“(…) Bei einem Patienten wurde durch einen Übertragungsfehler im Operationsplan und unzureichende Prüfschritte in der unmittelbaren OP-Vorbereitung statt der linken tumorinfiltrierten, die rechte gesunde Niere entfernt. Bei der teaminternen retrospektiven Aufarbeitung des Falles war schnell klar, wo die organisatorischen Gründe (Übertragungsfehler im stationären Bereich) für die Verwechslung zu finden waren. Ein junger Anästhesist gab in diesem Zusammenhang zu Protokoll, dass er schon während des Eingriffs Zweifel bezüglich der Wahl der richtigen Seite hatte, da er am Vortag das Prämedikationsgespräch mit dem Patienten geführt hatte (…). Allerdings habe er sich nicht getraut, seinen Zweifel zu artikulieren, da ihm bewusst war, dass es erhebliche Auswirkungen auf seine künftige Arbeit im OP haben würde, wenn er den „hochdekorierten“ leitenden Chirurgen zu Unrecht auf eine mögliche Seitenverwechslung hingewiesen hätte.“ [7]
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Auf den einen oder anderen Politiker mag dies vielleicht zutreffen, im OP kann Schweigen tödlich sein. Eine gelungene Kommunikation zwischen den Akteuren im OP ist ohne Zweifel eine notwendige – wenn auch nicht hinreichende – Bedingung für den Erfolg medizinischen Handelns. Der Austausch von Informationen zwischen Ärzten, Assistenten, Pflegern oder dem technischen Personal ist gleichsam das Öl, welches den komplexen Mechanismus Operationsteam am Laufen hält.
Der Hochrisikoarbeitsplatz OP
Zuhören, verstehen und miteinander reden sind die Voraussetzungen für zielgerichtete, effiziente und effektive Interaktion im OP. Der Hochrisikoarbeitsplatz OP verlangt geradezu die Fähigkeit der handelnden Personen, auch in kritischen Situationen, unbeschadet von eigenen Befindlichkeiten, in der Lage zu sein, sich in problemlösender Weise mit anderen Personen kommunikativ auseinanderzusetzen. Kommunikation steht dabei nicht in Konkurrenz zur medizinischen Aktivität, sie ist vielmehr die notwendige Begleitung und Unterstützung dafür.
In der Vergangenheit wurde die Relevanz gelungener Kommunikation als wichtige Voraussetzung für erfolgreiches medizinisches Handeln immer wieder in Frage gestellt. Situationen wie die eingangs geschilderte wurden in das Reich von Geschichten und Märchen abgeschoben. Doch die Forschung hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von Belegen zusammengetragen, die eindeutig zeigen, dass Kommunikation tatsächlich eine wichtige Rolle als Schadenursache im OP spielt.
So zeigt Petry [5] auf der Grundlage umfangreicher Schadenbefunde (247 Krankenhäuser mit 11.641 Schadenfällen), dass für die gemeldeten Schadenfälle nicht nur verschiedene organisatorische Mängel, wie fehlerhafte Aufklärung, fehlerhafte Dokumentation, fehlende Hinzuziehungsregeln, fehlende Prozessbeschreibungen bzw. Standards, verantwortlich sind, sondern eben auch eine fehlende Abstimmung zwischen den Berufsgruppen.
Kommunikative Störungen
Kommunikative Defizite können durchaus Schadenfälle mit verursachen. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie von Greenberg et al. [2]. Dabei wurde in einem Review von Fällen, die sich auf chirurgisches Fehlverhalten beziehen, gezeigt, dass in ca. einem Drittel dieser Fälle kommunikative Störungen eine wichtige Rolle spielten – und zwar in allen Phasen des OP-Ablaufs (prä-, intra- und postoperativ). Die Berufsgruppe innerhalb eines OP-Teams, die am häufigsten kommunikative Probleme hatte, war die der Chirurgen.
Bei ihren Untersuchungen von eingegangenen Klagen wegen medizinischem Fehlverhalten gehen Stevens und Rogers [6] sogar davon aus, dass beinahe drei Viertel der Klagefälle in der Chirurgie mindestens einen Kommunikationsfehler aufweisen. Mehrheitlich spiele hierbei die Statusasymmetrie, also die Kommunikation zwischen zwei Menschen auf unterschiedlichen Hierarchiestufen, wie sie innerhalb von Operationsteams besteht, eine Rolle. Aber auch bei Übergaben zwischen den behandelnden Ärzten finden sich in den untersuchten Fällen Hinweise auf eine gestörte Kommunikation.
