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Safety Clip: Die Haftung des Durchgangsarztes für Behandlungsfehler

In der Praxis stellt sich häufig die Frage, für welche ärztlichen Tätigkeiten ein Durchgangsarzt (D-Arzt) persönlich haftet und welcher Teil seiner D-ärztlichen Tätigkeit er in Ausübung eines öffentlichen Amtes ausübt, sodass dafür eine Amtshaftung des Unfallversicherungsträgers in Frage kommt.

Ausgangslage

Im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen ist es die Aufgabe der Unfallversicherung, für den Verletzten u. a. durch geeignete Behandlungsmaßnahmen eine schnellstmögliche Rückführung zur Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Die wichtigsten Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Berufsgenossenschaften. Ihre Pflichten sind somit grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur. Nach § 34 Abs.1 SGB VII obliegt es den Berufsgenossenschaften, möglichst schnell nach dem Arbeitsunfall alle erforderlichen Maßnahmen zur effektiven Heilbehandlung des Verletzten zu treffen.

Es wird dabei zwischen allgemeiner und besonderer Heilbehandlung unterschieden. Die allgemeine Heilbehandlung ist indiziert, wenn keine Arbeitsunfähigkeit gegeben ist oder die voraussichtliche Behandlungsdauer weniger als eine Woche beträgt, so wie bei Schnittverletzungen, Schürfwunden, einfachen Prellungen und leichten Verstauchungen. Anders ist dies bei der besonderen Heilbehandlung; hierunter fallen beispielsweise Knochenbrüche, Nerven-, Sehnenverletzungen sowie schwere Zerrungen und tiefe Weichteilverletzungen.

Die Erstuntersuchung des Verletzten nach einem Arbeitsunfall muss von einem D-Arzt durchgeführt werden, zu der er von den Berufsgenossenschaften durch öffentlich-rechtlichen Vertrag bestellt wurde. Er entscheidet über das Vorliegen eines Arbeits-/Wegeunfalls sowie die im Weiteren zu ergreifenden medizinischen Maßnahmen. Er legt verbindlich fest, ob, wie und durch wen die weitere Behandlung erfolgen soll. Die Weiterbehandlung kann sowohl der D-Arzt selbst, als auch ein anderer Arzt durchführen.

Führt der D-Arzt die Behandlung selbst fort, sind folgende haftungsrechtliche Situationen zu unterscheiden:

1. Fehler bei Eingangsuntersuchung und Erstversorgung

Weitgehend unstreitig ist, dass Fehler des D-Arztes im Rahmen der Erstversorgung, die sich nicht auf die weitere Behandlung auswirken, keine Haftung des Unfallversicherungsträgers nach sich ziehen; hier haftet der D-Arzt persönlich. Auch eine Haftung des Krankenhausträgers kommt dabei nicht in Betracht, da der D-Arzt hier aufgrund der Bestellung durch den Unfallversicherungsträger tätig wird.

Streitig ist hingegen, wie Diagnose- oder Befunderhebungsfehler im Rahmen der Eingangsuntersuchung zu bewerten sind. Eine Haftung des Unfallversicherungsträgers bei Fehlern im Rahmen der Erstuntersuchung kommt in Betracht, wenn diese Fehler sich in der Weise auswirken, dass der Verletzte aufgrund der Art seiner Verletzungen nicht einer adäquaten, also weder einer allgemeinen noch einer besonderen Heilbehandlung zugeführt wird. Über mehr muss der D-Arzt nicht entscheiden. Nur auf diese Entscheidung kann sich eine Amtspflichtverletzung beziehen. Allerdings ist hier Vorsicht geboten, da sich der BGH hierzu bislang nicht klar positioniert hat; zwar stellt der BGH fest, dass das Stellen einer Diagnose keine Ausübung eines öffentlichen Amtes sei, aber eine weitergehende Festlegung bleibt insoweit aus (BGH, Urteil vom 09.12.2008 – VI ZR 277/07).

