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Nach mehr als zwei Jahrzehnten der ausschließlichen Beschäftigung mit Gefäßzugängen für die Hämodialyse ist es mir eine Ehre, für die Mitgliederzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für ­Chirurgie und des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen eine Übersicht über die Shuntchirurgie zu geben.

In memoriam Wolf Dieter Brittinger

Während der Bearbeitung des Themas hat mich die Nachricht vom Tode meines shuntchirurgischen Lehrers, früheren Vorgesetzten und Vorgängers in der Leitung der Shuntklinik in Neckargemünd erreicht. Prof. Dr. Wolf Dieter Brittinger ist am 10. Januar 2019 gestorben. Gefäßzugänge für die Hämodialyse, oder wie er es gern nannte „Anschlussverfahren für die künstliche Niere“, waren sein Anliegen, in dessen Dienst er sich fast lebenslang gestellt hat. Sein Engagement ging so weit, dass er sich buchstäblich zu jeder Tages- und Nachtzeit im Operationssaal und der Dialysestation für die nierenkranken Patienten einsetzte. Eine wahre Passion.

Prof. Dr. Brittinger war von Hause aus Internist mit dem Schwerpunkt Nephrologie und Dialyse und hat sich wegen der unbefriedigenden Shuntversorgung für seine Patienten in der Anfangszeit der Dialysebehandlung in Deutschland teils unter Anleitung gefäßchirurgisch versierter Kollegen, teils auch autodidaktisch die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten angeeignet, um Shuntoperationen selbst durchzuführen. Im Laufe von rund vier Jahrzehnten hat er sämtliche bekannte Shuntformen frequent selbst operiert, weiterentwickelt und eigene Verfahren erfolgreich eingeführt. Eine weitergehende Würdigung und einen umfassenden Nachruf überlasse ich gerne Berufeneren an geeigneter Stelle. Die Grundregeln, nach denen dieser Pionier der Shuntchirurgie gearbeitet hat, stelle ich hier dar, weil sie nach wie vor gültig sind.

Shuntqualität bestimmt Dialysequalität

Die Herangehensweise des Nephrologen an die Shuntoperation ist fachbezogen eine andere als die des Gefäßchirurgen. Im Gegensatz zum Chirurgen, dem die manuell-technische Seite der Operation, Zugangswege und Anastomosentechnik vertraut sind, kann der Nephrologe aus seinem Wissen um die Erfordernisse für die Dialyse und die eigene praktische Erfahrung mit der apparativen Nierenersatztherapie heraus auch die Anforderungen an den Gefäßzugang klarer definieren. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Shuntqualität die Dialysequalität bestimmt, und Letztere entscheidend für die Lebensqualität der Patienten ist. Es werden gefäßchirurgische Instrumente verwendet und gefäßchirurgische Techniken angewandt. Die Operationen stellen für sich genommen aber noch keine Therapie dar, sondern ermöglichen erst die Therapie, nämlich die Dialysebehandlung. So drückt sich in dieser Betrachtungsweise die Interdisziplinarität der Aufgabe aus.

Aus dieser Interdisziplinarität ergibt sich, dass die Bewertung des Dialysezugangs allein nach üblichen gefäßchirurgischen Kriterien zu kurz greift. Natürlich spielen die primäre, die 30-Tage-, 6- und 12-Monats-Offenheit des Shunts eine wesentliche Rolle. Der Benefit des Shunts für den Patienten ergibt sich aber erst durch die tatsächliche Nutzung zur Dialysebehandlung. Deshalb schlage ich eine Bewertung im Rahmen der Qualitätssicherung vor, die berücksichtigt, wie viele Hämodialysen sich infolge einer Shuntoperation, -revision oder -intervention problemlos durchführen lassen, respektive wie viele Monate ein Shunt zwischen zwei Prozeduren für die Dialysebehandlung effektiv eingesetzt werden kann.

Aufgrund einer derartigen Qualitätsbewertung lässt sich dann auch zeigen, dass die chirurgisch sicher scheinenden, mit hoher primärer Offenheitsrate einhergehenden Shuntanlagen, z. B. Ellenbeugenfisteln oder Prothesenshunts, für viele Patienten weniger vorteilhaft sind als periphere Nativshuntanlagen mit zwar längerer Reifungsphase, aber erheblich längerem Intervall bis zur Revision, bzw. bis zum ersten Shuntversagen.

