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Die Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger vom 01.01.2024 für das Durchgangsarztverfahren sehen u. a. vor, dass die Praxis barrierefrei zugänglich und entsprechend ausgestattet sein muss. Diese Forderung gilt für alle Anträge auf Beteiligung am Durchgangsarztverfahren seit Jahresbeginn. Dazu zählen auch Anträge von Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzten, die infolge einer Praxisverlegung ihre Beteiligung am Verfahren neu beantragen müssen.

Die Thematik ist im Bereich der Durchgangsarztanforderungen nicht völlig neu. Bereits seit den Bestimmungen von 1999 müssen durchgangsärztliche Praxen zumindest für nicht gehfähige Unfallverletzte zugänglich und ausgestattet sein. Nachdem die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) seit dem 26.03.2009 geltendes Recht in Deutschland geworden ist, ist auch die gesetzliche Unfallversicherung verpflichtet, die Ziele der UN-BRK zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen umzusetzen. Dazu zählt u. a. auch die Anforderung nach barrierefreien D-ärztlichen Praxen.

Gegenüber früheren Regelungen ist der Begriff der Barrierefreiheit in den neuen Anforderungen für das Durchgangsarztverfahren von 2024 umfassender. Er beschränkt sich nicht nur auf Menschen mit Einschränkungen der Gehfähigkeit, sondern schließt grundsätzlich alle Arten von Behinderungen ein. Das Ziel, eine Praxis in diesem Sinne vollständig barrierefrei zu gestalten, ist kaum zu erreichen. Diesem kann sich daher nur schrittweise angenähert werden, insbesondere wenn es sich um Praxisräume in Bestandsgebäuden handelt. Nachfolgend werden die wichtigsten Kriterien angeführt, die für eine barrierefreie Zugänglichkeit und Ausstattung durchgangsärztlicher Praxen von Bedeutung sind. Orientierende Beurteilungsgrundlage bildet die DIN 18040-1, Planungsgrundlagen für barrierefreies Bauen für öffentlich zugängliche Gebäude – Teil 1, von 2010. Zu den öffentlichen Gebäuden zählen auch Einrichtungen des Gesundheitswesens.

Zugang zur Praxis

Der Zugang zur Praxis sollte möglichst ebenerdig und frei von Stufen und Schwellen sein. Der Untergrund muss so beschaffen sein, dass ohne große Kraftanstrengungen und Unfallgefahr eine Fortbewegung mit Rollstuhl, Rollator oder auch Unterarmgehstützen möglich ist. Untergründe wie Kies, Sand oder grobes Kopfsteinpflaster sind ungeeignet. Sofern für den Zugang zum Gebäude eine Rampe erforderlich ist, gibt die o. g. DIN dafür notwendige Maße und Steigungswinkel vor, die einzuhalten sind. Sowohl die Zugangstür zum Gebäude als auch die Eingangstür zur Praxis müssen leicht zu öffnen und ausreichend groß bemessen sein. Die lichte Mindestbreite beträgt 0,90 m. Türen mit besonderen Brandschutzeigenschaften haben oftmals ein hohes Eigengewicht und brauchen daher zum Öffnen unterstützend einen automatischen Türantrieb. Karussell- oder Pendeltüren sind nicht barrierefrei. Zu einem barrierefreien Zugang gehört auch ein ausgewiesener Behindertenparkplatz sowie eine gut lesbare Ausschilderung zur Praxis.

Abb. 1: Der Eingang zu einer chirurgischen Praxis; Stufen und schwergängige Türen bilden noch immer die häufigsten Barrieren für Menschen mit Behinderungen.

Ist zum Erreichen der Praxis ein Aufzug erforderlich, muss dieser gewissen Anforderungen entsprechen. Neben einer ausreichenden Bewegungsfläche vor dem Aufzug sollte die Kabine im Inneren mindestens 1,10 m x 1,40 m groß sein, um den Transport eines Rollstuhlbenutzenden einschließlich Begleitperson zu ermöglichen. Für die Aufzugtür gilt ebenfalls die bereits erwähnte Mindestbreite von 0,90 m. Das Bedienfeld des Aufzugs sollte so gestaltet sein, dass es auch für Menschen mit Sehbehinderung geeignet ist. Sogenannte Treppenlifte, die bevorzugt in privaten Haushalten eingesetzt werden, sind ungeeignet, weil ein Rollstuhl oder Rollator nicht transportiert werden kann.

Ausstattung der Praxis

Bei der Ausstattung der Praxis liegt das Hauptaugenmerk auf den Türbreiten und ausreichenden Bewegungsflächen in den Funktionsräumen, die für die Versorgung der Patienten notwendig sind, einschließlich Wartezimmer und Sanitärbereich. Wie bereits oben angeführt, gilt auch hier das Mindestmaß von 0,90 m lichte Breite für die Türen.

