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Das Patientenrechtegesetz wirft Fragen auf. Viele Chirurginnen und Chirurgen sind verunsichert. Was ändert sich? Was bleibt? Worauf ist angesichts der neuen Gesetzeslage zu achten? Johannes Jaklin, Fachanwalt für Medizinrecht und Leiter der Abteilung Schaden bei der Ecclesia Gruppe, gibt eine erste Einschätzung.

Am 26.02.2013 ist das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten. Der Gesetzgeber verfolgt damit das Ziel, mehr Transparenz über bereits bestehende Patientenrechte zu schaffen und die Durchsetzung dieser Rechte zu erleichtern. Auch im Falle von Behandlungsfehlern soll der Patient von nun an die geeignete – gesetzlich verankerte – Unterstützung erhalten.

Wesentlicher Bestandteil der Neuregelungen sind die Besonderheiten der Arzthaftung, die durch eine Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt wurden.

Es folgt ein Überblick über die neue Gesetzeslage. Wir zeigen zudem auf, welche Probleme aus den Regelungen entstehen können und geben erste Empfehlungen für die Umsetzung des Patientenrechtegesetzes im Klinikalltag.

Kodifizierung der Rechtsprechung

Die Berufshaftung von Ärzten war bisher nicht gesondert geregelt, sondern unterfiel allgemeinen Haftungsnormen. In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung die Besonderheiten der Arzthaftung herausgearbeitet. Im Laufe der Zeit haben die Gerichte – die schwierige Position des Patienten im Prozess stets berücksichtigend – viele Rechte zugunsten der Patienten entwickelt, um eine „Waffengleichheit“ in der Auseinandersetzung mit dem ärztlichen Gegenpart sicherzustellen.

Folgerichtig musste der Gesetzgeber keine neuen Patientenrechte statuieren, sondern lediglich die bestehenden kodifizieren. Im Grundsatz ist das über Jahrzehnte entwickelte, sehr ausgewogene System der Arzthaftung in Gesetzesform gebracht worden. Grundlegende Neuregelungen oder Änderungen gibt es daher nicht.

Behandlungsvertrag

Gegenstand der ärztlichen Behandlung ist ein menschlicher Organismus, dessen Reaktionen selbst der idealtypische Arzt nicht stets voll beherrschen kann. Infolgedessen geht die ärztliche Pflicht gegenüber behandelten Personen auch nicht dahin, deren Gesundheit wiederherzustellen. Der Arzt ist „lediglich“ dazu verpflichtet, sich regelgerecht um die Herbeiführung der Genesung zu bemühen.

Diesem Umstand trägt der Gesetzgeber Rechnung, indem er den neu eingeführten Vertragstypus „Behandlungsvertrag“ den Regelungen des Dienstvertragsrechts unterwirft. Auf diese Weise wird klargestellt, dass – im Gegensatz zum Werkvertragsrecht – der Arzt nicht zur Herbeiführung des Erfolges verpflichtet ist.

Die Regelungen des neugeschaffenen Behandlungsvertrags gelten nicht nur für Ärzte, sondern unter anderem auch für Psychotherapeuten, Hebammen, Logopäden sowie Ergo- und Physiotherapeuten.

Aufklärung – aufklärende Person

Neben dem Behandelnden selbst kann die Aufklärung auch eine Person vornehmen, die über zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt. Es muss also eine Person sein, die aufgrund ihrer abgeschlossenen fachlichen Ausbildung die notwendige theoretische Befähigung zur Durchführung der vorgesehenen Maßnahme erworben hat, auch wenn sie möglicherweise noch nicht das Maß an praktischer Erfahrung aufweist, das für die eigenständige Durchführung der Maßnahme selbst unverzichtbar ist.

Wir leiten daraus ab, dass der Gesetzgeber eine formelle Facharztanerkennung als Voraussetzung für ein Aufklärungsgespräch nicht prinzipiell fordert. Dies kann aber dann nötig werden, wenn die notwendigen theoretischen Kenntnisse fachärztliche Kompetenz voraussetzen.

Aufklärung – Aushändigung von Unterlagen

Die Aufklärung hat mündlich zu erfolgen. Der Gesetzgeber betont, dass auf die bewährten Aufklärungsbögen ergänzend Bezug genommen werden kann.

Neu ist die Verpflichtung, dem Patienten auf Verlangen Abschriften der Unterlagen auszuhändigen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung unterzeichnet hat. Dies kann beispielsweise in Form einer Durchschrift oder Kopie erfolgen.

