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Als deutscher Chirurg in Dubai – eine ambivalente Betrachtung

Als mit Abstand dienstältester deutscher Chirurg in den Vereinigten Arabischen Emiraten habe ich nach 15 Jahren meine Tätigkeit in Dubai als Head Dept. of Surgery & Medical Director am Cedars Jebel Ali International Hospital beendet.

Was hat mich auf die arabische Halbinsel geführt? Zunächst die Einsicht, dass ich nach mehr als 20-jähriger Tätigkeit am Krankenhaus Stuttgart-Bad Cannstatt noch nicht reif für die erzwungene berufliche Untätigkeit war, zum anderen sicherlich eine gewisse Abenteuerlust, die mich bereits 1966 bis 68 während des Biafra-Krieges als Chirurg und Geburtshelfer nach Nigeria geführt hatte und 1980 während des kambodschanischen Bürgerkriegs in ein Feldlazarett des Internationalen Roten Kreuzes.

Nachdem ich 2003 einer Einladung an ein Hospital in Muscat, im Sultanat Oman, gefolgt war, das allerdings wenig chirurgische Entwicklungsmöglichkeiten bot, erhielt ich Anfang 2004 das Angebot, in Dubai an der Umwandlung und dem Ausbau der einzigen zur Jebel Ali Free Zone gehörigen Klinik (Clinic = nur ambulante Behandlung) zu einem Hospital mitzuwirken.

Hospital

Die Hospitallandschaft war 2004 in Dubai noch wenig entwickelt, so gab es in Jebel Ali, einem damals noch räumlich getrennten Vorort Dubais, überhaupt kein Hospital, das nächstgelegene war 30 km entfernt. Somit war die Idee einer Hospitalgründung dort überfällig. Die Jebel Ali Free Zone beherbergte damals bereits ca. 2.000 Firmen (heute fast 8.000), sie wurde 1985 am neu geschaffenen Jebel Ali Hafen gegründet um ausländische Investoren anzulocken. Unterdessen wurde dieses Modell dutzendfach in Dubai und in den übrigen Emiraten kopiert. In diesen Freihandelszonen dürfen die ausländischen Firmen 100 % des Kapitals besitzen, während außerhalb davon immer 51 % in der Hand von emiratischen Sponsoren liegen muss, die damit in letzter Konsequenz das Sagen haben!

Nach Auslagerung der Verwaltung konnten durch Um- und Anbauten 18 Betten, davon zwei Intensivbetten, zwei OPs und ein OP für kleinere Eingriffe geschaffen werden. Die große Ambulanz blieb weiter bestehen. Nach Akkreditierung durch die Dubai Health Authority konnten wir bereits im Herbst 2004 mit dem Hospitalbetrieb beginnen. Unsere Einzugsgebiete waren die Free Zone, der Hafen und die umliegenden Wohngebiete und Hotels. Auf Grund unseres Alleinstellungsmerkmals wurde das Hospital rasch stark frequentiert, sodass wir bereits 2008 ein jährliches Volumen von nahezu 1.000 Operationen in Allgemein- bzw. Peridural-/Spinal-Anästhesie und mehr als 3.000 kleinere Eingriffe und Wundversorgungen in Lokal- bzw. Leitungsanästhesie erreicht hatten. Die verfügbaren 18 Betten, die interdisziplinär (d. h. auch durch Innere Medizin und Pädiatrie) genutzt wurden, wurden bei einer durch die Versicherungen diktierten durchschnittlichen Liegezeit von nur 1,5 Tagen (z. B. Appendektomie = 1 Tag, Cholezystektomie = 2 Tage) unserem Bedarf gerecht.

Unser Vorhaben eines 100-Betten-Hospitalneubaus, der in Kooperation mit dem Klinikum Stuttgart und dem Universitätsklinikum Tübingen mit deutschen Ärzten im Rotationsverfahren betrieben werden sollte, fiel leider der Weltfinanzkrise zum Opfer, nachdem die involvierte kanadische Investorengruppe wegen finanzieller Probleme aussteigen musste. Der Plan, in der Jebel Ali Free Zone ein deutsches Medizintechnik-Zentrum mit zahlreichen Firmen unter einem Dach zu realisieren, der von den von uns ins Auge gefassten Firmen mit großem Interesse aufgenommen wurde, musste ebenfalls aufgegeben werden.

Ärzteteam

Unser Team bestand im Durchschnitt aus ca. 20 bis 25 ÄrztInnen der verschiedenen Fachrichtungen aus etwa 12 Nationen (Ägypten, Bulgarien, Deutschland, Indien, Irak, Iran, Jordanien, Libanon, Pakistan, Philippinen, Rumänien, Sudan), wobei die interkulturelle Zusammenarbeit absolut problemlos war.

Für die Chirurgie war ich zunächst allein zuständig, 2005 stieß dann ein libanesischer Kollege hinzu, der ebenfalls in Tübingen studiert und nach seiner Facharztausbildung mehr als zehn Jahre in Deutschland gearbeitet hatte. 15 Jahre lang hatte er dann während des libanesischen Bürgerkriegs Kriegschirurgie betrieben und war ebenfalls noch nicht reif für den Ruhestand. Unsere gemeinsamen chirurgischen Wurzeln und seine fachlichen und menschlichen Qualitäten waren die ideale Basis für unser erfolgreiches chirurgisches Arbeiten. 14 Jahre lang haben wir uns als Tandem die operative 24h/7 Tage-Präsenz geteilt!

Da private Hospitäler in Dubai keine Ausbildungsermächtigung hatten, waren wir ohne chirurgische Assistenten, sodass sämtliche operativen Eingriffe (mit Ausnahme der orthopädisch-traumatologischen) allein von uns beiden durchgeführt wurden, wobei wir nahezu ausschließlich nur mit OP-Schwestern/Pflegern operierten und uns nur bei schwierigen Eingriffen gegenseitig assistierten. Auch die postoperative Nachbehandlung lag allein in unseren Händen, mit dem Ergebnis, dass wir eine absolut lückenlose Kontrolle über den Behandlungsverlauf hatten.

Ermöglicht wurden das Spektrum und die Intensität unserer chirurgischen Arbeit durch unseren indischen Anästhesisten, einen wirklich einzigartigen Kollegen mit hoher fachlicher Kompetenz und unermüdlicher Schaffenskraft. Sein plötzlicher, früher Tod im Jahre 2012 machte uns seine Unersetzlichkeit bewusst. Er hinterließ eine Lücke, die nie mehr wirklich zu schließen war.

