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Aus medizinischer Sicht sind alle Tätigkeiten eines Arztes uneingeschränkt Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin und unterliegen damit nicht der Umsatzsteuerpflicht. Die medizinische Sicht entspricht aber nicht der Sicht der Finanzbehörden. Gerade am Beispiel ästhetisch plastischer Leistungen lässt sich Diskrepanz zwischen medizinischen und steuerrechtlichen Erwägungen aufzeigen.

Im sog. Umsatzsteuergesetz hieß es lange, dass die Tätigkeit eines Arztes von der Umsatzsteuer befreit sei. Aus medizinischer Sicht sind damit alle heilberuflichen Leistungen gemeint, die ein Patient in Anspruch nimmt. Über Jahrzehnte wurde dieser „Befreiungsparagraph“ einheitlich umgesetzt. Europaweit wurden Heilbehandlungen der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung des von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufs erbracht werden, von der Umsatzsteuer befreit. Dabei wird vor allem auf die Definition der WHO zurückgegriffen: „Heilbehandlungen in diesem Sinne sind Tätigkeiten, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und soweit möglich der Heilung und Vorbeugung von Krankheiten oder einer anderen Gesundheitsstörung bei Menschen vorgenommen werden und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen“ (laut WHO: in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht).

Seit einigen Jahren werden allerdings bestimmte Leistungen von Ärzten mit Umsatzsteuer belegt. Dabei sind besonders ästhetisch plastische Operationen in den Fokus geraten. Dabei wird steuerrechtlich postuliert, dass Maßnahmen dieses ästhetisch plastischen Leistungskatalogs – auch wenn sie von Angehörigen eines Heilberufes durchgeführt wurden – nicht im Sinne einer ärztlichen Tätigkeit oder Heilbehandlung zu bewerten sind. Eine verbindliche Definition des Umfangs dieses Leistungskataloges besteht dabei ebenso wenig wie die des Begriffs „ästhetischer Operation“. So wird in der in der öffentlichen Wahrnehmung, die auch die Meinung der Finanzbehörden bestimmt, die Plastische Chirurgie mit „Kosmetischer Chirurgie“ gleich gesetzt

Neben den oben genannten Kriterien orientieren sich maßgebliche Institutionen der Rechtsprechung wie europäischer Gerichtshof, Bundesfinanzhof sowie Länderfinanzgerichte bei der Bemessung der Umsatzsteuerpflicht auch an dem Begriff des therapeutischen Ziels. Daneben wird betont, dass ärztliche Leistungen dann steuerbefreit sind, wenn diese zum Zwecke der Vorbeugung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen vorgenommen werden. So sollen ästhetisch-plastische Leistungen dann steuerpflichtig sein, soweit ein therapeutisches Ziel nicht im Vordergrund steht. Indiz für ein therapeutisches Ziel kann die Kostenübernahme durch eine Krankenversicherung auch in ähnlichen Fällen sein.

Diese kann allerdings allenfalls hinweisgebend sein. Denn bei den heute üblichen vollkommen unterschiedlichen Ausgestaltungen von Versicherungsverträgen bzw. Leistungsumfängen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen und Beihilfestellen kann keinesfalls zwangsläufig der Schluss auf eine medizinische Indikation dann gezogen werden, wenn eine Kostenerstattung seitens der Krankenkasse erfolgt. Auch sind zunehmend Leistungen, die der Diagnose, Linderung und Behandlung von Krankheiten dienen und entweder vormals selbstverständlich im Leistungskatalog der Kassen verankert waren oder durch den Fortschritt in der Medizin zwischenzeitlich dazugekommen sind, heute keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung . Diese finden sich dafür bei den „Individuellen Gesundheitsleistungen“ wieder, sind deswegen aber nicht notwendigerweise weniger medizinisch indiziert (z. B. Messung des Augeninnendrucks, PSA Bestimmung im Rahmen der Prostatavorsorgeuntersuchung, Alpha-1-Fetoprotein Bestimmung als Indikator kindlicher Fehlbildungen usw.). Andererseits gibt es mittlerweile Leistungen, die von der Leistungspflicht der Versicherungen umfasst sein können, aber bei näherem Hinsehen unter steuerrechtlichen Aspekten „indikationslos“ sind, z. B. Organentnahmen bei Lebenden, Wunschkaiserschnitte oder homöopathische Leistungen.

