Oberarzt: „Kannst Du bitte der Assistentin noch bei dem Lichtenstein helfen?“ Facharzt: „Nein, das habe ich selbst noch nicht oft genug gemacht. Ich möchte den Eingriff nochmal einmal assistiert bekommen“. Oberarzt: „Aber Du bist doch Facharzt!“ Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das lesen? Wahrscheinlich sind Sie ähnlich fassungslos, wie der Oberarzt? Vielleicht denken Sie auch: „Früher hätte es das nicht gegeben!“
Beides ist nachvollziehbar. Trotzdem war dies, hier sinngemäß wiedergegeben, ein echtes Gespräch. Zugegeben, mit der neuen Weiterbildungsordnung sollte es ein solches Gespräch nicht mehr geben. Das ist auch richtig so. Dennoch gibt es für die Weiterbildung in der Chirurgie große Herausforderungen, auch die Hernienchirurgie ist hier keine Ausnahme.
Wo drückt der Schuh der bei der (hernien-)chirurgischen Weiterbildung?
Versuchen wir uns der Herausforderung einmal systematisch zu nähern. Zunächst bietet es sich an, zwischen internen und externen Faktoren zu unterscheiden. Ein weiteres Merkmal dieser Faktoren ist, ob sie einer Änderung zugänglich sind. Falls ja, stellt sich als nächstes die Frage, wer (oder was) diese Veränderung(en) herbeiführen kann.
Externe Faktoren
Die erste Herausforderung ist ein „alter Hut“ und heißt demographischer Wandel. Eine Studie von PWC aus 2010 prognostizierte für das Jahr 2030 eine erschreckende Quote von 20 % unbesetzter chirurgischer Stellen. Wir sehen dem demographischen Wandel schon lange entgegen und doch wurde zu wenig unternommen. Die Autoren betrachten dies jedoch als grundsätzlich veränderbar, wenngleich eher politisch z. B. durch Anwerben ärztlichen Personals aus dem Ausland. Die zweite Herausforderung ist eine Schicksalshafte (wenngleich durch die unserem Wirtschaftssystem zugehörige Globalisierung begünstigte): die CoViD-19 Pandemie. Sie führte zu einem Wegfall von Ausbildungseingriffen durch massive Einschränkungen der elektiven Chirurgie und sorgte auch für einen nachhaltigen Ausfall von Krankenhauspersonal. Dies wirkt sich wie ein Brandbeschleuniger auf die bereits erschwerte Weiterbildung aus: Es besteht ein zunehmender Kostendruck im System, welcher notwendigerweise auch in einem Zeitmangel mündet: Saalzeit ist schließlich teuer, aber. Ausbildungseingriffe dauern unweigerlich länger als routiniert-fachärztlich durchgeführte Operationen.
Am Übergang zwischen externen und internen Faktoren ist die gesundheitspolitische Steuerung zu sehen. So führt die notwendige Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu politischen Reformen, wie z. B. der Einführung der Hybrid- DRGs. Die hieraus resultierende vermehrte Ambulantisierung und Änderung der Vergütung stellt die Aus- und Weiterbildung ebenfalls vor große Aufgaben. Fakt ist weiterhin, dass für Weiterbildung, auch in der aktuellen Krankenhausreform, keine gesonderten Vergütungen ausgewiesen werden. Ermutigend ist aber, dass die neuen Weiterbildungsordnungen und Initiativen junger Arbeitsgemeinschaften und Fachgesellschaften die Problematik zu adressieren suchen.
Interne Faktoren
Medizinischer Fortschritt sorgt unweigerlich für einen steigenden Grad an Komplexität ärztlichen Handels und damit der Ausbildung von Ärztinnen. Die notwendige Individualisierung der Medizin macht im Zeitalter der „tailored approaches“ die Möglichkeit einfach zu erlernender operativer Standardeingriffe („one fit‘s all“) unrealistisch. Dies ist für die offene Chirurgie zutreffend, wird aber durch die laparo-/endoskopische und robotische Chirurgie noch potenziert. Zum einen gilt es (möglichst) diese oft komplexeren Eingriffe in die Ausbildung aufzunehmen, zum anderen führt die Einführung der Robotik gleichzeitig zum Wegfall laparo- endoskopischer Ausbildungseingriffe. Ansprüche, Wünsche und Vorstellungen der jüngeren Generation(en) machen der Wettbewerbsfähigkeit der Chirurgie im umkämpften Nachwuchsmarkt Schwierigkeiten. Es steht fest, dass die Wünsche dieser Generation an z.B. flexiblere Arbeitszeitmodelle den Arbeitsmarkt in Zeiten der zunehmenden Knappheit diktieren werden.
