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Wohin geht es mit der Chirurgie, vor allem mit der „deutschen“ Chirurgie? Ein Thema, das den BDC immer wieder beschäftigt und das wir versuchen aktiv zu gestalten. So viel steht für uns in allen chirurgischen Fachgesellschaften jedenfalls fest: ChirurgIn ist ein Beruf mit Zukunft. Dennoch gelingt es nicht, langgehegte Vorurteile über diesen anspruchsvollen, handwerklich geprägten und wissenschaftlich fundierten Beruf auszuräumen. Umso wichtiger ist es, dazustellen, welche Chancen sich in der Chirurgie bieten und wie diese Chancen in den unterschiedlichen Fachgebieten genau aussehen.

Auch mit Blick auf die neue Legislaturperiode der Bundesregierung werden sich vielleicht neue Verhandlungsspielräume bieten, die die beruflichen Werdegänge eines Chirurgen verändern könnten, z. B. bei der zunehmenden Öffnung der Sektorengrenze.

„Zukunftschancen in den chirurgischen Fachgebieten“ als „Dauerbrenner“ war auch das Thema einer Sitzung beim letzten Kongress der DGCH. Vertreter der verschiedenen Fachsäulen im Gebiet Chirurgie sowie ein Gesundheitsökonom gaben auf Einladung des BDC und der DGCH Einblicke in ihr Fach. Wir haben für Sie die Kernaussagen einiger Vertreter zusammengestellt. Wohin geht die Reise? Lesen Sie selbst…

… aus Sicht des Gesundheitsökonomen

Vier Entwicklungstrends bestimmen die Zukunft der Chirurgie. An erster Stelle ist die ökonomische bzw. wirtschaftliche Entwicklung zu nennen, von der entscheidend der Finanzierungspielraum der Krankenversorgung abhängt. Insbesondere ist es die demographische Entwicklung, die die künftige Finanzierung begrenzen wird. So nimmt die Zahl der aktiven Beitragszahler ab und die der passiven Leistungsempfänger, das ist insbesondere die Seniorengeneration, deutlich zu. Für die Chirurgie bedeutet dies, dass einerseits die Alterschirurgie an Bedeutung gewinnt und andererseits das Potenzial an Ärztinnen und Ärzten schrumpft. Es wird insbesondere darauf ankommen, mehr Frauen für den chirurgischen Beruf zu begeistern.

Zweitens bedarf das System der Kranken- bzw. Gesundheitsversorgung der Restrukturierung. Deutschland hat zu viele kleine Krankenhäuser und damit auch zu viele kleine Chirurgien. Es wird in Zukunft darauf ankommen, durch eine Zentralisierung und Spezialisierung die Effizienz der Medizin und damit auch der Chirurgie zu steigern. Daneben ist die Tageschirurgie in Deutschland unterentwickelt und bedarf der Förderung. Auch das Fallpauschalensystem bedarf der Korrektur dort, wo hohe Fallzahlen das ökonomische Überleben sichern. Hier muss durch Qualitätssicherung Einhalt geboten werden.

Drittens fordern medizinisch-technische Entwicklungen die Chirurgie durch immer neue Methoden heraus. Die Chance für junge Chirurgen/innen liegt darin, dass sie unvoreingenommen den medizinisch-technischen Entwicklungen gegenüber treten. Es gilt die Chirurgie vor allem für Methoden der unterstützenden Technologien, wie zum Beispiel Robotertechnik, zu öffnen und unterstützende neue Berufe zu integrieren.

Schließlich sind es viertens gesellschaftliche Entwicklungstrends, welche die Zukunft der Chirurgie prägen. Hier sind zum einen die Digitalisierung des Alltagslebens, die Informationsherrschaft der sozialen Medien und die damit einhergehende postfaktische Meinungsmache, welche den Alltag der Chirurgen/innen prägen. Spektakuläre Ereignisse, wie die Prioritätensetzung in der Transplantationschirurgie, werden so in einer Öffentlichkeit diskutiert und kommentiert, der sich auch die Chirurgie stellen muss.

Letztlich bleibt als Ausblick, dass sich der Reformzyklus „Nach der Wahl ist vor der Reform“ bis in die Mitte des Jahrhunderts fortsetzen wird. Ein Zyklus, der junge Chirurgen/innen nicht verunsichern darf, da dies letztlich Anpassungen an die oben geschilderten Entwicklungstrends sind.

