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Editorial: Update Proktologie

Zur Novemberausgabe der Passion Chirurgie

Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

Proktologie – einst war diese medizinische Kunst der Hofärzte dem Adel und hohen Herrschaften vorbehalten. Abseits davon wurden proktologische Probleme der einfachen Bevölkerung den Barbern überlassen.

In heutiger Zeit hat sich eine gemischte Fachrichtung herauskristallisiert, die zwischen der Chirurgie, Gynäkologie, Dermatologie und Allgemeinmedizin angesiedelt ist.

Die Therapiemöglichkeiten in frühen Zeiten waren ebenso einfach, wie wenig vertrauenserweckend. Hier kamen säurehaltige Tinkturen, „scharfe“ Löffel bis hin zu Brandeisen zur Anwendung. Vieles hat sich seitdem geändert und die Proktologie ist aus ihrem Schattendasein zu einer vollwertigen Fachrichtung mit operativem Schwerpunkt geworden. In den letzten 20 Jahren erlebte das Fachgebiet durch proktologisch interessierte und engagierte Ärzte eine Renaissance innerhalb der großen Fachdisziplinen. Auch die damals aufkommenden Zertifizierungen von Einrichtungen, zum Beispiel als Beckenboden- oder Darmzentrum, und die Festlegung proktologischer Inhalte in den einzelnen Facharztweiterbildungen erhöhten die Wahrnehmbarkeit der Proktologie erheblich. So nahm die Zahl der Kollegen und Kolleginnen, die auch eine Facharzt-Zusatzbezeichnung „Proktologie“ absolvierten, stetig zu.

Heute ist die operative Proktologie ein hochspezialisierter Bereich der Viszeralchirurgie. Durch viele neue Therapieverfahren und operative Techniken gehen die heutigen Möglichkeiten weit über die Behandlungsmöglichkeiten früherer Zeiten hinaus. Die operativen Techniken umfassen heute neben den bekannten Standardtechniken auch komplexe Beckenbodenrekonstruktionen, komplizierte Fisteloperationen, sakrale Nervenmodulationen zur Behandlung der Inkontinenz, des Slow Transit sowie perinealer Schmerzsyndrome. Die Domänen der Proktologie sind die Behandlung des Hämorrhoidalleidens und die Rektocelen- und Rektumprolapschirurgie. Die Diagnostik und Therapie maligner Tumore, wie das Analkarzinom, das Rektumkarzinom und das Kolonkarzinom, gehören fest in das Tätigkeitsfeld des modernen Koloproktologen. Auch seltene Tumorentitäten wie das anale Melanom oder der Morbus Bowen finden sich im proktologischen Behandlungsspektrum.

Eine besondere Herausforderung in der Behandlung stellen Kinder oder Patienten nach traumatischen Verletzungen dar. Gleichwohl ist es nicht ausschließlich die Viszeralchirurgie, sondern sind es viele kooperierende Fachrichtungen, welche heutzutage die Proktologie mit höchstem Qualitätsanspruch ausmachen. Sektorenübergreifende Kooperationsformen zwischen Krankenhäusern und Praxen sind leider noch selten, aber die Zahl nimmt stetig zu. Unverzichtbar für proktologische Kooperationen ist gute Digitalisierung, ein funktionierender Datenaustausch zwischen Krankenhäusern, MVZ und Praxen sowie der gemeinsame Wille zu einer kollegialen Zusammenarbeit.

In der heutigen Ausgabe der „Passion Chirurgie“ widmen wir uns dem proktologischen Thema „Tailored Treatment“ bei der Staplerhämorrhoidopexie, dem „Magdeburger Pancreaszystenpass“ und stellen ein Glossar zur Notfallversorgung vor. Als Ausblick für den Beginn 2026 darf ich eine „große“ Ausgabe der BDC Passion Chirurgie mit vielen Beiträgen aus der Proktologie ankündigen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf die Verwendung geschlechtsspezifischer Sprachformen verzichtet. Entsprechende Bezeichnungen sollen stets für alle Geschlechtsidentitäten gelten.

