01.07.2014 Fragen&Antworten
Müssen Wahlleistungsvereinbarungen eine Vertreterregelung beinhalten?

Frage:
Ein Chefarzt fragt an, ob er in die Wahlleistungsvereinbarung eine Vertreterregelung für Fälle seiner vorhersehbaren Abwesenheit aufnehmen kann.
Antwort:
Eine Abweichung vom Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung im Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen ist nach Rechtsprechung des BGH bei vorhersehbarer Verhinderung nur möglich durch Abschluss einer zusätzlichen, individuellen Stellvertretervereinbarung. Eine Vertreterregelung in der Wahlleistungsvereinbarung für diesen Fall ist unwirksam. Es wird somit zwingend eine gesonderte Vereinbarung benötigt.
Eine vorhersehbare oder geplante Verhinderung liegt vor, wenn im Zeitpunkt des Abschlusses der Wahlleistungsvereinbarung die Verhinderung des Wahlarztes zur persönlichen Leistungserbringung der Kernleistungen vorhersehbar ist (z. B. geplanter Urlaub, Fortbildung, freies Dienstwochenende). Der Wahlarzt muss also an der persönlichen Erbringung der seine Disziplin prägenden Kernleistungen (z. B. Operation) vorhersehbar verhindert sein.
Der BGH hat mit Urteil vom 20.12.2007 – III ZR 144/07 entschieden, dass eine Individualvereinbarung für den Fall der vorhersehbaren Verhinderung nur wirksam ist, wenn:
- der Patient so früh wie möglich über die Verhinderung unterrichtet wird,
- die Vertretervereinbarung schriftlich geschlossen wird und
- der Patient über folgende drei Alternativen aufgeklärt und ihm diese angeboten werden:
- anstelle des Wahlarztes wird ein bestimmter Vertreter zu den vereinbarten Bedingungen, also Abrechnung als wahlärztliche Leistungen, tätig.
- der Patient muss die Möglichkeit haben, auf die Inanspruchnahme ärztlicher Wahlleistungen zu verzichten und sich ohne Zuzahlung von dem jeweils diensthabenden Arzt behandeln zu lassen oder
- sofern die jeweilige Maßnahme bis zum Ende der Verhinderung des Wahlarztes aus medizinischer Sicht verschoben werden kann, ist auch dies dem Patienten zur Wahl zu stellen.
Bei der individuellen Stellvertretervereinbarung kann aus Sicht des Verfassers jedoch auch ein anderer als der ständige ärztliche Vertreter benannt werden.
Der Patient ist auf diese Vertretervereinbarung gesondert hinzuweisen, wenn diese im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Abschluss des Wahlleistungsvertrages vereinbart werden soll. Ferner ist es aus Sicht des BGH nicht erforderlich, dass der Wahlarzt selbst den Patienten hierüber aufklärt.
Hinsichtlich der Anforderungen an eine Individualabrede macht der BGH in diesem Urteil deutlich, dass eine Individualabrede auch dann vorliegen könne, wenn sie formularmäßig abgeschlossen werde. Dies sei dann der Fall, soweit die Vertragsregelungen im Einzelnen ausgehandelt wurden. Nach Auffassung des BGH seien Verhandlungen über den Text der Klauseln zwischen den Vertragspartnern hierfür nicht maßgeblich. Hiernach könne auch eine vorformulierte Vertragsbedingung ausgehandelt sein, wenn sie der Verwender als eine von mehreren Alternativen anbietet und der Vertragspartner zwischen diesen Alternativen wählen könne. Notwendig sei, dass der Patient durch die Auswahlmöglichkeiten den Gehalt der Regelung mitgestalten könne und seine Wahlfreiheit nicht durch Beeinflussung des Verwenders, beispielsweise durch die Formulargestaltung oder in anderer Weise überlagert werde. Folglich müssen nach Ansicht des Verfassers zur Erfüllung der Voraussetzungen einer Individualabrede gemäß der BGH-Rechtsprechung dem Patienten mehrere Handlungsoptionen zur Wahl gestellt werden.
Antworten von Dr. jur. Jörg Heberer:
Justitiar BDC Berlin, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
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Dr. jur. Jörg Heberer
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