Pflegepersonal

90 Prozent unserer Schwestern und Pfleger stammten aus Indien, und zwar ausschließlich aus dem südindischen Bundesstaat Kerala, der mit sechs Mio. die größte christliche Population (nahezu 20 %) in Indien hat. Der Glaube wird sehr intensiv gelebt und die Erziehung zu christlicher Nächstenliebe wird von zehntausenden Ordensschwestern vorgelebt, die in Schulen und in der Krankenpflege tätig sind. Dies generiert ein großes Reservoir von hochmotivierten Schwestern und Pflegern. Mir wurde erst in Dubai bewusst, welche Bedeutung der christliche Glaube für den Pflegeberuf hat. Das Gleiche galt für die 10 % unserer philippinischen Pflegekräfte aus einem mehrheitlich katholischen Land.

Unsere Patienten

Eine Analyse unserer Patientenklientel spiegelt zum einen die Situation in unserem Haupteinzugsgebiet wider und zum anderen Dubais Multinationalität. Die Auflistung der Nationalitäten von über 5.000 zwischen 2004 und 2013 von uns operierten Patienten (Indien 36,2 %, Philippinen 10,4 %, Pakistan 9,4 %, Bangladesh 4,5 %, Ägypten 3,9 %, Nepal 3,6 %, Sri Lanka 3,1 %) zeigt, dass 70 % in die Kategorie der einfachen Arbeiter aus der Free Zone, dem Hafen und den umliegenden Baustellen gehörten. Insgesamt stammten unsere Patienten aus 102 Nationen, wobei Deutsche mit gerade einmal 2,1 % vertreten waren. Diese Patientenkonstellation macht deutlich, dass unser Hospital der Zufluchtsort für das Heer der Arbeiter aus dem 1.000 bis 2.000 Dirham (ca. 250 bis 500 Euro)-Niedriglohnsektor war, dem 50 % der Beschäftigten angehören, da wir im Gegensatz zu den meisten anderen Hospitälern keine „pekuniäre“ Patientenselektion betrieben. Über 90 % unserer operierten Patienten waren männlich, das Durchschnittsalter lag unter 30 Jahren.

Da in Dubai erst ab 2014 eine obligatorische Krankenversicherung eingeführt wurde, lag es zuvor im Ermessen des Arbeitgebers, ob er sich zur Kostenübernahme bereit erklärte oder, um Kosten zu sparen, darauf bestand, den Patienten – auch mit z. B. einer akuten Appendizitis – in sein Heimatland zu schicken! Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir in diesem oft Menschen verachtenden Umfeld allein nach medizinischer Notwendigkeit und ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Status des Patienten und ohne finanzielle Vorleistung die Therapieentscheidung treffen konnten. Dies machte unser Hospital zu etwas Besonderem und unsere Arbeit so ungemein befriedigend!

Operatives Spektrum

Dringliche Abdominalchirurgie, Proktologie, Hernien, entzündliche Weichteilprozesse und Traumatologie stellten die Schwerpunkte unserer chirurgischen Tätigkeit dar. Beim akuten Abdomen fand sich eine oft beträchtliche Diagnose- und Therapieverschleppung, bedingt durch die Lebens- und Arbeitsbedingungen unserer Patienten, die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes und die ethnisch bedingte oft höhere Schmerztoleranz. So wies das Appendizitis-Spektrum im Vergleich zu Deutschland einen deutlich höheren Anteil an fortgeschrittenen Entzündungsstadien auf [1, 2].

Aufgrund unserer begrenzten personellen und technischen Voraussetzungen und unserer persönlichen Präferenz praktizierten wir die Abdominalchirurgie im Regelfall offen, lediglich die Cholezystektomie erfolgte standardmäßig laparoskopisch.

Allgemeine Rahmenbedingungen

Größte fachliche Herausforderung und enorme psychische Belastung war unsere Letztverantwortlichkeit für die Behandlung, da praktisch keine Möglichkeit bestand, einen Patienten an ein anderes, fachlich besser und breiter ausgestattetes Hospital zu verlegen. Sobald ein Patient unsere Schwelle überschritten hatte, waren wir „letzte Instanz“, da kein anderes Hospital bereit war, einen Patienten in kritischem Zustand oder mit infauster Prognose zu übernehmen. Diese fehlende Kollegialität war in erster Linie durch die Furcht vor möglichen juristischen Konsequenzen im Falle eines fatalen Verlaufs bedingt. Und sollte sich tatsächlich ein Kollege zur Übernahme eines Patienten bereit erklären, dann kam in der Regel das Veto der Hospitaladministration („kein Bett verfügbar“). Diese Ablehnungsstrategie wurde auch von den staatlichen Hospitälern verfolgt und unsere gesamten Bemühungen, durch Einschaltung der Dubai Health Authority (DHA) als Regulierungsinstanz eine Änderung zu erzielen, verliefen frustran. Ein großes Problem stellte auch das Fehlen einer eigenen Blutbank dar (für Privathospitäler nicht zulässig), inbesondere bei Abdominaltraumen [3], da wir jeweils nur einige wenige Konserven vorhalten konnten und da die rasche Beschaffung bei unserer dezentralen Lage ein erhebliches logistisches Problem darstellte.

Arbeitsspezifisches persönliches Risiko

Das „Damoklesschwert“ einer Anklage wegen eines Behandlungsfehlers mit tödlichem Ausgang hängt unablässig über jedem in Dubai tätigen Chirurgen! Die unmittelbare Folge in einem solchen Fall: Vorladung bei der Polizei mit entwürdigender erkennungsdienstlicher Prozedur wie bei jedem Verbrecher und sofortiger Pass-Entzug! Die Konsequenz: Man kann das Land nur noch verlassen, wenn man den eigenen Pass im Austausch gegen die Hinterlegung des Passes einer anderen Person temporär zurückerhält.

Da es keine Gutachterkommission und keine ärztliche Schlichtungsstelle gibt, landet jeder Behandlungsfehlervorwurf direkt bei der Staatsanwaltschaft und bei begründetem Sachverhalt vor Gericht. Im Falle einer Verurteilung wegen eines Behandlungsfehlers mit Todesfolge sind 200.000 Dirham (ca. 50.000 Euro) Blutgeld fällig, außerdem sind der Verlust der ärztlichen Lizenz und Gefängnis möglich. Bei Verurteilung wegen eines schuldhaften Behandlungsfehlers (Malpractice) liegt ein sog. „criminal case“ vor, der die Krankenhaushaftpflichtversicherung von der Schadensregulierung befreit!