Es dürfte unzureichend sein, lediglich ein Blanko-Formular des Aufklärungsbogens oder einen selektierten Teil der Unterlagen herauszugeben. Wenn kein vollständiger Durchschlag des Aufklärungsbogens existiert, empfehlen wir, dem Patienten eine Kopie auszuhändigen.

Vielfach werden Aufklärungsbögen ergänzt, etwa durch Unterstreichungen, handschriftliche Eintragungen oder Zeichnungen. Gerade diese Details dürften bei der Aushändigung der Unterlagen wichtig sein.

Unverzichtbar ist es, sich den Erhalt der Abschrift oder Kopie per Unterschrift bestätigen zu lassen. Das Original sollte in jedem Fall in den Krankenunterlagen verbleiben.

Auch wenn im Patientenrechtegesetz nicht ausdrücklich eine Sanktion für Pflichtverstöße enthalten ist, sehen wir die Gefahr, dass sich die Beweissituation für den Arzt verschlechtern könnte, wenn ihm ein Patient nachträgliche Veränderungen oder Ergänzungen der Akten vorwirft.

Aufklärung – wirtschaftliche Aufklärung

Es gibt therapeutische Maßnahmen, deren Kosten der Patient selbst tragen muss. Wer sich beispielsweise einer rein kosmetischen Operation unterzieht, wird in der Regel keine Kostenübernahme bekommen. Wenn der Behandelnde das weiß oder sich zumindest hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, ist der Patient über die Selbstzahlungspflicht aufzuklären. Die Aufklärung muss eine Angabe über die voraussichtlich zu erwartenden Kosten enthalten.

Neu ist, dass diese Aufklärung in Textform erfolgen muss. Der Erhalt des Schriftstücks, das mit dem Briefkopf des Krankenhauses/des Arztes zu versehen ist, sollte nach Aushändigung schriftlich bestätigt werden.

Wir empfehlen zudem einen ergänzenden Hinweis auf die Rechtslage. § 52 Abs. 2 SGB V besagt, dass die gesetzliche Krankenkasse Versicherte an den Kosten einer Behandlung zu beteiligen hat, welche in der Folge einer rein ästhetischen Operation entstehen. Wird den gesetzlichen Vorgaben nicht Genüge getan, verliert der Arzt seinen Vergütungsanspruch.

Informationen über Behandlungsfehler

Das Gesetz erlegt Ärzten nun ausdrücklich die Pflicht auf, den Patienten über erkennbare Umstände zu informieren, welche die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, entweder, wenn dies zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren notwendig ist, oder auch auf Nachfrage. Diese Pflicht gilt sowohl für selbst vorgenommene Behandlungen als auch für Behandlungen von Kollegen.

Diese Vorschrift verpflichtet nach unserem Verständnis lediglich dazu, den Patienten über Tatsachen zu informieren, aus denen sich ein Behandlungsfehler ergeben könnte. Eine Verpflichtung zur Abgabe einer Bewertung, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt, besteht aus unserer Sicht nicht.

Wir raten davon ab, den Begriff „Behandlungsfehler“ im Patientengespräch zu verwenden. Dies ist ein Terminus technicus, der nach juristischen Kriterien zu prüfen ist.

Ein Beispiel: Bei Entfernung der Gebärmutter im Rahmen einer offenen Operation wird der Harnleiter durchtrennt. Dies wird sofort bemerkt und die Patientin entsprechend versorgt. Postoperativ sollte die Patientin auf dieses Geschehen hingewiesen werden, ohne jedoch eine Wertung vorzunehmen, ob darin ein Behandlungsfehler zu sehen ist oder nicht.

Eine ausdrückliche Sanktion bei Verstößen gegen diese Informationspflicht sieht das Gesetz nicht vor. Was Informationen im Zusammenhang mit eigenen Behandlungsfehlern betrifft, enthält das Gesetz ein strafrechtliches Verwertungsverbot.

Dokumentation

Die Pflicht, zeitnah eine Dokumentation, deren Umfang und Inhalt aus fachlich-medizinischer Sicht zu beurteilen ist, in Papierform oder elektronisch zu erstellen, ist erstmals gesetzlich geregelt. Zudem gibt es gesetzliche Vorgaben für nachträgliche Berichtigungen und Änderungen, die grundsätzlich möglich sind. Gefordert wird, dass der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleibt und das Datum der Änderung ersichtlich ist.