Kommunikation als Schadenursache
Lingart, Espin, Whyte et al. [4] untersuchten 421 Kommunikationssituationen im OP. Dabei konnte auch unabhängig von gemeldeten Schadenfällen festgestellt werden, dass bei knapp 31% der analysierten Situationen fehlerhafte Kommunikation auftrat. Kommunikation als Schadenursache ist also keineswegs eine Sache des Glaubens, sondern vielmehr ein empirisch gut belegter Faktor für den Erfolg oder Misserfolg ärztlicher Interventionen.
Warum nur ist die vermeintlich einfachste Angelegenheit bei der Arbeit im OP – also Kommunikation – so häufig Ursache für medizinische Probleme? Das könnte schon einmal daran liegen, dass gelungene Kommunikation auch im normalen Alltag beileibe nicht so einfach ist, wie man sich das häufig wünscht. Versuchen Sie, lieber Leser, sich einmal kurz zu erinnern, ob Sie in jüngster Zeit ein Gespräch geführt haben, von dessen Verlauf, Inhalt oder Ergebnis Sie so richtig „angetan“ waren. Wenn ja: Mit wem haben Sie in dieser so erfreulichen Situation gesprochen, was waren die Begleitumstände, wie wichtig das Erreichen das Gesprächsziels? Vermutlich war der Gesprächspartner eine Person, die Sie mögen, der Sie vertrauen, deren Ausdrucksweise sie gut kennen. Vermutlich hatten Sie beide Zeit und Muse, einander zuzuhören und sich offen auszutauschen. Also alles Aspekte, die sich schon im Alltag selten einstellen. Im OP sind diese Voraussetzungen sogar so gut wie nie gleichzeitig gegeben.
Stress und Hierarchieunterschiede
Die Kommunikationsprobleme fangen damit an, dass im OP unterschiedliche Professionen aufeinander treffen, die nicht immer die gleiche Sprache sprechen. Damit ist weniger die Muttersprache als vielmehr die Fachsprache, die Art, sich fachlich auszudrücken, gemeint. Befleißigen sich beispielsweise Schwestern eher einer erzählenden Darstellung von Sachverhalten, neigen Ärzte dazu, sich kurz und knapp und unter Verwendung zahlreicher Fachbegriffe auszudrücken [7]. Neben diesen Professionsunterschieden sind es aber auch die sehr deutlichen Hierarchieunterschiede im OP, die das offene Ansprechen möglicher Probleme verhindern [6]. Kommt dann noch zeitlicher oder entscheidungsbedingter Stress dazu – nicht gerade untypisch für die Situation im OP –, wundert man sich über die oben dargestellte Häufigkeit kommunikativer Defizite im OP nicht mehr sehr.
Was ist zu tun?
Günstig wäre es sicher, sich für Kommunikation mehr Zeit zu nehmen, mehr Ressourcen personaler und technischer Art bereitzustellen, kurz: dem Geschehen im OP den Druck, den Stress und die Hektik zu nehmen. Jedem dürfte allerdings klar sein, dass dieses Ansinnen nun tatsächlich ins Reich der Phantasie gehört. Wie im medizinischen Alltag ist es mit Gesundbeten nicht getan. Der erfolgreichen Therapie geht immer eine profunde Diagnose voraus, auf der dann die Therapie gezielt aufbauen kann. Genauso verhält es sich mit den kommunikativen Defiziten im OP. Sowohl die Analyse als auch die „Therapie“ fokussiert dabei auf drei Bereiche: das Individuum, das Team und die Organisation.
Auf der individuellen Ebene gilt es zu klären, wo die einzelnen Personen Stärken oder Schwächen in der problemlösenden Kommunikation haben. Solche finden sich gleichermaßen auf Seiten des Verstehens, d.h. des Interpretierens von Gesprächsäußerungen (verbal, nonverbal), wie auf Seiten des miteinander Redens, d.h. der Art und Weise, wie sich jemand ausdrückt [3].