Welch absurde Anklagen zugelassen werden und welche Folgen dies für die behandelnden Ärzte haben kann, haben wir in der eigenen Klinik erlebt: Ein zehnjähriger Junge hatte sich bei einem Sturz vom Fahrrad an einem spitzen Hindernis eine tiefe Wunde in der Leiste mit Zerreißung der Femoroilikalgefäße zugezogen. Mit langer zeitlicher Verzögerung und Abweisung durch eine Unfallort-nahe Klinik brachte der Vater den Jungen schließlich im tiefen hämorrhagischen Schock in unser Hopital (Hb bei der Aufnahme 2.0 g %!). Es erfolgte manuelle Tamponade der bereits nicht mehr blutenden Wunde, sofortige Intubation und Beatmung und Transfusion der einzigen verfügbaren Blutkonserve über einen zentralen Venenkatheter; schließlich folgte der Tod durch irreversiblen Herzstillstand. Der Anklage wegen Behandlungsfehler durch den Vater (Hauptanklagepunkt: das Legen des zentralen Venenkatheters), um Blutgeld zu erhalten, wurde von der Staatsanwaltschaft stattgegeben. Die Folge für unseren involvierten Anästhesisten und meinen chirurgischen Kollegen: sechs Monate Passentzug bis die Staatsanwaltschaft schließlich nach einem von uns erstrittenen externen Gutachten aus Abu Dhabi die Anklage fallen ließ.

Dieses Beispiel mag exemplarisch verdeutlichen, dass Chirurgie in Dubai ggf. einem „Drahtseilakt ohne Netz“ gleicht! Vor allem das islamische Blutgeld, dessen Zahlung nicht auf Moslems beschränkt ist, weckt Begehrlichkeiten und Advokaten befeuern dies natürlich!

Anmerkungen zu Dubais Gesundheitswesen

Da das Gesundheitswesen Dubais und der übrigen Emirate völlig unreguliert und nicht am Bedarf orientiert ist, führen Hunderte kleiner Kliniken einen ruinösen Wettbewerb miteinander, das Gleiche gilt für die Hospitäler, die wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, da man lukrative Geschäfte gewittert hat – eben „Business à la Dubai“! Zunehmend hat sich der Fokus natürlich auf die lukrative Lifestyle-Chirurgie (> 70 % der 40- bis 65-jährigen Frauen lassen sich Botox injizieren) und, bei einer extrem hohen Übergewichtigkeitsrate von 67,8 % bei Erwachsenen und 35,8 % bei Kindern (Stand 2018) bzw. 50 % der 18-jährigen und 72 % der 18-29-jährigen Emiratis (Stand 2019), auf die bariatrische Chirurgie verlagert, für die sogar mit großflächigen Plakaten („Book for your Tummy tuck“) entlang der Stadtautobahn geworben wird. Auf Grund des ruinösen Wettbewerbs sind viele Kliniken und Hospitäler in finanzielle Schieflage geraten.

Verschärfend kommt hinzu, dass die ebenfalls in einem harten Wettbewerb miteinander stehenden Krankenversicherungen in den letzten Jahren die Kostenerstattung in bis zu 20 % (wenn nicht sogar in 30 %) der Fälle mit nicht nachvollziehbaren Begründungen verweigern. Nicht nachvollziehbar deshalb, weil vor jeder einzelnen diagnostischen oder therapeutischen Leistung erst die Genehmigung der Versicherung eingeholt werden muss, auch in Notfällen! Von der Dubai Health Authority als eigentlich übergeordneter Behörde kommt im Kampf mit den Versicherungen keinerlei Unterstützung, wie wir aus eigener leidvoller Erfahrung wissen. Damit können die Versicherungen (in der Regel kontrolliert von Emiratis) mit den Leistungserbringern nach Belieben umspringen, darauf vertrauend, dass der gerichtliche Klageweg nicht beschritten wird, da er Jahre dauert! Dieser unhaltbare Zustand wurde jetzt sogar – für Dubai absolut ungewöhnlich, da ja auch das Government betroffen ist – erstmals in der Presse zur Sprache gebracht! Der Wildwuchs im Medizinsektor und die zunehmende Strangulierung durch die Versicherungen haben zur Folge, dass unrentable Kliniken und Hospitäler reihenweise von einigen großen, meist indischen Krankenhauskonzernen geschluckt werden, die natürlich besser in der Lage sind, ihre Marktmacht gegenüber den Versicherungen auszuspielen. Pikant ist dabei, dass eine der größten Krankenversicherungen zu einem der großen Krankenhauskonzerne zu gehören scheint, ein rechtlich sicherlich höchst fragwürdiges Konstrukt!

Das jetzt von der Regierung ausgerufene Ziel, Dubai zu einem Global Player im Gesundheitstourismus zu machen, vergleichbar etwa mit Deutschland, Bangkok, Singapur oder der Türkei, halte ich für eine Utopie, da es in Dubai keine eigenständige Medizin aus einer Hand gibt, weil sämtliche Akteure – Ärzte und Pflegepersonal (auch in den Government-Hospitälern sind weniger als 5 % der Pflegekräfte Einheimische) – aus vielen Nationen zusammengewürfelt sind und da das Preisniveau nicht konkurrenzfähig ist. Der Dubai-Tourismusboom lässt sich eben nicht so einfach in die Kliniken umleiten! Attraktiv könnte der Standort lediglich für Patienten aus dem näheren arabischen Raum und aus Afrika sein.

Obgleich das chirurgische Spektrum in den United Arab Emirates (UAE) unterdessen einen hohen Standard erreicht hat – in der Cleveland Clinic in Abu Dhabi werden mittlerweile Lebern, Herzen und Lungen transplantiert – fahren Emiratis, die es sich leisten können, weiterhin ins Ausland, denn die Behandlung in Deutschland genießt nach wie vor eine hohe Akzeptanz.

Schlussbetrachtung

So hoch der Stellenwert ist, den die deutsche Chirurgie in Dubai hat, so wenig hilft dies in der Regel dem hier tätigen deutschen Chirurgen, seine Vorstellungen zu verwirklichen. Zu mächtig ist die zahlenmäßige Dominanz und damit der Einfluss der indischen und arabischen Kollegen an den Kliniken mit meist indischen oder arabischen Eignern, sodass es für die Deutschen meist bei einem kurzen, oft frustrierenden Abstecher bleibt.

