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Das Erscheinungsbild der chirurgischen Praxen in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verändert. Waren noch in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Chirurgen überwiegend allgemeinchirurgisch und konservativ tätig, so sind in den heutigen chirurgischen Praxen überwiegend Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie tätig. Der Chirurg hat damals in den meisten Fällen neben der konservativen Frakturbehandlung eventuell kleinere Metallentfernungen und später minimalinvasive Operationen durchgeführt. Häufig war die chirurgische Praxis der verlängerte Arm der Krankenhäuser und für die Nachbehandlung zuständig. Nach meiner Einschätzung hat sich das Tätigkeitsfeld der Chirurgen dahingehend wesentlich verändert, dass die Primärversorgung, nämlich die Osteosynthesen zur operativen Frakturbehandlung, zunimmt.

Abb. 1: Kindliche Claviculafraktur präoperativ

Abb. 2: Kindliche Claviculafraktur postoperativ

Spezialisierung und Erfahrung sichern die Qualität der Versorgung

Als wesentliche Faktoren hierfür kann man die Spezialisierung innerhalb der chirurgischen Fächer zum Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie ansehen. Diese Kollegen sind durch ihre fachliche Befähigung und langjährige berufliche Erfahrung hinreichend geeignet, eine ambulante operative Frakturbehandlung ausgewählter Indikationen mindestens im gleichen qualitativen und quantitativen Umfang wie die Behandlung im Krankenhaus anzubieten.

Abb. 3: Distale RadiusfrakturTyp B1.1

Abb. 4: Distale Radiusfraktur und Kahnbeinfraktur

Rechtlich wesentliche Bedingungen hierzu werden durch die Begehungen der Praxen überprüft. Insbesondere die Berufsgenossenschaften sorgen für einen hohen Qualitätsstandard in operativen chirurgischen Praxen. Der operativ tätige Unfallchirurg/Orthopäde gewährleistet die Versorgung „aus einer Hand“ in einem eingespielten Team seiner Praxis.

Kooperation in größeren Einheiten und Arbeiten im Team

Durch die Zusammenlegung von mehreren chirurgischen Praxen entstehen leistungsfähige ambulante Einheiten, die auch während der operativen Tätigkeit mit mehreren Kollegen durchgehende Öffnungszeiten gewährleisten. Dies bedeutet, dass der Chirurg während der Versorgung seiner Patienten im OP, in Absprache mit den chirurgischen Kollegen, die Sprechstunden adäquat durchgehend besetzen kann.

Ein weiterer Vorteil ist die effektivere Nutzung von Räumlichkeiten, Personal und Geräten. Ein Chirurg, der als „Einzelkämpfer“ während seiner Tätigkeit im Operationssaal ist, kann selbsterklärend nicht gleichzeitig eine Sprechstunde gewährleisten. Dementsprechend stehen bei der Tätigkeit im OP sodann Räume ungenutzt und Personal mit geringerer Auslastung still. Ebenso kann bei mehreren chirurgischen Kollegen ein Röntgengerät und/oder eine OP-Einheit wesentlich effektiver genutzt werden. Dementsprechend ist die Rentabilität von Personal, Räumlichkeiten und Gerätschaften wesentlich höher, sofern die Chirurgen sich für einen OP im eigenen Betrieb entschließen. Der OP im eigenen Praxisbetrieb schafft eine höhere Flexibilität bei der Versorgung akuter unfallchirurgischer Krankheitsbilder.

Abb. 5: Grundgliedfraktur Großzehe

Abb. 6: Minimalinvasive Versorgung einer Kahnbeinfraktur

Bei der Überlegung und Planung für eine operativ tätige chirurgische Praxis sind nach meinem Dafürhalten wesentliche Eckpunkte essenziell:

Wie viele Chirurgen im Zusammenschluss in der chirurgischen Praxis tätig sind, bestimmt die Flexibilität bei akuten unfallchirurgischen Notfällen, sodass der durchgehende Betrieb in der Sprechstunde nicht unterbrochen werden muss.