Bei der Analyse eines Teams wird geklärt, inwieweit sich ein Team zu jedem Zeitpunkt im Klaren ist, ob ein gemeinsames Verständnis der Gesamtsituation existiert (→ geteiltes mentales Modell), ob die Arbeiten explizit und klar verteilt sind, ob zeitliche Abhängigkeiten beachtet werden und ob Konfliktlösungen bei Entscheidungen praktiziert werden [1].
Neben diesen beiden Seiten der OP-Medaille gibt es einen dritten Aspekt, sozusagen den Rand der Medaille: die organisationale Ebene. Nur wenn gelungene Kommunikation und Teaminteraktion auch auf der organisationsbezogenen Ebene verortet und unterstützt werden, kann man davon ausgehen, dass Kommunikation als Schadenursache nachhaltig an Relevanz verliert.
Konkrete Umsetzung von Lösungen
Letztlich läuft es auf die Kombination mehrerer Maßnahmen hinaus:
Kommunikationstrainings, bei denen die eigenen kommunikativen Möglichkeiten erweitert werden
Teamtrainings, bei denen Teams in Simulations-OPs sich und ihre Interaktionsmuster kennen- und verändern lernen
Begleitung und Einbettung solcher Maßnahmen durch Organisationsentwicklungsinitiativen, z. B. das Risikomanagement.
Sind in ihrer Klinik Risikomanagement-Maßnahmen geplant oder bereits implementiert, lassen sich die genannten Maßnahmen damit sehr gut verbinden. Denn letztlich zielen diese Initiativen auf der überfachlichen Ebene – genauso wie Risikomanagement auf der fachlichen Ebene – darauf ab, die Patientensicherheit und -zufriedenheit zu erhöhen. Die eigene Zufriedenheit dürfte bei einem solchen Maßnahmenpaket erfahrungsgemäß auch eine positive Entwicklung nehmen, was die Entscheidung für eine bessere Kommunikation im OP etwas erleichtern sollte.
Literatur:
[1] Davies, J. M. (2005). Team communication in the operating room. Acta Anaesthesiologica (Scandinavica, UK), 49, 898-901.
[2] Greenberg, C., Regenbogen, S., Studdert, D., Lipsitz, S., Rogers, S., Zinner, M.& Gawande, A. (2007). Patterns of Communication Breakdowns Resulting in Injury to Surgical Patients. Journal of the American College of Surgeons, 204(4), 533–540.
[3] Henninger, M. & Mandl, H. (2003). Zuhören – verstehen – miteinander reden. Ein multimediales Kommunikations- und Ausbildungskonzept. Bern: Hans Huber Verlag.
[4] Lingard, Espin, Whyte et al. (2004). Communication failures in the operating room: an observational classification of recurrent types and effects. Quality and Safety in Health Care, 13; 330–334.
[5] Petry, F. (2010). Haftpflichtschäden in chirurgischen Abteilungen deutscher Krankenhäuser – Zahlen, Ursachen und Konsequenzen. Gynäkologie, 43, 257–260.
[6] Stevens, J. & Rogers, S. (2009). Communication and culture: opportunities for safer surgery. Quality and Safety in Health Care, 18(2), 91–92.
[7] Wachter, R. (2010). Fokus Patientensicherheit: Risiken managen, Fehler vermeiden. Hrsg. Koppenberg J, Gausmann P, Henninger M. abw Wissenschaftsverlag Berlin.
Henninger M. Kommunikationsdefizite als Schadenursache. Passion Chirurgie. 2011 März; 1 (3): Artikel 03_02.
Autor des Artikels
Prof. Dr. rer. soc. Dr. phil. habil Michael Henninger
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Die Koloskopie gilt in der Darmkrebsvorsorge als Gold-Standard und als eine Untersuchungsmethode mit einer geringen Komplikationsrate. Selten kommt es zu gefährlichen Blutungen oder zu einer operationsbedürftigen Verletzung der Darmwand.
„Der Patient mit Gips hat immer Recht“, lautet ein Merksatz in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zum Thema „Fixierende Verbände“ (DGU, 1999).
Es ist Montag. Ärztefortbildung im Klinikum. Heute: „CIRS-Einführung“. Die meisten (Chirurgen) sind anwesend – Auftrag vom Chef. Die Qualitätsverantwortlichen berichten uns, dass es im Intranet ein elektronisches Meldeportal gibt. Neben Berichten über unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die via elektronisches Meldeformular direkt an die zuständige Stelle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM) geschickt werden, gibt es ab sofort ein weiteres Berichtssystem.
