige Sprechstunde in einer Klinik zu lotsen oder in den ambulanten Bereich zu lenken. Diese Voraussetzung ist in vielen Krankenhäusern noch nicht gegeben. Das Hybrid-DRG-Modell ist jedoch nur eines der angedachten Anreizsysteme, um die bettengebundene Versorgung in stationären Einrichtungen deutlich zu reduzieren. Im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) sind weitere Maßnahmen definiert.

Die aktuellen rechtlichen Entwicklungen durch das KHVVG haben einen fundamental eingreifenden, strukturellen Veränderungscharakter und flankieren die Ambulantisierungsbestrebungen der Politik massiv. Mit der Inkraftsetzung zum 12. Dezember 2024 des KHVVG, sind zentrale Regelungen zur Ambulantisierung konkretisiert worden [5].

Zentrale Regelungen zur Ambulantisierung im KHVVG lassen sich auf fünf Punkte zusammenführen:

  1. Hybrid-DRGs: Einführung bundeseinheitlicher pauschaler Vergütungen für ambulante Eingriffe. Diese „Hybrid-DRGs“ orientieren sich an den bisherigen stationären DRG-Fallpauschalen, sind aber für ambulante Leistungen angepasst. Dadurch sollen Anreize geschaffen werden, planbare Eingriffe nicht mehr stationär durchzuführen.
  2. Erweiterung des AOP-Katalogs: Der Ambulante Operieren-Katalog (AOP-Katalog) wird weiter ausgebaut. Mehr Behandlungen sollen ambulant abrechenbar sein, sodass Kliniken sie nicht mehr stationär durchführen.
  3. Erleichterung der sektorenübergreifenden Versorgung: Stärkere Vernetzung zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Aufbau von integrierten Versorgungsmodellen zur ambulanten Nachsorge. Förderung von Tageskliniken für bestimmte Behandlungen sowie von pädiatrischen Institutsambulanzen.
  4. Finanzielle Anreize zur Ambulantisierung: Neue Vergütungsmodelle für ambulante Leistungen sollen wirtschaftlich attraktiv für Krankenhäuser sein. Anpassung der Krankenhausfinanzierung, um stationäre Fehlanreize zu vermeiden.
  5. Bürokratieabbau & schnellere Umsetzung: Reduzierung bürokratischer Hürden für ambulante Behandlungen. Krankenhäuser erhalten mehr Flexibilität bei der Umstellung auf ambulante Strukturen.

Ein zentrales Ziel des KHVVG ist also, mehr Patientinnen und Patienten ambulant zu versorgen, wenn eine stationäre Behandlung nicht zwingend erforderlich ist. Dadurch sollen Krankenhäuser entlastet und gleichzeitig die Kosten im Gesundheitssystem gesenkt werden. Ein weiteres Ziel des KHVVG ist es, Krankenhausleistungen stärker in den ambulanten Bereich zu verlagern, um die Effizienz im Gesundheitswesen zu steigern. Etwas provokativ formuliert, könnte das KHVVG als eine Gesetzgebung verstanden werden, die eine verordnete Verabschiedung vom Bett ist. Ein größerer Anteil des aktuell noch stationären Geschäfts wird zukünftig in anderen Strukturen stattfinden müssen, um wirtschaftlich als stationäre Einrichtung einigermaßen bestehen zu können.

Dies impliziert, dass Krankenhäuser in einer deutlich höheren Geschwindigkeit als in der Vergangenheit sich in ambulante Strukturen entwickeln und flankierend ein belastbares Netzwerk mit dem ambulanten Bereich auf- und ausbauen müssen.

Zentrale Maßnahmen aus Sicht der Krankenhäuser, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten, sind insbesondere folgende:

1. Strukturelle Anpassungen

  • Auf- oder Ausbau von Ambulanten Zentren (z. B. MVZ, Tageskliniken)
  • Einrichtung von Kurzliegerstationen für Patient:innen mit kurzen stationären Aufenthalten („Hybridstationen“)
  • Anpassung von OP-Kapazitäten für mehr ambulante Eingriffe und/oder Auslagerung dieser Fälle in ein ambulantes OP-Zentrum
  • Optimierung der Bettenplanung – weniger klassische Betten, mehr flexible Tagesstrukturen
  • Netzwerk zwischen ambulanten und stationären Bereichen auf- und ausbauen (Einweiserbeirat, regelhafte Einweiserveranstaltungen, gemeinsame Stammtische und Qualitätszirkel)
  • Gezielter Aufbau und Nutzung von ambulanten Versorgungsmöglichkeiten (Hochschulambulanzen, ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV), Sozialpädiatrische Zentren (SPZ), Institutsambulanzen, Tagesstationäre Behandlungen, KV-Ermächtigungen etc.)
  • Verzahnte ambulante und stationäre Versorgungsstrategie für ein Krankenhaus (keine isolierte Strategieentwicklung mehr)

2. Medizinische & Prozessuale Veränderungen

  • Erweiterung ambulanter OP-Kapazitäten
  • Bessere Patientensteuerung und Entlassmanagement, um schnelle Nachsorge zu ermöglichen
  • Etablierung digitaler Nachsorgeangebote (Telemedizin, Videosprechstunden)
  • Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten zur besseren Verzahnung

3. Abrechnung & Finanzierung

  • Nutzung von Hybrid-DRGs zur besseren Vergütung ambulanter Leistungen
  • Entwicklung neuer Versorgungsverträge zur Sicherstellung ambulanter Erlöse

4. Personal & Qualifikation

  • Schulung von Ärzten und Pflegepersonal für ambulante Eingriffe und Prozesse
  • Ausbildung des ärztlichen und pflegerischen Personals sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich
  • Alternative Arbeitsmodelle für das Personal schaffen, z. B. durch sektorübergreifende Anstellungsverhältnisse
  • Nach Möglichkeit Aufnahme einer betrieblich verantwortlichen Stelle in die Organigramm-Struktur für den ambulanten Bereich

5. Digitalisierung & Technikeinsatz

  • Einsatz von KI und digitalen Tools zur besseren Patientendokumentation
  • Digitale Termin- und Ressourcenplanung für effizientere Abläufe
  • Telemonitoring und Homecare-Lösungen zur Verlagerung von Leistungen in den häuslichen Bereich
  • Digitale Austauschplattformen zur Befundübermittlung etc. zwischen stationären und ambulanten Leistungserbringern schaffen

Fazit

Krankenhäuser müssen sich strukturell, personell und finanziell auf die Ambulantisierung einstellen. Durch flexible Versorgungsstrukturen, digitale Unterstützung, gemeinsame Ausbildungsmöglichkeiten, Wissenstransfer und enge Kooperationen mit dem ambulanten Sektor können sie sich zukunftssicher aufstellen.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via passion_chirurgie@bdc.de.

ppa. Tanja Engel

Geschäftsbereichsleitung Stationäre Versorgung

St. Vincenz-Kliniken

Am Busdorf 2

33098 Paderborn

t.engel@vincenz.de

Chirurgie

Engel T: Der Abschied vom Bett. Wie ambulantisieren Krankenhäuser? Passion Chirurgie. 2025 April; 15(04): Artikel 03_01.

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Rolle der Notfall- und Rettungsdienstreform für die Krankenhausreform

Mit dem Scheitern der Ampelkoalition ist ein deutlicher Einschnitt in die gesundheitspolitischen Reformvorhaben entstanden. Während das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) verabschiedet wurde, liegt das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung (NotfallG) vorerst auf Eis. Dabei wäre die Überarbeitung der Strukturen und Prozesse in der Notfallversorgung essenziell, um sowohl die Patientensicherheit zu gewährleisten als auch andererseits den gesamtvolkswirtschaftlichen Blick nicht weiter zu verlieren. Die steigenden Einsatzzahlen im Rettungsdienst vor allem im sogenanntem Low-Code-Bereich, die zunehmende Verlagerung niedrigschwellig Hilfesuchender aus der vertragsärztlichen Versorgung in die Notaufnahmen sowie die wiederholte Inanspruchnahme durch sogenannte Frequent User [1] erzeugen einen erheblichen Druck auf das System und treiben die Kosten weiter in die Höhe.

