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Vorwort

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

im deutschen Gesundheitswesen spitzt sich der Fachkräftemangel Jahr für Jahr zu. So wird prognostiziert, dass 2035 ca. 1,8 Millionen Stellen nicht mehr besetzt werden können, was einem Engpass von 35 % entsprechen würde. Darüber hinaus können sich nur 30 % der Ärzt:innen und Pflegekräfte in unseren Krankenhäusern vorstellen, ihren Beruf bis zu Rente auszuüben. Diese besorgniserregenden Prognosen lassen zukünftig eine bundesweite Gefährdung unserer Gesundheitsversorgung vermuten.

Zwei Hauptursachen sollen für den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen verantwortlich sein: zum einen der demografischen Wandel und zum anderen die harten Arbeitsbedingungen in der Pflege bzw. Ärzteschaft.

Was sollen also Krankenhäuser tun, um diesen Problemen entgegenzuwirken? Sind sie überhaupt in der aktuellen Zeit von „Lauterbach und Laumann“ in der Lage dazu, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2023 ca. 20 % der Krankenhäuser Insolvenzgefährdet sind? Oder wird doch die Rechnung von „Bundes-Karl“ aufgehen und durch den Wegfall von ca. ein Fünftel der Krankenhäuser so viel Personal verfügbar, sodass wir gar keinen Mangel mehr haben?

Der vorliegende Artikel soll Ihnen einen Überblick geben, wie die Stellenbesetzungsprobleme in der Pflege und im Ärztlichen Dienst aussehen und welche Handlungsoptionen sich anbieten.

Spannende Lektüre

Prof. Dr. med. C. J. Krones und

Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

Stellenbesetzungsprobleme in Krankenhäusern

Der Fachkräftemangel bzw. Stellenbesetzungsprobleme bilden eine zentrale Herausforderung für die aktuelle und künftige Krankenhausversorgung in Deutschland. Der folgende Beitrag zeigt auf, dass sich die Stellenbesetzungsprobleme in den letzten Jahren berufsgruppenübergreifend massiv verschärft haben. Grundlage der Analysen bildet das Krankenhaus Barometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI).

Beim Krankenhaus Barometer handelt es sich um eine jährlich durchgeführte Repräsentativbefragung deutscher Krankenhäuser zu aktuellen gesundheits- und krankenhauspolitischen Themen. Die Ergebnisse des Barometers beruhen auf einer schriftlichen Befragung einer repräsentativen Stichprobe von zugelassenen Allgemeinkrankenhäusern ab 100 Betten in Deutschland.

Der Fachkräftemangel wird im Krankenhaus Barometer darüber gemessen, dass offene Stellen (wieder) besetzt werden sollen, aber mangels (geeigneter) Bewerber kurzfristig nicht besetzt werden können bzw. längere Zeit vakant bleiben. Aussagen dazu, inwieweit die aktuellen Stellenpläne bedarfsgerecht sind, werden – auch mangels objektiver und weitestgehend konsensfähiger Maßstäbe – somit ausdrücklich nicht getroffen. Nachfolgend werden Zeitreihen für die Ärzte, die Pflege und das OP-Personal präsentiert, der Beobachtungszeitraum beträgt jeweils 12 Jahre (2011–2022).

Stellenbesetzungsprobleme im Ärztlichen Dienst

Im Frühjahr 2022 hatten 72 % der Krankenhäuser Probleme, offene Stellen im ärztlichen Dienst zu besetzen. Im Vergleich zum Jahr 2019, als die Stellenbesetzungsprobleme bei Ärzten letztmalig erhoben wurden, ist die Entwicklung leicht rückläufig (Abb. 1). Jedoch hat sich m Zeitvergleich mit 2019 die Zahl der offenen Arztstellen je betroffenes Krankenhaus auf durchschnittlich fast sieben Vollkraftstellen nahezu verdoppelt (Abb. 1).

Abb. 1: Stellenbesetzungsprobleme im Ärztlichen Dienst

Rechnet man die Ergebnisse auf die Grundgesamtheit der Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten hoch, konnten bundesweit rund 5.200 Vollkraftstellen im Ärztlichen Dienst nicht besetzt werden. Das entspricht einem Anteilswert von rund 3 % der ärztlichen Vollkraftstellen in der genannten Grundgesamtheit.

