01.04.2023 Fachübergreifend
Versorgung von chronischen Wunden in der chirurgischen Praxis
Erfahrungsbericht der letzten Jahre
Der hier dargestellte Organisationsablauf kann und soll nur eine Möglichkeit der Organisation sein, selbstverständlich ist dieser nur auf unsere Praxis zugeschnitten, kann und muss auf die individuellen Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Es soll hier keine dogmatische Darstellung erfolgen.
Die Behandlung chronischer Wunden stellt für die allgemeinchirurgische Praxis (aber auch für die allgemeinmedizinische Praxis) in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung dar. Die Flächenabdeckung mit Einrichtungen, die sich dieses Behandlungsfeld zu eigen gemacht haben, ist sehr gering. Es ist zu erwarten, dass die Anzahl der Patienten in denjenigen Praxen, die sich um chronische Wunden kümmern, in die Höhe schnellen werden.
Dies kann betriebswirtschaftlich auch Vorteile für die beteiligten Praxen mit sich bringen. Patienten mit chronischen Wunden können neben dem reinen Verbandwechsel auch abrechenbare Leistungsziffern (Débridement, Minor-Amputationen) oder gar extrabudgetäre Erlöse, wie z. B. bei der ambulanten Vakuumtherapie, generieren.
Darüber hinaus sorgt das für die Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden erforderliche Netzwerk für eine positive Außendarstellung der Praxis und generiert hierüber auch andere Patienten bzw. vermehrte Zuweisungen.
Denn das „A“ und „O“ für eine erfolgreiche Wundbehandlung ist ein gutes Netzwerk zwischen ärztlichen Kollegen, Pflegediensten, Podologen, Ernährungsberatern und ggf. Homecare-Unternehmen. (Diese grundsätzlich abzulehnen wäre falsch).
Schlussendlich macht die Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden in größerer Zahl nur Sinn, wenn der Aufwand in der Praxis auf ein Minimum reduziert wird und die Behandlung außerhalb der Praxis so professionell als möglich durchgeführt wird, ohne die Ressourcen der Praxis zu belasten. Gerade hier kann die Zusammenarbeit mit einem guten Homecare–Unternehmen meiner Meinung nach den Unterschied machen.
Auch die sektorenübergreifende Versorgung findet in der Behandlung von chronischen Wunden ein Paradebeispiel. Gleichzeitig stellt diese Schlüsselposition aber auch ein großes Problem in der Versorgung dar.
Die Kommunikation mit den Kliniken ist leider an vielen Stellen mangelhaft. Eine gegenseitige Schuldzuweisung bei Therapieproblemen ist hier nicht zielführend. Vielmehr muss versucht werden, die Kommunikation dahingehend zu verbessern, dass die Versorgung von Hand zu Hand gewährleistet ist.
An erster Stelle erscheint mir hier eine persönliche Vorstellung und Kontaktaufnahme des Praxisarztes mit dem ärztlichen Klinikpersonal sinnvoll und dies sollte vom Chefarzt über den Oberarzt bis in die Assistenzarzt-Ebene reichen, da hier in Bezug auf Entlassungszeitpunkt überwiegend die Therapie-Entscheidungen getroffen werden. Ein vorzeitiges „mit ins Boot holen“ der weiterbehandelnden Praxis vor der Entlassung ist hier nicht nur wünschenswert, sondern für den Behandlungsverlauf und die Ressourcenplanung extrem wichtig.
Insbesondere bei einer Therapie mit einer Vakuumpumpe ist eine „Vorwarnung“ essenziell, da die ambulante Pumpe im Idealfall in der Klinik schon angelegt werden muss. Außerdem muss das Verbrauchsmaterial für die ambulante Versorgung bestellt werden.
Hier waren bei uns in der Vergangenheit große Missverständnisse auch in Bezug auf die gesetzlichen Vorgaben aufgetreten. Dies führte tatsächlich sogar bis zum Verlust von Vakuumpumpen, was sicher vermieden werden muss.
Eine gut ausgebildete Wundexpertin (ggf. ein kooperierendes Homecare-Unternehmen) kann grundsätzlich den Patienten sogar in der Klinik vor Entlassung aufsuchen und beurteilen. Essenziell erscheint mir hier die Nutzung von standardisierten Überleitungsprotokollen oder der elektronischen Einsicht in das Dokumentationssystem des Leistungserbringers („Webakte“).
Regelmäßiger Austausch und Fortbildungen (z. B. in Form eines Wundforums oder eines Wundstammtisches) sind essenziell und bieten die Möglichkeit der Bindung von Zuweisern und anderen Leistungserbringern.
Organisation und Abrechnung
Organisatorisch und abrechnungstechnisch gibt es viele Dinge zu beachten. In der Praxis hat es sich bewährt, an beispielsweise zwei Tagen in der Woche eine Wundsprechstunde durchzuführen. Diese sollte durch ausgebildete Wundmanager (z. B. ICW=Initiative chronische Wunde) in Zusammenarbeit mit dem Arzt durchgeführt werden.
