01.03.2011 Arbeitsbedingungen
Außertarifliche Verträge für alle Seiten positiv
Interview zur Arbeitsmarktsituation im März 2011 und der Gestaltung von außertariflichen Arbeitsverträgen für Oberärzte mit Dr. med. Peter Windeck, Hannover.
Wie schätzen Sie die Arbeitsmarktsituation für chirurgisch tätige Oberärzte derzeit und in naher Zukunft ein?
Ich halte sie für sehr günstig, und sie wird sich perspektivisch auch nicht verschlechtern, sondern ganz im Gegenteil, sie wird noch günstiger.
Gibt es Unterschiede in den einzelnen chirurgischen Disziplinen und sind einzelne Subdisziplinen vielleicht besonders gefragt?
In den kleineren Bereichen wie Thoraxchirurgie, Gefäßchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie etc. gibt es noch weniger Bewerber als in den Basisqualifikationen, wie z. B. Viszeralchirurgie und Unfallchirurgie/Orthopädie.
Welche sonstigen Qualifikationen außer der fachlichen und operativen Expertise werden heute aus Ihrer Erfahrung heraus von chirurgischen Oberärzten erwartet?
Das muss man ein bisschen differenzieren. Wir haben einmal den jungen Oberarzt, der gerade aus der Facharztposition heraus kommt und die erste Oberarztstelle annimmt. Da ist fachliche Expertise entscheidend. Mit zunehmender Leitungs- und Managementfunktion werden wesentlich wichtiger die Führungsfähigkeiten, organisatorische und betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse sowie gute kommunikative Fähigkeiten nach innen und außen. Ähnliche Themen, wie sie auch für Chefärzte relevant sind, weil sich das Aufgabenspektrum der Oberärzte ja auch ändert. Die Häuser tragen zunehmend der Tatsache Rechnung, dass ein Oberarzt heute nicht mehr Befehlsempfänger ist, der im wesentlichen das ausführt, was der Chefarzt ihm vorgibt, sondern jemand mit einer hohen fachlichen Qualifikation, der einen eigenen Verantwortungsbereich und Entscheidungsspielraum hat. Das erfordert dann aber zunehmend diese anderen nichtchirurgischen Qualifikationen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Berufsbildes „chirurgischer Oberarzt“ in der Zukunft? Muss er bedingt durch den Nachwuchsmangel vermehrt Aufgaben übernehmen, die klassischerweise Assistenzarzttätigkeit waren?
Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, dass sich die Häuser vielleicht differenzieren werden. Das wird aber schon lange diskutiert und man kann an der Umsetzung durchaus seine Zweifel haben. Wenn wir Kliniken haben, die nicht mehr Ausbildungskliniken sind, wird sich natürlich das Tätigkeitsspektrum, der dann dort tätigen Facharztcrew verändern. Wir reden dann nicht mehr ganz klassisch über Oberarzt und Chefarzt und Assistenzarzt, sondern über ein Facharztteam, das sich die Aufgaben aufteilt. Ob das das Grundmodell wird, weiß ich nicht, diskutiert wird es seit langem, aber es wird wenig umgesetzt. Es wäre eine Konsequenz, wenn nicht mehr genügend Ausbildungsassistenten vorhanden sind. Andernfalls wird es wohl eher zu einer Verlagerung von ärztlichen Basisaufgaben an andere Berufsgruppen kommen soweit dies rechtlich möglich ist. Oberärzte sind eine viel zu teure Personalressource, um diese regelmäßig für einfache Basisaufgaben einzusetzen.
Können Sie Aussagen zu durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten als Oberarzt treffen und gibt es regionale Unterschiede oder in den verschiedenen chirurgischen Fachdisziplinen Unterschiede?
Die Verdienstmöglichkeiten von Oberärzten sind in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Das liegt einfach am Angebot und der Nachfrage. Dem trägt auch das Bestreben der Häuser Rechnung, diese Positionen in außertarifliche Positionen umzuwandeln, weil dann in dem Bereich viel mehr Handlungsmöglichkeiten als im Tarifbereich vorhanden sind. Ich denke, dass sich die Vergütung heute im Durchschnitt zwischen 100.000 Euro und 130.000 Euro als Gesamtvergütung bewegt. Allerdings mit einer starken Schwankungsbreite. Es ist naturgemäß so, dass wenn die Knappheit im Markt größer ist bzw. ich spezialisierte für das Haus wichtige Kenntnisse mitbringe, meine Möglichkeit, die Vergütung anders zu verhandeln, größer ist als wenn ich „Wald- und Wiesenkenntnisse“ mitbringe.