Voigtsberger A: Editorial Update Proktologie. Passion Chirurgie. 2024 November; 14(11): Artikel 01.

„Tailored“ Hämorrhoidopexie – Der Proktologe als Maßschneider

Das Hämorrhoidalleiden ist ein weit verbreitetes Krankheitsbild in der Bevölkerung der westlichen Industrieländer. Die Geschlechtsverteilung wird in der Literatur mit 1:1 bis zu 2:1 mit vermehrtem Vorkommen bei Männern angegeben [1]. Das Hämorrhoidalleiden, auch häufig als Volkskrankheit bezeichnet, stellt im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung kein einheitliches, klar definiertes Patientengut dar. Männer unterziehen sich zweimal häufiger einer Behandlung im Vergleich zu Frauen. Bei nicht konservativ therapierbaren symptomatischen Hämorrhoiden mit dem Leitsymptom der rezidivierenden rektalen Blutabgänge ist die chirurgische Therapie empfohlen.

In der Proktologie gibt es viele Einteilungen der Hämorrhoiden nach Stadien (z. B. nach Goligher, nach Longo, u. v. a.). All diese Scores beschreiben die Größe der Hämorrhoidalpolster sowie den Bezug und die Lage zum Analkanal. Durch die Einteilungen in Scores soll so das entsprechende Therapieverfahren gefunden und festgelegt werden. Am häufigsten findet die Stadieneinteilung nach Goligher Anwendung, welche auch von den S3-Leitlinien des Hämorrhoidalleidens als Grundlage verwendet wurde. Die Einteilung der Hämorrhoiden erfolgt hier in vier Grade, wobei die OP-Indikation bei Grad III und IV mit Symptomen besteht. In Ausnahmefällen kann jedoch auch die Operation für Hämorrhoiden zweiten Grades mit mehrfach rezidivierenden transanalen Blutungen indiziert sein.

Tab. 1: Einstellung der Hämorrhoidalvergrößerung nach Goligher: Quelle S-3-Leitlinien Hämorrhoidalleiden

Grad der Vergrößerung

Definition/Einteilung nach Goligher

Proktoskop notwendig für Diagnose

Ohne Proktoskop diagnostizierbar

Nur proktoskopisch sichtbar, vergrößerter Plexus haemorrhoidalis superior

Ja

Nein

Prolaps bei der Defäkation/beim Pressen, retrahiert sich spontan

Nein

Ja

Prolaps bei der Defäkation/beim Pressen, retrahiert sich nicht spontan, nur manuell reponibel

Nein

Ja

Prolaps permanent fixiert – irreponibel

Nein

Ja

Nach den schon sehr lange bekannten und bewährten offenen und geschlossenen Hämorrhoidektomieverfahren wie z. B. nach Ferguson, Milligan-Morgan, Parks u. a., wurde Ende der 90er Jahre die Staplerhämorrhoidopexie von A. Longo im englischen Sprachraum publiziert und fand so Einführung in die operative Therapie des Hämorrhoidalleidens [2,3]. Diese Operation folgte einem grundsätzlich anderen Prinzip, als die bisherigen Operationsverfahren. Hier erfolgt die Resektion der Mukosamanschette in vordefinierter Höhe mit begleitender Durchtrennung der versorgenden Hämorrhoidalgefäße und gleichzeitiger Pexie auf der Pararektalfascie [3]. Dadurch wurde neben der Resektion der Hämorrhoidalpolster auch gleich durch Pexie und das entstandene Lifting die venöse Abflusssymptomatik verbessert.

Die Vorteile zu den bisherigen Verfahren sind geringere postoperative Schmerzen sowie frühere Rekonvaleszenz der Patienten. Diese Vorteile wurden in mehreren Studien bestätigt [4, 5, 6, 7].

