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Ein wesentliches Ziel der onkologischen Chirurgie besteht darin, die postoperative Morbidität eingriffsspezifisch so weit als möglich zu reduzieren. Hiermit sollen nicht nur die unmittelbare Lebensqualität der Patienten, sondern auch das onkologische Outcome verbessert werden. Zum einen ist für multiple Tumorentitäten nachgewiesen, dass die Rate postoperativer Komplikationen das Überleben direkt negativ beeinflusst, zum anderen werden signifikant weniger adjuvante Therapien nach komplikativen postoperativen Verläufen durchgeführt.

Gegenwärtig werden verschiedene wissenschaftliche Ansätze zur Reduktion der postoperativen Morbidität untersucht. Hierzu gehören insbesondere die geeignete Selektion von Patienten für spezifische Eingriffe sowie die Zentralisierung komplexer chirurgischer Prozeduren auf spezialisierte Standorte. Aber auch das perioperative Management selbst zielt unmittelbar auf eine Reduktion postoperativer Komplikationen ab. Intraoperativ haben sich in vielen Bereichen der onkologischen Chirurgie minimalinvasive Operationstechniken durchgesetzt, während postoperativ zunehmend sog. Fast-track-Konzepte mit diesem Ziel implementiert werden. Die Prähabilitation verfolgt dagegen den Ansatz, bereits präoperativ komplikationsträchtige Organdysfunktionen zu identifizieren, vor dem geplanten Eingriff zu konditionieren und so die Leistungsfähigkeit des Patienten vor dem Operationstrauma zu steigern. „Fit for surgery“ ist der Leitsatz dieses interdisziplinären Grundgedankens.

Im Folgenden soll in einem kurzen Überblick der aktuelle Wissenstand zur Prähabilitation hinsichtlich seiner Rationalen, praktischen Durchführung und gegenwärtigen Evidenz zusammengefasst werden.

Definition und Rationale der Prähabilitation

Unter Prähabilitation wird im Allgemeinen ein präoperatives Behandlungskonzept verstanden, welches nach Untersuchung der einzelnen Organfunktionen verschiedene Übungen, Interventionen und Lifestyle-Modifikationen umfasst, die auf eine Verbesserung der präoperativen funktionellen Kapazität und damit eine Reduktion der postoperativen Morbidität abzielen.

Damit wird deutlich, dass Prähabilitation ein auf den spezifischen operativen Eingriff bezogenes Behandlungskonzept ist, welches sich an den Organdysfunktionen des individuellen Patienten orientiert. „One size does not fit all“ ist die Richtschnur der Prähabilitation. Ein junger gesunder Patient, der zur Versorgung eines Leistenbruchs ansteht, bedarf keiner Prähabilitation. Eine ältere, adipöse Patientin mit geplantem Hüftgelenksersatz wird von einer physiotherapeutischen Prähabilitation möglicherweise profitieren. Ein Patient mit Ösophaguskarzinom mit eingeschränkter pulmonaler Funktion und relevantem Gewichtsverlust weist vor geplanter Ivor-Lewis-Ösophagektomie ein erhebliches Potential zur Prähabilitation auf.

Prähabilitationskonzepte finden mittlerweile in fast allen chirurgischen Fachdisziplinen Anwendung. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt auf der onkologischen Chirurgie, da hier besonders häufig ältere Patienten mit multiplen Komorbiditäten behandelt werden. In einer aktuell publizierten, populationsbasierten Kohortenstudien konnte gezeigt werden, dass nach elektiven, großen chirurgischen Eingriffen („Major Surgery“) das 1-Jahres-Überleben signifikant mit dem Lebensalter des Patienten korreliert und Patienten > 80 Jahre eine kumulative Mortalität von 20 % aufweisen [1]. Diese exemplarisch aufgeführten Daten werden durch andere organbezogene Untersuchungen unterstrichen. Sie stellen die Rationale eines Prähabilitationskonzeptes. Die Idee der Prähabilitation basiert auf einer Stärkung der eingeschränkten Altersphysiologie vor dem operativen Trauma, welche in der postoperativen Phase dann zu einer schnelleren Rekonstitution des initialen Gesundheitszustandes führt, (s. Abb. 1) [2]. Aus pathophysiologischer Sicht erscheint es plausibel, dass postoperative „Fast-track“-Konzepte hier synergistische Effekte aufweisen, dieser Zusammenhang wurde bisher aber noch nicht weiter untersucht.