Vorbei sind Gott sei Dank die absurden unseligen Zeiten, als deutsche Chirurgen für ein paar Tage zu Operationen anreisten und über Annoncen in der Lokalpresse um Buchung baten! Unser monatlicher deutscher Ärztestammtisch war ideale Nachrichtenbörse und Barometer für die Veränderungen, die im Laufe der Jahre hinsichtlich der abnehmenden Präsenz deutscher Ärzte in Dubai eintraten. Bereits 2012 hatte ich die allgemeinen Rahmenbedingungen für deutsche Chirurgen in Dubai („cum grano salis“ gilt dies auch für die übrigen Emirate) für Passion Chirurgie analysiert [4] und dabei festgestellt, dass nur einige wenige für längere Zeit hier tätig sind (im Durchschnitt ein bis zwei Jahre), da sich die überzogenen Vorstellungen vom „goldenen Wunderland“ nicht bewahrheiteten und häufig die Integration in ein multinationales/kulturelles Team misslang.

Mein damaliges Fazit gilt auf Grund der inzwischen eingetretenen Veränderungen heute umso mehr: Für deutsche Chirurgen im berufsfähigen Alter, die in Deutschland etabliert sind, bieten die Emirate keine verlässliche Langzeitperspektive. Eine zeitlich befristete Tätigkeit, mit der Intention einen neuen Kulturkreis kennenzulernen, kann eine akzeptable Option sein. Für Chirurgen im Ruhestand bieten die Emirate die attraktive Möglichkeit, ihren Erfahrungsschatz auch unter schwierigen Bedingungen effektiv einzubringen und daraus Befriedigung zu ziehen – unter der Voraussetzung, dass die interkulturelle Zusammenarbeit funktioniert!

Mein eigener Langzeitaufenthalt ergab sich aus ungewöhnlich glücklichen Umständen abseits der geschilderten Dubai-Realität! Ich hatte freie Hand, unser Hospital und die Chirurgie nach meinen Vorstellungen aufzubauen, ein Team zu formen und eine ganz spezifische Arbeitsatmosphäre zu schaffen, basierend auf Vertrauen und gegenseitiger Achtung, und zwar unter Einbeziehung sämtlicher Mitarbeiter. Dies schuf einen ganz spezifischen Teamgeist und gab allen das Gefühl, zu einer großen Familie zu gehören. Es fiel mir sehr schwer, diesen mir ans Herz gewachsenen Kreis nach 15 Jahren zu verlassen!

Abseits der Medizin hat mir mein Ausflug an den Arabischen/Persischen Golf tiefe Einblicke in einen mir bislang nicht bekannten Kulturkreis vermittelt. Dubai an der Nahtstelle zum indischen Subkontinent, kosmopolitischer Nabel der arabischen Halbinsel und Drehkreuz der Region war das ideale Schaufenster, um die Mentalitäten der unterschiedlichsten Nationen kennenzulernen und die Interaktion mit unseren Mitarbeitern und Patienten war eine tägliche multikulturelle Lehrstunde.

Politisch gesehen fielen meine 15 dortigen Jahre in eine Phase fundamentaler Veränderungen in der arabischen Welt, ausgelöst durch den sogenannten „Arabischen Frühling“ und in Dubai hatte ich als Beobachter quasi einen Logenplatz. Um einen nachhaltigeren Einblick in die Geschehnisse zu gewinnen, habe ich, sozusagen als Hobby, 15 Jahre lang Tag für Tag die lokale Presse ausgewertet und kommentiert. Das daraus entstandene Konvolut von fast 2.200 Seiten hat viele interessierte Leser zuhause gefunden. Bei Interesse stelle ich dieses Zeitdokument gerne zur Verfügung.

Meine Familie hat meine Ruhestands-Auszeit nicht nur ertragen, sondern bei vielen Besuchen auch genossen, bot meine Verankerung dort doch die einzigartige Gelegenheit, eine fremde Welt kennenzulernen und dabei auch hinter die Kulissen zu blicken. Dies auch in Bezug auf die Medizin, da zwei unserer Kinder einen Teil ihrer Famulaturen an unserer Klinik absolvierten, wie diese Möglichkeit von mehreren anderen deutschen Studenten (Famulatur und PJ) wahrgenommen wurde.

Meine Freizeit verbrachte ich abseits der Künstlichkeit und Hektik Dubais in der Wüste und den Bergen im Hinterland, vor allem aber in der Einsamkeit und Ursprünglichkeit des Sultanats Oman, einem Offroad-Paradies schlechthin! Dessen Berge, Wadis und Wüsten habe ich mir auf mehr als 50 Reisen kreuz und quer erschlossen – wenn ohne Familie – allein mit Zelt unterwegs.

Mein Resumee nach 15 Jahren des „aktiven Ruhestands“: Mir hätte nichts Besseres passieren können! Es war eine fachlich hochinteressante, ungemein befriedigende Schaffensperiode und das Gefühl, als „altes Eisen“ noch gebraucht zu werden oder gar „unersetzlich“ zu sein, ließ das Älterwerden vergessen, da ich gar keine Zeit hatte, darüber nachzudenken!

Deshalb mein Rat an alle chirurgischen „Silberrücken“, die sich mental und physisch noch gesund fühlen: Ziehen Sie sich nicht in die fachliche Untätigkeit zurück, sondern suchen Sie sich eine interessante Herausforderung, um Ihren beruflichen Wissensschatz irgendwo auf der Welt einzubringen, wo er gebraucht wird und Früchte tragen kann!

Literatur

[1] G. Kieninger, A. Hassan, Ch. Kieninger: Appendizitis-Spektrum in Dubai. Analyse von 1266 Appendektomien. Passion Chirurgie, 2014, Oktober, 4(10), Artikel 09_02

[2] G. Kieninger, P. Shah, A. Hassan, Ch. Kieninger: Gangraenoese Appendizitis? Chirurg 85,711-713 (2014)

[3] G. Kieninger, A. Hassan, I. Ognyan, K.S.P. Rao+: Perforierendes Abdominaltrauma mit Cava- und Nierenvenenruptur. CHAZ 15, 620-622 (2014)

[4] G. Kieninger: Deutsche Chirurgen im Ausland. Fachexkursion des BDC nach Dubai. Passion Chirurgie,2/2013

Kieninger G: Als deutscher Chirurg in Dubai – eine ambivalente Betrachtung. Passion Chirurgie. 2019 Oktober, 9(10): Artikel 09.

Ungewöhnliche chirurgische Komplikation einer Askaridiasis

Die Askaradiasis spielt in Deutschland aufgrund des hier gegebenen Hygienestandards medizinisch praktisch keine Rolle mehr. Ganz anders ist die Situation jedoch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit Millionen von Gastarbeitern aus unterentwickelten Weltregionen, insbesondere vom indischen Subkontinent. Aber auch in Deutschland kann die Askaridiasis, vor allem bei Zuwanderern, ein Problem darstellen.