2. Fehler bei der Entscheidung zwischen allgemeiner und besonderer Heilbehandlung

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Eine Haftung des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG kommt dann in Betracht, wenn der D-Arzt die ihm obliegende öffentlich-rechtliche Aufgabe fehlerhaft erfüllt, indem er bei dem Verletzten lediglich eine allgemeine Heilbehandlung anordnet, obwohl nach dem Verletzungsbild eine besondere Heilbehandlung angezeigt gewesen wäre. [1]

3. Fehler bei nachfolgenden Behandlungsmaßnahmen

Nach der Entscheidung zwischen der allgemeinen und besonderen Heilbehandlung wird die eigentliche Behandlung fortgeführt, oft durch den D-Arzt selbst. Kommt es im Rahmen dieser Behandlung zu Fehlern, ist umstritten, wer hierfür eintreten muss. Es ist daher zu unterscheiden zwischen Fehlern bei der Behandlung an sich und Behandlungen, die nur deshalb fehlerhaft sind, weil sie auf einer durch den D-Arzt gestellten fehlerhaften Diagnose beruhen.

a) Fehler bei Behandlung selbst

Nach Rechtsprechung des BGH haftet der Arzt persönlich, soweit er selbst die allgemeine oder besondere Heilbehandlung vornimmt. Ein Anknüpfungspunkt hierfür ist auch dann gegeben, wenn der D-Arzt im Durchgangsarztbericht „allg. Heilbehandlung durch mich“ oder „weitere Behandlung durch mich“ ankreuzt. Ein weiteres Indiz ist die Abrechnung der Leistung. Erfolgt diese durch den Arzt persönlich, haftet er hierfür auch.Bestätigt wurde diese Ansicht durch OLG Oldenburg (Urteil vom 30.06.2010 – 5 U 15/10), wonach die vom D-Arzt angeordnete und dann selbst durchgeführte besondere Heilbehandlung seiner persönlichen Haftung unterliegt, auch wenn die fehlerhafte Behandlung auf einem Fehler beruhte, der bereits vor seiner Entscheidung über die besondere Heilbehandlung vorlag.Es kommt also darauf an, in welchem Bereich sich der Fehler bei der Untersuchung auswirkt.Auch das OLG Schleswig entschied, dass die Durchführung der Heilbehandlung nicht in Erfüllung einer den Unfallversicherungsträgern zu erfüllenden Pflicht erfolgt (Urteil vom 02.03.2007 – 4 U 22/06).

b) Fehlerhafte weitere Behandlung aufgrund fehlerhafter Diagnose oder Befundung

Ferner wird diskutiert, ob eine Haftung des Unfallversicherungsträgers in Betracht kommt, wenn der D-Arzt im Rahmen der Erstuntersuchung einen Diagnosefehler oder Befunderhebungsfehler begeht, sodass er oder ein anderer Nachbehandler eine auf diesem Fehler beruhende unsachgemäße Behandlung durchführt, die im Ergebnis fehlerfrei ist.Hiergegen spricht, wie bereits festgestellt, dass die vom D-Arzt selbst durchgeführte Heilbehandlung gerade nicht in Ausübung eines hoheitlichen Amtes geschieht (BGH, Urteil vom 09.12.1974 – III ZR 131/72). Hier ist die hoheitliche Entscheidung bereits getroffen worden, welche Form der Behandlung durchgeführt werden soll. Daher kommt nur eine persönliche Haftung des Arztes oder des Krankenhausträgers in Betracht.

4. Fehler bei der Nachschau

Der D-Arzt ist verpflichtet, im Rahmen einer Nachschau zu kontrollieren, ob es bei der Anordnung der allgemeinen Behandlung bleibt oder doch eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 09.03.2010 (VI ZR 131/09) klargestellt, dass ein D-Arzt, der sich im Rahmen der Nachschau auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob die bei der Erstversorgung des Verletzten getroffene Entscheidung zugunsten einer allgemeinen Heilbehandlung aufrechtzuerhalten ist, in Ausübung eines hoheitlichen Amtes tätig ist, mit der Folge, dass sich Ansprüche wegen Fehldiagnose nur gegen die Berufsgenossenschaft (im Sinne der Art. 34 GG,
§ 839 BGB) richten können. Der D-Arzt übernimmt hier wieder eine der Berufsgenossenschaft obliegende Amtspflicht.

5. Haftung des Unfallversicherungsträgers über § 831 BGB

Grundsätzlich ist der Unfallversicherungsträger verpflichtet, die für das Durchgangsarztverfahren notwendigen Strukturen bereitzustellen, so auch die Auswahl und Überwachung der Durchgangsärzte. Unterläuft dem Unfallversicherungsträger dabei ein Fehler, könnte eine Haftung aus § 831 GBG in Betracht kommen, wenn es sich bei dem D-Arzt um einen Verrichtungsgehilfen handelt. Der D-Arzt ist jedoch weder fachlich noch inhaltlich vom Unfallversicherungsträger abhängig [2], sodass er nicht als Verrichtungsgehilfe handelt.