Abb. 1: Konzept der Prähabilitation (modifiziert nach [2])

Konzepte der Prähabilitation

Der Patientenpfad zur Prähabilitation umfasst in der Regel vier unterschiedliche Phasen:

  1. die Selektion der Patientengruppe (Screening),
  2. die Einschätzung der vorhandenen funktionellen Kapazität (Assessment),
  3. die eigentliche Behandlung (Intervention) und
  4. die Beurteilung der erzielten Verbesserung (Re-Assessment).

Die Selektion der zu behandelnden Patienten orientiert sich an der eingriffsspezifischen Morbidität und dem individuellen Potential zur Verbesserung. Im Assessment sind gebräuchliche Scores des Allgemeinzustandes wie ASA oder ECOG nicht ausreichend differenziert, um die individuell eingeschränkte Leistungsfähigkeit exakt zu definieren. Hier werden stattdessen häufig der 6-Minuten-Gehtest oder auch zunehmend der Frailty-Score eingesetzt. Frailty ist definiert als ein multidimensionales geriatrisches Syndrom, gekennzeichnet durch den Verlust von individuellen physiologischen Reserven sowie eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber internen und externen Stressoren. Zur Evaluation umfasst die Frail-Scale modifiziert nach Fried die Faktoren Gewichtsverlust, Erschöpfung, körperliche Aktivität, Gehgeschwindigkeit und Handkraft. Der resultierende Score unterteilt die Patienten dann in die Kategorien „robust“, „prefrail“ und „frail“. Der Score wurde in multiplen Beobachtungsstudien validiert und korreliert signifikant mit der postoperativen Mortalität [1, 3]. Bei thorakalen Eingriffen ist dazu die präoperative Evaluation der Lungenfunktion mittels Spirometrie obligat. Zentraler Baustein des präoperativen Assessments ist die Beurteilung des Ernährungsstatus. Hier gibt der Body Mass Index (BMI) eine erste orientierende Einschätzung, da unter- und übergewichtige Patienten oft ein schlechteres postoperatives Ergebnis aufweisen. Zunehmende Anwendung findet der Nutritional Risk Index (NRI), der in einem Vor- und Hauptscreening die Störung des Ernährungszustands über den Gewichtsverlust (in % des Körpergewichts/Zeit), die Schwere der Grunderkrankung sowie das Alter des Patienten dokumentiert. Der finale Score kann ein Ernährungsrisiko identifizieren und eine individuelle Ernährungsberatung empfehlen. Für einen Patienten > 70 Jahre mit einer onkologischen Grunderkrankung sowie einem Gewichtsverlust von > 5 % des Körpergewichts in zwei Monaten wird diese Empfehlung bereits ausgesprochen. Von zunehmender prognostischer Bedeutung ist auch die Sarkopenie, die den altersbedingten Verlust an Muskelmasse und -funktion beschreibt. Zur Bemessung der Sarkopenie wird im CT-Abdomen auf Höhe des dritten Lendenwirbelkörpers exemplarisch der Querschnitt des M. psoas in mm² berechnet und mit Referenzwerten für Männer bzw. Frauen verglichen. Insgesamt ist zu beachten, dass Mangelernährung, Frailty und Sarkopenie oft kombiniert zu beobachten sind, dies aber nicht zwingend der Fall sein muss.