Die Entscheidung, welche Therapie für den Patienten die richtige ist, stellt sich oft schwierig dar. Auch mit den an die Goligher Einteilung angelehnten S3-Leitlinien wird man nur einem Teil der Patienten die beste individuelle Behandlung zukommen lassen können. Natürlich sind die Leitlinien ein oder das wichtigste Instrument der Entscheidungshilfe die richtige Therapie auszuwählen, aber man muss hier oft noch mehr persönliche Parameter des Patienten einbeziehen.

In der modernen Proktologie werden heute viele beschreibende, individuelle Merkmale des Patienten benötigt, um ein gutes Therapiekonzept zu entwickeln. Hier steht natürlich auch die fachliche Kompetenz/Expertise und das Vertrauensverhältnis zu den Patienten im Mittelpunkt. Es ist von großem Vorteil, wenn der Operateur sowohl in der Praxis/MVZ als auch in der Klinik die von ihm operierten Patienten in Rahmen einer Kontrollsprechstunde in festgelegten Intervallen nachuntersucht. Damit ist die Möglichkeit der Kontrolle des gewählten „Tailored Treatment“ und des erreichten postoperativen Ergebnisses gegeben um ggf. die getroffene Entscheidung zu anzupassen.

Wir haben heute als Operateure eine Vielzahl von OP-Verfahren, von speziellen Techniken und unterschiedlichen Geräten und Materialien zur Auswahl und es ist hier eine Kunst, die für den jeweiligen Patienten richtige Wahl zu treffen. „Tailored“, also zugeschnitten auf den einzelnen Patienten, – „Der Proktologe als Maßschneider“ ist hier das Erfolgskonzept. Auch die Ausstattungen der jeweiligen OP-Zentren unabhängig ob Praxis/MVZ oder Klinik spielen eine entscheidende Rolle.

Neben den allgemeinen Informationen wie Nebenerkrankungen, Medikamenteneinnahme und Vorgeschichte sind viele weitere Aspekte zu beachten. Entscheidend sind jedoch die erweiterten individuellen Parameter des Patienten für die Wahl des richtigen OP-Verfahrens. So müssen das Geschlecht, Lebensgewohnheiten, Ernährung und Aktivitätsgrade genauso Berücksichtigung finden, wie die Berufsanamnese, das familiäre Umfeld und die Patientencompliance. Auch die persönlichen Sexualpraktiken gehören heutzutage mit in das Arzt-Patientengespräch vor einer Hämorrhoiden Operation. Weitere Faktoren wie der Bindegewebsstatus, medikamentöse Langzeittherapien, chronische Erkrankungen, sowie Obstipationsneigungen müssen erfragt werden. So ist z. B. für mache Patienten unter Dauertherapie mit Cortison oder einer schlechten Gewebestruktur die Stapler-OP nicht die richtige Wahl.

Bei all den vorhandenen und für die „maßgeschneiderte“ Therapie entscheidenden Faktoren bietet sich ein standardisierter Fragebogen an. Dieser sollte in den Einrichtungen sehr sorgfältig entwickelt werden und einem ständigen Feintuning unterzogen sein. Die Staplerhämorrhoidopexie hat ihre Domäne bei zirkulären Hämorrhoiden Grad III (nach Goligher). Aber auch bei Grad IV Hämorrhoiden und in seltenen Fällen bei Hämorrhoiden Grad II erreicht man mit diesem Verfahren sehr gute Ergebnisse. Bei der Anwendung des Staplers zur Therapie viertgradiger Hämorrhoiden muss man den entstehenden Zug auf die Klammernaht in seiner Therapieplanung berücksichtigen.

Hat man nun nach Abwägung aller patientenindividuellen Parameter und Stadieneinteilungen die Wahl der Hämorrhoidopexie mittels Stapler getroffen, ist der Operateur mit der Auswahl noch nicht am Ende. Heutzutage haben wir die Möglichkeit, auch den Stapler „tailored“ auszuwählen. So gibt es die Möglichkeit zwischen Staplerköpfen von 32 mm, 33 mm, 34 mm und 36 mm je nach Hersteller zu wählen. Gleichzeitich können wir aber auch noch einen 34 mm und 36 mm Stapler als High-Volume-Variante wählen. Durch diese neuen High-Volume-Geräte haben wir die Möglichkeit, bei großen Befunden auch deutlich mehr Gewebe zu entfernen. Mit diesen Geräten ist es möglich bis zu 2,5-faches Volumen gegenüber den Standardstaplern zu resezieren. Dies gibt uns heute viel mehr Spielraum für den individuellen Befund.