Fazit

Die Einordnung der Tätigkeit kann im Einzelfall schwierig sein. Während verschiedener Behandlungsstadien können sich insofern unterschiedliche Zuordnungen der Haftungsgrundlage sowie der versicherungsrechtlichen Absicherung ergeben. Es ist daher ratsam, dass sich der zum D-Arzt bestellte Arzt einen Haftpflichtnachweis durch die BG vorlegen lässt. Auch sollten aufgrund der bestehenden Abgrenzungsprobleme die jeweiligen Deckungssummen nicht außer Acht gelassen werden.

Literatur

[1] BGH, Beschluss vom 04. März 2008 – VI ZR 101/07.

[2] Schlaeger, ZAP 2006, Fach2, 523-528.

Quelle: Der Artikel ist erstmalig in der Fachzeitschrift Der KrankenhausJUSTITIAR, Ausgabe 1/2015, erschienen.

Korrektur: Beim Safety Clip in der Mai-Ausgabe “NEVER EVENTS – Fehler, die nie passieren dürfen” ist uns ein Fehler unterlaufen. Der unfallbedingte Riss des rechten Plexus’ brachialis hatte nicht, wie fälschlicherweise vermerkt, einen Schaden am linken Arm des Patienten zur Folge, sondern betraf natürlich den rechten Arm. Wir bitten, die Verwechslung zu entschuldigen.

Kruse-Rasmussen C. Safety Clip: Die Haftung des Durchgangsarztes für Behandlungsfehler. Passion Chirurgie. 2015 August; 5(08): Artikel 03_02.

Safety-Clip: Haftungsrisiko für Chefarzt und Krankenhausverwaltung

Fachübergreifender Bereitschaftsdienst nur unter engen Voraussetzungen zulässig

Die Praxis, einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst einzurichten, ist keine Einzelerscheinung mehr, sondern sie scheint in deutschen Krankenhäusern in Zeiten zunehmenden wirtschaftlichen Drucks deutlich zuzunehmen. Zur Begründung wird meist auf kostensparenden Personaleinsatz aufgrund ökonomischer Zwänge verwiesen.

Derartige fachfremde Bereitschaftsdienste sind nach einer gerichtlichen Entscheidung zumindest in Kombination mit einer fachärztlichen Rufbereitschaft nicht per se verboten, jedoch sind sie unter dem Aspekt der zivil- und strafrechtlichen Haftung mit einem Risiko für die verantwortlichen Personen verbunden. Das Haftungsrisiko betrifft sowohl den organisationsverantwortlichen Chefarzt bzw. die Krankenhausverwaltung als auch die ausführenden Ärzte.

In einem Urteil des Landgerichts (LG) Augsburg vom 30.09.2004 (Az 3 KLs 400 Js 109903/01, Arztrecht 2005, 205 ff.) ist im Rahmen eines Strafverfahrens zu dieser Problematik Stellung genommen worden.

Zum Sachverhalt

Bei der Patientin wird komplikationslos eine subtotale Strumaresektion beidseits durchgeführt. Nach postoperativer Überwachung wird sie auf die chirurgische Normalstation verlegt. In der Nacht obliegt der Bereitschaftsdienst in der Klinik und auch in der chirurgischen Station fachübergreifend dem eingeteilten Assistenzarzt der internistischen Abteilung. Im Hintergrund steht der Oberarzt der chirurgischen Abteilung zur Hinzuziehung in Rufbereitschaft zur Verfügung.

Am frühen Abend sind die Radondrainagen bei der Patientin jeweils mit 200 ml Blut gefüllt. Ihr Blutdruck ist mit 170/80 mmHG erhöht. Der Assistenzarzt lässt daraufhin den Hb-Wert bestimmen und legt einen zusätzlichen venösen Zugang. Eine Blutdruckmessung und die Überwachung der Atmung werden jedoch nicht angeordnet. Trotz entsprechendem Hinweis der Nachtschwester sieht der Assistenzarzt keine Veranlassung, die Patientin auf die Intensivstation zu verlegen oder den Hintergrunddienst zu informieren.