Für Papierakten bedeutet dies, dass kein Tipp-ex verwandt und nichts überklebt werden darf. Schwieriger ist die Umsetzung bei elektronischen Akten, für welche die Regelung genauso gilt. Wir halten es für erforderlich, mit dem Software-Anbieter eine Lösung zu finden, die diese Vorgaben berücksichtigt.

Dauer der Aufbewahrung der Patientenakte

Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung erweckt zunächst den Eindruck, zur Aufbewahrungsdauer von Behandlungsunterlagen nun erfreuliche Klarheit geschaffen zu haben. Laut Gesetz müssen Patientenakten zehn Jahre lang aufbewahrt werden, sofern nicht andere Vorschriften eine davon abweichende Aufbewahrungsfrist vorsehen.

Der Blick auf die Gesetzesbegründung relativiert die – scheinbar klare – Vorgabe. Dort steht, dass die Aufbewahrungspflicht weit über zehn Jahre hinausgehen kann, etwa wenn der gesundheitliche Zustand des Patienten bzw. die Gegebenheiten im Einzelfall dies erfordern.

Die Frage der Aufbewahrungsdauer von Patientenakten sollte also mit der gleichen Vorsicht und nach den gleichen Kriterien wie bisher gehandhabt werden. Wenn im Einzelfall medizinische Gründe dafür vorliegen oder wenn bereits Ansprüche geltend gemacht wurden, sind die Unterlagen mitunter länger als zehn Jahre aufzubewahren.

Beweislast

Immer wieder wurde im Zusammenhang mit dem Patientenrechtegesetz von der Verlagerung der Beweislast gesprochen. Zum einen kommt die Frage nach der Beweislast in einem Gerichtsverfahren erst dann zum Tragen, wenn sich eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht sicher feststellen lässt.

Zum andern ändert die neue gesetzliche Regelung nichts an der Verteilung der Beweislast. Es bleibt bei dem im gesamten Zivilrecht geltenden Grundsatz, dass beweisbelastet ist, wer Schadenersatz von einem anderen begehrt. Das bedeutet, dass grundsätzlich der Patient das Vorliegen aller Voraussetzungen für einen Arzthaftungsanspruch beweisen muss.

Zugunsten des Patienten hat die Rechtsprechung bereits in der Vergangenheit verschiedene Ausnahmen von diesem Grundsatz entwickelt (Beweislastumkehr), von denen nunmehr fünf Konstellationen gesetzlich geregelt sind.

Die Rolle der Krankenkasse

Stand es in der Vergangenheit noch im freien Ermessen der gesetzlichen Krankenkassen, ihre Versicherten bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern zu unterstützen, hat der Gesetzgeber dies nun zur Regel gemacht. Die Versicherungsträger werden also stärker in die Pflicht genommen.

Fakt ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen schon in der Vergangenheit ein berechtigtes Interesse an der Unterstützung von Versicherten hatten, da sich ihnen so die Chance eröffnete, sämtliche infolge eines Behandlungsfehlers getragenen Behandlungskosten zu regressieren. Daher wurde von dieser Herangehensweise seit jeher reichlich Gebrauch gemacht. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Aktivitäten der Krankenkassen durch die gesetzliche Regelung gesteigert werden.

Versicherungspflicht für Ärzte

Durch eine Änderung der Bundesärzteordnung wird den Approbationsbehörden erstmals eine Sanktionsmöglichkeit für den Fall an die Hand gegeben, dass der Arzt keinen ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutz aufweist. In dem Fall kann nun das Ruhen der Approbation ausgesprochen werden.

Eine Aussage darüber, ob und in welchem Umfang eine solche Versicherungspflicht besteht, trifft das Gesetz jedoch ausdrücklich nicht. Für diese Frage sind nach wie vor die jeweiligen Heilberufs- bzw. Kammergesetze der Länder und Berufsordnungen der Ärztekammern entscheidend. Sicherlich rückt die Frage ausreichenden Versicherungsschutzes stärker in den Fokus.

Wir hoffen, dass Ihnen diese Informationen helfen, die gesetzlichen Vorgaben im klinischen Alltag umzusetzen. Das Patientenrechtegesetz wirft eine Reihe neuer Fragen auf. Diese zu klären, wird letztlich Aufgabe der Gerichte sein.

Jaklin J. Safety Clip: Das Patientenrechtegesetz: Elf Punkte für die Umsetzung im Klinikalltag. Passion Chirurgie. 2013 September; 3(09): Artikel 03_04.

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Johannes Jaklin

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