Im Gesetzgebungsverfahren des NotfallG war vorgesehen, die Reform des Rettungsdienstes über Änderungsanträge zu integrieren. Für den Rettungsdienst als integralem Bestandteil der Notfallversorgung wäre aber sicherlich ein eigenständiges Gesetzgebungsvorhaben angebracht. Dabei muss die föderale Zuständigkeit der Länder berücksichtigt und ihre Einbindung frühzeitig sichergestellt werden, um erneute Verzögerungen zu vermeiden.

Es ist schon genug Zeit ins Land gegangen – bereits 2018 hat das Sachverständigenrat-Gutachten [2] zentrale Reforminhalte formuliert, die sich auch in den zwei vergangenen Koalitionsverträgen wiederfinden. Von vielen Gremienvertretern wird deshalb unvermindert die rasche Umsetzung der Notfallreform und engere Verzahnung mit der Krankenhausreform nach der Wahl gefordert [3, 4]. Aus den Erkenntnissen muss nun endlich auch ein Handeln werden.

Der Einfluss dieser Reform auf den Fachkräftemangel im stationären Bereich wird im Sachverständigenrat-Gutachten 2024 [5] hervorgehoben: „Das größte Potential zur Reduktion der stationären Belegungstage geht von einer Reform der Notfallversorgung aus […]“ Die verstrichene Zeit hat dazu geführt, dass einige Reformvorschläge bereits umgesetzt oder in Studien erprobt wurden. Der Artikel stellt ausgewählte Best-Practice-Beispiele aus Bayern vor und soll Impulse für Anpassungen im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) geben. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann dabei nicht erhoben werden.

In Bayern ist die digitale Verknüpfung der Leitstellen 116 117 und 112 seit Dezember 2023 flächendeckend umgesetzt. Der befürchtete Ping-Pong-Effekt blieb aus, jedoch zeigen die Einsatzzahlen in Notaufnahmen und Rettungsdienst bisher (noch) nicht die erhoffte Wirkung, damit „vor die Lage zu kommen“. Entscheidend wird in weiterer Folge unter anderem sein, ob die isolierte Verkürzung der Wartezeit beim Anruf in der 116 117 den gewünschten Effekt erzielt. Die Reformpläne sehen hierfür mit der Einführung der Akutleitstelle eine Zeitvorgabe vor: 75 % der Anrufe sollen innerhalb von maximal drei Minuten angenommen werden. Dies stellt die Kassenärztlichen Vereinigungen als Betreiber der 116 117 allein aufgrund der hohen Anrufzahlen vor erhebliche Herausforderungen. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Ziel auch mit modernen digitalen Mitteln realisierbar ist.

Eine Patientensteuerung muss daher auch auf operativen Ebenen – im Rettungsdiensteinsatz sowie vom Tresen der Notaufnahme – umgesetzt werden.

Im Rettungsdienst Bayern konnte in einer gemeinsamen Pilotstudie der Durchführenden im Rettungsdienst, Kassenärztlicher Vereinigung Bayerns (KVB) mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration erfolgreich nachgewiesen werden, dass eine standardisierte Ersteinschätzung am Einsatzort eine sichere Patientensteuerung in die Versorgungsebene „Vertragsarzt“ ermöglicht [6]. Die hierfür durch den Notfallsanitäter genutzte Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) kommt bereits in der Telefonabfrage der 116 117 zum Einsatz. Im Rahmen der Studie wurde das neu konzipierte Rettungseinsatzfahrzeug (REF) für Einsätze disponiert, bei denen nach strukturierter Notrufabfrage der Integrierten Leitstelle (ILS) kein Transport zu erwarten war. Ein flächendeckender Rollout setzt die Schaffung entsprechender sozialversicherungsrechtlicher Grundlagen im SGB V voraus, was auch in den Entwürfen zur Rettungsdienstreform gefordert wird. Dadurch würde zudem eine fallabschließende Behandlung durch den Rettungsdienst ohne unnötige Klinikeinweisung ermöglicht. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass eine vergleichbare Patientensteuerung auch aus einem Rettungswagen heraus sinnvoll wäre – insbesondere in Fällen, in denen die Notrufabfrage der ILS nicht mit der angetroffenen Situation übereinstimmt, was häufig der Fall ist. Die Steuerung in die Versorgungsebene „Vertragsarzt“ für voraussichtlich ambulant behandelbare Rettungsdienstpatienten wird daher in einer weiteren Studie in Bayern erprobt werden. Damit sollen insgesamt die Notaufnahmen spürbar entlastet werden. Ermöglicht wird dies auch durch die die Finanzierung der Sozialversicherungsträger quasi als Vorleistung im Sinne der Notfallreform.

Auch zwischen Krankenhäusern, deren Notaufnahmen und Kassenärztlicher Vereinigung ist die viel gescholtene Kluft in vielen Bereichen mittlerweile aufgehoben. Man ist sich auf beiden Seiten bewusst, dass die Vermeidung einer unnötigen Inanspruchnahme des Gesundheitswesens insbesondere in vermeintlichen subjektiven Notfallsituationen der Hilfesuchenden erklärtes Ziel einer Notfallreform sein muss. Es ist hier müßig von Selbsteinweisern überlastete Notaufnahmen darzustellen – regelmäßig finden sich dazu Artikel in den Medien. Die Beweggründe sind unterschiedlich [7].

Die Pläne der Notfallreform von Prof. Lauterbach und im Übrigen auch die vergangenen Koalitionsverträge sehen die Lösung in Integrierten Notfallzentren (INZ). Die dahinterliegende enge Zusammenarbeit zwischen einer Notaufnahme und kassenärztlicher Bereitschaftspraxis in unmittelbarer Nähe der Klinik und Steuerung über einen gemeinsamen Tresen ist aber kein Novum. In Bayern sind von 133 Bereitschaftspraxen der KVB 119 Standorte an den Kliniken. Entscheidend werden die Bestimmungen zur Kooperation 24/7 sein. Hier zeigt die jahrelange Diskussion zur Notfallreform ein hin und her schieben der Verantwortlichkeiten in den übrigen Zeitkorridoren. So sollten Patienten auch zu den Praxisöffnungszeiten vom gemeinsamen Tresen in den vertragsärztlichen Bereich gelenkt werden. Der erste Ansatz, dazu die kassenärztliche Präsenz in den INZ auch tagsüber zu gewährleisten, würde zum „Katze in den Schwanz beißen“ führen, da hierzu Vertragsärzte für den Dienst im INZ ihre Praxis schließen müssten [8]. Diese Ressourcen werden im Übrigen für den Aufbau von Videosprechstunden gebraucht. Umgekehrt sollen ausschließlich die Kliniken für die zentrale Ersteinschätzungsstelle fachlich verantwortlich sein. Dies bedeutet letztlich mehr personellen Aufwand für die Kliniken. Auch die Konfiguration der zentralen Ersteinschätzung selbst steht seit der Beanstandung der Ersteinschätzungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) noch offen. Der dritte Zeitkorridor nachts wird meist in der Kooperation der KV mit den Kliniken gesehen. Dies ist sicherlich insgesamt ressourcenschonend, muss aber in der Vergütung für die Krankenhäuser vorhaltebezogen abgebildet werden.