Anamnese und klinischer Befund

Am 31. März 2013 wurde ein 35-jähriger Patient aus Bangladesch wegen seit einem Tag bestehender akuter rechtsseitiger Unterbauchschmerzen mit Erbrechen stationär aufgenommen. Es bestanden keine abdominellen Vorerkrankungen.

Es fand sich das klassische Bild einer akuten Appendizitis mit Druckschmerzhaftig-keit und Abwehrsspannung am McBurney und einer Leukozytose von 14,900, Alvaradoscore 10.

Therapie und Verlauf

Bei der Appendektomie über einen Unterbauchwechselschnitt entleerte sich nach Eröffnen des Peritoneums eine große Menge nicht riechender Eiter, es fand sich eine akute phlegmonöse, retrozökale Appendizitis mit umschriebener Peritonitis. Aufgrund der lokalen Peritonitis bestand eine entzündliche Mitbeteiligung des terminalen Ileums, das mit der vorderen Bauchwand fibrinös verklebt war. Die Verklebungen wurden gelöst, nach Appendektomie erfolgte die ausgiebige Spülung des Operationsgebietes mit Betaisadona/Kochsalzlösung.

Postoperativ entwickelte der Patient einen Ileus, der jedoch unter konservativer Behandlung abklang. Am 8. April musste ein ausgedehnter Bauchdeckenabszess eröffnet werden. Durch ein CT war zuvor ein intraabdomineller Abszess ausgeschlossen worden. Am 11. April erfolgte die Entlassung mit sekundär heilender Wunde. Beim Verbandswechsel am 14.April fand sich ein zu unserer völligen Überraschung vitaler Askaride unter dem Verband (Abb. 1), im Zentrum der granulierenden Wunde zeigte sich die Wurmaustrittsstelle (Abb. 2). Die Sekundärheilung der Wunde zog sich noch bis August 2013 hin.

Nach einer zweitägigen Wurmkur mit Albendazol 400 mg wurden keine Askariden im Stuhl ausgeschieden, auch nicht nach einer Wiederholung der Behandlung nach einer Woche. In mehreren Stuhlproben konnten auch keine Wurmeier nachgewiesen werden.

Epikrise

Zum Zeitpunkt der Appendektomie hatte der Askaride die mit der vorderen Bauchwand verklebte terminale Ileumschlinge noch nicht durchbrochen, da wir dies nach Ablösen der Schlinge bemerkt hätten. Ob die lokale rechtsseitige Unter- bauchperitonitis mit reichlich eitrigem Exsudat und fibrinöser Verklebung des terminalen Ileums mit der Bauchwand durch die phlegmonöse Appendizitis bedingt war, wovon wir intraoperativ ausgegangen sind, oder ob sie durch eine simultane Askariden-bedingte Enteritis hervorgerufen war, muss letztlich dahingestellt bleiben. Postoperativ ist die abgelöste Schlinge dann vermutlich mit der Peritonealnaht verklebt, der Wurm hat Darmwand und Peritoneum durchbohrt und den ausgedehnten Bauchdeckenabszess hervorgerufen, bis er sich nach einer Woche schließlich an die Hautoberfläche vorgearbeitet hatte.

Abb.1: Askaride unter dem Wundverband

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Nachdem zwei Wurmkuren keine weiteren Askariden zutage förderten und nachdem in Stuhlproben keine Wurmeier gefunden wurden, muss man davon ausgehen, dass es sich in völlig ungewöhnlicher Weise um ein einzelnes Wurmexemplar gehandelt hat.

Diskussion

Die Askaridiasis ist die häufigste Helmintheninfektion. Sie stellt in vielen Teilen der Welt nach wie vor ein gravierendes Gesundheitsproblem dar. Nach einer Studie aus dem Jahr 1997 sind weltweit ca. 1,3 Milliarden Menschen befallen, wovon 59 Millionen Gesundheitsschäden durch die Askaridiasis erleiden , mit ca. 10.000 Todesfällen pro Jahr. Bei Kindern führt der chronische Askaridenbefall zu Wachstumsstörungen. Die häufigste Akutkomplikation ist der Askaridenileus [1, 17, 18, 19, 20]. Weitere Komplikationen sind Gallenwegs- und Pankreaserkrankungen, ausgelöst durch Einwandern der Askariden in das bilio-pankreatische Gangsystem [3, 5, 7, 8, 10, 12, 16] und die Appendizitis durch Eindringen des Parasiten in die Appendix [1]. Eine sehr seltene Komplikation ist die Dünndarmperforation mit Ansammlung von Askariden in der freien Bauchhöhle, wie wir sie vor fast 50 Jahren mehrfach in Nigeria gesehen haben. Auch mit welcher Vehemenz die Würmer beim Ileus Magensonden blockieren, haben wir erlebt [2]. Aus neuerer Zeit liegen Einzelfallberichte über Askaridenperforationen von Magen, Duodenum und Dünndarm vor [21, 22, 23, 24, 25, 26, 27].

Abb.2: WurmaustrittsstelleOEBPS/images/09_02_A_10_2015_Kieninger_image_02.jpg

Dass es ein Askaride jedoch, wie in unserem Fall, aus dem Dünndarm bis an die Hautoberfläche geschafft hat, allerdings ermöglicht durch die vorausgegangene Laparotomie, ist in der verfügbaren Literatur nirgendwo beschrieben!

Zusammenfassung

Eine Darmperforation durch Askariden ist ein sehr seltenes Ereignis. Bei dem von uns behandelten Patienten kam es nach Appendektomie zur Perforation des Dünndarmes mit Wanderung des Askariden durch die Bauchwand und schließlichem Austritt im Bereich der nach Bauchdeckenabszess sekundär heilenden Laparotomie- wunde. Ein vergleichbarer Fall ist in der Literatur bislang nicht beschrieben.

Literatur

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[2] Andrade RV, Martins M, de Lacerda MV. Fatal cholangitis in a patient with biliary ascaridiasis. Rev Soc Bras Med Trop 2007;40(3):378-379.

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[11] Kieninger G, Madecki O. Die Askaridiasis aus chirurgischer Sicht, unter besonderer Berücksichtigung der Dünndarmperforation. Med Welt 1972;23:59-61.

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[15] Scheidbach H, Schneider C, Delker-Wegener S, Köckerling F. Ascaridiasis as an incidental finding after intraoperative cholangiography during a laparoscopic cholecystectomy. Zentralbl Chir 1999;124(4):344-345.

[16] Schuster DI, Belin RP, Parker JC Jr, Burke JA, Jona JZ. Ascariasis – ist complications, unusual presentations and surgical approaches. South Med J 1977;70(2): 176-178.