In der Financial Times Deutschland (FTD) erschien 2007 ein Artikel zum Thema „Delegation ärztlicher Tätigkeiten“ mit der provokanten Überschrift „Wenn die Schwester operiert“. Eine begleitende Karikatur zeigte zwei Frauenhände beim Einfädeln eines Fadens in eine Nähnadel, untertitelt mit „Schwestern-Lehrgang Teil 1: Chirurgisches Nähen“. Berichtet wird in dem FTD-Artikel über den Einsatz von nichtärztlichen Chirurgieassistenten, der in Deutschlands Operationssälen längst Realität ist.
„Notfälle in der Chirurgie“: Kaum ein anderes Thema kann die Gemeinsamkeiten und die Vielfältigkeit der Chirurgie so gut widerspiegeln. Der Chirurg ist der Primärarzt bei Verletzungen und Schmerzen. Interdisziplinarität, spezielle Fachgebietskenntnisse und Teamwork mit gemeinsamen Handeln sind im Rahmen einer patientenorientierten chirurgischen Notfallversorgung unabdingbar.
Deshalb war genau dieses Thema Schwerpunkt beim diesjährigen Bundeskongress Chirurgie und wir präsentieren Ihnen einige der besten Vorträge in dieser gleichnamigen Ausgabe der Passion Chirurgie in schriftlicher Form.
Mit dem voranschreitenden Zusammenwachsen Europas ist auch die Vereinheitlichung von Normen und gesetzlichen Bestimmungen verbunden. Während man dieser Entwicklung beim Thema „Europäische Gemüsestandards” vergleichsweise gelassen entgegensehen kann, sind die Anstrengungen des Europäischen Kommitees für Normung (CEN bzw. CENELEC) im Bereich Medizin doch wesentlich brisanter.
Mit dieser Ausgabe unserer Mitgliederzeitschrift wollen wir Sie über die für uns Chirurginnen und Chirurgen relevanten Player auf dem Parkett der europäischen Gesundheitspolitik sowie über konkrete Initiativen mit BDC-Beteiligung informieren. Nur so können wir zumindest versuchen, unsere Erfahrungen und Errungenschaften in Behandlung und Qualitätsmanagement in den europäischen Prozess einzubringen.
Erstaunlicherweise – und das zeigt sich auch in den interessanten Erfahrungsberichten dieser Ausgabe – ist Teilzeit immer noch vorwiegend ein Thema für Frauen. Obwohl sich auch männliche Mediziner in Umfragen Teilzeitregelungen und mehr Zeit für sich und ihre Familie wünschen, werden diese Optionen von Männern seltener wahrgenommen. Zu groß ist die Angst vor einem Karriereknick.
Unsere Autoren sprechen die Schwierigkeiten von Teilzeitregelungen an: Nicht alle Positionen sind einfach auf mehrere Personen aufteilbar, Kompromisse und eine langsamere Entwicklung der Karriere sind gerade in der Weiterbildung unausweichlich. Doch die Vorteile eines modernen, sinnvoll auf die Bedürfnisse von Ärzten, Klinikleitung und Patienten abgestimmten Teilzeitsystems liegen auf der Hand und erhöhen die Attraktivität unseres Fachgebietes.
Was motiviert Ärzte in Katastrophen- und Krisengebieten und bei kriegerischen Auseinandersetzungen chirurgische Hilfe zu leisten? Ist das nicht eine Gefahr für sich selbst und, bei evtl. mangelnden Kenntnissen, auch eine für die Verletzten und Verwundeten vor Ort?
Lesen Sie dazu unter anderem die Beiträge zur Weiterbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr und zum Stand der Dinge beim Katastrophenschutz in Deutschland. Zudem gehen unsere Autoren speziell auf die besonderen und komplexen Anforderungen an die Katastrophenchirurgie ein: Da Tragödien vom Ausmaß eines Tsunamis oder eines Erdbebens hier eher selten vorkommen, ist die adäquate Ausbildung und Einsatzvorbereitung mit ganz eigenen Schwierigkeiten verbunden.