Dabei ist das Fachgebiet der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie im Spannungsfeld zwischen Wiederherstellung und Ästhetik angesiedelt. Die Plastische Chirurgie vertritt vier Teilbereiche: Die rekonstruktive Chirurgie, die Verbrennungschirurgie, die Handchirurgie sowie die ästhetisch-plastische Chirurgie. Es dürfte zunächst unstrittig sein, dass alle Maßnahmen innerhalb der rekonstruktiven Chirurgie, der Verbrennungschirurgie und der Handchirurgie medizinisch und steuerrechtlich indiziert sind im Sinne einer Vorbeugung, Diagnostik, Behandlung oder Heilung einer Krankheit. Allerdings finden sich vereinzelt auch in solchen Fällen schon Umsatzsteuerforderungen der Finanzämter.

Eine rechtswirksame Definition des Begriffs „ästhetischer Eingriff“ besteht nicht. Allein die Eingriffe zur Wiederherstellung einer weiblichen Brust (Brustverkleinerung, Brustvergrößerung, Brustaufbau) und deren vollkommen unterschiedliche Bewertung durch Finanzbehörden, Krankenkassen oder Gerichte zeigen dabei schon die Schwierigkeiten zur Abgrenzung möglicher umsatzsteuerbewehrter ästhetisch-plastischer Leistungen auf. Denn naturgemäß können viele der Techniken der Wiederherstellungschirurgie auch dazu dienen, ästhetisch-plastische Leistungen im Sinne der oben genannten Umsatzsteuerrichtlinien zu erbringen. So gehört es eben auch zur plastisch-chirurgischen Heilkunst, durch eine Operation ein möglicherweise noch drohendes körperliches und psychisches Leiden abzuwenden.

Eine medizinische Indikation ergibt sich auch durch den internationalen Katalog der Krankheiten, der von der World Health Organisation (WHO) herausgegeben wird. Der aktuell in der 10. Auflage vorliegende Katalog listet alle physischen und psychischen Krankheiten und Gesundheitsstörungen auf, aus deren Behandlung sich die Kriterien der heilbehandelnden Tätigkeit sowie des therapeutischen Ziels ergeben. Über die ICD 10 Kodierung einer Krankheit kann nur der behandelnde Arzt in Kenntnis der Anamnese und aller Befunde entscheiden. Dieser hat dabei auch den medizinischen Standard einzuhalten, der sich aus dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft, seiner ärztlichen Erfahrung und der anerkannten medizinischen Praxis ergibt. So ist nicht der ICD Code alleine entscheidend, sondern die Befunde, die dazu geführt haben.

Erfolgt also eine ärztliche Leistung zur Vorbeugung, Diagnostik, Behandlung oder Heilung einer in diesem Katalog aufgeführten Krankheit, liegt zwangsläufig eine medizinische Indikation vor. Ansonsten könnte nicht von einer Krankheit gesprochen werden bzw. nur von einer Behandlung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne, bei der folglich Umsatzsteuerpflicht bestünde. Darunter könnten z. B. Leistungen fallen, die dem Bereich „Körperschmuck“ zuzurechnen sind, wie Piercing, Bleaching, Veneers, Permanent Make Up. Auch Maßnahmen der Faltenkorrektur wie Unterspritzungen können dazu zählen, wenn man annimmt, dass Altern per se zunächst keine Krankheit ist.

Die uneinheitliche Rechtsprechung der Gerichte und deren ebenso uneinheitliche Umsetzung durch die Behörden der Bundesländer auch innerhalb desselben Bundeslandes verhindern, dass sowohl Plastische Chirurgen als auch die Finanzverwaltung hinsichtlich der umsatzsteuerpflichtigen Leistungen zu einer Vereinheitlichung oder Rechtssicherheit gelangen können.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Gerichtshof der Europäischen Union eine wichtige Entscheidung. So sollen ästhetisch plastische Operationen und Behandlungen unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ oder „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ in Krankenhaus und Praxis fallen, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen, die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Das Gericht führt insbesondere aus, dass darunter auch Behandlungen fallen, die dazu dienen, einen erworbenen oder angeborenen körperlichen Mangel mittels eines Eingriffes ästhetischer Natur zu beheben.

Nur Personen, die zur Ausübung eines Heilberufes zugelassen seien (Ärzte), könnten o.g. Heilbehandlungen durchführen. Zudem könnten nur diese Personen, den Zweck des Eingriffes bestimmen (therapeutisches Ziel). Die subjektive Vorstellung des Patienten über das therapeutische Ziel seit nicht maßgeblich.