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Kieninger G. / Hassan A. Ungewöhnliche chirurgische Komplikation einer Askaridiasis. Passion Chirurgie. 2015 Oktober, 5(10): Artikel 09_02.

Appendizitis-Spektrum in Dubai: Analyse von 1.266 Appendektomien

Nach zehnjähriger chirurgischer Tätigkeit in Dubai erscheint es mir lohnenswert, anhand unseres chirurgischen Krankengutes einen Vergleich des hiesigen Appendizitis-Spektrums mit dem Spektrum in Deutschland vorzunehmen. Die Unterschiede sind aus vielerlei Gründen beträchtlich. Analysiert werden 1.266 Appendektomien des Zeitraumes 9/2004 bis 12/2013.

Klinik und Patienten

Das Einzugsgebiet unserer Klinik ist vorrangig die Jebel Ali Freezone mit ihren über 7.000 Firmen, der Jebel Ali Hafen und die umliegenden Baustellen, Wohngebiete und Hotels. Dies drückt sich in unserer Patientenstruktur aus, die von einfachen Arbeitern dominiert wird.

Entsprechend dem ungewöhnlichen Geschlechterverhältnis in den V.A.E., bedingt durch die überwiegend männlichen ausländischen Arbeitskräfte, waren 83 % unserer 1.266 Patienten männlich und nur 17 % weiblich.

Die Altersverteilung (Tab. 1) spiegelt ebenfalls die ungewöhnliche Bevölkerungsstruktur wider, da überwiegend junge ausländische Arbeitskräfte auf Zeit rekrutiert und dann wieder ausgetauscht werden. Deshalb gehörten 77 % unserer Patienten der Altersgruppe von 21 bis 35 Jahren an. Kinder, Jugendliche und ältere Menschen waren deshalb in unserem Appendektomie-Kollektiv extrem unterrepräsentiert. Das fast vollständige Fehlen alter Patienten hat seine Ursache auch darin, dass der Anteil der einheimischen Bevölkerung in Dubai unter 10 % liegt.

Tab. 1: Altersverteilung der Appendektomie-Patienten

Alter

Anzahl der Operationen

5 – 10 Jahre

9

11 – 15 Jahre

23

16 – 20 Jahre

43

21 – 25 Jahre

295 (23%)

26 – 30 Jahre

350 (30%)

31 – 35 Jahre

300 (24%)

36 – 40 Jahre

85

41 – 45 Jahre

85

46 – 50 Jahre

17

51 – 55 Jahre

15

56 – 60 Jahre

5

61 – 65 Jahre

2

66 – 70 Jahre

0

71 – 75 Jahre

2

Auch die Nationalitäten unseres Patientenkollektivs (Tab. 2) repräsentierten in etwa deren prozentualen Anteil in der Bevölkerung der V.A.E. (Inder 1,5 Millionen, Pakistani 800.000, Filipinos 600.000).

83 % stammten aus acht Nationen, die restlichen 17 %, entsprechend der kosmopolitischen Bevölkerungsstruktur Dubais aus weiteren 52 Nationen. Unser gesamtes chirurgisches Patientenkollektiv der letzten zehn Jahre rekrutierte sich sogar aus 102 Nationen.

Tab. 2: Nationalitäten der Appendektomie-Patienten

Indien

490 (39 %)

Pakistan

155 (12 %)

Philippinen

140 (11 %)

Bangladesch

90 (7 %)

Nepal

61 (5 %)

U.K.

40 (3 %)

Sri Lanka

36 (3 %)

Ägypten

31 (3 %)

 

83 % aus 8 Nationen

 

17 % aus weiteren 52 Nationen

Diagnostik

In Ergänzung der klinischen Evaluation der Appendizitis (unter Verwendung des Alvarado-Scores) und der Labordiagnostik erfolgte in Zweifelsfällen die Sonografie um eine Urolithiasis oder bei Frauen eine Adnexerkrankung auszuschließen.

Operatives Vorgehen

Sämtliche 1.266 Appendektomien erfolgten offen: Bei 1.240 Patienten durch rechtsseitigen Unterbauchwechselschnitt, bei 26 Patienten durch einen Pararektalschnitt, primär oder sekundär durch Umwandlung des Wechselschnitts zur Erweiterung des Zugangs.

Mit Ausnahme der perforierten Appendizitis erfolgte obligatorisch die Dünndarminspektion auf das Vorliegen eines Meckel’schen Divertikels.

Eine Abdominaldrainage wurde in 79 Fällen eingelegt (bei perforierter Appendizitis oder bei eitriger Peritonitis).

Unmittelbar präoperativ erfolgte die einmalige Antibiotika-Gabe. Nur bei perforierter Appendizitis oder bei eitriger Peritonitis wurde die Antibiotika-Behandlung fortgesetzt und in der Regel mit Metronidazol kombiniert.

Sämtliche Appendektomien wurden von lediglich zwei Operateuren durchgeführt, die auch ausnahmslos für die postoperative Betreuung, einschließlich der Fadenentfernung, zuständig waren. Somit waren ein absolut einheitlicher Behandlungs- und Dokumentationsstandard unseres Patientenkollektivs gewährleistet.

Intraoperative Befunde

Die Klassifizierung des Appendizitis-Stadiums erfolgte makroskopisch (Tab. 3), wobei der niedrige Anteil der katarrhalischen Appendizitis und der hohe Anteil fortgeschrittener Appendizitis-Stadien auffallen.

Die histologische Untersuchung der Appendizes wurde in weniger als 10 % der Fälle durchgeführt, da dazu die Kostenübernahmeerklärung der Versicherung erforderlich ist, die aus ökonomischen Gründen fast immer verweigert wird. Bei makroskopisch verdächtigen Befunden (Karzinoid, Mukozele) wurde die histologische Untersuchung jedoch gegenüber den Versicherungen regelmäßig durchgesetzt.

Tab. 3: Makroskopische Klassifizierung der Appendektomie-Stadien

Katarrhalisch

59 (5 %)

Phlegmonös

935 (74 %)

Gangränös

272 (21 %)

Gesamt

1.266

Bezogen auf die Gesamtzahl der 1.266 Appendektomien handelte es sich nur bei 30 Patienten um eine chronisch-rezidivierende Appendizitis. Bei 55 Patienten (4,5 %) lag eine perforierte Appendizitis vor, bei 326 Patienten (25 %) fand sich eine retrozökale Appendizitis.

Eine Mukozele der Apppendix (Abb. 1) fand sich bei 4 Patienten, ein Karzinoid (Abb.2) bei 2 Patienten. Beide Tumoren waren im distalen Abschnitt der Appendix lokalisiert und hatten einen Durchmesser von weniger als zwei Zentimeter, die histologische Untersuchung ergab keine Infiltration der Mesoappendix, sodass keine Indikation zur Ileozökalresektion gegeben war.

