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PASSION Chirurgie im Gespräch mit den Chirurginnen Dr. Johanna Ludwig und Kira Bühning

Olivia Päßler: Was hat Ihnen am PJ gefallen, was hat Sie geprägt?

Kira Bühning: Wenn man das Gelernte das erste Mal in die Praxis umsetzen muss, merkt man erst einmal, wie wenig man davon weiß. Am faszinierendsten am PJ fand ich, wie sehr es auf das Zwischenmenschliche ankommt. Es kommt außerdem sehr darauf an, mit welcher Einstellung du in diese Phase gehst. Wenn du schon davon ausgehst, du wirst nur ausgenutzt, hast du eine schwere Zeit. Wenn du dich auf bestimmte Situationen einstellst, dann geht es.

Johanna Ludwig: Ich fand mein PJ im Nachhinein gut. Aber: Man fühlt sich schon häufig wie das fünfte Rad am Wagen. Die PJler stehen oft rum, müssen sich ihre Aufgaben suchen. Sie sind in einer schwierigen Rolle, gerade wenn ihre Aufgaben nicht klar sind oder es keinen Plan bezüglich des Einsatzes gibt. Wenn man auf eine Station kommt und keiner der ärztlichen Kollegen und Kolleginnen weiß davon, wirkt das unprofessionell und wenig wertschätzend.
Als Ausbilderin versuche ich, einen Generationenwechsel zu erreichen, PJler und PJlerinnen sind da um zu lernen. Im gegenseitigen Einvernehmen ist es so, dass sie auch unterstützen, aber das ist nicht ihre alleinige Aufgabe. Ich bin Generation Y, bei uns wehte noch ein recht autoritärer Wind. Aus- und Weiterbildung sollte eine Kernaufgabe der ärztlichen Tätigkeit sein, dazu muss eine gute Struktur, Zeit und Ressourcen zur Verfügung stehen.

KB Vieles liegt aber auch an der Eigeninitiative. Wenn ich im OP stehe und bei einer Operation dabei sein kann, ist es meine eigene Entscheidung, ob ich zum Dienstschluss gehe oder mir die OP bis zu Ende ansehe.

JL Du hast auch PJ-Fortbildungen gehabt – wie sinnvoll waren sie für dich, schließlich kommt man gerade aus dem Studium und das PJ soll ja praktisch sein?

KB Ich fand das von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Diese dazwischengeschobenen wirklich wie Vorlesungen gehaltenen Fortbildungen haben mir nichts gebracht. Sinnvoll fand ich den Studientag in dem Haus, in dem ich meinen chirurgischen Abschnitt absolviert habe. Ich war auch beim Hausarzt, hier haben wir in der Mittagspause die Fälle vom Morgen besprochen, auch das hat mir viel gebracht.

Was hat Ihnen geholfen, den PJ-Alltag zu meistern – auch privat?

KB We all do this together: Viele kommen ja gleichzeitig ins PJ. Wir sind gemeinsam zum Abendessen gegangen, haben uns untereinander ausgekotzt. Und wir haben uns mit den Assistenzärztinnen und -ärzten angefreundet.

Welche Personen haben Ihnen bei der Bewältigung von Herausforderungen geholfen? Wie helfen Sie PJlern bei der Bewältigung ihrer Aufgaben?

KB Die Unterstützung der Assistenzärztinnen und -ärzte ist entscheidend. Wenn man einen Assistenzarzt gefunden hatte, an den man sich hängen konnte, war alles gut machbar. Und es ist wichtig, sich mit der Pflege gut zu stellen.

JL Ja, ohne einen guten Draht zur Pflege ist man häufig aufgeschmissen.

KB Viel rotieren ist außerdem schlecht. Die ersten zwei Wochen sind immer schwer, bis man sich vorgestellt und eingelebt hat.

JL Als PJlerin habe ich das Lernen eingefordert. In meinem Chirurgie-Tertial habe ich am Ende des Tages zu meinem Assistenzarzt gesagt: Ich habe heute noch nichts gelernt. Heute sorge ich dafür, dass meine PJler auch mal selbst etwas im OP machen, etwa eine Schraube rausdrehen, den Hautschnitt machen oder einen K-Draht rausziehen.

Welche Tricks gibt es, Durststrecken zu überwinden?

JL Man sollte sich selbst eingestehen, dass man nicht von Anfang an alles perfekt machen kann. Es hat einen Grund, dass die Assistenzzeit sechs Jahre dauert. Häufig kann es helfen aufzuschreiben, was man am Tag gemacht oder erlebt hat – denn häufig merkt man den eigenen Fortschritt kaum – niedergeschrieben wird es offensichtlicher.

KB Für Durststrecken sind kleine Erfolgserlebnisse entscheidend. Hier ist das Umfeld ganz wichtig. Schön ist, wenn PJler bei OPs dabei sein dürfen, etwas übernehmen dürfen, eine Hautnaht etwa, einen Draht vorschieben oder auch schon mal die Kamera bei laparoskopischen Eingriffen in die Hand bekommen.