Eine halbe Stunde später hat sich der Zustand der Patientin bereits lebensbedrohlich verschlechtert. Der Assistenzarzt nimmt eine Intubation vor – die Staatsanwaltschaft wird später davon ausgehen, dass hier eine Fehlintubation in die Speiseröhre erfolgt ist. Die wenig später eintreffende Anästhesistin führt eine Umintubation durch. Unmittelbar darauffolgend kommt es zum Herzstillstand. Gut zwanzig Minuten später setzt die Herztätigkeit nach aufgenommener Reanimationsmaßnahme wieder ein.

Der nun informierte Hintergrunddienst tritt 15 Minuten später zur Behandlung hinzu und beginnt sogleich mit einer Revisionsoperation. Auf der rechten Seite findet sich eine spritzende Blutung aus der Arterie des oberen Schilddrüsenpols, die operativ versorgt wird.

Infolge der mangelnden Sauerstoffversorgung erleidet die Patientin einen hypoxischen Hirnschaden und befindet sich seither im Wachkoma. Eine Aussicht auf Besserung besteht nicht.

Das Urteil

Der Chefarzt der chirurgischen Abteilung wird wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, da er, so die richterliche Begründung, im Sinne eines Organisationsverschuldens die an ihn als Chefarzt zu stellende Sorgfaltspflicht verletzt habe. Er habe versäumt, für geeignete organisatorische Maßnahmen zu sorgen, wodurch die eingetretene Komplikation bei der Patientin zeitgerecht hätte erkannt und behoben werden können.

Dem ausführenden Assistenzarzt werden fehlerhafte Behandlungsmaßnahmen angelastet. Zudem hätte er, so die Richter, erkennen können und müssen, dass es frühzeitiger fachkompetenter Unterstützung zur Bewältigung der eingetretenen Komplikationen bedurfte.

Der Assistenzarzt entgeht letztlich einer Verurteilung, da das Verfahren gegen ihn gemäß § 153a StPO nach Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 3000 € eingestellt wird.

Das Gericht sieht das Verhalten des Chefarztes als Ursache dafür an, dass der Internist die Komplikation nach der Schilddrüsenoperation nicht richtig einordnete und die Patientin daraufhin einen hypoxischen Hirnschaden erlitt.

Nach Auffassung des Gerichts hat das Fehlverhalten des Assistenzarztes deutlich gemacht, dass dieser, da ihm die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten fehlten, nicht alleinig im Nachtdienst des Krankenhauses hätte eingesetzt werden dürfen. Aufgrund der bekannten Risiken nach Schilddrüsenoperationen hätte der Chefarzt wissen müssen, dass die Einteilung eines Assistenzarztes der Inneren Abteilung im fachübergreifenden Bereitschaftsdienst ein nicht vertretbares Risiko für Patienten an sich darstelle. Es wäre daher seine Pflicht gewesen, die Geschäftsführung darauf hinzuweisen, dass „wirtschaftliche Überlegungen die Bereitstellung zweier paralleler Bereitschaftsdienste rund um die Uhr nicht verhindern dürfen, soll nicht das Leben und die Gesundheit der Patienten gefährdet werden.“

Der Chefarzt, so das Gericht, hätte im konkreten Fall nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Assistenzarzt die medizinische Situation richtig einschätzt und den Hintergrunddienst informiert. Diese Meinung vertreten die Richter ungeachtet des allgemein herrschenden Konsenses, nach dem der Vertrauensgrundsatz dort, wo gefahrträchtige Handlungen arbeitsteilig vorgenommen werden, generell die Sorgfaltspflichten begrenzen kann. Dies gilt gerade auch bei ärztlicher Behandlung. Die sorgfaltsbegrenzende Wirkung liegt darin, dass der Chefarzt für Sorgfaltsmängel anderer Ärzte bei delegierten Aufgaben nicht einstehen muss, wenn die Ärzte für die jeweiligen Aufgaben hinreichend qualifiziert sind und wenn Fehler durch eine besondere Anleitung ausgeglichen werden können.

An dieser Voraussetzung, so die Begründung der Richter, fehle es aber gerade in diesem konkreten Fall. Der im Bereitschaftsdienst tätig gewordene Assistenzarzt habe nicht die erforderliche Qualifikation besessen, um die vorliegende Notsituation korrekt einzuschätzen. Seine Fehlinterpretation der persistierenden Blutung sei darauf zurückzuführen gewesen, dass es sich um eine für ihn als Internisten fachfremde Komplikation handelte. Die inadäquate Reaktion sei daher vorhersehbar gewesen.