Nach der Erstbeschreibung von Brescia, Cimino et. al. im Jahre 1966 hat sich die Anlage einer radio-cephalen AV-Fistel am distalen Unterarm, vorzugsweise am subdominanten Arm, zum „Goldstandard“ des Dialysezugangs entwickelt. Die Anastomosentechnik wurde angepasst, sodass heute anstelle der in der Erstbeschreibung angegebenen (funktionellen) End-zu-End-Anastomose grundsätzlich Fisteln in Seit-zu-End-Anastomosentechnik angelegt werden, um im Fall der Shuntthrombose eine durchgängige Arterie zu erhalten und so die Erfolgsaussichten der Revision zu erhöhen.

Dieser Blick auf eine später mögliche Revision zum Shunterhalt ist ein essenzielles Qualitätsmerkmal der bedarfsorientierten Shuntchirurgie. Bedenkt man, dass die Shunt­anlage keine eigenständige Therapie darstellt, sondern ihren Sinn erst durch die Nutzung zur Dialyse entfaltet, so muss ohne Schuldzuweisung auch festgestellt werden, dass die chronisch intermittierende Dialysebehandlung gleichzeitig eine systematische „Shuntzerstörung“ darstellt. Standard sind drei Dialysen pro Woche, jeweils mit zwei kaliberstarken Kanülen durchgeführt, sodass im Laufe einer „nur“ dreijährigen Dialysebehandlung rund 1.000 Punktionen des Shunts erfolgen. Dies stellt eine hohe mechanische Belastung dar und macht immer wieder operative oder interventionelle Eingriffe zum Shunterhalt erforderlich.

Ein Shunt, der sich im Falle des Versagens nicht sinnvoll und mit vertretbarem Aufwand revidieren lässt, ist für den Patienten nur von begrenztem Nutzen. Eine gefäßchirurgische „Hochseilakrobatik“ scheint aus diesem Grunde nicht indiziert, und „Extremshunts“ sollten extrem selten, aber nicht extrem schwierig oder für den Patienten belastend sein. Sie gehören nicht in das Portfolio der Standard-Shuntanlagen, sondern müssen für Patienten am Ende einer langen Dialysebehandlung mit entsprechendem Gefäßverbrauch reserviert bleiben.

In dieser Hinsicht stellt die periphere AV-Fistel eine besonders günstige Variante dar, weil sie eine besonders große Palette an Revisionsmöglichkeiten offen lässt. Zu nennen sind Proximalisierung der Anastomose, Ergänzung durch Protheseninterponate und Interventionsmöglichkeiten durch Angioplastie und Stentung. Unter günstigen Voraussetzungen angelegt, erleben wir eine Nutzungsdauer von über zehn, in Einzelfällen sogar bis über dreißig Jahren.

Vom „Goldstandard“ der peripheren AV-Fistel müssen wir zunehmend abweichen, weil die Gefäßverhältnisse der immer älter werdenden, immer häufiger multimorbiden inzidenten Patienten keine erfolgversprechende Möglichkeit zur Nativshuntanlage am distalen Unterarm mehr bieten. Hier ist das Negativkriterium häufig nicht die fehlende oberflächliche Vene, sondern die fehlende Elastizität der Arterie, die für eine erfolgreiche Maturation des Nativshunts nicht weniger wichtig ist als die ausreichend kaliberstarke und elastische Shuntvene.

Prothesenshunts sind seit fast fünfzig Jahren bekannt und gebräuchlich. Prothesenshunts sind den Nativshunts bezüglich der Gesamtfunktionsdauer, der Revisionshäufigkeit und der Infektresistenz deutlich unterlegen. Die Infektresistenz von Prothesenshunts ist um den Faktor 2,5 schlechter als bei Nativshunts, und die Infektsanierung gelingt praktisch nie konservativ, sondern zwingt zur großzügigen Entfernung der infizierten Prothesensegmente und weiträumiger Umgehung des Infektareals. Es ist daher verständlich, dass der Anteil von Prothesenshunts rückläufig ist. Aktuell stellen Prothesenshunts nur noch ca. 10 % der Dialysezugänge bei prävalenten Patienten in Deutschland dar, während der Anteil zentralvenöser Katheter („Demerskatheter“) an den Zugängen auf rund 20 % gestiegen ist. Gründe sind im veränderten Patientenkollektiv zu finden: gestiegenes Alter der inzidenten Patienten ebenso wie die zunehmende Dauer der Dialysebehandlung (bis über vierzig Jahre) der prävalenten Patienten. Eine nachlassende Bereitschaft der Patienten, Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen als Ausdruck des gesellschaftlichen Wertewandels hin zu einer „Plug and Play“-Mentalität führt nicht selten zu der Situation, dass Patienten, die mit einem gut funktionierenden Shunt versorgt sind, weiter über den initial implantierten Katheter dialysiert werden.