Welche Strukturen, Bedingungen an den Unikliniken braucht es, damit das PJ für alle etwas bringt und Spaß macht?

KB Es braucht Organisation! In das PJ gehört eine Struktur hinein und Transparenz. Mit den Vorgesetzten sollten Ziele festgesetzt werden. Und ein PJler sollte einem Assistenzarzt fest zugeordnet zu sein. Das wäre ideal.
Meiner Erfahrung nach sollte man mindestens einen Monat, höchstens drei, bei einer Station bleiben. Danach bleibt die Lernkurve flach. Ein guter Abschluss für mich waren drei Tage auf der Privatstation.

JL PJler haben es verdient, dass es einen Plan für sie gibt. Denn auch das PJ ist wertvolle Lebenszeit, die sinnvoll genutzt werden sollte. Die Vorgesetzten sollten es so sehen: Wir haben unsere PJler bis zu sechs Monate, da wollen wir ihm oder ihr auch etwas mitgeben und von ihnen etwas haben. Das nervigste ist, rumzusitzen, weil niemand weiß, was man kann. Wenn man jeden Tag erneut anfangen muss, zu erklären, was man draufhat, ist das anstrengend.

Was waren Ihre persönlichen Erwartungen an das PJ? Was sind Ihre Erwartungen an PJler?

KB Meine Erwartung war, dass ich etwas lerne! Ich muss nicht jeden Tag etwas dazulernen. Aber für mich war es wichtig, dass ich am Ende der Woche etwas mitgenommen hatte. Mein großes Ziel war: Wenn ich mein drittes Tertial beendet habe und man mir sagt, hier sind deine Patienten, möchte ich keine Angst vor dieser Situation haben müssen. Dafür braucht man aber erst einmal eigene Patienten!

JL Das Wichtige ist, dass man eine Erwartung – auch an sich selbst – hat. Man braucht eine Vorstellung, was man erreicht haben möchte. Auch später in der Weiterbildung ist es wichtig, sich für einzelne Etappen ein eigenes Ziel zu stecken.
Hier gibt es große Unterschiede bei den PJlern, natürlich haben alle ihre persönlichen Interessen und Schwerpunkte.

Was waren Ihre Vorstellungen von dem Beruf als Chirurgin? Welche Erwartungen haben und hatten Sie daran? Wie wurden sie erfüllt?

JL Ich dachte anfangs, in der Chirurgie geht es vor allem um das Operieren. Heute würde ich sagen, es geht darum, Entscheidungen zu treffen, diese zu reflektieren, zu kommunizieren und im Team zu arbeiten. Wir treffen den ganzen Tag Entscheidungen und tragen die Verantwortung dafür. Nirgendwo in der Medizin sind die Ergebnisse so unmittelbar sichtbar wie bei uns. Und kein Fach ist so auf die Person gemünzt, wie das Fach Chirurgie.

KB Am Ende des Tages habe ich das Gefühl: „Jetzt habe ich wirklich etwas gemacht.“ Bei der Inneren Medizin beispielsweise ist das Ergebnis nicht so deutlich erkennbar. Die Chirurgie ist auch sehr strukturiert, was mir gut gefällt.

Was sind Ihre persönlichen Tipps für einen guten Einstieg ins PJ und einen guten Verlauf?

JL Für das PJ gilt, das zu lernen, was im Beruf später wichtig ist: gut kommunizieren und im Team arbeiten. Chirurgie geht außerdem nur im Team, im Schockraum wie im OP. Das fängt im PJ an: freundliche und offene Kommunikation mit allen Berufsgruppen, klare Kommunikation, was man sich wünscht, was man kann, aber auch, was man noch nicht kann.
Gerade bei PJlerinnen habe ich häufig das Gefühl, dass sie sich zu viel zurücknehmen und nicht stören wollen und sich wenig zu trauen. Frauen sind sich selbst gegenüber oft zu kritisch. Männer sind viel selbstbewusster, wir sollten von ihnen lernen.

KB Ja, man sollte sich seines eigenen Wertes bewusst sein. Und dennoch nett sein. Auch ganz wichtig: Sucht euch Partner und Partnerinnen, seid offen und kommuniziert!

Zu den Personen

Dr. med. Johanna Ludwig ist Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie im BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin. Sie hat zudem den Master of Science in Surgical Science and Practice gemacht. Ihr praktisches Jahr absolvierte sie 2012/2013.

Kira Bühning ist Assistenzärztin in der Klinik für Gefäßchirurgie im Marienhospital Aachen. Ihr PJ hat sie im April 2023 abgeschlossen.

Päßler O: Das verflixte Praktische Jahr. Passion Chirurgie. 2024 Januar/Februar; 14(01/02): Artikel 04_01.

Autor des Artikels

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Olivia Päßler

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