Die Beurteilung und Klärung der relevanten medizinischen Fragen im Rahmen der Mehrwertsteuererhebung könne nur von medizinischem Fachpersonal, das mit der Indikationsstellung und möglichen Therapiemaßnahmen vertraut sei, getroffen werden.

Die aktuelle Rechtsprechung des BFH widersetzt sich allerdings den Kernsätzen der EuGH Entscheidung sowie denen eines Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Facharztstandard.

So sagt das BVG 2011 zur Frage, ob ein MKG-Chirurg fachfremde Tätigkeiten wie Brustvergrößerungen oder Oberarmstraffungen ausführen dürfe, dass jeder approbierte Arzt auf allen Gebieten behandeln dürfe, die von seiner Approbation umfasst seien, solange es sich nicht um eine systematische Gebietsüberschreitung handele („jeder approbierte Arzt darf alles“).

Ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen sind nach Meinung des BFH zwar dann steuerfrei, wenn sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur “erforderlich” ist, während Eingriffe zu rein kosmetischen Zwecken steuerpflichtig sind. Insbesondere aber begründen gesundheitliche Probleme psychologischer Art nur dann die Steuerfreiheit ästhetischer Operationen und ästhetischer Behandlungen, wenn hierzu medizinische Feststellungen vorliegen, die von dem “entsprechenden Fachpersonal” zu treffen sind. Dabei gehört der die ästhetische Operation z. B. als Chirurg durchführende Arzt – anders als z. B. psychologische Psychotherapeuten und auf Leiden psychologischer Art spezialisierte Fachärzte – nicht zu dem “Fachpersonal”, das “medizinische Feststellungen” zu “gesundheitlichen Problemen psychologischer Art” treffen könne, da ihm die hierfür erforderliche unmittelbare berufliche Qualifikation fehle. Das steht im Widerspruch zu den Entscheidungen des EuGH und des BVG.

So oder so bleiben für ästhetisch plastische Eingriffe nicht nur verschärfte Anforderungen an die Aufklärung zu stellen, sondern auch an die Dokumentation der Befunde, die schlussendlich zur Indikation eines operativen Eingriffes geführt haben. Dabei empfehlen die Autoren besonders, das therapeutische Ziel, die Heilbehandlung zu begründen, z. B. über die Dokumentation von Befunden, die zu einer ICD 10 Kodierung geführt haben, und durch dokumentierte Zweitmeinungen(auch Überweisungsscheine). Empfehlenswert ist zudem eine seriöse Information der Patienten, auch durch Internetauftritte oder Nutzung sozialer Medien.

Bis auf weiteres werden die Bewertungen ästhetisch plastischer Leistungen immer im Rahmen von Einzelfallprüfungen stattfinden. Fachgesellschaften wie die DGPRÄC bemühen sich, durch fachübergreifende gemeinsame Aktionen und Veröffentlichungen zu einer Vereinheitlichung und Rechtssicherheit beizutragen.

Literatur

Rechtssache C91/12: Vorabentscheidungsersuchen des Högsta förvaltningsdomstolen (Schweden), eingereicht am 17.2.2012, Gerichtshof der Europäischen Union

Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABI. L347, S.1)

Vorliegen einer Heilmaßnahme: BFH vom 22.2.2006 –V B 30/05; BFH/NV 2006 S 1168

ICD-10-GM, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm

Ärztliche Behandlungen ohne Krankheitsbezug unter besonderer Berücksichtigung der ästhetischen Chirurgie

Stellungnahme der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer

Deutsches Ärzteblatt, 40, 2012, S 2000 ff.

Otte, A. Umsatzsteuer: Rechtsprechung im Sinne der Ärzte

Deutsches Ärzteblatt 33, 2012; 1715 ff.

Bock, RW. Rechtliche Grenzen der Erfüllung von Patientenwünschen. Chefarzt aktuell 4, 2012, S 86ff

Tehler, H-J. Die unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Beurteilung von Schönheitsoperationen in den EU Mitgliedsstaaten. Umsatzsteuer- und Verkehrssteuerecht 2, 2011, S 43ff.

S. Allert, J. Bruck. Umsatzsteuerpflicht chirurgischer Leistungen am Beispiel der ästhetischen Chirurgie. Passion Chirurgie. 2014 Juli, 4(07): Artikel 02_08.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Sixtus Allert

ChefarztKlinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie - HandchirurgieÄrztlicher Direktor Sana Klinikum Hameln-PyrmontSt. Maur Platz 131785Hameln kontaktieren
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Prof. Dr. Johannes Bruck

Klinik für Plastische und Ästhetische ChirurgieHohenzollernklinik, Berlin

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