Abb. 1: Formular für „Therapievorschlag Wundversorgung“ aus dem Überleitungsprotokoll
Abb. 2: Formular „Patientenstamm“ aus dem Überleitungsprotokoll
Pro Patienten ist hier eine Behandlungszeit, natürlich in Abhängigkeit vom Befund, von etwa 30 Minuten bei komplexeren Verbänden auszusetzen. In vielen Fällen sind über diese zwei Verbandwechsel hinaus weitere Verbandwechsel in der Häuslichkeit notwendig. Hier kann die Praxis unterstützend und führend für den Pflegedienst sein. Eine saubere Dokumentation, einschließlich Fotodokumentation, (und Überleitung von der Praxis in den Pflegedienst) ist unbedingt notwendig, insbesondere, um für Nachfragen des medizinischen Dienstes der Krankenkassen gerüstet zu sein.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Unterhaltung eines intrakollegialen Netzwerkes, um weitere Diagnostik, die nicht selber erbracht kann, durchführen zu können. Bei den betroffenen Patienten ist häufig die Grunderkrankung (z. B. Diabetes mellitus, pAVK, venöse Insuffizienz) nicht optimal diagnostiziert und therapiert.
Leider ist es rechtlich nicht möglich, einen großen Vorrat an Wundtherapeutika in der Praxis zu bevorraten. Wir sind dazu übergegangen, die Wundtherapeutika den Patienten zu rezeptieren. Die Patienten bringen dann einen Teil ihrer Therapeutika mit und diese werden unter dem Namen des Patienten in der Praxis gelagert. Ein Lager in den Seniorenheimen hat sich als nicht sinnvoll erwiesen, da es hier häufig zur Bedarfsdeckung verschiedener Wundtherapeutika unter anderen Bewohnern kommen kann. Dies ist somit nur sinnvoll unter Einbeziehung eines Homecare-Kooperationspartners, der diesen Aspekt steuert.
Des Weiteren stellt sich die ambulante Versorgung in Senioren- und Pflegeheimen als ziemlich kompliziert dar, da die Ausbildung des Pflegepersonals noch nicht auf dem Standard ist, auf dem er sein könnte. Die personelle Unterversorgung spielt hier ebenfalls eine Rolle. Auch hier ist die Schulung des Pflegepersonals durch den Wundexperten vor Ort möglich und sinnvoll. Das Niveau der Kenntnisse und Erfahrungen im stationären und im ambulanten Pflegedienst ist in Bezug auf die Versorgung von chronischen Wunden sehr inhomogen. Leider werden Wundtherapeutika teilweise trotz vorhandener Therapiepläne sehr unreflektiert appliziert. Dieses führt bestenfalls zum Sillstand in der Heilung, häufig aber auch zu Rückschritten. Auch die ursächliche Therapie, wie beispielsweise die Kompressionstherapie, die Schuhversorgung, etc. wird oftmals vernachlässigt.
Man muss leider auch sagen, dass die Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden hohe Kosten verursacht. Die Kostenträger drohen zuweilen mit einem Regress, der nur durch die exakte Dokumentation abzuwenden ist. Die Therapie muss nachvollziehbar sein. Eine Fotodokumentation ist hier sehr aussagekräftig und dringend zu empfehlen.
Mit der Genehmigung der Vakuumtherapie (2020 durch den GBA) im ambulanten Setting ist uns eine weitere gute Therapieoption an die Hand gegeben worden. Die Krankenhäuser und auch die Patienten profitieren von den kürzeren Verweilzeiten im Krankenhaus. Insgesamt wird die Therapie dadurch günstiger. Allerdings kann dieser Benefit nicht zu Lasten der ambulanten Versorgung gehen. Grundsätzlich ist die Vakuumtherapie zwar seit Oktober 2020 im EBM einigermaßen kostendeckend honoriert. Sobald aber vom Standard abgewichen werden muss, was nicht so selten vorkommt, und z. B. zwei Schwammsysteme oder mehrere Kanister pro Woche zum Einsatz kommen, droht ein betriebswirtschaftliches Defizit. Bisher konnten wir die Krankenkassen immer von einer Kostenübernahme im Einzelfall überzeugen. Es wurden hier aber nur die Sachkosten und nicht die zusätzliche Arbeitszeit ausgeglichen. Es muss hier im Bereich des EBM nachjustiert werden – eine Aufgabe für die Berufsverbände und die KBV.
Fazit
Die chronische Wunde ist ein dynamischer Prozess. Immer wieder kommt es zu einer erneuten Evaluation der Wunde mit entsprechender therapeutischer Konsequenz. Die Therapie lebt vor allem auch von der Erfahrung der ärztlichen und nichtärztlichen Therapeuten. Das ist der Grund dafür, dass wir in unseren Praxen das Personal schulen und außerhalb der Praxis die Zusammenarbeit mit geschultem Personal suchen müssen.
Im Bereich der KV Bremen läuft zurzeit ein Projekt zur Verbesserung der Wundversorgung im Rahmen eines Selektivvertrages. Weitere Informationen finden Sie unter diesem Link Start des Innovationsfonds-Projekts „IP-Wunde“- KVHB Bremen und in den nachfolgenden beiden Artikeln in dieser Zeitschrift.
Ackermann B: Versorgung von chronischen Wunden in der chirurgischen Praxis. Passion Chirurgie. 2023 April; 13(04): Artikel 03_02.
Autor des Artikels
Dr. med. Björn Ackermann
Regionalvertreter Niedergelassene im BDC|BremenMVZ RohdestraßeGröpelinger Heerstr. 11527472Cuxhaven kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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