Weiterhin gilt es zu analysieren, welche fachliche Befähigung und welche gewünschte fachliche Spezialisierung der einzelnen Kollegen in der chirurgischen Praxis berücksichtigt werden soll. Dies ist einerseits für das Erscheinungsbild („Portfolio“) nach außen und auch für die Investitionen/Anschaffung von Gerätschaften, Instrumentarien und Implantaten für den OP ausschlaggebend.

Regelhaft benötigt ein unfallchirurgisch orthopädischer Chirurg wesentlich mehr Ausrüstung für seine operative Tätigkeit. Osteosynthesen in der chirurgischen Praxis sind nur dann möglich, wenn gewährleistet ist, dass eine Lagerhaltung von Implantaten und dementsprechenden Instrumentarien vorgehalten wird. Die Instrumentarien müssen nicht nur gelagert, sondern auch gereinigt, sterilisiert, gewartet und repariert werden. Je nach Frequentierung der Nutzung der Instrumentarien und der Häufigkeit der operativen Tätigkeit (OP-Tage pro Woche) gilt es zu entscheiden, ob eine eigene Sterilisationseinheit sinnvoll ist. Auch hier gilt, dass die Nutzung durch mehrere Chirurgen die Effektivität dieser Investitionen lohnender macht. Ich selber fühle mich bei der operativen Tätigkeit mit einer OP-Schwester, die sich mit dem Instrumentarium und Implantaten hinreichend auskennt, viel sicherer und ruhiger. Diese Operationsschwester im Team kontrolliert auch die Funktionsfähigkeit und Vollständigkeit von Instrumentarien und Implantaten. Ebenso wie die Erfahrung des Chirurgen ist auch die Erfahrung der OP-Schwester nicht hoch genug zu bewerten.

Abb. 7a, b: Innenknöchelfrakturversorgung

Abb. 8: Mittelhandfrakturversorgung

Neben dem erfahrenen OP-Personal im Umgang mit Osteosynthesen ist auch der in das Team integrierte Anästhesist von großer Bedeutung. Im eingespielten Team weiß der Anästhesist die Narkose exakter zu steuern und damit auch eine adäquate Schmerztherapie zu gewährleisten. In Bezug auf die baulichen Voraussetzungen erscheint mir gerade unter den klimatischen Veränderungen die Klimatisierung der OP-Räume als unumgänglich. Die Investitionen in eine Klimatisierung für einen OP-Saal müssen auf die berufliche Tätigkeit in Jahren und die Frequentierung der OP-Räume durch die operativ tätigen Kollegen gerechnet werden. Gleiches gilt für die Investitionen und Nutzung eines C-Bogens im Operationssaal, OP-Tisch und Lagerungstechnik.

Operatives Spektrum

In meiner operativen ambulanten Tätigkeit hat sich das Spektrum in den letzten 15 Jahren erweitert. Seit mehreren Jahren nun ist die Versorgung von Sprunggelenkfrakturen, Mittelfußfrakturen sowie Spaltfrakturen am Tibiakopf Typ B 1 an der unteren Extremität nicht mehr außergewöhnlich. Für die Versorgung von Fingerfrakturen, Mittelhandfrakturen und distalen Radiusfrakturen gilt dies ebenso. Bis zum Ellenbogengelenk mit Radiusköpfchen-Frakturen und Olekranonfrakturen kann man bei adäquater Auswahl der Patienten nach meiner Einschätzung mindestens gleichwertige Behandlungsergebnisse wie im Krankenhaus erzielen. Neben der Beschränkung auf Patienten im Stadium ASA 1-2 muss die adäquate Schmerztherapie z. B. durch eine Plexusanästhesie zusätzlich zur Narkose mit dem Anästhesisten konsentiert werden. Es gilt als selbstverständlich, dass die ambulant versorgten Patienten eine durchgängige Erreichbarkeit per Funktelefon erhalten.