… aus Sicht der Plastischen und Wiederherstellungschirurgie

In den letzten Jahrzehnten hat sich durch die Spezialisierung in der Chirurgie die Versorgung der Patienten weiter optimiert. Gleichzeitig haben sich die Ziele verändert: Das pure Überleben einer Operation reicht längst nicht mehr aus. Form und Funktion und damit die Lebensqualität eines Patienten rücken immer mehr in den Vordergrund. Gleichzeitig kommt es zu einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung. Gerade das Fachgebiet Plastische Chirurgie wird aus diesen Gründen in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.

Seit mehr als 20 Jahren ist die Plastische Chirurgie ein eigenständiges Fachgebiet wie etwa Unfallchirurgie, Viszeralchirurgie, Herzchirurgie oder auch Gefäßchirurgie mit zwei Jahren Weiterbildung im Common Trunk und vier Jahren Spezialisierung im eigentlichen Fachgebiet. Leider wird das Fachgebiet Plastische Chirurgie noch zu oft in der Bevölkerung wie in der Ärzteschaft als Ästhetische Chirurgie aufgefasst [1]. Dies liegt wohl in dem gegenüber anderen Fachgebietsbezeichnungen schwer bildlich vorstellbaren Begriff „Plastisch“ begründet. Das Gegenteil ist aber der Fall: Das Fachgebiet besteht aus den vier Säulen Rekonstruktive Chirurgie, Verbrennungschirurgie, Handchirurgie und Ästhetische Chirurgie (Abb.1).

Der Plastische Chirurg ist also in allen Körperregionen tätig und stellt vorwiegend Form und Funktion nach Verletzungen oder Tumorresektionen wieder her. Dies bedingt ein hohes Maß an Vielseitigkeit und gleichzeitig an interdisziplinärer Zusammenarbeit mit anderen chirurgischen Fachgebieten. Vor allem spezielle Techniken wie etwa der mikrochirurgische Gewebetransfer mit der autologen Transplantation von freien Lappenplastiken etwa in der Wiederherstellung der Extremitäten oder auch der Brustrekonstruktion nach Mamakarzinom zeichnen das Fachgebiet aus. Dabei kommen dem Fachgebiet eine exzellente Weiterbildungsstruktur und eine umfangreiche Forschung als Fundament zu Gute. Darüber hinaus haben längst alle Säulen weitere Unterspezialisierungen erfahren, so dass sich Plastische Chirurgen oft auch nur auf einzelne Spezialgebiete fokussieren.

Abb. 1: Die vier Säulen der Plastischen Chirurgie auf dem Fundament der Forschung.

Neben der inhaltlich zunehmenden Bedeutung der Plastischen Chirurgie wird auch der ständig steigende Kostendruck im Gesundheitssystem eine primäre spezialisierte Versorgung immer deutlicher einfordern: Längst vorbei sind die Zeiten der „Rekonstruktiven Leiter“ in denen Patienten mit großen Gewebedefekten egal in welcher Körperregion in nicht-spezialisierten Abteilungen über Monate stationär behandelt wurden und erst dann einem Plastischen Chirurgen vorgestellt wurden [2]. Zurecht fordern Patienten und Gesundheitssystem eine frühzeitige spezialisierte Versorgung durch den Plastischen Chirurgen, der Gewebedefekte frühzeitig z. B. durch freie Lappenplastiken schnell und sicher zum Wohle des Patienten verschließen kann. Der weitere Ausbau von spezialisierten Abteilungen für Plastische Chirurgie mit der dafür notwendigen Infrastruktur auch an kleineren Kliniken ist daher unvermeidbar [2]. Immer mehr wird die Plastische Chirurgie so zum Auszeichnungsmerkmal eines Krankenhauses, welches auch Patienten mit komplexen Gewebedefekten schnell, kompetent und zuverlässig behandeln kann.

Die Vielseitigkeit des Fachgebiets und seiner Techniken verbunden mit den exzellenten Zukunftschancen führen zu einer ungebrochenen Attraktivität des Fachgebiets für den chirurgischen Nachwuchs.

… aus Sicht der Gefäßchirurgie

Wäre man der Vorhersage der European Society for Cardiology gefolgt, wäre die Gefäßchirurgie spätestens seit 1997 ein totes Fachgebiet gewesen. Hintergrund war die Weiterentwicklung der invasiven Gefäßtherapie in Richtung katheterbasierter Techniken, deren Implementierung mit dem klassischen Verständnis der Gefäßchirurgie als offen-rekonstruktives chirurgisches Fach an den nicht-herznahen Gefäßen nicht kompatibel schien. Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie hat jedoch – die Entwicklung der invasiven Gefäßtherapie vorausschauend – bereits sehr frühzeitig die Kathetertechniken in ihr Portfolio der Weiterbildungsordnung implementieren können, sodass diese Techniken bereits seit 1994 zum therapeutischen Armamentarium der Gefäßchirurgen gehören. Seither hat der Stellenwert der endovaskulären Therapie zugenommen, sodass zusätzlich spezielle akkreditierte Weiterbildungen innerhalb der DGG implementiert wurden (Endovasuklärer Chirurg, Endovaskulärer Spezialist).