In der Praxis einer zentralen Ersteinschätzung soll aus eigener Erfahrung vor der Erstellung einer neuen Anwendung gewarnt werden Die Verknüpfung bestehender Systeme ist patientensicher möglich: Vorangeschaltet die klinisch etablierte Ersteinschätzung nach Manchester Triage (MTS) oder Emergency Severity Index (ESI) zur Bestimmung der Behandlungsdringlichkeit in der Notaufnahme. Da diese Systeme kein Lenken in andere Versorgungsbereiche als die Klinik beherrschen, muss ein entsprechend konfiguriertes System angeschlossen werden. Ein Vertreter hierzu ist die bereits oben genannte SmED [9]. In der eigenen Zentralen Notaufnahme (ZNA) wurde dieses Vorgehen im Jahr 2023 unter Studienbedingungen zusammen mit der KVB, in wissenschaftlicher Begleitung des Zentralinstitut Kassenärztliche Versorgung (Zi) zu den Öffnungszeiten der Vertragsarztpraxen bzw. vor der Öffnung der KVB Bereitschaftspraxis evaluiert [10]. Eingeschränkt wurde das Lenken bei notwendiger ressourcenbezogener Versorgung (z. B. Wundversorgung) und fehlender Zumutbarkeit (Patient kommt mit Unterarmgehstützen bei Beschwerden der unteren Extremitäten). Die Weiterleitung aus der Notaufnahme erfolgte zeitnah mit digital gesteuerter Anmeldung in den Vertragsarztpraxen über den Behandlungskapazitätennachweis IVENA®. Die ZNA wurde durch das Vorgehen relevant entlastet.

Der verwendete Ablauf für Patientensicherheit wird in einer prospektive Kohortenstudie in zwei Notaufnahmen der Charité, Universitätsmedizin Berlin und Universitätsklinikum Leipzig [11] bestätigt.

In den Bestrebungen „vor die Lage“, d. h. die Inanspruchnahme aller Sektoren der Notfallversorgung zu kommen, muss konsequent der Patient einbezogen werden. Da Hausmittel zunehmend aussterben, benötigt er Hilfsmittel für die Selbsteinschätzung. Leider ist Dr. Google allmächtig, aber online ist auch das Patienten-Navi der 116 117 zu erreichen.

Hierzu müssen Aufklärungskampagnen zur Patientensicherheit der Selbsteinschätzung und ebenso offen gegen falsches Anspruchsdenken erfolgen, um die eingangs dargestellte volkswirtschaftliche Belastung nicht weiter eskalieren zu lassen.

Zusammengefasst sind die Patientenpfade (s. Abb. 1) in der Notfallversorgung sehr komplex – bieten damit aber auch zukunftssichere Möglichkeiten für eine effiziente patientensichere Versorgung.

Abb. 1: Patientenpfade in der Notfallversorgung

Literatur

[1]   https://www.barmer.de/presse/
presseinformationen/pressearchiv/starke-regionale-unterschiede-beim-rettungsdienst-1286290

[2]   Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung. Gutachten 2018, Kapitel 14, https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2018/Gutachten_2018.pdf
[3]   https://www.sueddeutsche.de/politik/notaufnahmen-kliniken-ueberlastung-gefahr-patienten-reform-li.3179728
[4]   https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/
3_Service/3.5._Publikationen___Downloads/3.4.1._das_Krankenhaus/das_Krankenhaus_1078-Politik-Notfallreform-12-2024.pdf

[5]   Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege, Fachkräfte im Gesundheitswesen. Gutachten 2024, Kapitel 6 https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2024/2.__durchgesehene_Auflage_Gutachten_2024_Gesamt_bf_2.pdf
[6]   Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) im bayerischen Rettungsdienst: aktuelle Erkenntnisse aus dem Projekt Rettungseinsatzfahrzeug (REF). Notfall Rettungsmed 2024 27:553–555 https://doi.org/10.1007/s10049-024-01348-9
[7]   Beweggründe von Patienten, die sich selbständig in der Notaufnahme vorstellen – eine prospektive monozentrische Beobachtungsstudie. Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin 2024 119: 546-557 https://link.springer.com/10.1007/s00063-024-01106-2
[8]   600 Arztpraxen könnten aus der ohnehin schon knappen Regelversorgung fallen, bis zu 4 Millionen Patientenkontakte nicht mehr stattfinden // In der Folge wird eine erneute Überlastung der Notfallversorgung befürchtet | Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung
[9]   https://www.zi.de/themen/medizin/smed/uebersicht
[10] Zwischen Vision und Wirklichkeit: Untersuchung zur Machbarkeit der Weiterleitung von weniger dringlichen Hilfesuchenden in die ambulante Versorgung. Notfall Rettungsmed https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-024-01347-w
[11] Slagman A, Bremicker A, Möckel M, Eienbröker L, Fischer-Rosinský A, Gries A: Evaluation of an automated decision aid for the further referral of emergency room patients—a prospective cohort study. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 703–9. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0191

Dr. med. Michael Bayeff-Filloff

Chirurg, Unfallchirurgie, Klinische Akut- und Notfallmedizin, Notfallmedizin, Ärztliches Qualitätsmanagement

Chefarzt Zentrale Notaufnahme

Klinikum Rosenheim

Pettenkoferstr. 10

83022 Rosenheim

michael.bayeff-filloff@ro-med.de

Ärztlicher Landesbeauftragter Rettungsdienst Bayern

Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration

Odeonsplatz 3

80539 München

michael.bayeff-filloff@stmi.bayern.de

Chirurgie

Bayeff-Filloff M: Rolle der Notfall- und Rettungsdienstreform für die Krankenhausreform. Passion Chirurgie.
2025 April; 15(04): Artikel 03_02.

Mehr über die Krankenhausreform
auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Politik.

Einführung der Hybrid-DRGs – Erfolge und Fallstricke aus Sicht der Kliniken

Eine Analyse des Fortschritts der Ambulantisierung am Beispiel der Hernienchirurgie

Eine Analyse der EU-Kommission aus dem Jahre 2019 bescheinigt dem deutschen Gesundheitswesen, dass die Pro-Kopf-Ausgabe für die Versorgung eines Patienten mit im Durchschnitt 4.300 € mehr als 1.400 € über dem EU-Durchschnitt liegt [1]. Die Lebenserwartung in Deutschland liegt hingegen mit 81,1 Jahren nur leicht über dem europäischen Durchschnitt mit 80,9 Jahren. Die EU bemängelt unter anderem, dass in Deutschland zu wenige medizinische Leistungen ambulant durchgeführt werden [1]. Bei der Leistenhernie zum Beispiel lag der Anteil der ambulanten Operationen in 2013 bis 2019 nicht höher als 20 %, was im internationalen Vergleich sehr niedrig ist [2]. In den USA, Schweden und Dänemark werden über 70 % aller Leistenhernien ambulant versorgt [3]. Fehlende Anreize haben bisher die Umwandlung der stationären in mehr ambulante Behandlung verhindert [3, 4]. Damit wurde aus Sicht des Gesetzgebers ein potentielles Einsparvolumen in Milliardenhöhe nicht realisiert.

Erweiterung AOP-Katalog

Deshalb hat der Gesetzgeber im Rahmen der Gesundheitsreform die Organe der Selbstverwaltung, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Spitzenverband) im Jahre 2019 damit beauftragt, das ambulante Operieren nach § 115b SGB V weiterzuentwickeln und höhere Anreize zu setzen, damit mehr Operationen auch am Krankenhaus ambulant erfolgen. Dazu sollte unter anderem der AOP-Katalog (Katalog ambulant durchführbarer Operationen) erweitert werden. Zur Unterstützung wurde das IGES-Institut beauftragt, stationäre Leistungen zu identifizieren, die ambulant erbracht werden können. Die Gutachter kamen 2022 zu der Einschätzung, dass von den etwa 35.000 analysierten OPS-Kodes fast 2.500 Kodes in den AOP-Katalog übernommen werden könnten. Dies löste unter den Operateuren durchaus heftige Diskussionen und Kontroversen aus [4]. Es wurde besonders kritisiert, dass der AOP-Katalog nicht mit den zuständigen Fachgesellschaften abgestimmt worden war. Patienten-, Befund- und operationsspezifische Risiken seien viel zu wenig berücksichtigt worden.