Nach dem Assessment folgt die eigentliche Intervention, die in den gegenwärtigen Prähabilitationskonzepten vier Bereiche umfasst [2, 4]. Hierzu gehören

  1. körperliche (zumeist anaerobe) und spirometrische Übungen zur Verbesserung der Muskelkraft und funktionellen Lungenkapazität, damit einhergehend
  2. die Optimierung und Anpassung der Ernährung. Begleitet wird dieses Programm von einem
  3. kognitiven Training zur Verbesserung der Resilienz durch Relaxationsübungen oder auch eine psychoonkologische Betreuung sowie
  4. Lifestyle-Modifikationen, die in erster Linie den Verzicht auf Nikotin und Alkohol umfassen.

Für jeden Patienten wird in diesen vier Bereichen ein individuell angepasstes Trainingsprogramm durch ein interdisziplinäres Team aus Internisten/Chirurgen, Physiotherapeuten, Ernährungsmedizinern und Psychotherapeuten zusammengestellt, welches für wenigstens vier Wochen vor dem geplanten Eingriff durchgeführt werden sollte [4]. Diese Vorgaben verdeutlichen den hohen personellen und organisatorischen Aufwand dieser Programme. Im Re-Assessment werden die angewandten Testverfahren wiederholt, um eine Verbesserung der diagnostizierten Organdysfunktionen durch das gezielte Trainingsprogramm zu dokumentieren.

Aktuelle Evidenz der Prähabilitation

In 2023 wurde von der AWMF in der S3-Leitlinie Perioperatives Management bei gastrointestinalen Tumoren (POMGAT) die aktuelle Evidenz zur Prähabilitation publiziert [5]. Diese Leitlinie analysierte die Parameter Mortalität, Gesamt-Komplikationen, pulmonale Komplikationen, Verweildauer im Krankenhaus und auf der Intensivstation sowie Lebensqualität. Die Ergebnisse wurden neben der Betrachtung des Gesamtkollektivs zusätzlich in definierte Risikogruppen stratifiziert. Für keine der untersuchten Outcome-Variablen konnte ein Effekt nachgewiesen werden. Lediglich die pulmonalen Komplikationen wurden wahrscheinlich durch die Prähabilitation im gesamten Kollektiv positiv beeinflusst. Dazu ließ sich bei den Gesamt-Komplikationen ein möglicher Effekt für einzelne Risikokollektive annehmen. Die Ergebnisse der Leitlinie wurden in einer aktuellen Publikation bestätigt, welche die bisher publizierten systematischen Reviews und Metaanalysen in einem sog. Umbrella-Review zusammenfasst [6]. Zusammenfassend ist der Nutzen einer Prähabilitation auf das postoperative Outcome gegenwärtig also nicht sicher nachzuweisen. Die Studienlage bleibt zurzeit aber auch noch schwach. Die Studienpopulationen sind inhomogen gewählt und die untersuchten Risikogruppen unzureichend definiert (patient selection). Dazu weisen die eingeschlossenen Studien sowohl eine mangelnde Konsistenz der Prähabilitations-Programme (intervention design and duration), eine mangelnde Überprüfung der Umsetzung (compliance/adherance) sowie abweichende primäre Outcome-Parameter auf.

Exemplarisch für eine gut geplante und durchgeführte Studie steht eine aktuell publizierte Untersuchung, welche randomisiert 251 Patienten mit kolorektalem Karzinom vor minimalinvasiver Resektion in einem randomisierten Studiendesign mit und ohne 4-wöchige multimodale Prähabilitationsintervention einschloss (PREHAB Trial) [7]. Primäre Endpunkte waren die postoperativen Komplikationen gemessen als Comprehensive Complication Index (CCI) sowie der 6-Minuten-Gehtest. Auch wenn sich durch das Trainingsprogramm der 6-Minuten-Gehtest vier Wochen postoperativ in der Interventions- gegenüber der Kontrollgruppe nicht unterschied, war die Anzahl der schweren Komplikationen (CCI > 20) signifikant geringer bei Patienten mit Prähabilitationsprogramm. Weitere Studien dieser Konzeption sind notwendig, um den Benefit eines multimodalen Prähablilitationsprogramms für spezifische Eingriffe und Risikokohorten verlässlich zu bewerten.