Stellenbesetzungsprobleme im Pflegedienst auf Allgemeinstationen

89 % der Krankenhäuser hatten im Frühjahr 2022 Probleme, offene Pflegestellen auf Allgemeinstationen zu besetzen. Die Stellenbesetzungsprobleme im Pflegedienst der Allgemeinstationen haben seit 2011 kontinuierlich zugenommen (Abb. 2). In den letzten Jahren sind sie auf ohnehin hohem Niveau noch weiter gestiegen.

Abb. 2: Stellenbesetzungsprobleme im Pflegedienst auf Allgemeinstationen

Die von Stellenbesetzungsproblemen betroffenen Krankenhäuser konnten im Mittel rund 21 Vollkraftstellen nicht besetzen (Abb. 2). Hochgerechnet auf die Grundgesamtheit der Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten blieben bundesweit rund 20.600 Vollkraftstellen im Pflegedienst der Allgemeinstationen unbesetzt. Bezogen auf die Vollkraftstellen im Pflegedienst auf den Allgemeinstationen der Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten insgesamt sind knapp 8 % der Pflegestellen derzeit vakant.

Stellenbesetzungsprobleme in der Intensivpflege

Im Frühjahr 2022 hatten drei von vier Krankenhäusern mit Intensivstationen Probleme, offene Intensivpflegestellen zu besetzen. Der Anteil der vom entsprechendem Fachkräftemangel betroffenen Krankenhäuser hat sich in den letzten Jahren auf hohem Niveau stabilisiert (Abb. 3).

Abb. 3: Stellenbesetzungsprobleme in der Intensivpflege

Die von Stellenbesetzungsproblemen betroffenen Krankenhäuser konnten im Mittel fast elf Vollkraftstellen in der Intensivpflege nicht besetzen (Abb. 3). Hochgerechnet auf die Grundgesamtheit der Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten mit Intensivstationen blieben bundesweit rund 9.500 Vollkraftstellen in der Intensivpflege unbesetzt. Bezogen auf die Vollkraftstellen in der Intensivpflege der Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten insgesamt sind rund 14 % der Pflegestellen derzeit vakant.

Stellenbesetzungsprobleme im OP- und Anästhesiedienst

Das nicht-ärztliche Personal im Operationsdienst umfasst Operationstechnische Assistenten (OTA), weitergebildete OP-Pflegefachkräfte sowie nicht entsprechend aus- oder weitergebildetes OP-Personal. Das nicht-ärztliche Personal in der Anästhesie umfasst Anästhesietechnische Assistenten (ATA), weitergebildete Anästhesie- und Intensivfachpflegekräfte sowie Anästhesiepersonal ohne Aus- oder Weiterbildung.

62 % der Krankenhäuser hatten im Frühjahr 2022 Probleme, offene Stellen beim nicht-ärztlichen Personal im Operationsdienst zu besetzen (Abb. 4). Beim nicht-ärztlichen Personal im Anästhesiedienst waren 58 % der Krankenhäuser von Stellenbesetzungsproblemen betroffen. Die Krankenhäuser mit Stellenbesetzungsproblemen konnten im Mittel 4,5 Vollkraftstellen im Operationsdienst nicht besetzen. Für das nicht-ärztliche Personal in der Anästhesie lag der Durchschnittswert bei 3,3 Stellen (Abb. 4).

Abb. 4: Stellenbesetzungsprobleme im OP- und Anästhesiedienst

Rechnet man die Stichprobenergebnisse auf die Grundgesamtheit der Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten hoch, blieben bundesweit rund 2.500 Vollkraftstellen im Operationsdienst unbesetzt. Beim nicht-ärztlichen Personal in der Anästhesie konnten hochgerechnet rund 1.700 Vollkraftstellen nicht besetzt werden. Bezogen auf die Vollkraftstellen im OP- und Anästhesiedienst insgesamt sind jeweils knapp 8 % der Stellen derzeit vakant.

Diskussion

In allen betrachteten Berufsgruppen hat der Fachkräftemangel, gemessen an der Anzahl und dem Anteil vakanter Vollkraftstellen, zwischen 2011 und 2022 deutlich zugenommen. Im Beobachtungszeitraum fällt die Zunahme vakanter Stellen im Pflegedienst auf den Allgemein- und Intensivstationen im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen besonders stark aus.