An der Vorhersehbarkeit hätte auch eine allgemeine mündliche Dienstanweisung des Chefarztes, den chirurgischen Hintergrunddienst bereits bei geringsten Komplikationen einzuschalten, nichts geändert. Denn eine solche Dienstanweisung, so das Gericht weiter, wäre hier ins Leere gegangen, weil der Bereitschaftsarzt infolge mangelnder Kenntnis die Anzeichen einer Komplikation gar nicht erkannt hätte.

Darüber hinaus begründe die Chefarztstellung eine Garantenstellung gegenüber Patienten – hier: der geschädigten Patientin – in der Gestalt, dass geeignete organisatorische Vorkehrungen für eine gefahrenadäquate postoperative Versorgung auch während des Bereitschaftsdienstes gegeben sein müssen, um Fehler bereits im Vorfeld beheben zu können.

Der Chefarzt, so das LG, hätte entweder anordnen müssen, dass Schilddrüsenpatienten 24 Stunden nach der OP auf der Intensivstation bleiben müssen oder dass derartige Eingriffe, wenn sie zeitlichen Aufschub dulden, nur an Tagen durchgeführt werden, an denen ein Chirurg Bereitschaftsdienst hat. Zumindest hätte der Chefarzt aber dafür sorgen müssen, dass der Bereitschaftsdienst mit der OP einhergehende Nachblutungen wie im vorliegenden Fall zu erkennen vermag.

Schlussfolgerung

Das Urteil des LG Augsburg zeigt, dass bei der Einrichtung eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes klar definierte Vorgaben erfüllt sein müssen, um etwaigen Haftungsproblemen aus dem Weg gehen zu können.

Klar muss dabei sein, dass der Patient aus dem Behandlungsvertrag des Krankenhauses einen Anspruch auf eine ärztliche Betreuung hat, die dem Standard eines Facharztes entspricht. Auch bei Übertragung ärztlicher Tätigkeiten darf daher für den Patienten kein erhöhtes Risiko entstehen.

In der Literatur werden mittlerweile verschiedene Kriterien für einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst diskutiert. Weder handelt es sich dabei um bereits verbindliche Richtlinien, noch kann die vollständige Einhaltung eine Haftung garantiert ausschließen. Für verbindlichere Vorgaben werden weitere höhergerichtliche Entscheidungen sowie wissenschaftliche Diskussionen abzuwarten sein:

  • Keine fachübergreifenden Bereitschaftsdienste in Anästhesiologie und geburtshilflich-gynäkologischer Abteilung: Mögliche Komplikationen erfordern aufgrund ihrer Schwere sofortige Reaktionsbereitschaft und besondere Fachkenntnis.
  • Möglichkeit einer sofortigen fachspezifischen Behandlung in Universitätskliniken und Akutkrankenhäusern/Spezialkliniken; daher Besetzung immer fachspezifisch: Ein Patient, der sich in solche Häuser begibt, geht von 24-stündiger Facharztbetreuung aus.
  • Keine Zulassung von Berufsanfängern im Bereitschaftsdienst: Die aus mangelnder Erfahrung entstehenden Fehler sind nicht zu kalkulieren.
  • Operation von Risikopatienten nur an Tagen, die nicht vor einer Nacht mit fachübergreifendem Bereitschaftsdienst liegen.
  • Fachübergreifender Bereitschaftsdienst nur bei artverwandten Fächern (z.B. Orthopädie/Chirurgie).
  • Zeitspanne, bis der Hintergrunddienst vor Ort ist, nicht länger als 20 Minuten; qualifiziertes Fachpersonal muss vor Ort sein.
  • Genaue Anweisungen für den Bereitschaftsdienst: Was ist bei dem Patienten zu beachten, wie ist der Gesundheitszustand, welcher Eingriff wurde vorgenommen?
  • Schriftliche Dienstanweisung des Krankenhausträgers/Chefarztes: Bei welcher Indikation ist der Hintergrunddienst zu informieren, wie ist bei bestimmten Krankheitsbildern vorzugehen?
  • Fortbildung der diensthabenden Ärzte: Aktualisieren des allgemeinen medizinischen Wissens, Vorbereitung auf mögliche fachspezifische Komplikationen.

Bei Erfüllen dieser Kriterien können haftungs- und strafrechtliche Risiken für einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst zumindest minimiert werden.

Kruse-Rasmussen C. Safety Clip: Haftungsrisiko für Chefarzt und Krankenhausverwaltung. Passion Chirurgie. 2012 Januar; 2(1): Artikel 03_03.