Wie groß sind die Verdienstdifferenzen zwischen den verschiedenen Oberarztkategorien, leitender, geschäftsführender, oder Funktionsoberarzt?
Zwischen Funktionsoberarzt und dem leitenden Oberarzt sind sie schon deutlich, innerhalb der Oberarztriege nicht so dramatisch, wie man vielleicht denken könnte. Auch da sind aber die Differenzierung und die Spannbreite sehr, sehr groß. Insofern wäre es verkehrt hier mit einem Mittelwert zu rechnen. Also es gibt durchaus leitende Oberärzte, geschäftsführende Oberärzte, die 150.000/160.000 Euro verdienen. Es gibt aber genauso gut die, die bei 110.000/120.000 Euro liegen. Der Funktionsoberarzt liegt knapp oberhalb des Facharztniveaus in der Regel. Neben der persönlichen Qualifikation und spielen hier natürlich auch andere Faktoren wie zum Beispiel Größe des Hauses und Leistungsspektrum der Abteilung eine erhebliche Rolle.
Wie groß ist die Differenz von Gehältern von Oberärzten und Chefärzten? Lohnt sich der Aufstieg aus finanzieller Sicht überhaupt noch, gerade vor dem Hintergrund von AT-Verträgen?
Klar lohnt sich der Aufstieg aus finanzieller Sicht immer noch. Ein Aufstieg sollte aber nicht primär unter finanziellen Aspekten betrachtet werden. Mit der Tätigkeit eines Chefarztes sind natürlich ganz andere Dinge verbunden, als mit der Tätigkeit eines Oberarztes, die ja immer noch einen starken fachlichen Fokus hat. Die Gewichte zwischen den Managementaufgaben und den medizinisch-fachlichen Aufgaben verschieben sich ja bei einem Chefarzt erheblich zu den Managementaufgaben. Wenn ich mir überlege, ob ich so eine Position einnehmen möchte, muss ich mir darüber in klaren sein, dass das so ist und ich muss auch Spaß an diesen Aufgaben haben. Ich sollte nicht eine Chefarztposition anstreben, nur weil ich denke, da verdiene ich dann mehr. Das wird mich nicht in meinem Beruf zufrieden machen, wenn ich eher fachlich orientiert bin.
Unter rein finanziellen Gesichtspunkten lohnt sich das naturgemäß nach wie vor. Umgerechnet auf zu leistende Stunden mag sich das schon wieder relativieren. Wenn ich die absolute Vergütung nehme, dann liegt die Differenz in der Regel bei ungefähr 60.000 Euro bis 100.000 Euro. Man darf nicht vergessen, dass sich auch die Vergütungen im Chefarztbereich bei der Neueinstellung von Chefärzten deutlich nach oben bewegen. Das ist hier wichtig: wenn wir insgesamt über Vergütungen reden, reden wir immer über Neu-Vergütungen. Es gibt einen Unterschied zwischen der Vergütungsentwicklung von langjährig im Haus tätigen Ober- und Chefärzten und der Neueinstellung. Nur im Fall der Neueinstellung tritt dieses Phänomenen von Angebot und Nachfrage zu Tage bzw. auch dann, wenn ich als Oberarzt oder Chefarzt Bleibeverhandlungen führe. Aber es ist immer mit einem potenziellen Wechsel verbunden. Wenn ich langjährig in einem Haus bleibe, dann wird meine Vergütungsentwicklung zu mindestens dann, wenn Sie sich innerhalb des Tarifbereiches bewegt, flacher verlaufen, als wenn ich die Stelle wechsele.
Wie beurteilen Sie die Tendenz zur Vergütung der Oberärzte über AT-Verträge? Halten Sie das für ein geeignetes betriebswirtschaftliches Mittel aus Sicht einer Geschäftsführung und für ein erstrebenswertes Ziel für die betroffenen Oberärzte?
Ich kann beides bejahen! AT-Verträge bewegen sich im arbeitsrechtlichen Rahmen, das heißt, die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen gelten im großen ganzen für außertarifliche Mitarbeiter, genauso wie für tarifliche, aber ich habe natürlich als Haus und als Mitarbeiter, der einen AT-Vertrag eingeht, andere Möglichkeiten, Vergütungselemente zu gestalten. Und das ist zunächst mal für beide Seiten positiv. Die Häuser streben das ja heute nicht an, um den Oberärzten etwas Böses zu tun, sondern einfach um einen Spielraum in der Vergütungsgestaltung außerhalb des Tarifes zu haben. Insofern ist es auch grundsätzlich positiv, für die Beteiligten. Wenn Sie mal einen Benchmark machen in den Industriebereich rein, ist das eigentlich ein Kriterium für den hierarchischen Aufstieg und für Karriere aus dem Tarifbereich in den außertariflichen Bereich zu wechseln. Wenn Sie sich das in der Industrie anschauen, entwickeln sich in der Regel die außertariflichen Segmente besser als die tariflichen in der Vergütungsentwicklung über die Jahre hinweg. Also ist es erst mal ein flexibles Instrument.