Zusammenfassung

Die Prähabilitation umfasst jede Form von präoperativer Intervention, die darauf abzielt, altersbedingte Organdysfunktionen zu konditionieren und damit die postoperative Rekonvaleszenz zu verkürzen. Prähabilitationsprogramme werden eingriffsspezifisch an das individuelle Ausgangsniveau des Patienten angepasst. Das mindestens vierwöchige Training selbst ist multimodal konzipiert und umfasst in der Regel vier Bereiche: physisches Training, Ernährungsumstellung, kognitives Training und Lifestyle-Modifikationen. Der Prähabilitation wird ein großes Potential zugeschrieben, die peri- und postoperative Morbidität zu senken. Die aktuelle Evidenz kann aufgrund mangelnder Studienqualität jedoch noch keinen sicheren Benefit dokumentieren.

Literatur

[1]   Gill TM, Wyk BV, Summer LL, et al.. Population-Based Estimates of 1-Year Mortality After Major Surgery Among Community-Living Older US Adults. JAMA Surg. 2022;157(12):e225155. doi:10.1001/jamasurg.2022.5155
[2]   Charlotte J.L. Molenaar, Nicole E. Papen-Botterhuis, Florian Herrle and Gerrit D. Slooter. Prehabilitation, making patients fit for surgery – a new frontier in perioperative care. Innov Surg Sci 2019; 4(4): 132–138
[3]   Patrick R. Varley, Dan Buchanan, Andrew Bilderback, Mary Kay Wisniewski, et al.. Association of Routine Preoperative Frailty Assessment With 1-Year Postoperative Mortality. JAMA Surg. 2023;158(5):475-483. doi:10.1001/jamasurg.2022.8341
[4]   June F. Davis, Stefan J. van Rooijen, Chloe Grimmett, Malcom A. West, et al. From Theory to Practice: An International Approach to Establishing Prehabilitation Programmes. Current Anesthesiology Reports (2022) 12:129–137
[5]   Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Perioperatives Management bei gastrointestinalen Tumoren (POMGAT), Langversion 1.0, 2023, AWMF-Registernummer: 088-010OL
[6]   Daniel I. McIsaac, Marlyn Gill, Laura Boland, Brian Hutton, Karina Branje, et al.. Prehabilitation in adult patients undergoing surgery: an umbrella review of systematic reviews. British Journal of Anaesthesia, 128 (2): 244e257 (2022)
[7]   CJL Molenaar, EM Minnella, Miquel Coca-Martinez, et al.. Effect of Multimodal Prehabilitation on Reducing Postoperative Complications and Enhancing Functional Capacity Following Colorectal Cancer Surgery. The PREHAB Randomized Clinical Trial. JAMA Surg. doi:10.1001/jamasurg.2023.0198

Schröder W, Fuchs H: Prähabilitation – ein Konzept des perioperativen Managements mit Potential. Passion Chirurgie. 2024 Januar/Februar; 14(01/02): Artikel 03_01.

Autoren des Artikels

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Prof. Dr. med. Wolfgang Schröder

Erweiterter Vorstand des BDC/der Deutschen Akademie für chirurgische Fort- und WeiterbildungLeitender OberarztKlinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und Transplantationschirurgie; Universitätsklinik KölnKerpener Str. 6250937Köln kontaktieren
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Prof. Dr. med. Hans Fuchs

Seminarleiter BDC|AkademieLeiter des BDC|Themenreferats „Digitalisierung und technische Innovation“Sektion roboterassistierte minimal-invasive Viszeralchirurgie & Künstliche Intelligenz in der ChirurgieKlinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und TransplantationschirurgieUniversitätsklinikum Köln (AöR) kontaktieren

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