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Seit ewigen Zeiten zieht sich die Angst vor Regressen durch alle Bereiche unserer budgetierten Arbeit und führt zu Vermeidungsstrategien, die durchaus zum Nachteil der Patientenversorgung werden können. Dabei handelt es sich um ein Gespenst, das bei näherer Betrachtung letztlich ein Phantom ist und mit geschickter Argumentation viel von seinem Schrecken verliert.

Was ist der Grund dafür, dass Vertragsärzte davor zurückschrecken, teure Verordnungen aus der Klinik in der ambulanten Versorgung nicht weiter verschreiben zu wollen und so eine möglicherweise notwendige Behandlung unterbrechen? Wie immer gibt es mehrere Facetten einer derartigen Änderung der vom Klinikkollegen empfohlenen weiteren Therapie. Beiden ist gemeinsam, dass sie auf Unwissen der Beteiligten beruhen.

Wirtschaftlichkeitsprüfung & Regressforderungen

Grundlage allen Übels ist die sogenannte Wirtschaftlichkeitsprüfung – hier verkürzt nur für den Pharmabereich abgehandelt. Jeder Vertragsarzt (also der niedergelassene Arzt) wird getreu den Paragrafen des Sozialgesetzbuches dahingehend überprüft, ob er wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig (WANZ) arbeitet. Luxusmedizin und Überflüssiges darf nicht für Kassenpatienten verordnet werden. Entgegen den Beteuerungen der Politik und der Kassenvertreter hat der gemeine Kassenpatient eben nur Anspruch auf Notwendiges und Ausreichendes (in der Schule Note vier, reicht gerade so zur Versetzung). Das gilt nicht nur für die ärztliche Leistung an sich, sondern auch für alle damit verbundenen Verordnungen (Medikamente, orthopädische Hilfsmittel, Physiotherapie etc.). Die Leistungen von uns Ärzten sind über die budgetierte Honorierung (DRG im Krankenhaus und EBM samt HVM in der Praxis) sowieso gedeckelt. Dagegen sind Verordnungen im Prinzip völlig ungebremst und deshalb wurde das Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit der Androhung eines Regresses eingeführt. Zum Verständnis für die Krankenhauskollegen: Regress bedeutet, dass der Arzt Geld bezahlen muss, dass er nie selber bekommen hat, für von ihm verordnete Medikamente oder Heil- und Hilfsmittel. Nachvollziehbar, dass keiner so etwas riskieren möchte.

Das bedeutet aber nicht, dass es im Falle einer Auffälligkeit automatisch zu einem Regress kommt. Zunächst läuft ein eher standardisiertes Prüfverfahren ab, indem die Verordnungen des Einzelnen mit denen der Fachgruppe in Relation gesetzt werden. Die Fachgruppenwerte sind dabei durchaus unterschiedlich, ein Internist hat ein höheres Volumen für Medikamente als ein Chirurg, der wiederum kann mehr Krankengymnastik verordnen, weil das in der Gruppe allgemein in höherem Umfang erfolgt. Wie auch immer, zunächst wird nur eine Überschreitung des Einzelnen gegenüber seiner Fachgruppe festgestellt. Nur dann wird es aufwendig und bei einem echten Fehlverhalten auch teuer.

Einzelfallprüfung

Aber: Immer noch bleibt bei allem der Anspruch des Patienten auf die o. g. WANZ-Kriterien. Was notwendig ist, darf und muss verordnet werden, egal wie das Budget überschritten wird. Allerdings muss dann im Rahmen einer Einzelfallprüfung nachgewiesen werden, dass es auch so gewesen ist. Das ist extrem ärgerlich und mühsam, zumal die Prüfung lange zurückliegende Zeiträume (drei bis vier Jahre) erfasst. Wenn dann der Nachweis erbracht wird, dass die Verordnung erstens notwendig und zweitens wirtschaftlich war, passiert gar nichts!

