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In der Septemberausgabe PASSION CHIRURGIE (09/2019) wurden die Änderungen durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) für die niedergelassenen Chirurgen dargestellt. Die mit dem TSVG für bestimmte Fallkonstellationen eingeführte Budgetbefreiung erfordert einige strategische Überlegungen:

Je mehr Fälle extrabudgetär gestellt werden, desto mehr Fälle werden bereinigt. Dies führt zu einem verminderten Finanzvolumen für das Budget der Fachgruppe. Es ist also damit zu rechnen, dass der Mindest-Fallwert der fachärztlichen Fachgruppen ab dem Quartal 4/2019 unter den bisherigen Regelleistungsvolumen-Fallwert sinken wird. Dies könnte für die folgenden Jahre zu verminderten Honoraren für den budgetierten Bereich der Vergütung führen. Es liegt also im Interesse der Fachgruppe und auch des einzelnen Chirurgen/Orthopäden jeweils abzuwägen, welche Vorteile die Budgetbefreiung im Einzelnen bringt.

Für die Chirurgen und Orthopäden kann im Durchschnitt der Fachgruppe davon ausgegangen werden, dass ca. 15 Prozent des Honorars aus Budget-Gründen nicht bezahlt wird. Daraus abgeleitet kann man den Honoraranstieg allein durch die Ausbudgetierung (ohne Zuschläge für rasche Termine) für einige typischen Fallkonstellationen (Tab. 1) wie folgt überschlägig schätzen:

Konstellation Grund-pauschale/
07210-12
ggf.
Komplex
in €
PFG 07220-07222

in €

Röntgen
in €
Wund-versorgung in € Schiene € Honorar-

Steigerung durch extra-budgetäre

Abrechnung in € (ca. 15 Prozent )

Nur Untersuchung und Beratung 23,92 4,43       4,26
Plus Röntgen
Extremitäten
23,92 4,43 11,47 5,97
Plus Wundversorgung
02301
23,92 4,43 13,96 8,07
Plus Schiene ohne Wundversorgung 23,92 4,43 11,47 7,69
Plus 2 x Rö. und Behandlungs-komplex 23,92+
23,49
4,43 22,94 In Kom-plex 10,55

Tabelle 1: Schätzung der Honorarsteigerung allein durch extrabudgetäre Abrechnung (ohne Zuschläge)

Wenn in der Zukunft eine über den zeitlichen Verlauf gleichmäßige Fallzahl extrabudgetär angesetzt wird, dürfte es über die Bereinigungseffekte hinaus keine wesentlichen Veränderungen der Fallwerte in den Regelleistungsvolumina (RLV) und Qualifikationsgebundene Zusatzvolumina (QZV) geben.

Allerdings wird nur derjenige von den zusätzlichen Honoraren profitieren, der extrabudgetäre Fälle generiert. Die Chirurgen und Orthopäden haben laut einer Statistik der Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz einen hohen Anteil an „Neu-Patienten“ (54 Prozent bei Chirurgen, 43 Prozent bei Orthopäden). Im Gegensatz zu den Fällen aus der offenen Sprechstunde (maximal 17,5 Prozent der Fälle) ist die Anzahl der „Neu-Patienten“ nicht limitiert. Dies führt dazu, dass Chirurgen durchschnittlich mehr als die Hälfte der Patienten extrabudgetär abrechnen können.

Ein theoretisches Risiko sind allerdings schwankende Fallzahlen in der zukünftigen Entwicklung. Dazu sollen zwei unterschiedliche Szenarien betrachtet werden:

Szenario 1: Die Anzahl der extrabudgetär abgerechneten Fälle steigt langsam an und entwickelt erst ein Jahr nach der Einführung eine starke Dynamik.

Dies wäre die für alle Fachärzte günstigste Variante. Dies würde nämlich bedeuten, dass während des Bereinigungsjahres nur eine überschaubare Anzahl von Fällen aus der Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) herausgerechnet wird und das verbleibende Finanzvolumen in der Zukunft ausreichen würde, den RLV- und QZV-Fallwert für die verbleibenden nicht extrabudgetären Fälle einigermaßen stabil zu halten. Eine extrabudgetäre Fallzahldynamik ab dem Jahr 2021 wäre dann komplett von den Krankenkassen zu finanzieren. Es wird daher von allen fachärztlichen Berufsverbänden dringend angeraten, sich im ersten Jahr und damit bis Ende 2020 mit der Generierung von TSVG-Ausnahmefällen zurückzuhalten.

Szenario 2: Es könnte sein, dass im Überschwang der ersten Begeisterung zahlreiche extrabudgetäre Fälle generiert werden, z. B. über Meldung freier Termine an die Terminservicestellen und durch (organisierte) dringliche Hausarztüberweisungen.

Für die Chirurgen ergeben sich extrabudgetäre Fälle mehr oder weniger automatisch durch die zahlreichen Neu-Patienten. Es könnte allerdings passieren, dass die Begeisterung über die Vorteile der extrabudgetären Honorare wegen vermehrter Bürokratie oder wegen nur geringer Honorarsteigerungen nach einem Jahr deutlich nachlässt. Dies würde dann Honorarverluste erzeugen, denn die wieder vermehrten Fallzahlen innerhalb der Budgets würden unweigerlich zu einem verminderten Fallwert im RLV und in den QZV führen. Darüber hinaus enthalten die meisten Honorarverteilungsmaßstäbe Fallzahlzuwachsbegrenzungen, die es zusätzlich erschweren würden, rasch wieder auf die alte Fallzahl innerhalb der RLV zu steigern.