Die Einführung von interdisziplinären zertifizierten Gefäßzentren, an denen neben der Gefäßchirurgie die Radiologie und Angiologie beteiligt sind, hat die organorientierte Ausrichtung des Faches geschärft. Die aktuellsten Entwicklungen gehen jedoch mit der Bildung von organorintierten Kliniken über die Zentrumsbildung noch hinaus, denn sie haben Einfluss auf die Weiterbildung der Assistenten hin zum Gefäßspezialisten, der neben der invasiven Therapie und der Diagnostik von Gefäßerkrankungen auch Kenntnis über deren medikamentöse Therapie hat und damit auch die Behandlung der für den Gefäßpatienten typischen kardiovaskulären Komorbiditäten einschließt. Anders als andere chirurgische Fachgebiete geht die Gefäßchirurgie damit den Weg in Richtung der Gefäßmedizin und versteht sich damit als Spezialisierung, die neben der Behandlung des aktuellen Gefäßproblems ihre Patienten im weiteren Verlauf ihrer Erkrankung lebenslang begleitet: Es geht neben der Beseitigung des akuten Gefäßproblems um die Optimierung der Gesamtperformance des kardiovaskulären Patienten. Hier kommt dem Gefäßtherapeuten von morgen eine entscheidende Rolle zur Verbesserung der Langzeitprognose seiner Patienten zu, die bis heute quo ad vitam noch etwa zehn Jahre unter derjenigen der altersadjustierten Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt.

… aus Sicht der Thoraxchirurgie

Die Einführung von unterschiedlichen Facharztsäulen unter dem Dach der Chirurgie hat zu einer fortwährenden Modernisierung und Spezialisierung geführt. Eine weitere Spezialisierung ist nur in High-volume Zentren möglich. Volume-outcome Studien zeigen die Notwendigkeit dieser Zentren. Nach Zahlen des statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2016 gilt für die Thoraxchirurgie jedoch die Devise: „Viele machen wenig und wenige machen viel“. 43 Prozent aller anatomischen Lungenkrebsoperationen werden in Kliniken durchgeführt die weniger als 75 Eingriffe beim Lungenkarzinom pro Jahr durchführen. Umgekehrt erbringen nur 10 Prozent aller Thoraxchirurgien mehr als 100 anatomische Resektionen beim Lungenkarzinom im Jahr. Es stellt sich die Frage wie Kliniken mit geringer OP-Frequenz eine strukturierte Weiterbildung mit Subspezialisierung gewährleisten können.

ur Subspezialisierung bei minimal-invasiven anatomischen Resektionsverfahren, werden international Mindestmengen von bis zu 50 Eingriffen pro Operateur pro Jahr für eine entsprechende Lernkurve verlangt. Erlöse müssen hierbei kostendeckend sein. Aktuell besteht eine Diskrepanz zwischen dem Erlös bei komplexen und einfachen Resektionen. Hierbei würde eine Zentralisierung zu einer entsprechenden Mischkalkulation beitragen. Ziel einer weiteren Subspezialisierung muss der Nachweis des verbesserten Langzeitüberlebens des im Zentrum behandelten Patienten sein. Herr Prof. Hartwig W. Bauer formulierte im Februar 2017: „Mindestmengen in der Chirurgie – Wir wissen was zu tun ist und müssen tun was wir wissen.“ Die weitere Spezialisierung in der Thoraxchirurgie wird nur durch eine weitere Zentralisierung möglich sein, hierzu sind politische Lösungen zu fordern.