Letztendlich wurden bisher auch nur weniger als 15 % der vorgeschlagenen Leistungen (2023 und 2024 jeweils ca. 200 zusätzliche OPS-Kodes, 2025 lediglich zwei neue Leistungen) tatsächlich in den AOP-Katalog aufgenommen.

Sektorengleiche Vergütung

Für eine Auswahl von Operationen und Interventionen, die bisher regelhaft stationär durchgeführt wurden, gibt es seit 01. Januar 2024 eine spezielle sektorengleiche Vergütung, die sogenannte Hybrid-DRG. Diese Fallpauschalen werden unabhängig davon gezahlt, ob die Operation oder Intervention ambulant oder kurzstationär (Verweildauer maximal ein Belegungstag) erfolgt. Die Anzahl an Hybrid-DRGs ist noch relativ gering, soll aber wachsen. Denn Ziel dieser besonderen sektorengleichen Vergütung nach § 115 f SGB V ist es, Anreize zu mehr ambulant durchgeführten Operationen und Interventionen im Krankenhaus und bei den Niedergelassenen zu setzen. Die Höhe der Vergütung mit den Hybrid-DRGs liegt zwischen der normalen DRG mit einer Nacht im Krankenhaus (Kurzliegerabschlag) und der ambulanten Abrechnung über den EBM. Für die Krankenhäuser bedeuten diese zusätzlich abgesenkten Fallpauschalen zunächst einmal einen deutlichen Verlust an Einnahmen, der nur durch effiziente ambulante Strukturen teilweise kompensiert werden könnte. Die niedergelassenen Operateure können für einfache Eingriffe eine deutlich höhere Pauschale erzielen, beklagen aber für komplexe Operationen mit hohen Sachkosten für Implantate sogar Verluste gegenüber der bisherigen Abrechnung über den EBM, da auch die Anästhesieleistungen aus den Hybriderlösen erstattet werden müssen.

Starterkatalog für 2024

Alle Eingriffe, für die es seit Januar 2024 eine Hybrid-DRG gibt, sind in einem Leistungskatalog aufgeführt, den das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in Abstimmung mit dem InEK als Anlage zur Hybrid-DRG-Rechtsverordnung vorgegeben hat [9]. Dieser Starterkatalog umfasst rund 250 Operationen und Interventionen aus fünf Leistungsbereichen, darunter Hernien-Operationen. Auch die vom InEK kalkulierte Höhe und die technische Abrechnung der Vergütung hatte das BMG vorgegeben. Dieser Hybrid-DRG-Katalog galt noch bis 31. Dezember 2024 und wurde dann erweitert. Die Methodik der Preiskalkulation durch das InEK, die pauschale Vergütung der Anästhesie- und Sachkosten und den in den Bundesländern unterschiedlichen Sprechstundenbedarfsregelungen wurden vom BDC und zahlreichen anderen Berufsverbänden scharf kritisiert [5].

Erweiterung des Hybrid-DRG-Katalogs für 2025

Um eine erneute Ersatzvornahme durch das BMG zu verhindern, haben sich die KBV, die DKG und der GKV-Spitzenverband fristgerecht bis Ende März 2024 auf eine künftige Erweiterung um 94 OPS-Kodes und weitere fünf Leistungsbereiche geeinigt, die ab 01. Januar 2025 mit neuen Hybrid-Fallpauschalen vergütet werden sollten [10]. Die Vertragspartner rechnen damit, dass mit dem erweiterten Hybrid-Katalog 400.000 stationäre Fälle ambulant durchgeführt werden können. Im Rahmen der anschließenden Leistungskalkulationen stellte das InEK allerdings Inkonsistenzen bei den ausgewählten Leistungen fest und entfernte 13 der 94 OPS-Kodes sowie den geplanten Leistungsbereich „Osteosynthetische Versorgung von Klavikulafrakturen“ aus dem Katalog. Statt „Brusterhaltende Eingriffe in der Mammachirurgie“ wurde der neue Leistungsbereich „Lymphknotenbiopsien“ definiert. Offensichtlich aus systematischen Erwägungen wurden zudem weitere 245 OPS-Kodes hinzugefügt. Dabei handelte es sich um verwandte Leistungen mit vergleichbarem Aufwand sowie um Kodes für unspezifische Resteklassen (.x und .y), um Fehlanreizen bei der Kodierung zu begegnen. Der in dieser Weise angepasste Katalog wurde dann am 11.10.2024 publiziert [11].

Erstaunlicherweise führen jedoch nicht alle gelisteten OPS-Kodes bei den typischen Indikationen tatsächlich zu einer Hybrid-DRG. Aufgrund der hochkomplexen Algorithmen des DRG-Groupers werden z. B. bei den OPS-Kodes für die endoskopische bzw. laparoskopische Versorgung von W1- und W2-Narbenhernien mit Gewebeverstärkung die maßgeblichen Ausgangs-DRGs gar nicht erreicht, so dass die Hybrid-DRGs G24M bzw. G24N nicht resultieren können (siehe Abbildung 1).

Für den Bereich der Allgemein- und Viszeralchirurgie ist der Leistungsbereich „Eingriffe an Analfisteln“ dazu gekommen. Auch im neuen Leistungsbereich „Eingriffe an Hoden und Nebenhoden“ finden sich proktologische und viszeralchirurgische OPS-Kodes. Zusätzlich wurden die bereits im Katalog enthaltenen Leistungsbereiche „Bestimmte Hernieneingriffe“ und „Exzision eines Sinus pilonidalis“ um 33 weitere OPS-Kodes ergänzt. Dabei wurden auch verlustbringende Gruppierungsfehler bei der Behandlung von Rezidiv-Hernien, kombiniert mit der Versorgung anderer Mittellinienbrüche korrigiert.

Der neue Leistungsbereich „Eingriffe an Galle, Leber, Pankreas“ enthält dagegen bisher nur endoskopische Verfahren (ERCP, perkutan-transhepatische Eingriffe, Endosonographie, perkutane Biopsien).

Im Anhang 1 zur Hybrid-Vereinbarung 2025 sind insgesamt 323 neue Leistungen mit den entsprechenden OPS-Kodes aufgelistet. Von den 244 OPS-Kodes, die sich bereits bisher im Katalog befanden, wurden allerdings auch 2 Kodes wieder herausgenommen, die ab 2025 nicht mehr mit einer Hybrid-DRG vergütet werden.

Wie der Starter-Katalog des BMG wurden auch die neuen Hybrid-DRGs vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) unter Beteiligung des Instituts des Bewertungsausschusses (InBA) kalkuliert. Die oft kritisierte Systematik der Kalkulation unter Bezug ausschließlich auf die bisherigen EBM-Erlöse und Kosten der stationären 1-Tages-Fälle blieb unverändert [5]. Die Berücksichtigung von Implantaten (Herniennetze) und weiterem Einwegmaterial bleibt intransparent und erscheint nicht kostendeckend. Erfreulich ist es allerdings, das bei allen bereits bestehenden Hybrid-DRGs Erlössteigerungen zwischen 1,8 % und 15,6 % resultieren.

Neue Hybrid-DRGs und Zuschlag für postoperative Nachbehandlung

Erst am 18.12.2024 wurde die endgültige Hybrid-DRG-Vergütungsvereinbarung mit den kalkulierten neuen Preisen [12] veröffentlicht, die die Ersatzvornahme des BMG [6] ersetzt. Die entsprechenden Gruppierungsalgorithmen wurden in die Grouper-Software eingearbeitet, so dass eindeutig festgelegt ist, welche Eingriffe im Jahr 2025 mit einer Hybrid-DRG vergütet werden und wie hoch die Erlöse sind. Mit der jetzt vorliegenden Vereinbarung bestehen 22 Hybrid-DRG, die Vertrags- und Klinikärzte im Jahr 2025 abrechnen können [6, 12].