Diese Modifizierungen können selbstverständlich auch bei allen anderen zur Verfügung stehenden etablierten Verfahren Anwendung finden. So kann z. B. die dopplergestützte Hämorrhoidalarterienligatur (DGHAL) ausschließlich als „Ligation under Vision“ (LUV) durchgeführt werden und die OP nach Milligan Morgan sollte mit der Nutzung von bipolaren oder ultraschall- basierten Klemmen/Scheren modifiziert werden [10]. So ist ein „Tailored Treatment“ mit besserem Outcome auch bei offenen Hämorrhoidektomieverfahren möglich.

Über nun fast 20 Jahre haben wir in unserem MVZ viele Patienten mit Hämorrhoidalleiden und anderen proktologischen Erkrankungen behandelt. Im Folgenden ein paar Ergebnisse nach Therapie mittels zirkulärer Stapler aus dem eigenen Patientengut.

Tab. 2: Die potenziellen prognostischen Faktoren für das Wiederauftreten wurden in einer univariaten Analyse bewertet

Variablen

Kein Rezidiv

(n = 1.098)

Rezidiv

(n = 46)

p Wert

Alter (Jahre)

52,3 (14,4)

51,8 (14,3)

0,96

Geschlecht

weiblich

464

17

0,51

männlich

634

29

Operationszeit (min)

11 (4)

13 (6)

< 0,01

Krankenhausaufenthalt (Tage)

3,2 (0,7)

3,5 (0,6)

0,03

Jahr

2007

68

11

< 0,01

2008

119

10

2009

172

8

2010

162

7

2011

169

5

*

2012

218

2

2013

190

3

Präoperative Blutung

Ja

1.012

42

0,83

Nein

86

4

Präoperativer Juckreiz

Ja

39

7

0,08

Nein

1010

39

Die Staplerhämorrhoidopexie ist ein sicheres und für den Patienten sehr verträgliches Verfahren zur Behandlung des Hämorrhoidalleidens. In vielen Studien zeigen sich vergleichbar geringe Rezidivraten bis hin zu Studien mit nicht akzeptablen Rezidivraten zwischen 0 % und 58 % [10,11]. Bei den von uns im Rahmen der Studie untersuchten 1.098 Patienten im Stadium III (nach Goligher) lag die Rezidivrate bei 4 % [12].

Abb. 1: Anzahl der Rezidive innerhalb der Follow-Up Zeit

Durch immer bessere Modifizierungen mit dem Ziel der Verbesserung der postoperativen Ergebnisse können wir heute viel genauere und auf den einzelnen Patienten „zugeschnittene“ operative Therapien des Hämorrhoidalleidens durchführen. Dies hat über die letzten Jahre zu einer deutlich besseren Akzeptanz dieser Operationen geführt. Hier bedarf es, besonders im Hinblick auf die „Tailored Treatments“, weiterer Innovationen und deren Kontrolle in Studien, um hier eine immer größere Transparenz und Vergleichbarkeit mit dem Ziel der ständigen Verbesserung der Ergebnisse zu erreichen.