Die Patientenführung stellt eine extrem wichtige Aufgabe für das interdisziplinäre Team dar. Untersuchung, Beratung Indikationsstellung und Aufklärung der Patienten erfordern etwa ebenso viel Zeit wie die anschließende Shuntoperation.

Bei den inzidenten Patienten, d. h. als Erstzugang für die Dialyse, implantieren wir Prothesenshunts nur in den Fällen, in denen keine Möglichkeiten zur adäquaten Nativshuntanlage besteht. Im aktuellen Patientenklientel liegt der Anteil bei ~ 4%.

So stellen Prothesenshunts in erster Linie Nachfolgeshunts dar, nachdem die Nativ­shuntmöglichkeiten der betreffenden Extremitäten bereits ausgenutzt sind. Bei der Frage der Eskalation sollte man nicht dogmatisch vorgehen, sondern versuchen, das Vorgehen an die individuellen Bedürfnisse, bzw. die Akzeptanz der Patienten anzupassen. Das bedeutet, dass wir bei manchen Patienten erst sämtliche Nativshuntmöglichkeiten ­ausschöpfen, bevor wir einen Prothesen­shunt implantieren. Bei anderen Patienten ist es sinnvoller, sämtliche Shuntmöglichkeiten einer Extremität auszunutzen, bevor eine andere Extremität, meistens der dominante Arm, gewählt wird. Wie beim Nativshunt ist auch beim Prothesenshunt entscheidendes Qualitätsmerkmal, auf eine möglichst große Bandbreite von Revisionsmöglichkeiten zu achten. Aus diesem Grund ist der Loopshunt gegenüber dem gestreckten Prothesenverlauf zu bevorzugen, weil eine größere Zahl von Revisionsmöglichkeiten beim Shuntverbrauch, bzw. -versagen besteht: Verlängerung eines oder beider Graftschenkel, Teilersatz der punktionsverbrauchten Segmente, Interventionen an den Anschlussgefäßen und zentralen Venen, bis hin zur Verlängerung durch zentrale Interponate.

Nicht mehr benutzbare Shuntprothesen sollten möglichst vollständig entfernt werden, einerseits, um für spätere Neuanlagen den benötigten Platz zu schaffen, andererseits, um Spätinfektionen („silent graft infections“) vorzubeugen, die insbesondere bei Patienten unter Immunsuppression nach Nierentransplantation auftreten. Aus diesem Grunde muss auch die Indikation zur Implantation eines Gefäßersatzshunts bei Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, strenger gestellt werden als bei Patienten, für die eine Nierentransplantation nicht infrage kommt. Häufiger als für eine komplette Shuntanlage wird Prothesenmaterial als Interponat zum Shunterhalt benötigt.

Als Prothesenmaterial für Dialyseshunts findet in erster Linie Polytetrafluorethylen (ePTFE) Verwendung, das von zahlreichen Herstellern in verschiedenen Konfektionierungen angeboten wird. Trotz der stofflichen Ähnlichkeit unterscheiden sich die Prothesen im Handling, sodass ich empfehle, sich zur Erzielung reproduzierbar guter Ergebnisse auf wenige Anbieter zu beschränken, ohne daraus die Empfehlung für ein spezielles Produkt abzuleiten. Frühpunktierbare Prothesen stellen eine willkommene Ergänzung der zur Verfügung stehenden Materialien dar, die Vermeidung eines Katheters zur Dialyseeinleitung gelingt jedoch seltener, als zunächst angenommen wurde.