Positiv ist aus Sicht des Krankenhauses, dass es zukünftig einen Zuschlag zu den Hybrid-DRG für eine innerhalb von 21 Tagen durchgeführte postoperative Nachbehandlung im Krankenhaus gibt. In den Entgeltkatalogen sind zwei Preise ausgewiesen: In Spalte A findet sich die Hybrid-DRG ohne postoperative Nachbehandlung im Krankenhaus und in der Spalte B diejenige zuzüglich postoperativer Nachbehandlung im Krankenhaus. Die zusätzliche Pauschale beträgt 30 € und soll somit eine Gleichbehandlung mit den niedergelassenen Vertragsärzten herstellen, welche die Nachbehandlung nach dem EBM abrechnen können. Problematisch ist es dabei allerdings, dass dieser höhere Erlös nur direkt mit der Abrechnung der Hybrid-DRG geltend gemacht werden kann. Somit muss zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung bekannt sein, ob eine postoperative Nachbehandlung stattgefunden hat oder nicht. Revisionssicher kann daher erst nach Ablauf von 21 Tagen die Hybrid-Leistung abgerechnet werden. Falls eine kurzfristige postoperative Kontrolle routinemäßig durchgeführt wird, wäre grundsätzlich auch eine zeitnahe Abrechnung möglich.

Anmerkung: Diese erst am 18.12.2024 beschlossenen Regelungen sind noch nicht in die bereits ausgelieferte Grouper-Software (Zertifizierungsdatum 04.-11.12.2024) eingearbeitet, sodass aktuell (Stand Januar 2025) bundesweit zwar mit offiziell zertifizierter Grouper-Software abgerechnet wird, die Rechnungen vermutlich aber größtenteils storniert werden müssen (wie bereits im 1. Quartal 2024!), um jetzt die höheren Entgelte für Hybrid-DRGs mit postoperativer Nachbehandlung abrechnen zu können. Es ist völlig unverständlich, weshalb überhaupt zwei Preise der Hybrid-DRGs ausgewiesen werden, statt den Zuschlag separat abrechenbar zu machen. Letztendlich ist auch schwer nachvollziehbar, warum für die Leistungserbringung im Krankenhaus statt einer willkürlich erscheinenden 30-Euro-Pauschale nicht ebenfalls nach EBM abgerechnet werden kann.

Neuerungen bei den Hernien-Hybrid-DRGs
(G09N, G24N und G24M)

Bei der Versorgung von Leisten- und Schenkelhernien sind keine grundsätzlichen Veränderungen der Hybrid-DRG-Systematik vorgenommen worden. Die Bedingungen dieser Hybrid-DRGs sind erfüllt, wenn offen-chirurgische oder minimal-invasive Verfahren zum Bruchpfortenverschluss eingesetzt werden, wobei auch der Einsatz von alloplastischem, allogenem oder xenogenem Material inkludiert ist. Die Behandlung darf eine Verweildauer von einem Belegungstag nicht überschreiten oder muss ambulant durchgeführt worden sein. Sollte eine längere Verweildauer medizinisch erforderlich sein, so ist die reguläre DRG (G09Z, G24B, G24C) zzgl. Pflegeentgelt abrechenbar. Dies gilt auch, wenn sogenannte Kontextfaktoren vorliegen (Schwerwiegende Begleiterkrankungen, aufwändige Zusatzeingriffe), was jedoch im Rahmen eines maximal eintägigen Krankenhausaufenthaltes selten der Fall sein dürfte. Grundsätzlich sind jedoch Eingriffe zur Behandlung von Rezidiv-Hernien oder in Verbindung mit Darmresektionen über den Zugang der Herniotomie nicht als Hybrid-DRG abzurechnen. Bisherige Anomalien des Gruppierungsalgorithmus sind ab 2025 korrigiert worden, so dass Kombinationen von Rezidiv-Eingriffen mit der Versorgung einer Mittellinienhernie nicht mehr zur Ermittlung einer Hybrid-DRG und damit auch nicht zu einer nicht sachgerechten Abwertung führen.

Neu ist dagegen, dass die Verfahren mit Einsatz von alloplastischem, allogenem oder xenogenem Material bei der Versorgung von Nabel- und epigastrischen Hernien, sowohl bei offen-chirurgischem als auch minimal-invasivem Zugang, als Hybrid-DRGs abrechenbar sind.

Zu großer Verwirrung hat dagegen die Ankündigung geführt, dass auch die Verfahren zur Versorgung von W1- und W2-Narbenhernien [7] (horizontale Defektbreite < 10 cm, OPS-Kodes 5-534.33 bis 5-534.39) künftig zu den Hybrid-Leistungen zählen sollen. Wie sich aber erst nach Abrechnungssimulation mit der aktuellen Grouper-Software zeigt, führen diese Leistungen zur konventionellen DRG G08B „Komplexe Rekonstruktion der Bauchwand“, die gar keine Ausgangs-DRG für eine Hybrid-DRG darstellt und somit auch nicht zu einer Hybrid-DRG führen kann (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Gruppierungsergebnisse bei der Versorgung von Narbenhernien (Hauptdiagnose K43.2 „Narbenhernie ohne Einklemmung und ohne Gangrän“, Verweildauer 1 Belegungstag); blau markiert sind alle Prozeduren, die als Hybrid-Leistungen gelistet sind (11). Tatsächlich führen aber alle Prozeduren aus dem Bereich 5-536.4- zur regulären DRG G08B (geprüft mit dem zertifizierten Grouper GetDRG Vers. 24.2.1 der Fa. GEOS, Nürnberg).

Effekt der Einführung der Hybrid-DRG

In einer Herniamed-Analyse lässt sich der Effekt der Einführung der Hybrid-DRG am Beispiel der Leistenhernien-Chirurgie aufzeigen. In Tabelle 1 wird der Anteil der ambulanten Leistenhernien-Chirurgie im Vergleich zwischen 2019 als letztem Jahr vor der Corona-Pandemie mit 2024 als erstem vollen Jahr mit Abrechnung über Hybrid-DRG aufgezeigt. Die in etwa vergleichbare Anzahl an Leistenhernien-Operationen im Herniamed-Register zeigt, dass der Vergleich realistisch ist: Es zeigt sich, dass durch die Einführung der Hybrid-DRG der Anteil der ambulanten Leistenhernien-Chirurgie von 10,1 % im Jahre 2019 auf 30,2 % im Jahre 2024 angestiegen ist. So scheint die Einführung der Hybrid-DRG mit einheitlicher Abrechnung als stationäre oder ambulante Leistung zumindest für die Leistenhernie zu greifen. Aber die Erwartungen des Gesetzgebers und der beteiligten Parteien, GKV-Spitzenverband, KBV und DKG, gehen natürlich noch weit darüber hinaus, um einen Status wie in anderen Ländern zu erreichen. Mit Herniamed haben wir ein ideales Instrument, um diesen Prozess weiter zu begleiten.