Literatur

[1]   Herold A. Schiedeck T., Manual der Koloproktologie Band 1 Aufl.2; 2024 S 62
[2]   Longo A., Pain after stapled hemorrhoidectomy. Lancet 2000:356
[3]   Longo A., Treatment of haemorrhoids disease vice by reduction of mucosa and haemorrhoidal prolapse with a circular suturing device: A new procedure. Proceedings of the Sixth World Congress of Endoscopic Surgery, Rome, Italy; 3 – 6 June 1998; Mundozzi Editore, 1998; 777 – 84
[4]   Kanellos I, Zacharakis E, Kanellos D, et al., Long-term results after stapled haemorrhoidopexie for third-degree haemorrhoids. Tech Coloproctology 2006; 10: 47 – 9
[5]   Giordano P, Gravante G, et al., Long-term outcomes of stapled hemorrhoidopexy vs. conventional hemorrhoidectomy: a meta-analysis of randomized controlled trails, Arch Surg, 144 vol 3, March 2009, 266 – 72
[6]   Gravie JF et al., Stapled Hemorrhoiddopexy vs Milligan-Morgan hemorrhoidectomy: a prospective, randomized, multicenter trial with 2-year postoperative follow-up, Ann Surg, 2005 July; 242 (1): 29 – 35
[7]   Laughlan K, Jayne D, et al., Stapled hemorrhoidopexy compared to Milligan-Morgan and Ferguson hemorrhoidectomy: a systematic review, Int J Colorectal Dis. 2009; 24: 335 – 44
[8]   Tjandra J and Chan M, Systematic Review on the procedure for prolapse and hemorrhoids (stapled hemorrhoidopexy), Dis Colon Rectum 2007; 50 (6): 878 – 92
[9]   Joos A., Jungen J. S3-Letlinien Hämorrhoidalleiden, Kurzfassung 2021, 7–9
[10]  Zacharakis E, Kanellos D, Pramateftakis MG, et al.: Long term results after stapled haemorrhoidopexy for fourth-degree haemorrhoids: a prospective study with median follow-up of 6 years. Tech Coloproctology 2007;11(2): 144–7;147–8
[11] Ceci F, Oiccio M, Palimento D, Cali B, Corelli S, Spaziani E,: Long term outcome of stapled hemorrhoidopexy for Grade III and Grade IV haemorrhoids, Dis Colon Rectum 2008;51(7):11077-12
[12] Voigtsberger A, Popovicova L, Petersen S, et al: Stapled hemorrhoidopexy: functional results, recurrence rate and prognostic factors in a single center analysis. Int J Colorectal Dis 2015
[13] Voigtsberger A, Popovicova L, Bauer G, et al. Stapler-Hämorrhoidopexie: funktionelle Ergebnisse, Rezidivrate und Prognosefaktoren in einer Einzelzentrumsanalyse. International Journal of Colorectal Disease. 2016 Jan;31(1):35–39. DOI: 10.1007/s00384-015-2354-z. PMID: 26245950.

Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf die Verwendung geschlechtsspezifischer Sprachformen verzichtet. Entsprechende Bezeichnungen sollen stets für alle Geschlechtsidentitäten gelten.

Voigtsberger A: „Tailored“ Hämorrhoidopexie – Der Proktologe als Maßschneider. Passion Chirurgie. 2024 November; 14(11): Artikel 03_01.

Editoral: Update Proktologie 2021

Sehr geehrte Leserin,
sehr geehrter Leser,

die Proktologie genoss über viele Jahre im stationären wie ambulanten Bereich nur den Stellenwert einer medizinischen Randdisziplin. Aus der einstigen Könige und Feldherren therapierenden medizinischen Kunst entstand über viele Jahre eine Teilrichtung, die zwischen der Chirurgie, Gynäkologie, Dermatologie und Allgemeinmedizin angesiedelt ist. Das Repertoire der proktologischen Therapie ging meist nicht über ein paar Salben und wenige zum Teil sehr individuell praktizierte Standardoperationsverfahren hinaus.

Erst in den letzten 20 Jahren erlebte das Fachgebiet durch proktologisch interessierte und engagierte Ärzte eine Renaissance innerhalb der großen Fachdisziplinen. Auch die damals aufkommenden Zertifizierungen von Einrichtungen, zum Beispiel als Beckenboden- oder Darmzentrum, und die Festlegung proktologischer Inhalte in den einzelnen Facharztweiterbildungen erhöhten die Wahrnehmbarkeit der Proktologie erheblich. So nahm die Zahl der Kollegen und Kolleginnen, die auch eine Facharzt-Zusatzbezeichnung „Proktologie“ absolvierten, stetig zu. Derzeit gibt es die Möglichkeit einer Anerkennung der Kompetenz mit der Zusatzweiterbildung „Proktologie“ außerhalb von Deutschland nur in Großbritannien, Irland und Litauen. Ein weiterer Schritt hin zur koloproktologischen Qualifikation für europäische Fachärzte wurde durch das European Board of Surgical Qualification Coloproctology (EBSQ) geschaffen.

