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Herausforderungen und Lösungen

Die ärztliche Weiterbildung stellt nach dem Studium der Humanmedizin den entscheidenden Abschnitt in der ärztlichen Bildungssystematik dar. Damit wird eine fachärztliche Kompetenz mit entsprechenden Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erlangt, die den weiteren beruflichen Weg prägt. In Deutschland obliegt die ärztliche Weiterbildung der jeweiligen Landesärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts, gesetzlich verankert in den Heilberufe- und Kammergesetzen. In diesen ist für Kammern die Aufgabe festgelegt, die Weiterbildung der Kammermitglieder in einer Weiterbildungsordnung zu regeln sowie Grundsätze der Weiterbildung und Weiterbildungsbezeichnungen im Hinblick auf die wissenschaftliche Entwicklung und einer angemessenen Versorgung der Bevölkerung zu bestimmen.

Anders als in anderen Ländern beginnt in Deutschland die ärztliche Weiterbildung nach erfolgreichem Abschluss des Studiums und Erlangung der Approbation. Damit verbunden ist die Erlaubnis, ärztliche Heilkunde vollumfänglich ausüben zu dürfen. Sie ist gekennzeichnet durch ein möglichst direktes Verhältnis eines von der Landesärztekammer damit hoheitlich beauftragten Weiterbildungsbefugten mit einem Weiterzubildenden an einer zugelassenen Weiterbildungsstätte mit einer vorgeschriebenen Mindestweiterbildungszeit, die nach europäischem und deutschem Recht grundsätzlich hauptberuflich und ganztätig erfolgt. In dieser Zeit werden definierte Weiterbildungsinhalte erworben, nach deren Erlangung sowie Absolvierung der Mindestweiterbildungszeit eine halbstündige Prüfung vor einem Prüfungsausschuss einer Landesärztekammer abgelegt wird. Nach erfolgreicher Prüfung wird eine entsprechende Urkunde für die Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatz-Weiterbildung überreicht, die erlangte Weiterbildungsqualifikation ist ankündigungsfähig und führbar.

Die genannten Vorgaben werden in der jeweiligen Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer hinterlegt, die auf einer (Muster-)Weiterbildungsordnung beruht. Diese wird auf Bundesärztekammerebene zusammen mit allen Landesärztekammern unter Einbezug der entsprechenden Fachgesellschaften und Berufsverbänden erarbeitet und von einem Deutschen Ärztetag verabschiedet. Rechtlich bindend sind nur die Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern, diese können Unterschiede aufweisen. Die aktuelle (Muster-)Weiterbildungsordnung von 2018 hat den Gedanken der kompetenzbasierten Weiterbildung mit den kognitiven und Methodenkompetenzen auf der einen Seite und den Handlungskompetenzen auf der anderen Seite umgesetzt. Während zuvor maximale Weiterbildungszeiten im ambulanten Bereich definiert waren, sind jetzt nur Mindestweiterbildungszeiten im stationären Bereich hinterlegt. Bei den meisten Gebieten, auch in der Chirurgie, gibt es keine Differenzierungen – die Kompetenzen werden dort erworben, wo entsprechende Leistungen durchgeführt werden. Die Dokumentation des Kompetenzerwerbs erfolgt jetzt über ein elektronisches Logbuch.

Die Herausforderungen in der ärztlichen Weiterbildung sind vielfältig, exemplarisch dargestellt im Gebiet Chirurgie. Es sind viele Inhalte definiert, die auch als Handlungskompetenz erworben werden müssen, also selbstständig vom Weiterzubildenden durchgeführt werden müssen. Bei zunehmender Komplexität und Spezialisierung wird es immer schwieriger, diese Kompetenzen zu erlangen. Hinzu kommt, dass nicht mehr alle Weiterbildungsinhalte an einer Weiterbildungsstätte angeboten werden können, so werden bestimmte Eingriffe zunehmend nur noch ambulant durchgeführt. Die Weiterbildungszeiten in Deutschland sind meistens länger als die in der Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen Union festgeschriebenen Mindestdauern. Dieser Umstand in Verbindung mit der zunehmenden Teilzeittätigkeit von Ärztinnen und Ärzten verlängert die Weiterbildungszeiten und verzögert damit den Erwerb der Facharztkompetenz. Notwendige vorbereitende Skill-Labs sind nicht flächendeckend vorhanden, anvertraubare professionelle Tätigkeiten kaum definiert. Dagegen ist es zu einer zunehmenden Arbeitszeitverdichtung und zu vermehrten bürokratischen Tätigkeiten gekommen. Diese kosten Zeit, die für die Weiterbildung nicht zur Verfügung steht. Umfragen zeigen eine steigende Unzufriedenheit der Weiterzubildenden mit ihrer Weiterbildung, aber auch der Weiterbildungsbefugten.