Tab. 1: Zunahme des ambulant operierten Anteils in der Chirurgie der Leistenhernien von 2019 bis 2024 (Quelle: Herniamed-Register); Ambulantes vs. stationäres Vorgehen bei den elektiven ein- und beidseitigen und rezidivierenden Leistenhernienoperationen 01.01.2019 – 31.12.2019 vs. 01.01.2024 – 31.12.2024

OPs

%

Total

Ambulante Leistenhernienchirurgie 2019

9.674

10,1 %

96.076

Stationäre Leistenhernienchirurgie 2019

86.402

89,9 %

Ambulante Leistenhernienchirurgie 2024

28.356

30,2 %

93.895

Stationäre Leistenhernienchirurgie 2024

65.539

69,8 %

Einfluss auf die Methodenwahl

Von chirurgischer Seite wurde befürchtet, dass durch die Einführung der Hybrid-DRGs und die Verlagerung in ein ambulantes Setting die Auswahl des Operationsverfahrens nicht mehr nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgt, sondern sich eher an Praktikabilitätskriterien orientiert [4]. Die Analyse aus dem Herniamed-Register zeigt, dass sich für die Entscheidung zum ambulanten Operieren einer Leistenhernie Änderungen in der Methodenwahl ergeben können. So betrug der Anteil der Lichtenstein-Operation 2019 ambulant 33,9 % und stationär 19,2 %, während der Anteil der TAPP-Technik ambulant 11,3 % und stationär 52,3 % ausmachte. Die TEP wurde im Jahr 2019 ambulant in 24,2 % und stationär in 26,5 % vorgenommen. 2024 betrug der Anteil der Lichtenstein-Operationen ambulant 18,0% und stationär 19,2 %, der Anteil der TAPP-Technik ambulant 47,7 % und stationär 54,2 % und der Anteil der TEP-Operationen ambulant 28,8% und stationär 25,5%. Das zeigt eindeutig, dass die Entscheidung zur ambulanten Leistenhernienchirurgie aktuell keinen entscheidenden Einfluss auf die Methodenauswahl mehr hat.

Perioperatives Ergebnis

Eines der wesentlichen Bedenken von chirurgischer Seite ist die Sicherheit der ambulanten Chirurgie für die Patienten [3, 4]. Die von der IGES entwickelten Kontext-Faktoren reichen nicht aus, um die potenziellen Risikofaktoren für Komplikationen der Leistenhernienchirurgie hinreichend zu berücksichtigen [4]. Die Kontext-Faktoren beschränken sich im Wesentlichen auf internistische und intensivmedizinische Parameter. Einflussfaktoren von Seiten des Befundes, des Patienten und der Operationstechnik wurden nicht berücksichtigt [4].

Umso erfreulicher ist es, dass im Herniamed-Register für die ambulante Leistenhernienchirurgie keine auffällige Häufung von Komplikationen im Vergleich zum stationären Vorgehen festgestellt werden kann. So lag die Rate an komplikationsbedingten Reoperationen im Jahre 2019 ambulant bei 0,6 % und stationär bei 1,0 % und im Jahre 2024 ambulant bei 0,3 % und stationär bei 0,8 %. Dabei muss natürlich berücksichtigt werden, dass sich bei den stationären Fällen mehr Patienten mit Risikofaktoren befinden [4].

Zukünftige Entwicklung der Ambulantisierung

Mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG, Inkrafttreten am 12.12.2024) wurden zahlreiche wichtige Änderungen der Hybrid-DRG beschlossen, die großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Ambulantisierung haben werden [8]. So werden bis zum Jahr 2026 rund eine Million und bis 2030 sogar 2 Millionen ambulante Behandlungsfälle angestrebt und notfalls über Verwaltungsakte der Bundesregierung vorgeschrieben. Gleichzeitig soll die Bewertung der Hybrid-DRGs bis 2030 auf die Sätze des EBM reduziert und damit zunehmend unattraktiver werden. Somit will die Bundesregierung offenbar die Ambulantisierung durch Dirigismus und nicht durch Anreize umsetzen, während in anderen europäischen Ländern erfolgreich mit einer Incentivierung durch attraktive und vorübergehend sogar angehobene Fallpauschalen gearbeitet wurde. Es darf bezweifelt werden, ob dieser deutsche Weg den gewünschten Erfolg bringen wird und Anpassungen im weiteren Gesetzgebungsverlauf sind unabdingbar. Dabei ist die Erstattung von Sachkosten (Implantate, Einmalmaterial etc.) sowie die Vergütung weiterer beteiligter Leistungserbringer (Anästhesie, Radiologie, Pathologie, Labormedizin) sachgerecht zu regeln.

Literatur

[1]   Deutsches Ärzteblatt, Jg. 116, Heft 49, 6. Dezember 2019 Hohe Kosten, durchschnittliche Ergebnisse
[2]   Köckerling F, Lorenz R, Reinpold W, Zarras K, Conze J, Kuthe A, Lammers B, Stechemesser B, Mayer F, Fortelny R, Hoffmann H, Kukleta J, Weyhe D (2022). What is the reality in outpatient vs inpatient groin repair? An analysis from the Herniamed Registry. Hernia 26:809-821. https//doi.org10.1007/s10029-021-02494-6
[3]   Paasch C, Schildberg C, Lehmann M, Meyer F, Barth U (2023) Vorgaben, Zielvorstellungen, Motive, Haltungen und Denken zum ambulanten Operationsprofil der Allgemein- und Viszeralchirurgie Chirurgie (Heidelb). 94(10):850–860. [Article in German] https//doi.org10.1007/s00104-023-01920-y
[4]   DACH-Konsensusgruppe ambulante Leistenhernienchirurgie, Niebuhr H, Köckerling F, Fortelny R, Hoffmann H, Conze J, Holzheimer RG, Koch A, Köhler G, Krones C, Kukleta J, Kuthe A, Lammers B, Lorenz R, Mayer F, Pöllath M, Reinpold W, Schwab R, Stechemesser B, Weyhe D, Wiese M, Zarras K, Meyer HJ (2023) Leistenhernienoperationen – immer ambulant? Chirurgie (Heidelb) 94: 230–236. [Article in German] https//doi.org10.1007/s00104-023-01818-9
[5]   Kisch, T., Müller-Rath, R., Gregor, S. et al. Hybrid-DRGs – Die Herausforderung. Chirurgie 95, 1007–1011 (2024). https://doi.org/10.1007/s00104-024-02196-6
[6]   aerzteblatt.de, Freitag, 20. Dezember 2024 Neue Hybrid-DRG und höhere Vergütung vereinbart
[7]   Köckerling F, Hoffmann H, Adolf D, Reinpold W, Kirchhoff P, Mayer F, Weyhe D, Lammers B, Emmanuel K (2021) Potential influencing factors on the outcome in incisional hernia repair: a registry-based multivariable analysis of 22,895 patients Hernia. 25:33–49. https//doi.org10.1007/s10029-020-02184-9
[8]   KBV: Stellungnahme der KBV zu den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktion SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucksache 20(14)2213 vom 11. Oktober 2024 https://www.kbv.de/media/sp/2024-10-15_KHVVG__A_Stellungnahme__KBV.pdf, zuletzt zugegriffen 22.1.2025
[9]   https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2023/380/VO
[10] https://www.kbv.de/html/1150_68599.php
[11] https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/2_Themen/2.2_Finanzierung_und_Leistungskataloge/2.2.4._Spezielle_sektorengleiche_Verguetung__Hybrid-DRG_/AEnderungsvereinbarung_zur_Hybrid-DRG-Vereinbarung_vom_11.10.2024.pdf
[12] https://www.kbv.de/media/sp/2024-12-18_Hybrid-DRG-Verguetungsvereinbarung_mit_Anlagen.

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. med. Ferdinand Köckerling

Chefarzt

Zentrum für Hernienchirurgie

Vivantes Humboldt-Klinikum

Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Ferdinand.Köckerling@vivantes.de

Dr. med. Peter Kalbe

Vizepräsident

Berufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC)

Gelenkzentrum Schaumburg

Kalbe@bdc.de

Dr. med. Rolf Bartkowski

Geschäftsführer

Med-I-Class GmbH

Prof. Dr. med. Helmut Witzigmann

Helios Park-Klinikum Leipzig

Prof. Dr. med. Waldemar Helmut Uhl

Kompetenzzentrum in Bochum

Deutsches Schilddrüsenzentrum

St. Josef-Hospital

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer

Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC)

praesident@bdc.de

Chirurgie

Köckerling F, Kalbe P, Bartkowski R, Witzigmann H, Uhl WH, Meyer HJ: Hybrid-DRG aus Sicht der Kliniken. Passion Chirurgie. 2025 April; 15(04): Artikel 03_03.