Heute ist die operative Proktologie ein hochspezialisierter Bereich der Viszeralchirurgie. Durch viele neue Therapieverfahren und operative Techniken gehen die heutigen Möglichkeiten weit über die Behandlung von Hämorrhoiden und Fissuren hinaus. Die operativen Techniken umfassen heute neben den bekannten Standardtechniken auch komplexe Beckenbodenrekonstruktionen, komplizierte Fisteloperationen, sakrale Nervenmodulationen zur Behandlung der Inkontinenz, perinealer Schmerzsyndrome und chronischer Obstipation und das gesamte Spektrum der Anal- und Rektumprolapschirurgie, einschließlich Schließmuskelrekonstruktionen. Die Diagnostik und Therapie maligner Tumore, wie das Analkarzinom, das Rektumkarzinom und das Kolonkarzinom, gehören fest in das Tätigkeitsfeld des modernen Koloproktologen. Auch seltene Tumorentitäten wie das anale Melanom oder der Morbus Bowen finden sich im proktologischen Behandlungsspektrum. Eine besondere Herausforderung in der Behandlung stellen Kinder oder Patienten nach traumatischen Verletzungen dar.

Gleichwohl ist es nicht ausschließlich die Viszeralchirurgie, sondern ein Konglomerat aus kooperierenden Fachrichtungen, welche heutzutage die Proktologie mit höchstem Qualitätsanspruch ausmacht.

Für das moderne Beckenboden- oder Darmzentrum müssen sowohl Fachrichtungen wie Viszeralchirurgie, Radiologie, Kinderchirurgie, Gynäkologie, Urologie, Dermatologie, Physiotherapie, Psychotherapie, als auch der stationäre und ambulante Sektor eng miteinander vernetzt werden. Oft ist der Übergang zwischen konservativem und operativem Behandlungsansatz fließend. Hier liegt auch die große Herausforderung der heutigen Zeit, eine sektorenübergreifende Kooperationsform zwischen Krankenhäusern und Praxen zu finden. Aus einer intersektoralen Vernetzung würde ein deutlicher Qualitätsgewinn für die Patienten resultieren, insbesondere mit Blick auf die präoperative Diagnostik und die postoperative Weiterbetreuung. Das Fachgebiet der Proktologie mit seinem hohen Spezialisierungsgrad und seinen fachübergreifenden Inhalten bietet sich hier besonders an. Grundlage für eine solche Kooperation sind eine konsequente Digitalisierung, ein funktionierender Datenaustausch zwischen Krankenhäusern und Praxen sowie der gemeinsame Wille zu einer kollegialen Zusammenarbeit.

In der heutigen Ausgabe der „Passion Chirurgie“ haben wir vier Themen aus dem Bereich der Proktologie für Sie, liebe Leserinnen und Leser aufbereitet, um Ihnen einen Überblick über den aktuellen Stand der heutigen Therapieoptionen geben zu können. Mit unseren Referenten, die alle seit vielen Jahren führend auf diesem Fachgebiet national und international tätig sind, hoffen wir Ihnen unser Fachgebiet sowie unsere Begeisterung für die Proktologie näherzubringen. Diese Ausgabe der Passion Chirurgie wird sich darüber hinaus ausführlich mit den gesundheitspolitischen Positionen der Parteien zur Bundestagswahl 2021 befassen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Dr. med. Arndt Voigtsberger

Voigtsberger A: Editorial – Update Proktologie 2021. Passion Chirurgie. 2021 Juli/August; 11(07/08): Artikel 01.