Soweit die theoretische Ausgangslage, kommen wir zu den praktischen Anwendungen:

Wer grundsätzlich nur teure Coxibe verordnet und einfache nicht-steroidale Antirheumatika beiseite lässt, wird Schwierigkeiten haben, dies durch die aktuelle Studienlage begründen zu können. Im Einzelfall kann das natürlich geschehen, wenn sonst keine Wirkung zu erzielen ist. Das sollte dann schon im Vorfeld so dokumentiert werden, dass im Falle einer Prüfung diese Patienten identifiziert werden und die Notwendigkeit im Einzelnen begründet werden kann. Ähnliches gilt für die Gabe von Antibiotika. Auch hier gibt es nun einmal entsprechende Leitlinien, die zu befolgen sind. Ein genereller Schrotschuss ist nicht nur teuer und wird zu Recht in der Wirtschaftlichkeitsprüfung zur Auffälligkeit führen, sondern ist auch medizinisch fragwürdig. Für solche nicht wissenschaftlich begründete Pharmakotherapie gibt es dann auch kein Entkommen. Erst recht trifft dies bei Präparaten zu, die tendenziell im Wellnessbereich dem allgemeinen Wohlbefinden dienen sollen. Lesen gefährdet die Dummheit und die Lektüre der Leitlinien muss schon vorausgesetzt werden.

Spezialfall: Empfehlung des Krankenhauses

Anders verhält es sich bei Verordnungen, die vom Krankenhaus im Entlassbericht mehr oder weniger verbindlich vorgeschrieben werden. Hier kommt zum Problem der Wirtschaftlichkeit noch das für die Niedergelassenen extrem unangenehme Problem dazu, mit den Patienten eine möglicherweise notwendige Änderung der Medikation unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu diskutieren, ganz zu schweigen von den rechtlichen Konsequenzen, wenn einer Empfehlung des Krankenhauses (aus welchen Gründen auch immer) nicht entsprochen wird. Deshalb ist dieser Artikel vor allem dazu gedacht, das gegenseitige Verständnis zu wecken und beide – Kliniker und Niedergelassene – dazu zu bringen, sich jeweils rational zu verhalten.

Man muss noch ergänzend wissen, dass manche Medikamente in der Klinik zu extrem billigen Preisen abgegeben werden, die aber in der „freien Wildbahn“ ganz anders aussehen. Die Gründe für eine solche Strategie der Pharmaindustrie liegen auf der Hand. Für die Kliniker muss daher gelten, dass sie in die Entlassbriefe möglichst nur Generika schreiben und dem Vertragsarzt explizit freistellen, aus dieser Gruppe ein preiswertes Medikament zu verordnen. Außerdem darf auch gerne nachgedacht werden, ob die Medikation überhaupt noch zwingend, also notwendig ist.

Im Einzelfall ergibt sich aber durchaus die Notwendigkeit, spezielle Originalpräparate, z. B. spezifische Antibiotika, auch über einen längeren Zeitraum zu verordnen. Dann ist es sehr hilfreich, wenn von der Klinik auch eine schriftliche Begründung für den Einsatz dieses speziellen Medikaments geliefert wird. Mit einer solchen Begründung (wissenschaftlich durch Studienlage evidenzbasiert) hat der Vertragsarzt die notwendige Dokumentation an der Hand, um ggf. diesen konkreten Fall aus seiner Wirtschaftlichkeitsprüfung herausnehmen zu können. Das gilt übrigens sinngleich auch für die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln.

Kollegiale Zusammenarbeit & Information

Im Klartext: Wenn Sie als Krankenhausarzt wollen, dass eine spezifische Therapie (die ggf. sehr teuer ist) auch von den Niedergelassenen weitergeführt wird, so müssen Sie das bitte mit entsprechenden Dokumenten belegen, die wiederum den Niedergelassenen vor einem Regress schützen. Die Niedergelassenen wiederum müssen in den Patientenakten die (extern vorgegebene und aber auch selbst überprüfte) Begründung für die jeweilige Verordnung dokumentieren und sind dann vor einem möglichen Regress geschützt.

Kollegiale Zusammenarbeit und gegenseitige Information an der Schnittstelle zwischen Klinik und Praxis hilft allen, vor allem aber den Patienten.

J.-A. Rüggeberg. Keine Angst vor teuren Verordnungen! Entlassmedikation rational prüfen. Passion Chirurgie. 2017 Mai, 7(05): Artikel 04_06.

Autor des Artikels

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Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg

Vizepräsident des BDCReferat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/Zuständigkeit PASSION CHIRURGIEPraxisverbund Chirurgie/Orthopädie/Unfallchirurgie Dres. Rüggeberg, Grellmann, HenkeZermatter Str. 21/2328325Bremen kontaktieren

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