01.09.2015 Krankenhaus
Operationszahlen in Deutschland: Meinungen aus dem Bundestag

Karin Maag, Bundestagsabgeordnete, Ausschuss für Gesundheit
In meiner Heimatstadt Stuttgart werden im Schnitt 47,6 Gaumenmandel-OPs pro 10.000 Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Das ist ungefähr Bundesdurchschnitt. In Tübingen sind es nur 21,8 OPs, in Schweinfurt hingegen 90,9. Ein zweites Beispiel Kniegelenk-OPs: In Stuttgart finden 15,9 Eingriffe pro 10.000 Einwohner statt. Im Bundesschnitt sind es 20,5, im Kreis Schwandorf in der Oberpfalz sind es sogar 30,8. Diese von Region zu Region stark schwankenden OP-Zahlen und die messbaren Mengenentwicklungen bei einigen Indikationen in den vergangenen Jahren lassen viele Patientinnen und Patienten verunsichert zurück. Sie fragen sich: „Werde ich operiert, damit es mir besser geht oder nur, weil das Krankenhaus damit Geld verdient?“
Ich kann und will keinen einzelnen Fall beurteilen. Aber weil mit den veröffentlichten Zahlen der Eindruck entstehen kann, es werde zu viel operiert, ist es aus meiner Sicht die oberste Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte, diesen Befürchtungen entgegenzutreten. Leider wird von der verfassten Ärzteschaft und den Krankenhäusern oft beschwichtigt und es wird mit komplizierten statistischen Berechnungen versucht, das Gegenteil darzulegen: Deutschland könne sich nicht mit Dritte-Welt-Staaten vergleichen, die medizinisch-technischen Entwicklungen seien eben bei uns fortgeschrittener usw. Sicherlich dürfen wir in der Diskussion nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und auch nicht bedingungslos der Argumentation der Krankenkassen und ihrem Wunsch nach mehr Versorgungssteuerung folgen.
Und deshalb stärken wir mit dem gerade vom Bundestag beschlossenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz das Recht auf eine zweite Meinung. Vor mengenanfälligen planbaren Eingriffen können Patientinnen und Patienten eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einzuholen. Welche Eingriffe das genau sind, wird der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) festlegen. Der indikationsstellende Arzt muss den Patienten über seinen Anspruch auf eine Zweitmeinung aufklären. Dies soll mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff geschehen. Es wird ein breites Informations- und Beratungsangebot für die Patientinnen und Patienten geben.
Im Rahmen der Krankenhausreform werden wir außerdem die Mengensteuerung gerechter gestalten und nicht mehr diejenigen Krankenhäuser (mit-) bestrafen, die sich nicht an rein wirtschaftlich begründeten Mengenausweitungen beteiligen. So wollen wir die Anreize zur Mengensteigerung direkt beim einzelnen Krankenhaus senken.
Lothar Riebsamen, Bundestagsabgeordneter, Ausschuss für Gesundheit
Wird in Deutschland zu viel operiert? Dieser Frage widmet sich die Politik – aber auch die deutsche Öffentlichkeit – bereits seit geraumer Zeit. Denn: Im internationalen Vergleich steht Deutschland an der Spitze – und das seit Jahren mit steigender Tendenz.
Die zentrale Frage hinter den steigenden Zahlen ist, ob diese Entwicklung schlicht mit der älter werdenden Bevölkerung – Stichwort „Demographischer Wandel“ – und dem medizinischen Fortschritt erklärt werden kann. Dies ist meiner Ansicht nach allerdings nur zu einem Teil der Fall. Sicherlich bringt eine stetig wachsende Anzahl älterer Menschen einen Anstieg der Operationen mit sich. Aber kann das eine Erklärung für z. B. die Verdoppelung von Rücken-OPs in nur sechs Jahren (2005 bis 2011) sein? Ähnliche Entwicklungen gibt es bei Knie- oder Hüft-Operationen. Hier bin ich der festen Überzeugung, dass der demographische Wandel und der medizinische Fortschritt hierfür nicht allein die Erklärung sein können – denn die größten Zuwächse stehen uns noch bevor.
Zudem ist es unerklärlich, dass die „Operationsquoten“ z. B. von Mandeln oder Blinddarm von Region zu Region massiv schwanken. Es gibt Gegenden in denen die Mandeln vier Mal so häufig entfernt werden als in anderen. Stellt sich die Frage, ob die Menschen dort so massiv kranker sind, als in anderen Regionen. Ich meine definitiv:„Nein!“ Hinzu kommen beispielsweise große und nicht erklärbare Unterschiede bei der „Kaiserschnitt-Quote“.
Darüber hinaus halte ich es für sehr bedenklich, dass es Kliniken gibt, die zu Beginn eines Jahres von ihren Trägern Vorgaben wie z. B. „x-Prozent mehr Leistungen in diesem Jahr“ erhalten.
In Krankenhäusern werden oftmals Mittel aus den DRG-Fallpauschalen für Investitionen verwendet – obwohl sie hierfür nicht gedacht sind. Da – vor allem aufgrund der mangelhaften Investitionsfinanzierung von Seiten der Bundesländer – generell Geld in den Krankenhäusern fehlt, führt dies zu Ausweitungen der Mengen, um durch die hierdurch erzielten Mehreinnahmen die notwendigen Investitionen finanzieren zu können.
Leider wurde dieses Grundproblem der Krankenhausfinanzierung auch im Zuge der Beratungen der Bund-Länder-Kommission nicht gelöst. Hier wurde eine große Chance vertan.
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Maag K., Riebsamen L. Operationszahlen in Deutschland: Meinungen aus dem Bundestag. Passion Chirurgie. 2015 September, 5(09): Artikel 02_03.
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