Die Probleme sind erdrückend und umso wichtiger ist es sich die eigenen Möglichkeiten bewusst zu machen und aus Ihnen Konzepte zu entwickeln.
Idee einer Verbundweiterbildung: Hernienrotation wird geboren
Eine Idee hierzu hatten Ralph Lorenz und Katharina Beyer, wie bereits berichtet, bei einem gemeinsamen Vorsitz im Rahmen des Kongresses „Viszeralmedizin“. Sie haben diese Idee verfolgt und im Sommer 2021 einen Kooperationsvertrag zwischen dem Campus Benjamin Franklin, der Praxis 3+– Chirurgen von Ralph Lorenz und der Havelklinik, an welcher die operativen Eingriffe aus der Praxis erfolgen, abgeschlossen. Die „Hernienrotation“ lief noch im selben Jahr an.
Zunächst richtete sich die Rotation an Weiterbildungsassitent:innen der Klinik. Im Verlauf nahmen auch zunehmend Kolleg:innen mit abgeschlossener Facharztweiterbildung im Sinne eines „Train the trainer“-Konzeptes teil. Die Rotation erfolgte an je zwei Tagen über insgesamt zehn Wochen. An diesen 20 Terminen wurden die Teilnehmenden aus dem Klinikbetrieb freigestellt. Der erste der beiden Tage begann mit der Hernien-Sprechstunde in der Praxis. Die zweite Hälfte des Tages fand dann, ebenso wie der zweite Tag, im OP in der Havelklinik statt. So konnten in jeder Woche 8 bis 12 offene Hernieneingriffe unterrichtet werden. Dies erfolgte gemeinsam mit Ralph Lorenz und mithilfe seines strukturierten Stufenkonzeptes. Die Mentees sahen zunächst als Assistent:innen die Demo der OP, wurden dann über Erläuterungen des Mentors zum Eingriff bis zur eigenen Durchführung der Operation, mit selbstständiger Erklärung der OP-Schritte geführt. Der Ablauf der Rotation ist in Abbildung 1 dargestellt.
Abb. 1: Ablauf der Hernienrotation
Das Ausbildungskonzept wurde begleitend hinsichtlich Planung und Durchführung mithilfe einer fünfstufigen Likert-Skala evaluiert. Es fand auch ein Selbst-Assessment der theoretischen Kenntnisse, praktischen Fähigkeiten und Operationsfähigkeiten statt (ebenfalls fünfstufige Likert-Skala).
Bisher wurde die Rotation von fünf Ärztinnen und sechs Ärzten absolviert, wobei sich hiervon sieben noch in der Weiterbildung befanden und vier bereits Fachärzt:innen waren. Allen gemeinsam war, dass sie ihre gesamte chirurgische Ausbildung am Campus Benjamin Franklin der Charité absolviert haben. Hier werden Leistenhernien standardmäßig mittels TEP, kleine ventrale Hernien mittels Naht und größere ventrale Hernien sowie Inzisionalhernien im Regelfall mittels Retrorectus (Sublay) Technik versorgt. Von allen elf Teilnehmenden liegen bis dato das Assessment zu Beginn der Rotation, von neun Teilnehmenden auch die abschließende Selbsteinschätzung und Bewertung der Rotation selbst vor. Wenig überraschend zeigt sich hier ein Mangel vor allem bezüglich der Verfahren, die in der „Heimatklinik“ nicht oder nur selten durchgeführt werden. Hier sind vor allem primäre Nahtverfahren der Leistenhernien und offene präperitoneale Verfahren bei Versorgung von Leisten- und ventraler Hernien zu nennen. Die strukturierte Weiterbildung half den Teilnehmenden nicht nur beim Kenntnisgewinn in den o. g. und von Ralph Lorenz (auch im Rahmen der Rotation) durchgeführten Verfahren, sondern durchweg im Verständnis von Hernien und ihrer Therapie. An einem praktischen Beispiel erläutert heißt dies, dass die Absolvierenden der Rotation im Nachgang z. B. auch für die endoskopischen Leistenhernienchirurgie Fortschritte erlebt haben. Dies kann sicher auf das ergänzende plastische Verständnis des Präperitonealraumes durch den Zugang auch von ventral zurückführen. Die Ergebnisse im Vorher-Nachher-Vergleich sind in den Abbildungen 2 bis 5 dargestellt.