Abb. 9: Mittelfußfrakturversorgung

Bei der Planung einer ambulanten osteosynthetischen Versorgung muss auch ein adäquates Komplikationsmanagement gewährleistet sein. Sollte die Osteosynthese nicht wie geplant durchführbar sein, weil eventuell die Stabilität nicht ausreichend oder das Repositionsergebnis nicht annehmbar ist, müssen operative Alternativen zur Verfügung stehen. In einer größeren chirurgischen ambulanten Einheit kann man den chirurgischen Kollegen aus der Praxis hinzuziehen und das Problem gemeinschaftlich lösen, wie dies auch im Krankenhaus möglich ist. Weiterhin müssen alternative osteosynthetische Verfahren/Implantate mit den Instrumentarien zur Verfügung stehen. Ich gehe davon aus, dass die persönliche Leistungserbringung aus einer Hand eine hohe Patientenzufriedenheit zur Folge hat.

Abb. 10: Mittelhandfrakturversorgung

Abb. 11a, b: Wintersteinfraktur mit Drähten

Wirtschaftliche Betrachtung

Völlig unberücksichtigt von der Politik erscheint mir der volkswirtschaftliche Effekt einer ambulanten operativen Frakturversorgung in der Praxis. Meiner Erfahrung nach ist die Compliance der Patienten im ambulanten Setting eng verknüpft mit einer verbesserten Wirtschaftlichkeit bei der Patientenversorgung. Der Patient hat in der chirurgischen Praxis immer einen direkten Ansprechpartner und eine unmittelbare Erreichbarkeit seines Chirurgen.

Die operative Frakturversorgung in der Praxis ist wesentlich kostengünstiger für die Krankenkassen. Vergleicht man die Abrechnung unter DRG-Bedingungen mit der Erlössituation unter EBM-Bedingungen, so kann man grob von einem Faktor 10 im Vergleich ausgehen! Dementsprechend sind die Erlöse für osteosynthetische Versorgungen nach EBM allerdings auch betriebswirtschaftlich, wenn überhaupt, nur marginal kostendeckend.

Warum die Politik und die Krankenkassen diese Vorteile ignorieren und negieren, erschließt sich mir nicht.

Fazit

Zusammenfassend gehe ich davon aus, dass die ambulante Frakturversorgung höchst standardisiert nicht nur gleichwertige, sondern vielleicht sogar höherwertige Behandlungsergebnisse im Vergleich zu der stationären Frakturversorgung erzielen kann. Der in einer Praxis tätige Chirurg kann allerdings wirtschaftliche Überlegungen, anders als im Krankenhaus tätige Kollegen, nicht außer Acht lassen. Immerhin trägt er neben der fachlichen Verantwortung ad personam auch die wirtschaftliche Verantwortung in unmittelbarer Haftung. Aus meiner nun 15-jährigen Erfahrung als ambulant tätiger Unfallchirurg empfehle ich die gemeinschaftliche Nutzung von Personal, Räumlichkeiten und Instrumentarium, um über die gesamte berufliche Praxistätigkeit die enormen Investitionen zu amortisieren.

Perspektivisch müssen wir davon ausgehen, dass durch die politisch gewollte Zentralisierung auf weniger Krankenhäuser im Land eine erhöhte operative Tätigkeit im ambulanten Sektor zu erwarten ist.

Die uns vertretenden Berufsverbände müssen jedoch erreichen, dass eine sektorengleiche adäquate Vergütung der ambulanten Osteosynthesen unter gleichen fachlichen und baulichen Voraussetzungen selbstverständlich sein sollte.

Dr. med. Christoph W. Jaschke

chirurgie waldkirch

Bahnhofplatz 1, 79183 Waldkirch

[email protected]

Chirurgie

Jaschke CW: Osteosynthesen in der chirurgischen Praxis. Passion Chirurgie. 2023 September; 13(09): Artikel 03_03.

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