Abb. 1.: Anteil der Neupatienten am Patientenaufkommen (Quelle: Ärztezeitung, KV Rheinland-Pfalz)

Man sollte es also mit dem Einstieg in die steuerbaren Anteile der extrabudgetären Abrechnung so halten wie es der damalige Bundeskanzler Ludwig Ehrhardt schon 1965 empfohlen hatte: „Maß halten“.

Darüber hinaus hat der Bewertungsausschuss eine perfide Abstaffelungsregelung für die über 17,5 Prozent hinausgehenden Fälle in der offenen Sprechstunde beschlossen: Bei Überschreitung dieser Schwelle wird nämlich nicht etwa quotiert, sondern es werden nach dem Zufallsprinzip einzelne Fälle aus der extrabudgetären Vergütung herausgenommen. So kann es im schlimmsten Falle alle aufwändigen Fälle mit hohem Honoraraufkommen treffen. Die 17,5 Prozent -Grenze sollte daher keinesfalls überschritten werden.

Ansonsten sind die Gestaltungsmöglichkeiten leider begrenzt. Das bedeutet, dass auch extrabudgetär abgerechnet werden muss, was extrabudgetär abgerechnet werden kann. Die Krankenkassen haben gegenüber den Kassenärztliche Vereinigungen (KV) bereits entsprechende Prüfanträge angekündigt. Ob dies auch schon für den Monat September 2019 mit all den Unsicherheiten in der Umstellungsphase gelten kann mag dahingestellt bleiben.

Aktuelle Änderungen der Beschlüsse des Bewertungsausschusses auf Grund von Beanstandungen des BMG

Aufgrund von Beanstandungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) an den im letzten Rundbrief und in der PASSION CHIRURGIE 09/2019 erläuterten Beschlüssen des Bewertungsausschusses (BA) sind allerdings noch Änderungen im Detail zu erwarten. Neben formalen Korrekturen betreffen uns Chirurgen folgende abweichende Regelungen:

  1. Bei der dringlichen Hausarzt-Überweisung muss der Hausarzt statt der BSNR jetzt die lebenslange Arztnummer (LANR) des empfangenden Arztes angeben. Dies soll bei einer Überweisung in fachübergreifenden BAGs sicherstellen, dass die Vermittlung auch an die erforderliche Facharzt-Gruppe erfolgt.
  2. Weiterhin hat das BMG festgestellt, dass die Beschlüsse des BA, die eine extrabudgetäre Vergütung der Leistungen in den jeweiligen TSVG-Konstellationen lediglich im Arztgruppenfall vorsehen, nicht dem gesetzlichen Auftrag entsprechen. Das SGB V würde explizit jeweils auf den Begriff “Behandlungsfall” abheben. Dementsprechend müssten alle ärztlichen Leistungen im Behandlungsfall außerhalb der MGV vergütet werden. Dies bedeutet eine deutliche Verbesserung für Gemeinschaftspraxen und MVZ und macht den Bezug auf den gerade erst neu eingeführten Begriff des Arztgruppenfalls obsolet.

Hier hat das BMG erneut in Beschlüsse der Selbstverwaltung eingegriffen. Unabhängig von der Frage, ob damit eine gesetzeskonforme Umsetzung gewährleistet wird, baut das Ministerium von Jens Spahn damit unser Gesundheitswesen immer weiter in Richtung Staatsmedizin um.

Detail-Regelungen im Bundesmantelvertrag

In Beitrag zum TSVG in der Passion Chirurgie 09/2019 mussten noch einige Details offenbleiben, die mittlerweile geklärt sind.

Zur Frage, was zu den Sprechstunden zählt, gab es eine Klarstellung im Bundesmantelvertrag zwischen Ärzten und Krankenkassen. Wichtig für die Chirurgen: Sprechstundenzeiten sind alle Zeiten, in denen der Vertragsarzt für die Versorgung der Versicherten unmittelbar zur Verfügung steht. Somit können auch spezialisierte Tätigkeiten, also z. B. Operationen, als Sprechstundenzeiten gezählt werden.

Auch zu den verpflichtenden offenen Sprechstunden wurden Details vereinbart: Offene Sprechstunden sind demnach grundsätzlich von jedem Arzt anzubieten, jedoch können Berufsausübungsgemeinschaften sowie Praxen und MVZ mit angestellten Ärzten flexibel handhaben, welcher Arzt der jeweiligen Arztgruppe die Versorgung in der offenen Sprechstunde übernimmt. Entscheidend ist, dass die aus der Anzahl der Ärzte der Arztgruppe folgende Gesamtzahl an offenen Sprechstunden von der Praxis erfüllt wird. So ist es zum Beispiel zulässig, dass innerhalb einer Praxis mit drei ganztags tätigen Ärzten einer Arztgruppe die Ärzte jeweils fünf offene Sprechstunden gleichzeitig anbieten oder ein Vertragsarzt beziehungsweise ein angestellter Arzt die 15 offenen Sprechstunden für die Praxis insgesamt übernimmt.

Die offenen Sprechstundenzeiten müssen gegenüber der KV angegeben und von dieser veröffentlicht werden, brauchen jedoch nicht auf dem Praxis-Schild ausgewiesen werden.

Autor des Artikels

Profilbild von Kalbe

Dr. med. Peter Kalbe

Vizepräsident des BDCGelenkzentrum SchaumburgStükenstraße 331737Rinteln kontaktieren

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