Mindestens ein Untersuchungs- und Behandlungsraum muss so ausgestattet sein, dass ein ausreichendes Platzangebot zum Anfahren der höhenverstellbaren Untersuchungsliege mit einem Rollstuhl besteht. Die Liege muss dabei so im Raum platziert werden können, dass sie von beiden Seiten angefahren werden kann. Gleiches gilt für den Röntgentisch im Röntgenraum.

Die Tür zum Behinderten-WC muss sich nach außen öffnen. Im Raum selbst muss vor dem WC-Becken eine ausreichende Bewegungsfläche von mindestens 1,5 m x 1,5 m als Rangierfläche zur Verfügung stehen sowie neben dem WC-Becken eine Anfahrbreite von 0,90 m. Bei Neubauplanungen müssen beide Seiten des WC-Beckens anfahrbar sein. In Bestandsgebäuden muss das WC-Becken mindestens von einer Seite angefahren werden können. Darüber hinaus gehören zur Ausstattung des Sanitärraums stufenlos arretierbare Stützgriffe, um das Umsetzen vom Rollstuhl auf das WC-Becken zu ermöglichen sowie ein akustischer und optischer Alarm (Zwei-Sinne-Prinzip). Weitere Ausstattungsdetails finden sich in der o. g. DIN. Die Nutzung einer behindertengerechten WC-Anlage durch mehrere Praxen auf einer Ebene oder innerhalb eines Gebäudes ist grundsätzlich möglich, wenn der Zugang von der D-ärztlichen Praxis zur Anlage ebenfalls barrierefrei und im Alarmfall eine kurzfristige Hilfestellung sichergestellt ist.

Auch das Wartezimmer muss ausreichend Platzgelegenheit für Rollstuhlbenutzende aufweisen. Feststehende Sitzbänke sind in der Regel ungeeignet. Eine Abstellfläche für Rollstühle, Rollatoren und Unterarmgehstützen kann dagegen auch außerhalb des Wartebereiches eingerichtet werden.

Neben den vorgenannten Kriterien gibt es weitere Bereiche, die die Nutzung der Praxisräumlichkeiten für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich ermöglichen, aber nur unter erschwerten Bedingungen. Dazu kann z. B. der Empfangstresen gehören, wenn er ausschließlich für Patienten konzipiert ist, die vor dem Tresen aufrecht stehen. Patienten, die dagegen an den Rollstuhl gebunden sind, können in diesem Fall vom Praxispersonal, das auf der anderen Seite des Tresens sitzt, nicht gesehen werden. Ist auch ein Unterfahren des Tresens nicht möglich, ist durch den erhöhten Abstand die Verständigung erschwert und das Anreichen von Unterlagen oftmals gar nicht möglich. Für sehbehinderte Menschen sind eine kontrastreiche Farbgebung und gut lesbare Beschilderungen wichtig, was nicht immer ausreichend Berücksichtigung findet. Im Rahmen von Praxisbegehungen sprechen wir auch solche Themen an, mit dem Ziel, bei späteren Sanierungs- oder Renovierungsarbeiten entsprechende Veränderungen vorzunehmen.

Schlusswort

Das Thema Barrierefreiheit ist sehr umfangreich und, wie eingangs angeführt, wird dieses Ziel voraussichtlich nie vollständig erreicht werden können. Wichtig ist daher, das Bewusstsein für dieses Thema weiter zu stärken, um sich dem Ziel so weit wie möglich anzunähern. Wenn Betroffene über ihre Erfahrungen berichten, wie schwierig es für sie noch immer ist, selbst in Großstädten wie Hamburg, z. B. eine Zahnarzt- oder Hautarztpraxis zu finden, die rollstuhlgerecht ist, wird deutlich, wie groß noch immer der Handlungsbedarf ist. Dieser wird durch den demografischen Wandel zusätzlich erhöht. Das Thema erfordert zudem auch baufachliche Kenntnisse, weshalb bei Neu- und Umbauten die Hinzuziehung von auf diesem Fachgebiet spezialisierte Architektinnen und Architekten sehr zu empfehlen ist. Ärztinnen und Ärzte, die eine Beteiligung am Durchgangsarztverfahren anstreben, sollten zusätzlich vor dem Kauf einer bestehenden Praxis oder dem Bau neuer Praxisräume mit dem zuständigen Landesverband der DGUV Kontakt aufnehmen. Die Beratung dort erfolgt kostenfrei.

Thomas Ideker

Stellvertretender Geschäftsstellenleiter

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV)

Landesverband Nordwest

Hildesheimer Str. 309

30519 Hannover

[email protected]

Chirurgie+

Ideker T: Die Anforderung der Barrierefreiheit für D-ärztliche Praxen. Passion Chirurgie. 2024 April; 14(04): Artikel 04_05.

Weitere Artikel zum Thema „D-Arzt“ finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Fachgebiete | Niederlassung.

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