Shuntzentren und Zertifizierung

Nach jahrelangen Überlegungen und intensiver Diskussion zwischen allen mit dem Dia­lysezugang befassten Disziplinen: Nephrologie, Gefäßchirurgie, Radiologie und Angiologie, konnte vor rund zwei Jahren mit der Zertifizierung von „Interdisziplinären Zentren für Dialysezugänge“ begonnen werden. Um den Kreis der Einrichtungen möglichst weit zu fassen, werden sowohl regionale Shuntzentren als auch Shunt-Referenzzentren zertifiziert. Neben den Anforderungen an Struktur und Leistungsdaten sind die gelebte Interdisziplinarität und die Qualitätssicherung entscheidende Kriterien. Inzwischen sind ca. 30 Einrichtungen zertifiziert, sodass wir dem Ziel, allen Dialysepatienten unabhängig von Wohnort und der eher zufälligen Vertrautheit einzelner Operateure mit den Anforderungen an den Dialysezugang, eine hochwertige Shuntversorgung bieten zu können, einen entscheidenden Schritt näher gekommen sind.

Ausblick

Die zurzeit diskutierten Innovationen für die Shuntchirurgie betreffen durchwegs Industrieprodukte, die eine höhere Erfolgsrate der Shuntanlage und/oder einen höheren Patientenkomfort versprechen. Diese Entwicklungen sind interessant und können vielleicht im vorgenannten Sinne helfen, die Shuntchirurgie weiter zu entwickeln. Ich möchte aber an dieser Stelle im Patienteninteresse dafür plädieren, dass die notwendige klinische Erprobung in Zentren erfolgt, die bereits jetzt hochfrequent mit der Dialysezugangschirurgie befasst sind und die Mindestanforderungen an Referenzzentren deutlich übertreffen. Nachdem deutschlandweit hunderttausende von Shuntoperationen und weltweit Millionen davon erfolgreich durchgeführt wurden, ist eine vergleichende Untersuchung aus statistischen Gründen nicht einfach. Bei der Überprüfung der „Nichtunterlegenheit“ neuer Verfahren oder Produkte muss das Augenmerk nicht vorrangig auf die primären, bzw. 12-Monats-Erfolge gerichtet werden, sondern auf weitaus längere Zeiträume. Wie oben dargestellt, müssen nicht wenige Patienten die apparative Nierenersatztherapie über Jahrzehnte durchführen.

Die intensiv beworbene endovaskuläre Shunt­anlage führt zu einer ellenbeugennahen Fistel, die morphologisch am ehesten der Gracz‘schen Fistel vergleichbar ist. Da diese Shuntvariante in der offenen Shuntchirurgie vergleichsweise selten erforderlich ist, darf die Indikation zur Endo-AVF nur gestellt werden, wenn erfolgversprechende Nativshuntmöglichkeiten am Unterarm ausgeschlossen wurden.

Mit der Entscheidung für eine spezielle Zugangsform schicken wir den Patienten auf einen Therapiepfad, auf dem wir ihn über lange Zeit begleiten müssen. Unsere Indikationsstellung erfordert, dass wir sehr ökonomisch mit den zur Verfügung stehenden Shuntmöglichkeiten umgehen und in jedem Fall einen Plan entwickeln, welche Eskalation im Falle des Shuntversagens zur Verfügung steht.

Solange über den adäquaten Anastomosenwinkel keine Einigkeit unter den Experten besteht, scheint es auch nicht gerechtfertigt, eine äußere Schienung mit dem Argument zu bewerben, dass dadurch der ideale Anastomosenwinkel fixiert wird. Darüber hinaus erschließt sich mir der Vorteil der äußeren Schienung nicht, weil der „Goldstandard“ Nativshunt durch das Einbringen von Fremdmaterial seine Überlegenheit bezüglich Infektresistenz verlieren dürfte. Das gilt aus meiner Sicht ebenso für implantierbare Punktionshilfen aus Fremdmaterial.

In dem Bestreben die Zugangsmöglichkeiten für die Dialyse im Interesse langfristig problemloser Behandlung und gesteigertem Patientenkomfort weiterzuentwickeln, müssen wir die Erprobung neuer Materialien und Techniken ethisch sorgfältig abwägen und die Resultate über einen langen Zeitraum kritisch auswerten, bevor wir von den bewährten Standards abweichen.

Metzler EU: Passion Shuntchirurgie. Passion Chirurgie. 2019 April, 9(04): Artikel 03_01.

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