Mehr zum Thema H-DRG auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Vergütung | DRG.

Neue Ausgabe PASSION CHIRURGIE: Chirurgischer Nachwuchs und Karriereplanung

Zur Märzausgabe 2025 | PASSION CHIRURGIE

Es gibt sie, die Ideen und Möglichkeiten, den chirurgischen Nachwuchs für das Fach zu gewinnen. Diese Fokusausgabe „Chirurgischer Nachwuchs und Karrieregestaltung“ zeigt einige davon auf und gibt ein Update zu den BDC-Projekten. Geben Sie diese Ausgabe gerne an Ihre Nachwuchsärztinnen und –ärzte weiter!

In wenigen Tagen findet der Deutsche Chirurgie Kongress statt – vom 26. bis 28. März steht das Internationale Kongresszentrum in München unter dem Kongressmotto „Sichere Chirurgie für alle“. Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen an unserem Stand in der Lounge der Fachgesellschaften oder bei einer der BDC-Sitzungen. Vor allem laden wir Sie herzlich zur BDC-Mitgliederversammlung ein, die am Freitag, 28. März 2025, 12:45 – 14:00 Uhr, in Saal 14c stattfindet.

Zum Schluss noch der Hinweis auf eine besondere Umfrage „Zum Umgang mit einem fatalen Operationsausgang“ der Uniklinik Augsburg. Machen Sie mit!

Viele Grüße Ihr Redaktions-Team

Bilderrätsel März 2025

WELCHER MEDIZINISCHE FACHBEGRIFF VERSTECKT SICH HINTER DIESEM BILD?

… HABEN SIE ES ERRATEN?

Schicken Sie Ihre Antwort unter dem Stichwort „Passion Chirurgie 03/QI/2025“ an bilderraetsel@bdc.de. Einsendeschluss ist der 01. Juni 2025. Die Auflösung dieses Rätsels finden Sie in der nächsten gedruckten Ausgabe im Sommer.

Unter allen richtigen Einsendungen der ersten drei Quartalsausgaben (QI, QII, QIII) verlosen wir Ende 2025 wieder ein Android-Tablet. Die Auslosung wird Anfang November stattfinden und der Gewinner in der Dezemberausgabe bekannt gegeben.

Teilnahmebedingungen: Jedes BDC-Mitglied darf mitmachen, ausgenommen sind BDC-Mitarbeiter und Mitarbeiter von schaefermueller publishing GmbH sowie deren Angehörige. Bei der Gewinnauslosung sind der Rechtsweg und Barauszahlung ausgeschlossen. Wer gewonnen hat, wird schriftlich benachrichtigt. Wir danken für die Teilnahme und wünschen viel Glück.

Chirurgie im Wandel: Für lebensfreundliche Arbeitsbedingungen

Ein Aufruf zur Veränderung

Die Arbeitsbedingungen in der Chirurgie unterliegen einem stetigen Wandel, der durch gesellschaftliche Entwicklungen und demografische Veränderungen geprägt ist. Um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen, müssen alternative Beschäftigungsverhältnisse und lebensfreundliche Arbeitsbedingungen in den Fokus rücken. Die Ursachen für den Nachwuchsmangel in der Chirurgie sind vielfältig – dazu zählen Arbeitsverdichtung, ungünstige Arbeitszeiten und unzureichender Ausgleich für Bereitschaftsdienste. [3]

Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

Die Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist zentral für die Anwerbung und Bindung junger Ärztinnen und Ärzte. Die anstehenden Herausforderungen erfordern, bestehende Modelle neu zu denken und die eigene Berufstätigkeit sowie die Aufgabenverteilung in der Partnerschaft neu zu interpretieren. So können wir der neuen Generation gerecht werden und die Attraktivität der chirurgischen Fächer steigern.

Die Möglichkeit während der Elternzeit in Teilzeit zu arbeiten, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Diese Regelungen in der medizinischen Realität umzusetzen, scheitert jedoch noch allzu oft an den festgefahrenen Strukturen in Kliniken. Das Fortbestehen der medizinischen Versorgung hängt jedoch davon ab, dass wir auch die Teilzeitkräfte erfolgreich in den Alltag integrieren und ein Arbeitsumfeld schaffen, das sowohl die Gesundheit als auch das Wohlbefinden unserer Ärztinnen und Ärzte fördert.

Bedürfnisse der neuen Generation

Die Generation der heutigen Mediziner hat andere Ansprüche an die Arbeitswelt als ihre Vorgänger. Viele junge Ärztinnen und Ärzte streben eine ausgewogene Work-Life-Balance an. Die unflexiblen Arbeitsbedingungen, die in vielen Kliniken herrschen, stehen im Widerspruch zu diesen Wünschen. Eine Veränderung der Arbeitskultur, die auf Flexibilität und Verständnis für private Belange setzt, ist notwendig, um die Attraktivität des Berufs zu erhöhen.

Ein weiteres Problem ist die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit, die nach wie vor hauptsächlich von Frauen getragen wird. Um eine gerechte Aufteilung zu erreichen, müssen sowohl Männer als auch Frauen die Verantwortung für Haushalt und Erziehung gleichermaßen übernehmen.

10 geforderte Thesen der Sektion BerufsLEBEN des Jungen Forum O und U [adaptiert nach 1, 2]

  1. Elternzeit und Teilzeitarbeit sind für alle Arbeitnehmer selbstverständlich möglich.
  2. Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben erfordert das Einhalten von Arbeitszeiten und offene Kommunikation, auch für Vollzeitkräfte.
  3. Kliniken sollten Teilzeitkonzepte entwickeln, die klare Aufgabenverteilungen und Übergaben berücksichtigen.
  4. Teilzeitkräfte dürfen bezüglich Weiterbildung und Karrierechancen nicht benachteiligt werden und müssen operativ tätig sein können.
  5. Homeoffice-Möglichkeiten sind auszubauen.
  6. Die konsequente Umsetzung des Konsensuspapiers OPidS ist erforderlich.
  7. Während der Schwangerschaft muss eine Unterstützung des Teams für die Dienste gewährleistet sein.
  8. Temporär freiwerdende Stellen müssen umgehend durch neue Kolleginnen und Kollegen in Elternzeitvertretung nachbesetzt werden.
  9. Elternzeit kann für Fort- und Weiterbildung genutzt werden; das Fortbildungsbudget sollte auch dafür eingeplant werden.
  10. Klinikinterne Abläufe für den Wiedereinstieg nach und das Ausscheiden in die Elternzeit sollten entwickelt werden, um das Team zu entlasten.

Teilzeitmodelle als Lösung?

Im Fach Chirurgie stehen Fachkräfte vor besonderen Herausforderungen, die den Arbeitsalltag oft unvorhersehbar und belastend gestalten. Der oft schlecht planbare Verlauf eines OP-Tages, die Notwendigkeit, auf akute Notfälle schnell zu reagieren und die Unmöglichkeit, einfach „den Haken fallen zu lassen“, wenn die Arbeit nicht erledigt ist, erfordern ein hohes Maß an Flexibilität und Engagement.

Um den Herausforderungen zu begegnen können verschiedene Teilzeitmodelle in Betracht gezogen werden. Das klassische Teilzeitmodell mit täglicher Stundenreduzierung bietet eine einfache Handhabung, stößt jedoch in der Praxis häufig an Grenzen. Die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle, die sowohl an den realistischen Arbeitsalltag als auch an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden angepasst sind, können die Situation verbessern vgl. Tabelle 1. Essenziell ist, dass Teilzeitkräfte keine Benachteiligung erfahren, insbesondere in Bezug auf Weiterbildung und Karrierechancen. Ein weiteres Modell verteilt die wöchentliche Arbeitszeit auf variable Tage, was den Beschäftigten mehr Freiraum gibt. Auch innovative Ansätze wie Jobsharing und Teamarbeit könnten dazu beitragen, die Arbeitslast besser zu verteilen und gleichzeitig die Teamdynamik zu stärken vgl. Tabelle 1.

