25.02.2020 Arbeitsbedingungen
„Wir brauchen einen Struktur- und Kulturwandel“ – Interview zum Lehrwandel im PJ
Im vergangenen Jahr hat das Projekt „Faires PJ“ der Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschlands e.V. (bvmd) für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Auch der BDC hat sich verstärkt dem Thema gewidmet: das Themen-Referat Nachwuchs entwickelt aktuell gemeinsam mit dem Perspektivforum Junge Chirurgie und der bvmd ein PJ-Gütesiegel. Wir haben mit Jeremy Schmidt über die aktuellen Entwicklungen gesprochen und gefragt, was sich neben den strukturellen Veränderungen noch alles ändert.
Was hat sich politisch schon bewegt beim Thema Praktisches Jahr?
Schmidt: Wir haben mit unseren Aktionen und der Petition scheinbar den Nerv der Zeit getroffen und bekommen viel Unterstützung. Mit so viel Presse- und Medienresonanz hätten wir niemals gerechnet. Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene haben wir schon viele Gespräche geführt. Wir haben definitiv eine politische Diskussion ausgelöst und ein Problembewusstsein geschaffen.
Vor einigen Wochen wurde der erste Entwurf für die Änderung der Approbationsordnung vorgelegt. Wie zufrieden sind Sie?
Schmidt: Wir sind noch mitten in der Sichtung, aber auf den ersten Blick positiv aufgefallen ist, dass viele unserer Forderungen zum PJ aufgenommen worden sind, z. B. vier Stunden Lehrzeit, acht Stunden Selbststudium, bessere Betreuung und mehr Zugang zu Patienten. Wichtig ist, dass es nur ein Arbeitsentwurf ist und wir weiter für Bestand und ggf. Ausbau kämpfen werden. Im Entwurf ist ebenfalls eine neue Richtung hin zur Kompetenzorientierung zu erkennen, die Möglichkeit der vorklinischen Leistungsnachweise mit minimal 10 Prozent Kompetenznachweisen sind uns aber noch zu wenig. Die Übergangszeit ist aktuell bis 2025 angesetzt, die Umsetzung sollte aber bereits früher in die Wege geleitet werden.
In der Praxis tut sich ja schon länger etwas. Welche Leuchtturm-Projekte gibt es denn schon, die Vorbild für andere Kliniken sein können?
Schmidt: Die Uniklinik in Magdeburg hat sich beispielsweise schon sehr engagiert und hat, was die Positionsforderung angeht, schon große Veränderungen angekündigt bzw. umgesetzt. Das war das erste Erfolgsprojekt unter Kliniken. Ansonsten läuft sehr viel auf lokaler Ebene an ganz vielen Stellen – dort werden viele kleinere Änderungen umgesetzt. In vielen Städten bewegt sich auch schon einiges, wie der eigene PC-Zugang für PJler, dringend notwendige Verbesserungen der Kittelsituationen etc. Dadurch, dass wir so viel Rückendeckung aus Bevölkerung, Institutionen und Politik, auch der Bundesärztekammer, haben, sehen viele Kliniken Handlungsbedarf.
Aber wie sieht es denn mit der Aufwandsentschädigung aus? Da scheiden sich doch sicher die Geister!?
Schmidt: Ja, die Aufwandsentschädigung ist lokal wirklich sehr unterschiedlich – die Bedeutung wird dementsprechend verschieden eingeschätzt. Es variiert stark nach Finanzierungsstand der Kliniken, deswegen hoffen wir dabei auf eine bundesweite Regelung. Aber auch bei diesem Punkt gibt es einige Kliniken – wie z. B. in Magdeburg – die schon konkrete Änderungen bei der Entschädigung für PJler planen. Im aktuellen Entwurf der Approbationsordnung zeigen sich hier leider keine Verbesserungen und somit können Studierende in finanziell schwierigen Situationen PJ-Plätze ohne oder nur mit geringer Aufwandsentschädigung nicht nutzen. Aber man muss auch ganz klar sagen, dass bessere Strukturen – wie eben die Aufwandsentschädigung – nicht gleich bessere Lehrqualität bedeuten. Hierfür brauchen wir neben einem Strukturwandel ganz besonders auch einen Kulturwandel.
Was ist in Ihren Augen entscheidend für die bessere Lehrqualität im Praktischen Jahr?