Bei zwölf Patienten fand sich ein Meckel’sches Divertikel, das in allen Fällen reseziert wurde.

Abb. 1: Mukozele der Appendix

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Abb. 2: Appendixkarzinoid

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Eine Ausweitung des Eingriffs war in sechs Fällen erforderlich:

Ileozökalresektion wegen Zökumnekrose;

Resektion des terminalen Ileums wegen Crohn-Stenose;

Rechtsseitige Hemikolektomie wegen gangränöser, retrozökaler Appendizitis mit Nekrose des Colon ascendens;

Ileoplastik wegen Crohn-Stenose;

Exstirpation einer eingebluteten Ovarialzyste;

Appendizitis mit perityphlitischem Abszess in einer inkarzerierten Treitz’schen Hernie bei Colon ascendens mobile, in Kombination mit einem Dünndarmileus (Abb.3).

Abb.3: Appendizitis in Treitz’scher Hernie (Bruchpforte)

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Behandlungsergebnisse

Trotz des hohen Anteils an fortgeschrittenen Appendizitis-Stadien in unserem Patientenkollektiv lag unsere Komplikationsrate im Vergleich mit der Literatur sehr niedrig.

Insgesamt waren nur drei Relaparotomien erforderlich: Zwei Eingriffe wegen eines frühen Adhäsionsileus innerhalb der ersten postoperativen Woche, ein Eingriff wegen eines retrozökalen Spätabszesses nach drei Monaten.

Die Wundinfektionsrate lag unter 2 %.

Der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt betrug 1,8 Tage (genehmigt wird von der Mehrzahl der hiesigen Versicherungen für die Appendektomie ein stationärer Aufenthalt von nur einem Tag, der zweite Tag muss begründet werden!).

Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit betrug für Patienten mit schwerer körperlicher Arbeit zwei Wochen, ansonsten eine Woche.

Diskussion

Beim Vergleich unseres Patientenkollektivs mit den Verhältnissen in Deutschland fällt neben der völlig andersartigen Alters- und Geschlechtsstruktur der hohe Prozentsatz an fortgeschrittenen Appendizitis-Stadien auf.

Da sich unsere Patienten ganz überwiegend aus einfachen ausländischen Arbeitern zusammensetzen, spielen deren Arbeits- und Lebensbedingungen und der ethnische und kulturelle Hintergrund eine entscheidende Rolle für die Diagnose- und Therapieverschleppung. Arbeitsdruck und Arbeitsbelastung sind hoch und die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes im Erkrankungsfall (und die daraus gegebenenfalls resultierende Repatriierung) hat zur Folge, dass die Klinik häufig erst zu einem späten Zeitpunkt aufgesucht wird. Auch die im Vergleich zu Deutschland höhere Schmerztoleranz vieler unserer Patienten, deren Unwissenheit und Hilflosigkeit sowie deren Schwierigkeit sich zu artikulieren und die Plausibilität der Operationsnotwendigkeit zu verstehen, trägt zur Behandlungsverzögerung bei. Nicht-Versicherte, die es trotz jetzt eingeführter obligatorischer Versicherungspflicht immer noch gibt und bei denen der Arbeitgeber nicht für die Kosten aufkommen will, versuchen auch bei bestehender akuter Appendizitis in ihr Heimatland zurückzukehren, da sie sich die Operation hier nicht leisten können. Hier stehen wir oft vor medizinisch und ethisch schwierigen Situationen.

Die Tatsache, dass wir unter diesen erschwerten Voraussetzungen dennoch sehr gute Behandlungsergebnisse erzielt haben, spricht für unseren hohen Behandlungsstandard in erfahrenen Händen.

Dass wir sämtliche 1.266 Appendektomien offen durchgeführt haben liegt zum einen daran, dass sich dieses Vorgehen unter den gegebenen Voraussetzungen in unseren Händen als sicher, effektiv und organisatorisch optimal erwiesen hat. Zum anderen weil unsere operative Strategie in Bezug auf postoperative Schmerzen, kosmetisches Ergebnis, Dauer der Liegezeit und der Arbeitsunfähigkeit hervorragende Ergebnisse liefert, die bei laparoskopischem Vorgehen nicht besser sein könnten. Die laparoskopische Appendektomie war für uns deshalb keine Option, zumal sie für die Notfallchirurgie ein erfahrenes Laparoskopie-Team rund um die Uhr erfordert und zeit- und kostenintensiver ist.

Zugegebenermaßen hatten wir auf Grund unseres spezifischen Patientenkollektivs keinerlei Akzeptanzprobleme hinsichtlich des offenen Vorgehens. Stellte sich jedoch einmal die Frage der Laparoskopie, so waren unsere Patienten ausnahmslos von unserem bewährten Vorgehen zu überzeugen.

Elektiveingriffe, wie die Cholezystektomie, führen wir selbstverständlich laparoskopisch durch, da hier die Vorteile durch den minimal-invasiven Zugang – anders als bei der Appendektomie – für den Patienten stringent sind.

Fazit

Das Appendizitis-Spektrum in Dubai weist im Vergleich zu Deutschland einen deutlich höheren Anteil an fortgeschrittenen Erkrankungsstadien auf.

Unsere Patienten rekrutierten sich aus insgesamt 60 Nationen, wobei der ganz überwiegende Anteil vom indischen Subkontinent stammte.

Die in einem hohen Prozentsatz von uns festgestellte Diagnose- und Therapieverzögerung war vorrangig den Lebens- und Arbeitsbedingungen unserer Patienten, deren ethnischem und sozialem Hintergrund und deren häufig größerer Schmerztoleranz geschuldet.

Die guten Ergebnisse unserer ausschließlich offen durchgeführten Appendektomien betrachten wir als das Resultat unserer absolut standardisierten Operationstaktik und -technik in den Händen von nur zwei Operateuren.

Die laparoskopische Appendektomie stellte deshalb für uns keine Option zur Ergebnisverbesserung dar.