Gemessen am Anteil der von Stellenbesetzungsproblemen betroffenen Häuser ist in den letzten Jahren im Ärztlichen Dienst ein leichter Rückgang, in der Pflege auf den Allgemeinstationen ein moderater Anstieg und in der Intensivpflege eine weitgehend stabile Entwicklung zu beobachten. Der steigende Fachkräftemangel bei Ärzten und in der Pflege ist daher maßgeblich auf die deutliche Zunahme vakanter Stellen pro Krankenhaus pro Berufsgruppe zurückzuführen.

Im Unterschied zum Pflege- und Ärztlichen Dienst hat der Fachkräftemangel bei den nicht-ärztlichen OP- und Anästhesieberufen erst in den letzten Jahren des Beobachtungszeitraums merklich zugenommen. Hier sind sowohl der Anteil der betroffenen Häuser als auch die Anzahl der offenen Stellen deutlich angestiegen.

Angesichts von massiven Stellenbesetzungsproblemen und des signifikanten Personalmehrbedarfs im Krankenhaus, insbesondere bei wünschenswert verbesserten Personalschlüsseln, stellt sich die Frage, welche grundsätzlichen Handlungsoptionen für eine verbesserte Personalausstattung bestehen. Hier bieten sich im Wesentlichen die folgenden Handlungsoptionen an:

  • Die Aus- und Weiterbildungskapazitäten in den Gesundheitsberufen sind kontinuierlich auszubauen. Für die Bekämpfung des Fachkräftemangels und perspektivisch verbesserte Personalschlüssel ist dieser Kapazitätsausbau erforderlich.
  • Durch einen längeren Berufsverbleib und einen verzögerten Renteneintritt können beim vorhandenen Personal zusätzliche Vollzeitäquivalente gewonnen werden. Für diese Zwecke bieten sich vor allem Maßnahmen des altersgerechten Arbeitens, der Personalentwicklung und ein betriebliches Gesundheitsmanagement an.
  • Durch Arbeitszeitverlängerungen bei Teilzeitkräften bzw. reduzierte Teilzeitquoten in den Gesundheitsberufen können zusätzliche Vollzeitäquivalente generiert werden. Zu diesem Zweck sind Arbeitszeitmodelle und Arbeitsbedingungen zu entwickeln, die es Teilzeitkräften erleichtern, länger und flexibler zu arbeiten.
  • Viele Beschäftigte, vor allem in den nicht-ärztlichen Berufen, steigen vorzeitig oder längerfristig aus dem Beruf aus, etwa während der Phase der Elternzeit und Kindererziehung. Durch entsprechende Akquiseaktivitäten, wie Kontakthalte-, Wiedereinstiegs- und Qualifizierungsprogramme sowie familienorientierte Angebote, kann diese „stille Reserve“ gezielt angesprochen werden.
  • Durch einen gezielten Abbau von Dokumentation und Administration in den Gesundheitsberufen und eine weitreichende Digitalisierung der Dokumentation und anderen Prozessen im Krankenhaus haben die Mitarbeiter mehr Zeit für patientennahe Tätigkeiten. Damit verbessert sich Versorgungsqualität für die Patienten sowie die Berufszufriedenheit der Mitarbeiter und ihre Bindung an das Krankenhaus.

Politik und Selbstverwaltung sind gefordert, die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für eine angemessene Personalsituation im Krankenhaus zu schaffen, etwa über die Kalkulation der Leistungsentgelte, die Erhöhung der Ausbildungsbudgets, Bürokratieabbau und bedarfsorientierte Personalregelungen. Die Krankenhäuser können ihrerseits durch eine erhöhte Arbeitgeberattraktivität zusätzliche Fachkräfte generieren bzw. einen längeren Verbleib in den Gesundheitsberufen begünstigen.

Literatur

[1]   Deutsches Krankenhausinstitut (2011 ff.): Krankenhaus Barometer. https://www.dki.de/barometer/krankenhaus-barometer (27.03.2023)

Dr. Karl Blum

Vorstand

Deutsches Krankenhausinstitut e. V.

Hansaallee 201, Haus 1

40549 Düsseldorf

[email protected]

www.dki.de

Gesundheitspolitik

Blum K: BDC-Praxistest: Wo sind unsere Ärzte und Pflegekräfte hin? Passion Chirurgie. 2023 September; 13(09): Artikel 05_01.

Mehr Artikel zum Thema „Ärztemangel“ finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Karriere | Arbeitsmarkt.

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