Schmidt: Als Beispiel hierfür gibt es tolle Leuchtturm-Projekte, u. a. an der Uni-Klinik Heidelberg, das auch schon in einigen anderen Städten verwirklicht wurde und von einem Projekt der bvmd bundesweit gefördert wird: Die Heidelberger Interprofessionelle Ausbildungsstation (HIPSTA). Eine Lehrstation, wo Medizinstudierende im PJ mit anderen Auszubildenden bzw. Studierenden anderer Gesundheitsberufe z. B. Pflegeauszubildende im letzten Jahr eigenverantwortlich die Patientenbetreuung übernehmen – unter Begleitung von examinierten Kolleginnen und Kollegen, die aber nur in kritischen Momenten intervenieren und sonst Feedback- und Ratgebende sind. Somit lernen die Auszubildenden auf der Station gleich Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Wir müssen davon wegkommen, dass PJler morgens in die Klinik kommen und dorthin geschickt werden, wo gerade Personallücken zu füllen sind. Der Fokus muss ganz klar auf der ganzheitlichen Betreuung von Patienten liegen und diese Idee wird in den Interprofessionellen Ausbildungszentren bereits gelebt.
HIPSTA – Heidelberger Interprofessionelle AusbildungsstationIn der chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg können Studierende Patienten selbst betreuen – das Projekt zur Interprofessionellen Ausbildung wurde nach einem schwedischen Beispiel aufgebaut. „Erasmus-Studierende haben mit der Idee aus Stockholm offene Türen bei der Pflege eingerannt“, erzählt PD Dr. med. André Mihaljevic, Oberarzt, Lehrkoordinator und ärztlicher Leiter der HIPSTA. Durch ein Förderprogramm der Robert Bosch Stiftung konnte das Projekt im Jahr 2017 dann schnell umgesetzt werden. In Heidelberg verbringt möglichst jeder PJler einen Monat auf der Ausbildungsstation, auf der meist sechs Patienten versorgt werden. „Erst war man skeptisch, welche Patienten man dort aufnehmen könne, aber durch die intensive und individuelle Patientenpflege werden sogar maximal große onkologische Operationen versorgt“, so Mihaljevic. Neben dem Mehrwert für Patienten und die Ausbildungsqualität der PJler wirkt sich die Zusammenarbeit der Studierenden mit den Auszubildenden anderer Gesundheitsberufe positiv auf das Miteinander aus – auch für die Zukunft. Alle Auszubildenden und Studierenden werden selbstverständlich beaufsichtigt – Mihaljevic spricht aber nicht gern von Supervision, weil es das „Von-oben-nach-unten-Prinzip“ quasi im Namen trägt. Er nennt sich und die anderen examinierten Begleiter lieber „Facilitator“ (oder Lernbegleiter). Die HIPSTA wird ständig weiterentwickelt. Aktuell werden Physiotherapeuten in ihrer Ausbildung auch mit eingebunden. Jeder Patient auf HIPSTA bekommt neben einem Arztbrief einen laienverständlichen Patientenbrief bei Entlassung ausgehändigt. |
Die intensivere Betreuung im PJ und Verbesserung der Lehre bedeutet ja auch, dass die Lehrenden gut dafür geeignet sein müssen. Gibt es da Ideen der bvmd?
Schmidt: Das ist tatsächlich ein größeres Problem, das angegangen werden muss. Oft sind Assistenzärzte, die die Betreuung von PJlern übernehmen, überhaupt nicht auf ihrer Rolle als „Ausbilder“ vorbereitet. Diese sind oftmals aber näher an der „echten“ Stationsarbeit, gehen auf anderen Ebenen mit den PJlern um und können daher sehr wertvoll sein. Ohne Schulungen allerdings kommt es oftmals zur Frustration auf beiden Seiten. Es gibt Überlegungen auf lokaler Ebene, bei den Assistenzarzt-Einführungen spezielle Trainings als Unterstützung anzubieten.
Was wird als nächstes passieren bzw. was ist seitens der bvmd geplant, um die Verbesserung des Praktischen Jahrs voranzutreiben?
Schmidt: Wir werden weiterhin auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene agieren, weil wir „im Kleinen“ oft schneller etwas erreichen und ändern können. Wir sind sehr auf das Engagement der lokalen Fachschaften angewiesen, aber aktuell funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Wir versuchen natürlich, noch mehr Ideen zur Verbesserung der Lehre einzubringen und arbeiten dafür mit den entsprechenden Gremien zusammen. Ich plane z. B. gerade den Versuch, ein „PJ-Peer Teaching“ zu organisieren. Es gibt also viele Ideen und zum Glück auch viele Beteiligte, die für das Thema brennen – sei es auf struktureller Ebene oder in Bezug auf die Ausbildungsqualität. Mit dem BDC werden wir auch weiter an der Idee zum PJ-Gütesiegel in der Chirurgie weiterarbeiten. Wir sind auf einem guten Weg!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Julia Weilbach, Presse & Social Media, Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC).
Schmidt J: „Wir brauchen einen Struktur- und Kulturwandel“ – Interview zum Lehrwandel im PJ. Passion Chirurgie. 2020 Januar, 10(01): Artikel 09.
Autor des Artikels
Jeremy Schmidt
Bundeskoordinator für Medizinische AusbildungBundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd)German Medical Students‘ Association kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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