Literatur

Bauwens, K. et al: Rekonvaleszenz und Arbeitsunfähigkeitsdauer nach laparoskopischer und konventioneller Appendektomie. Eine prospektiv-randomisierte Studie. Chirurg 1998: 541-545

Becker, H. et al: Appendektomie 1997 –offen oder geschlossen. Chirurg 1998

In’t Hof et al: Carcinoid tumour of the appendix: An analysis of 1,485 consecutive emergency appendectomies. J. Gastrointestinal Surg. 2008: 1436-1438

Katkhouda, N. et al: Laparoscopic versus open appendectomy. A prospective randomized double-blind study. Ann. Surg. 2005: 439-450

Kieninger, G. et al: Gangränöse Appendizitis? Chirurg 2014

Krähenbühl, L. et al: Zur Problematik von Studien offener versus laparoskopischer Appendektomie. Chirurg 1997: 30-32

Lippert, H. et al: Offene versus laparoskopische Appendektomie. Chirurg 2002: 791-798

Lopez, J. P. et al: Appendiceal mucocele: Benign or malignant? Surgical Rounds 2007

Martin, L.C. et al: Review of internal hernias: Radiographic and clinical findings. Am. J. Roentgenol. 2006: 703-717

Meckel, J.F.: Über die Divertikel am Darmrohr. Arch. Physiol. 1809: 421-453

Ohle, R. et al: The Alvarado score for predicting acute appendicitis: a systemic review. BMC Medicine 2011

Reißfelder, G. et al: Offene Appendektomie. Chirurg 2009: 602-607

Treitz, W.: Hernia retroperitonealis: ein Beitrag zur Geschichte innerer Hernien. Credner Verlag, Prag 1857

Kieninger G. / Hassan A. / Kieninger Ch. Appendizitis-Spektrum in Dubai: Analyse von 1266 Appendektomien. Passion Chirurgie. 2014 Oktober, 4(10): Artikel 09_02.
 

Fachexkursion des BDC nach Dubai

Besuch des CEDARS Jebel Ali International Hospital am 24.9. und 08.10.2012

Der BDC hat auch im letzten Jahr wieder eine Informationsreise für seine Mitglieder veranstaltet. Insgesamt nahmen in zwei Gruppen 42 Kolleginnen und Kollegen an der Reise nach Dubai, United Arab Emirates (UAE) teil.

Wie bereits in den Jahren zuvor war unser Hospital wieder eine der Reisestationen. Die beiden Gruppen waren jeweils etwa drei Stunden zu Gast bei uns.

Dubai, Fachexkursion, Reisgruppe, Chirurgen
Abb. 1: Reisegruppe vor dem CEDAR Jebel Ali International Hospital

Hospital-Präsentation

Nach einer Führung durch unser Hospital habe ich den Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichsten chirurgischen Fachrichtungen zunächst das chirurgische Spektrum unseres Hospitals und die Zusammensetzung unseres Patientenguts dargestellt:

  • Einzugsgebiet: Jebel Ali Freezone, Jebel Ali Hafen, umliegende Wohngebiete und Strandhotels.
  • Patienten aus mehr als 90 Nationen, Indien mit Abstand größtes Ursprungsland, gefolgt von Pakistan, den Philippinen und Bangladesh. Emiratis nur wenige, sie machen in Dubai nur acht bis neun Prozent der Bevölkerung aus.
  • Überwiegend dringliche Chirurgie (akutes Abdomen, Weichteilinfektionen, proktologische Notfälle, Traumata). Für Elektiveingriffe wird häufig das Heimatland aufgesucht. Karzinomchirugie extrem selten, da Durchschnittsalter unserer Patienten 20 bis 30 Jahre.
  • Extrem kurze durchschnittliche Verweildauer von zwei Tagen (diktiert durch die Versicherungen!), z. B. Appendix und Galle zwei Tage, Hernie ein Tag.

Rahmenbedingungen für die Chirurgie in Dubai, United Arab Emirates (UAE)

Es folgte die Darstellung und Diskussion der spezifischen Rahmenbedingungen, unter denen die Chirurgie hier stattfindet:

  •  Von Patientenseite: viele verschleppte Fälle, bedingt durch die Lebens- und Arbeitsumstände (enormer Arbeitsdruck, Furcht vor Verlust des Arbeitsplatzes), kulturell bedingte Verständnisschwierigkeiten.
  • Von Versicherungsseite: Jede einzelne diagnostische oder therapeutische Leistung muss vorab genehmigt werden (außer in akut lebensbedrohlichen Situationen). Bei Nichtversicherten Kostenübernahme durch die Arbeitgeber schwer zu erhalten, versuchen häufig die Behandlungskosten durch Rücksendung des Patienten in Heimatland zu umgehen (auch in dringlichen Fällen!).

Fachliche Voraussetzungen für die Tätigkeit als Chirurg in Dubai, United Arab Emirates (UAE)

Die generellen Voraussetzungen für eine chirurgische Tätigkeit in den UAE sind fünf Jahre Tätigkeit auf dem Fachgebiet nach der Facharztanerkennung und das Absolvieren einer Facharztprüfung unter der Aufsicht der Dubai Health Authority (DHA).

Allgemeine Rahmenbedingungen für deutsche Chirurgen in Dubai, United Arab Emirates (UAE)

Gemessen an der Tatsache, dass die deutsche Medizin in den Emiraten hohes Ansehen genießt (41 Prozent der Einheimischen, die sich im Ausland behandeln lassen, gehen nach Deutschland!) sind relativ wenige deutsche Ärzte hier für längere Zeit tätig (ein bis zwei Jahre im Durchschnitt). Dies hat nach meiner langjährigen Erfahrung folgende Gründe:

  • Überzogene Vorstellungen vom “goldenen Wunderland”.
  • Nichtzurechtkommen mit den Arbeitsbedingungen, d. h. dem Klinikbetreiber und den Kollegen, die mehrheitlich aus arabisch-sprachigen Ländern und vom indischen Subkontinent stammen.
  • Unzufriedenheit mit dem chirurgischen Spektrum.
  • Hohes Behandlungsrisiko: bei Vorwurf eines Behandlungsfehlers mit tödlichem Ausgang sofortiger Passentzug.

Die Diskussion all dieser Komplexe mit unseren Besuchern war ungemein angeregt, und ich habe mich bemüht, die Bedingungen für eine Tätigkeit deutscher Chirurgen in den UAE realistsich und ungeschminkt darzustellen und falsche Vorstellungen auszuräumen.

Fazit

Für deutsche Chirurgen im berufsfähigen Alter, die in Deutschland etabliert sind, bieten die Emirate keine verlässliche Langzeitperspektive. Eine zeitlich beschränkte Tätigkeit mit der Intention einen neuen Kulturkreis kennenzulernen, ist eine realistische Option. Für Kollegen im Ruhestand bieten die Emirate eine attraktive Möglichkeit, mit ihrem Erfahrungsschatz auch unter schwierigen Bedingungen effekiv zu helfen und daraus Befriedigung zu ziehen.

Kieninger G. Fachexkursion des BDC nach Dubai. Passion Chirurgie. 2013 Februar; 3(02): Artikel 02_02.