Dann kommt ein weiterer Aspekt dazu. Man darf nicht vergessen, dass sich die Vergütungen in den letzten Jahren im ärztlichen Bereich enorm entwickelt haben. Diese Entwicklung muss ja von den Häusern auch finanziert werden. Das Geld für diese Vergütungssteigerungen fällt ja nicht vom Himmel und muss erwirtschaftet werden, Das heißt, die Möglichkeit der Variabilisierung von Vergütungsbestandteilen über die Möglichkeit hinaus, die sagen wir mal der TVöD liefert, ist ja für die Häuser eine der Möglichkeit der Refinanzierung. Über die Variabilisierung kann ich als Haus sicher stellen, dass das Geld auch reinkommt mit dem ich dann die höhere Vergütung bezahle. Das ist grundsätzlich kein bestrafen der Oberärzte, überhaupt nicht. Zumindest nicht unter der Voraussetzung, dass die Zielvereinbarung zwischen den beiden Beteiligten, nämlich Oberarzt und Haus bzw. Chef fair getroffen wird. Es heißt ja auch ganz bewusst Zielvereinbarung und nicht Zieldiktat. Eine Zielvereinbarung führt sich sehr schnell ad absurdum, wenn man sie nicht erreichen kann. Das ist nicht das, wie man vorgeht und das ist auch nicht das, was die Häuser anstreben, weil das sehr schnell zu Unzufriedenheit führen würde. Also habe ich da mehrere Komponenten. Ich habe durch die außertarifliche Gestaltung mehr Flexibilität und ich habe die Möglichkeit für die Häuser durch die Erhöhung der variablen Vergütungsbestandteile auch die Refinanzierung hinzubekommen.
… also eine klassische Win-win-Situation …
Genau. Man sieht ja auch an den Daten der BDC-Umfrage (s. BDC-Umfrage zur AT-Vertragssituation unter Oberärzten, Red.), dass die Kolleginnen und Kollegen, die außertarifliche Verträge haben in der Regel damit sehr zufrieden sind.
Was gibt es aus Ihrer Sicht bei AT-Verträge für Oberärzte zu beachten?
Es sollte eine faire Vergütungsgestaltung bzw. ein faires Verhältnis zwischen fixen und variablen Bestanteilen sein, die beiden Vertragsparteien Rechnung trägt. Das heißt auch, man berücksichtigt welche persönlichen Einflussmöglichkeiten ein Oberarzt auf die Zielerreichung hat, um Einfluss zu nehmen auf variable Vergütungsbestandteile. Ich denke mal, dass variable Vergütungsbestandteile so in der Höhe von 10 bis 15 Prozent für einen normalen Oberarzt durchaus gerechtfertigt wären, aber nicht darüber hinaus, weil so groß ist sein Einfluss unterhalb der Chefarztebene in der Regel nicht. Wenn ich aber einen leitenden Oberarzt habe, der zum Beispiel als Sektionsleiter Wirbelsäulenchirurgie eigenständig dieses Gebiet verantwortet, kann ich natürlich auch eine andere variable Vergütungshöhe vereinbaren und das wäre sachlich auch gerechtfertigt.
In einem solchen AT-Vertrag sollte man natürlich auch auf die nicht-fiananziellen Vertragsbestandteile achten. Das sind Gehaltsfortzahlungen im Krankheitsfall, Urlaubsregelungen, Kündigungsregelungen usw. Ich denke, dass man da auch einfach darauf achten muss, dass es fair ist und auch den Gegebenheiten im Tarifvertrag weitgehend entspricht. Wobei man natürlich auch in dem Bereich durchaus nichtfinanzielle oder nicht unmittelbar finanziell wirksame Bestandteile verhandeln kann, z. B. Unterstützung bei Fortbildungen, Teilnahme an Kongressveranstaltungen oder auch die Finanzierung einer aufwendigeren Zusatzqualifikation. Solche Dinge sind ja indirekt auch vergütungserhöhend. Man sieht, dass hier die Flexibilität zum beiderseitigen Nutzen auch größer ist als im Tarifbereich.
(Das Gespräch führte Matthias Franzke)
Autor des Artikels
Dr. med. Peter Windeck
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