Die Krankenhausreform akzentuiert mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz diese Herausforderungen noch zusätzlich mit ihren 65 Leistungsgruppen, davon allein 28 mit direktem Bezug zum Gebiet Chirurgie samt Transplantationsmedizin, da in diesen Leistungsgruppen als personelle Ausstattung eine Qualifikation aus dem Gebiet Chirurgie festgeschrieben ist. Die im Gesetz genannten Mindestvoraussetzungen inklusive weiterer Auswahlkriterien und der personellen Ausstattung mit Qualifikationen und Verfügbarkeit erschweren die ärztliche Weiterbildung. Stationär zu erlangende Inhalte können nicht mehr in allen Krankenhäusern vermittelt werden, da die Kriterien der einzelnen chirurgischen Leistungsgruppen nicht mehr erfüllt werden können und landesplanerisch nicht mehr diesen Krankenhäusern zugeordnet werden. Das wird insbesondere den Umfang der chirurgischen Weiterbildungsbefugnisse in Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung betreffen, die meistens nur die Leistungsgruppe 14 „Allgemeine Chirurgie“ erhalten werden. Auch größere Krankenhäuser werden ihr chirurgisches Leistungsspektrum anpassen müssen, da bestimmte, jetzt dort noch durchgeführte Leistungen und Operationen nicht mehr abgebildet werden können. Das wird bei vielen chirurgischen Facharztkompetenzen zu einer Reduktion der Befugnisumfänge führen, was vermehrte Rotationen für Weiterzubildende bedingt. Da diese Inhalte zukünftig nur in definierten, planerisch festgelegten Krankenhäusern zu erlangen sind, muss ein Wechsel für den Erwerb genau dieser Inhalte dorthin erfolgen. Das wird zu einer Engpasssituation führen, zumal Weiterzubildende sich in das neue Krankenhaus einarbeiten und die ärztliche Leitung bzw. die Weiterbildungsbefugten sich erst eine Übersicht über die vorhandenen Kompetenzen der neuen Mitarbeitenden verschaffen müssen. Eine vom Bundesgesetzgeber angestrebte deutliche Ausweitung der Leistungsgruppen würde diese Problematik noch verschärfen. So richtig die Konzentration von spezialisierten Leistungen in entsprechende Zentren aus verschiedenen Gründen ist, wird es perspektivisch zu vermehrten Wechseln der Weiterbildungsstätten und eher zu einer Verlängerung der Weiterbildungszeit führen. Als Folge wird der Facharztstatus erst später erreicht. Damit werden diese Qualifikationen dem ambulanten Bereich im System der gesetzlichen Krankenversicherung und dem stationären Bereich zur Deckung der geforderten personellen Ausstattung in den Leistungsgruppen mit zeitlicher Verzögerung zur Verfügung stehen.

Was sind mögliche Lösungsansätze für diese Herausforderungen? Aus Sicht der ärztlichen Weiterbildungssystematik und der Ärztekammern können folgende fünf Antworten diskutiert werden:

  1. Kritische Überprüfung, ob die Mindestweiterbildungszeiten reduziert werden können, zumal bei vielen Weiterbildungen, so auch im Gebiet Chirurgie, 12 Monate auch in anderen Gebieten erfolgen können und in der eigentlichen Facharztkompetenz nur 48 Monate zusätzlich zu dem jeweils halben Jahr Intensivmedizin und Notfallaufnahme abgeleistet werden müssen.
  2. Kritische Überprüfung der Inhalte, insbesondere der Handlungskompetenzen. Ausgangspunkt dafür ist die Frage, was eine Fachärztin bzw. ein Facharzt nach erfolgter Facharztprüfung beherrschen muss, um sich im ambulanten Bereich niederzulassen oder im stationären Bereich Rufdienste übernehmen zu können. Nicht alle Spezialitäten können bei dem rasant wachsenden medizinischen Fortschritt und Möglichkeiten in einer Facharztweiterbildung vermittelt werden und sind erst nach Erlangung des Facharztstatus im Rahmen der fachärztlichen Tätigkeit in einer entsprechenden Abteilung zu erlernen. Dies lässt sich an folgendem Beispiel aus der viszeralchirurgischen Weiterbildung verdeutlichen: in der (Muster-)Weiterbildungsordnung werden 30 Eingriffe am Kolon, 3 Magenteilresektionen, 3 Leberwedgeresektionen, 10 Enddarmoperationen sowie 80 erste Assistenzen bei Eingriffen höherer Schwierigkeitsgrade, z.B. Pankreasresektionen, Gastrektomien und Rektumresektionen gefordert. Diese Handlungskompetenzen sind allenfalls in bestimmten größeren Krankenhäusern oder spezialisierten Abteilungen vermittelbar. Hier ist zu hinterfragen, ob nicht eine kognitive und Methodenkompetenz ausreichend ist bzw. auf solche Inhalte verzichtet werden könnte. Die Zusatzweiterbildung Spezielle Viszeralchirurgie, die zukünftig ein Schwerpunkt zum Facharzt für Viszeralchirurgie werden soll, kann nicht mehr alle Spezialitäten der operativen Eingriffe des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes und des hepatobiliären Systems abdecken, sondern benötigt einen jeweiligen modularen Aufbau, auch unter Einbezug der endokrinen Chirurgie.
  3. Schaffung von erleichterten Rotationsmöglichkeiten und von Weiterbildungsverbünden. Schon jetzt sind Rotationen in großen Krankenhäusern nicht einfach zu organisieren. Da diese zukünftig zunehmen werden, sind weiterbildungstechnische, organisatorische und arbeitsrechtliche Maßnahmen notwendig, um diese Wechsel zu erleichtern oder sogar als Kriterium für die Zuordnung von bestimmten Leistungsgruppen aufzunehmen. In der Weiterbildungsordnung ist dies bereits hinterlegt, da eine Befugnis mehreren Ärztinnen und Ärzten an einer oder mehreren Weiterbildungsstätten gemeinsam erteilt werden kann. Ein festgelegter Gesamtablauf der Weiterbildung als ein organisierter und von der Landesärztekammer genehmigter Zusammenschluss von mehreren Weiterbildungsbefugten, welche unterschiedliche Weiterbildungsinhalte an einer oder mehreren Weiterbildungsstätten unter Berücksichtigung regionaler Aspekte beinhalten, ist eine Lösung. Dabei ist arbeitsrechtlich noch die Arbeitnehmerüberlassung zu klären, sofern es nicht nur einen Arbeitgeber im Rahmen dieses Gesamtweiterbildungskonzeptes gibt. Jeder Arbeitgeberwechsel bei Rotationen ist mit erhöhtem bürokratischen Aufwand versehen, was zu vermeiden ist.
  4. Gegenfinanzierung des Aufwandes für die Weiterbildung. Das umfasst die Aufwendungen für die Weiterbildung als solche, also für die eingesetzten personellen Ressourcen, für Anleitung, zeitliche Aspekte, den erhöhten organisatorischen Aufwand sowie Simulationstrainings und Skill-Labs in der Anschaffung und Nutzung. Außerdem muss auch im ambulanten Bereich die Bezahlung der ärztlichen Tätigkeit von Weiterzubildenden geregelt werden, da Weiterbildung in diesem Bereich zunimmt. Es ist zu überlegen, ob ambulante Eingriffe am Krankenhaus, die von Ärztinnen und Ärzte im Rahmen ihrer Weiterbildung durchgeführt werden, außerhalb des ambulanten Budgets gesondert gegenfinanziert werden.
  5. Neben der fachärztlichen personellen Ausstattung ist eine ärztliche Personalbedarfsbemessung einzuführen. Diese spiegelt den ärztlichen Gesamtbedarf einer Abteilung wider und stellt die patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung sicher. Dies wird wesentlich zu einer Verbesserung der Weiterbildungssituation beitragen, da mehr Zeit für Weiterbildung vorhanden sein wird. Ein weiterer Aspekt dabei könnte eine Verringerung der Teilzeittätigkeit von Ärztinnen und Ärzten sein, falls mit einer besseren Personalausstattung geplante Arbeitszeiten verlässlich eingehalten werden. Darüber hinaus können qualifizierte, auch akademisierte Gesundheitsberufe im ärztlichen Bereich Entlastung bewirken und damit Ressourcen für die Weiterbildung schaffen.

Die Lösungen auf die skizzierten Herausforderungen können nur gemeinsam umgesetzt werden. Dazu bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen Ärztekammern, den jeweiligen Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Diese findet zurzeit im Rahmen der Weiterentwicklung der (Muster-)Weiterbildungsordnung statt unter Einbezug der sich weiterbildenden Ärztinnen und Ärzte der jeweiligen Fachgruppe, da es diese am meisten betrifft. Nachfolgend sind auch die weiteren Akteure im deutschen Gesundheitswesen, die Politik und die Gesellschaft gefragt. Eine qualitativ hochwertige und quantitativ ausreichende ärztliche Versorgung in Deutschland auf Facharztniveau ist nur zukunftssicher, wenn eine gute ärztliche Weiterbildung erfolgt und eine wertschätzende Weiterbildungskultur gelebt wird.

DHG-Hernientage Herniamed Studientreffen

online, 15. – 16. Mai 2025

Hernienoperationen zählen zu den weltweit häufigsten allgemeinchirurgischen Eingriffen, die für viele Chirurginnen und Chirurgen zum Alltag gehören. BDC-Mitglieder und Mitglieder der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) erhalten die reduzierte Teilnahmegebühr. Den Einwahl-Link zum Webinar erhalten Sie am Freitag vor dem Webinar per E-Mail.

Informationen und Anmeldung…

BDC|Akademie

Prof. Dr. med. Henrik Herrmann

Präsident Ärztekammer Schleswig-Holstein

Bismarckalle 8-12

23795 Bad Segeberg

Henrik.Herrmann@aeksh.de

Chirurgie

Herrmann H: Rolle der Weiterbildung in der Krankenhausreform. Passion Chirurgie.
2025 April; 15(04): Artikel 03_04.

Mehr lesen Sie über die Krankenhausreform auf BDC|Online (www.bdc.de) in der Rubrik Politik.

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