Abb. 2a: Selbsteinschätzung theoretische Kenntnisse vor (n = 11) RotationAbb. 2b: Selbsteinschätzung theoretische Kenntnisse nach Rotation (n = 9)Abb. 3a: Selbsteinschätzung praktische Kenntnisse vor (n = 11) RotationAbb. 3b: Selbsteinschätzung praktische Kenntnisse nach Rotation (n = 9)
Abb. 4a: Selbsteinschätzung Operationsfähigkeiten vor (n = 11) Rotation
Abb. 4b: Selbsteinschätzung Operationsfähigkeiten nach Rotation (n = 9)
Abb. 5: Evaluationsergebnisse Rotation (n = 9)
Die Ergebnisse der Evaluation weisen das Projekt als vollen Erfolg aus. Natürlich gibt es außer der sehr kleinen Fallzahl Limitationen, die bei der Interpretation zu beachten sind. So besteht die Gefahr eines Antwortbias, da die Evaluationen unverblindet per Mail an Ralph Lorenz gesandt wurden. Zudem sind die Selbsteinschätzungen subjektiv. Die Frage, ob die Operationsfähigkeiten der Mentees nachhaltig verbessert wurden, kann anhand der hier aufgebotenen Daten nicht beantworten. werden Dennoch kann ich als Teilnehmender persönlich versichern, dass die hinzugewonnenen Fähigkeiten und Kenntnisse schon mehreren meiner nachfolgenden Patienten zugutegekommen sind (auch wenn hier keine langes Follow- Up vorliegt).
Zusammenfassend sind alle Teilnehmenden, Autoren des Artikels eingeschlossen, überzeugt davon, dass mit dem hier vorgestellten Projekt ein positiver Impuls für die hernienchirurgische Weiterbildung aufgezeigt werden konnte. Der Blick über den Tellerrand der eigenen chirurgischen Schule ist wichtig und es erscheint in einer Welt mit komplexeren und individuelleren chirurgischen Lösungen notwendig, ein breites Wissen von Expert:innen zu tradieren. Die Chirurgie muss innovative Konzepte nutzen, um für und um den Nachwuchs von morgen zu kämpfen. Eines ist hier dargestellt und es bleibt zu hoffen, dass es Nachahmende und Weiterentwickelnde findet. Der Name dieser Zeitschrift gibt uns den Hinweis, wie es funktionieren kann, genauso wie bereits der große Nelson Mandela es tat:
Everyone can rise above their circumstances and achieve success if they are dedicated to and passionate about what they do.
Wir müssen in diesen Zeiten wahrlich über unsere Umstände hinauswachsen, aber mit Engagement und Passion kann es gelingen.
Literatur
[1] Ostwald D, Erhard T, Bruntsch F, Schmidt H, Friedl C. „Fachkräftemangel – Stationärer und ambulanter Bereich bis zum Jahr 2030“, Herausgegeben von PricewaterhouseCoopers AG, 2010
[2] Lorenz R, Beyer K. „Wir denken chirurgische Weiterbildung neu“- Neue Kooperationsform zur hernienchirurgischen Weiterbildung. Passion Chirurgie. 2022 Mai; 12(05): Artikel 03_01.
Sehn M, Lorenz R, Beyer K: Verbundweiterbildung – ein Erfahrungsbericht. Passion Chirurgie. 2025 Januar/Februar; 15(01/02): Artikel 03_01.
Autoren des Artikels
Dr. med. Maximilian Sehn
Klinik für Allgemein- und ViszeralchirurgieKMG Klinikum Nordbrandenburg kontaktieren
Dr. med. Ralph Lorenz
1. Vorsitzender des BDC LV|BerlinHavelklinik Berlin3+CHIRURGENKlosterstr. 34/3513581Berlin kontaktieren
Prof. Dr. med. Katharina Beyer
Klinik für Allgemein- und ViszeralchirurgieCharité – Universitätsmedizin BerlinCampus Benjamin FranklinHindenburgdamm 3012203Berlin
Wer sich für eine Laufbahn als Chirurg oder Chirurgin interessiert, braucht in erster Linie ein fundiertes, medizinisches Wissen und die Kenntnis therapeutischer Optionen.