Tab. 1: Übersicht verschiedener Teilzeitmodelle, zur Verfügung gestellt von Dr. Lisa Rosch – AN: Arbeitnehmer; AG: Arbeitgeber, publiziert in [4]

Teilzeitmodell

Beschreibung

Pro

Contra

Classic

Das klassische Modell mit täglicher Stundenreduzierung.

regelmäßige Arbeitszeit, planbar für AG und AN

keine Dienste möglich, kaum OP-Tage

Classic Vario

Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 2 bis 5 Tage mit Variation der wöchentlichen oder monatlichen Stundenzahl.

hohe Flexibilität für AN und AG

begrenzte Integration in das Dienstsystem, wenig OP-Tage

Jobsharing

Zwei AN teilen sich eigenverantwortlich eine Stelle. Dies ist besonders für Führungskräfte geeignet.

hohe Flexibilität für AN

Vertrauensverhältnis nötig

Team

Es wird nur vorgegeben, wie viele Mitarbeiter anwesend sein müssen, die Arbeitszeiten werden im Team abgestimmt.

sehr hohe Flexibilität, kann bei klaren Vorgaben zu hoher Zufriedenheit der AN führen

Schnittstellenprobleme

Invest

Man arbeitet in Vollzeit und füllt sich damit ein Guthaben-Zeitkonto, um ein Sabbatical herauszuarbeiten.

ermöglicht längere Auszeit/Sabbatical bei verlässlicher Bezahlung

Umsetzung für AG im Stellenschlüssel schwierig

Ein „Vorleben“ von Teilzeitmodellen, insbesondere durch weibliche Vorbilder in Führungspositionen, kann dazu beitragen, dass mehr junge Ärztinnen und Ärzte den Schritt in eine familienfreundliche Arbeitswelt wagen. Die positive Erfahrung, Beruf und Privatleben erfolgreich zu verbinden, wird nicht nur die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erhöhen, sondern auch die Bindung an den Standort stärken.

Ausblick

Die Veränderungen der Arbeitsbedingungen sind nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance für die chirurgische Disziplin, sich neu zu positionieren.

Es ist wichtig, den Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln, dass die Einstellung von Teilzeitkräften nicht als Bedrohung für die Vollzeitkräfte betrachtet werden sollte, sondern vielmehr als Chance, offene Stellen zu besetzen und die Arbeitslast zu verteilen. Angesichts des massiven Chirurgenmangels ist es entscheidend, dass wir Teilzeitkräfte nicht als Konkurrenz sehen, die Vollzeitstellen blockieren, sondern als notwendige Ergänzung, um die bestehende Versorgung sicherzustellen. Oftmals sind Stellen unbesetzt, und die Realität ist, dass eine 100%-Kraft nicht alle Aufgaben allein bewältigen kann.

Die Perspektive zu ändern und die Akzeptanz für Teilzeitarbeit zu fördern, ist von zentraler Bedeutung. Diese Veränderung erfordert einen kulturellen Wandel innerhalb der chirurgischen Gemeinschaft, in dem die Vorteile von Teilzeitmodellen und die Notwendigkeit, Personal angemessen zu planen, erkannt und geschätzt werden. Nur so können wir eine zukunftsfähige und nachhaltige Arbeitsumgebung schaffen, die den Herausforderungen der Chirurgie gerecht wird. Arbeitgeber sollten nicht nur den gesetzlichen Anforderungen nachkommen, sondern auch aktiv an der Schaffung lebensfreundlicher Arbeitsbedingungen arbeiten. Dass nachhaltige Qualität in der Patientenversorgung und eine gesunde Wirtschaftlichkeit nicht durch Überlastung und Ausbeutung erreicht werden können, versteht sich von selbst.

Die Chirurgie ist eine facettenreiche Welt, die es verdient, dass wir die Ressourcen und das Potenzial unserer Ärztinnen und Ärzte optimal nutzen – indem wir sie von zeitaufwändigen administrativen Aufgaben und überbordenden Überstunden entlasten und ihnen die Möglichkeit geben, sich auf ihre wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren, um letztlich die Vereinbarkeit von Beruf, Privatleben und Familie zu fördern.

Literatur

[1]   Samland M, Rosch L, Hofmann A, Rommelfanger G, Grimaldi G. Sektion Familie und Beruf: Das System läuft nicht rund. 10 provokante Thesen. Z Orthop Unfall. 2021 Jun;159(3):249-251
[2]   Rommelfanger G, Samland M, Hofmann A. Es gibt auch noch ein Leben neben dem Beruf. Aus der JFOU-Sektion „Familie und Beruf“ wurde „BerufsLEBEN“. Orth Unfallchir 2023; 13 (2). 19-21.
[3]   Rommelfanger G, Samland M. Gute Chirurginnen und Chirurgen brauchen einen „Ausgleich“. Die Unfallchirurgie / Ausgabe 4/2023. DOI: doi.org/10.1007/s00113-022-01273-x.
[4]   Samland M, Hofmann A. Arbeitszeitmodelle – ein Wunschkonzert? Ärzteblatt Sachsen, Heft 11/2022, S. 16-19. Herausgeber: Sächsische Landesärztekammer.

Weiterführende Literatur

  • Samland M; Junges Forum O und U. Spezialisiert in der Unfallchirurgie – kein einfacher Weg. Unfallchirurgie (Heidelb). 2024 Dec 9. German. doi: 10.1007/s00113-024-01509-y.
  • Rommelfanger G, Hofmann A, Rosch L, Samland M. Was Familienplanung bedeutet. Checkliste Elternzeit in O und U. Orth Unfallchir 2024; 14 (1), S.38-39. doi: https://doi.org/10.1007/s41785-023-4313-1.
  • Hofmann A, Samland M, Rosch L, Rommelfanger G. Quo vadis: New Work, Elternzeit, Wiedereinstieg und Teilzeit – Ergebnisse der Jahresumfrage des Jungen Forums O und U 2022. Z Orthop Unfall. 2023 Dec;161(6):599-602. German. doi: 10.1055/a-2151-7733.
  • Samland M. Zeit für das Wesentliche. Checkliste für Teilzeitarbeitsmodelle. Orth Unfallchir 2023; 13 (5). S. 45-47. doi: https://doi.org/10.1007/s41785-023-3927-7.
  • Rosch L, Rommelfanger G, Samland M, Hofmann A. Mit Struktur und Gelassenheit die Schwangerschaft planen. Neu veröffentlichte Checkliste der Sektion BerufsLEBEN des JFOU. Orth Unfallchir 2023; 13 (6). S. 42-43. doi: https://doi.org/10.1007/s41785-023-3981-1.
  • Samland M. Mitarbeitergewinnung, Mitarbeiterpflege und Mitarbeiterbindung: ein Appell. Z Orthop Unfall. 2022 Dec;160(6):616-617. German. doi: 10.1055/a-1483-0132.
  • Herbolzheimer M, Samland M, Hättich A. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1959-7378 Homeoffice in O und U – ein Versuch wert. Z Orthop Unfall. 2023 Feb;161(1):14-15. German. DOI: 10.1055/a-1959-7378.

Dr. med. Marie Samland

Ärztin in Weiterbildung

Orthopädie und Unfallchirurgie

Stellv. Landesvorsitzende BVOU und BDC|Berlin

Leitung Öffentlichkeitsarbeit Junges Forum O und U

jf@marsam.de

Chirurgie

Samland M: Chirurgie im Wandel: Für lebensfreundliche Arbeitsbedingungen. Passion Chirurgie. 2025 März; 15(03/QI): Artikel 03_01.

Mehr zum Thema „Nachwuchs und Karrieregestaltung“ lesen Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Aus- und Weiterbildung.