… aus Sicht der Herzchirurgie

Wenn man gerade sein Studium abgeschlossen hat, sucht man für sich eine Zukunft und fragt sich dabei auch, ob die Disziplin, für die man sich interessiert, eine Zukunft hat. Ich bin mir nicht sicher, ob es diese Frage ist, die sich junge Chirurgen stellen sollten. Als ich selbst mit der Herzchirurgie begann, wurden gerade die ersten Koronarstents implantiert und ich hörte von überall her, dass es in zehn Jahren keine Herzchirurgie mehr gäbe. Es gab viele rationale Gründe, dieses Fach nicht zu wählen. Aber ich war durch Praktika „angefixt“, fasziniert und hatte das Gefühl, dass das Fachgebiet und ich „zusammenpassen“. Mich haben diese rationalen Erwägungen dann auch wenig beeinflusst, da ich überzeugt blieb, dass dieses hochästhetische, akribische und heilende chirurgische Fach verbunden mit einem unglaublichen „Thrill“ schlichtweg das Richtige für mich war. Diese Überzeugung ist wichtig, gerade in Tagen des Nicht-Gelingens. Und nicht alles gelingt. Und die älteren Herzchirurgen, auf die ich traf und treffe, haben mich beeindruckt: sie wirkten wie Wanderer auf einem Weg, der durch das Gehen erst begehbar wird. Daran hat sich bis heute in dieser hochinnovativen Disziplin nichts geändert. Wer sich für Herzchirurgie interessiert, sollte sich zunächst die Fragen stellen, die ich in meinem Text „was ist ein guter Chirurg?“ zusammengefasst habe. Wer dann noch immer meint, dass er das Zeug zu einem guten Chirurgen hätte, ist damit bereits ein heißer Kandidat für die Zukunft der Herzchirurgie. Er muss sich darauf einstellen, sich in seinem Berufsleben mehrfach neu zu erfinden, neu zu definieren, neu zu lernen. Auch die Herzchirurgie, die ich vor 30 Jahren lernte, ist weit entfernt von der Herzchirurgie, die ich heute praktiziere. Er muss sich darauf einstellen, gebraucht zu werden.

Die Zukunft der Herzchirurgie wird definiert durch die Menschen, die sich für das Fach Herzchirurgie entscheiden und es auszufüllen und zu gestalten bereit sind. Und diese Zukunft sehe ich seit nunmehr dreißig Jahren unverändert mit großem Optimismus.

Ich könnte anführen, dass die Menschen – unsere Patienten – immer älter werden und damit die kardiovaskulären Erkrankungen überproportional steigen werden. Ich könnte anführen, dass eine immer aggressiver werdende Kardiologie nicht zuletzt die Herzchirurgie als Partner bei Komplikationen in immer weiter steigendem Maße brauchen wird. Ich könnte anführen, dass es viele Erkrankungen gibt, die nur durch Herzchirurgen erfolgreich behandelt und geheilt werden können. Ich könnte anführen, dass wenn die interventionellen Methoden ausgereizt sind, die Herzchirurgie weiterhin im Spiel ist. Ich könnte anführen, dass gerade das Organ „Herz“ Innovationen verspricht von „Contractile Patches“ über den „3-D-Druck“ von Klappen und vielleicht sogar Organteilen oder ganzen Herzen bis hin zu technologischen Neuerungen bei Herzersatz- bzw. Herzergänzungsverfahren. Aber das ist nicht das, was ich jungen Menschen mit auf den Weg geben möchte.

Ich sage zur Zukunft ganz einfache Dinge: Es wird immer eine Herzchirurgie geben. Es wird immer Ärzte geben, die in der Herzchirurgie, und nur in der Herzchirurgie ihr eigentliches, ihr wirkliches berufliches Glück finden werden und die – wenn sie etwas anderes tun – unabhängig von ihrem Erfolg das Gefühl nicht loswerden, sie seien irgendwie vom Weg abgekommen. Wenn man etwas liebt, was man mehr liebt als sich selbst und dieses tut, stellt sich als Begleitprodukt Glück ein. Von diesem Glück wissen viele ältere Herzchirurgen zu berichten. Und genau diese Menschen sind es, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, dass die Herzchirurgie in den letzten dreißig Jahren allen Ansagen trotzend eine glänzende Vergangenheit hatte und eine glänzende Zukunft haben wird. Und so ist das einzige, was ich jungen Menschen wirklich sagen kann: Folge Deinem Herzen und folge Deinem Herzen. Mehr gibt es nicht. [3]

Literatur

[1] Giunta RE; Schmidt-Tintemann U.  Was soll Plastische Chirurgie? Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 191–192

[2] Giunta RE. Über die Solidarität unter den chirurgischen Fachgebieten oder „Wer nicht mit am Tisch sitzt, landet auf der Speisekarte“ Handchir Mikrochir Plast Chir 2016; 48: 61–64

[3] Christian Friedrich Vahl (2014) Was ist ein guter Chirurg Dtsch Ärztebl (6)

Seifert J: Zukunftschancen in den chirurgischen Fachgebieten. Passion Chirurgie. 2017 November, 7(11): Artikel 03_03.

Autor des Artikels

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Prof. Dr. med. Julia Seifert

Zuständigkeit Hygiene im BDCLeitende Oberärztin der Klinik für Unfallchirurgie und OrthopädieUnfallkrankenhaus BerlinWarenerstr. 712683Berlin kontaktieren

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