Für das Fach Chirurgie begeistern, ganzheitlich informieren und unterstützen – das ist die Mission der Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ des BDC. In der neu aufgelegten Interviewreihe wollen wir die Facetten der Chirurgie transparent machen und jungen Leuten zeigen, wie Chirurgen und Chirurginnen ihren Beruf leben.
Das Buch ist eine Neuigkeit, da es erstmals sich auf fachbezogene Infektionen in der Allgemein- und Viszeralchirurgie konzentriert. Den beiden Herausgebern, die in dem Bereich der Infektionsprävention und Hygiene in verschiedenen nationalen Arbeitsgruppen und Gremien aktiv sind, ist es gelungen, weitere Experten aus Mikrobiologie, Infektiologie, Pharmakologie und Intensivmedizin für die Mitarbeit zu gewinnen.
Die Frage nach der richtigen Strategie zur Bewältigung der Pandemie bestimmt nach wie vor die gegenwärtige gesellschaftliche Debatte, und noch immer scheint kein Licht am Ende des Tunnels sichtbar. Tiefgreifende Veränderungen, welche die Pandemie wohl überdauern, sind jedoch jetzt schon auf allen sozialen, gesundheitspolitischen und ökonomischen Ebenen unverkennbar zu spüren.
Im April 2005 fanden auf Initiative von Prof. Rothmund, damaliger Präsident der DGCH, auf dem Chirurgenkongress sowie später mit der Gründung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) zwei Ereignisse statt, welche das Thema Patientensicherheit in den Fokus der breiten Öffentlichkeit rückten. In der chirurgischen Gemeinschaft und darüber hinaus waren sie Startschuss für koordinierte Initiativen und mittlerweile etablierte Maßnahmen.
Mit anderen Worten: Die Patientensicherheitsbewegung in Deutschland feiert ihren 10. Geburtstag!
Lesen Sie die Ergebnisse einer Umfrage, aber auch weitere Beiträge zum Thema in dieser neuen Ausgabe der Passion Chirurgie!
„Notfälle in der Chirurgie“: Kaum ein anderes Thema kann die Gemeinsamkeiten und die Vielfältigkeit der Chirurgie so gut widerspiegeln. Der Chirurg ist der Primärarzt bei Verletzungen und Schmerzen. Interdisziplinarität, spezielle Fachgebietskenntnisse und Teamwork mit gemeinsamen Handeln sind im Rahmen einer patientenorientierten chirurgischen Notfallversorgung unabdingbar.
Deshalb war genau dieses Thema Schwerpunkt beim diesjährigen Bundeskongress Chirurgie und wir präsentieren Ihnen einige der besten Vorträge in dieser gleichnamigen Ausgabe der Passion Chirurgie in schriftlicher Form.
Mit dem voranschreitenden Zusammenwachsen Europas ist auch die Vereinheitlichung von Normen und gesetzlichen Bestimmungen verbunden. Während man dieser Entwicklung beim Thema „Europäische Gemüsestandards” vergleichsweise gelassen entgegensehen kann, sind die Anstrengungen des Europäischen Kommitees für Normung (CEN bzw. CENELEC) im Bereich Medizin doch wesentlich brisanter.
Mit dieser Ausgabe unserer Mitgliederzeitschrift wollen wir Sie über die für uns Chirurginnen und Chirurgen relevanten Player auf dem Parkett der europäischen Gesundheitspolitik sowie über konkrete Initiativen mit BDC-Beteiligung informieren. Nur so können wir zumindest versuchen, unsere Erfahrungen und Errungenschaften in Behandlung und Qualitätsmanagement in den europäischen Prozess einzubringen.
Erstaunlicherweise – und das zeigt sich auch in den interessanten Erfahrungsberichten dieser Ausgabe – ist Teilzeit immer noch vorwiegend ein Thema für Frauen. Obwohl sich auch männliche Mediziner in Umfragen Teilzeitregelungen und mehr Zeit für sich und ihre Familie wünschen, werden diese Optionen von Männern seltener wahrgenommen. Zu groß ist die Angst vor einem Karriereknick.
Unsere Autoren sprechen die Schwierigkeiten von Teilzeitregelungen an: Nicht alle Positionen sind einfach auf mehrere Personen aufteilbar, Kompromisse und eine langsamere Entwicklung der Karriere sind gerade in der Weiterbildung unausweichlich. Doch die Vorteile eines modernen, sinnvoll auf die Bedürfnisse von Ärzten, Klinikleitung und Patienten abgestimmten Teilzeitsystems liegen auf der Hand und erhöhen die Attraktivität unseres Fachgebietes.