01.05.2023 Chirurginnen
Chirurginnen: Wann ist man Chirurgin?
Über falsche Mentoren, das Selbstwertgefühl und die unterstützende Gemeinschaft der Chirurginnen e.V.
Vor Jahren – ich war bereits Fachärztin für Urologie, hatte schon zwei, drei Jahre in der Viszeral-, Thorax- und Gefäß-Chirurgie gearbeitet, war bei Organentnahmen und Transplantationen aktiv beteiligt und hatte in der unfallchirurgischen Rotation schon gebrochene Knochen zusammengeschraubt – sagte ich in einem Gespräch mit einem sehr konservativen, weißen, älteren Chirurgen, den ich bis dato als Mentor betrachtete, den Satz „… ich bin Chirurgin.“ Seine Reaktion hätte vernichtender nicht sein können: „Nein, du bist keine Chirurgin. Du bist Assistenzärztin.“
Dieser Satz und das damit verbundene Gefühl brannte sich ein. In meine Seele, in meine Hände, in meinen Körper. Es nahm mir – auch aus Mangel an mich unterstützenden Weggefährt:innen – das Selbstbewusstsein und das Selbstbild, mich als Chirurgin zu sehen und mich so zu fühlen. Immer war ich das fleißige Bienchen auf Station, das alles wuppte, die internistische, die psychosomatische, die geriatrische und onkologische Begleitung der Patient:innen gleich mit. Auch ein Wechsel an eine andere Klinik half nicht. Ich operierte wenig und schrieb umso mehr Arztbriefe. Ich bastelte mir ein Kittelschild „Fachärztin für Visitenmedizin“ – aus Trotz. Doch letztlich hatte ich mich selbst dazu degradiert und war kurz davor alles hinzuschmeißen. Ich war keine Chirurgin. Ich fühlte es nicht.
Ich stand nicht oft auf dem OP-Plan. Ich bettelte und bat förmlich um OPs. Und wurde noch seltsam vorwurfsvoll angeschaut, wenn ich nach durchgearbeiteten Nächten im Rufdienst nicht noch blieb, um zu operieren. Du bist halt keine richtige Chirurgin, hallte es in meinem Kopf.
Ich trat den Chirurginnen e.V. bei und hatte ein schlechtes Gewissen. Ich gehöre doch gar nicht richtig dazu. Ich spiele doch mit dem Gedanken alles hinzuwerfen … Auf dem BDC-Facharztseminar scheute ich jeden Smalltalk mit den Seminarleitern, denn: Was hatte ich schon zu erzählen? Weder fühlte ich, dass ich Chirurgin bin, noch wusste ich, ob ich überhaupt Gefäßchirurgin sein wollte. Beim gemeinsamen Abendessen wechselte ich den ganzen Abend kein Wort mit dem Chefarzt neben mir.
Zwei erfahrene Chirurginnen, die ich über Die Chirurginnen e.V. kennengelernt hatte, waren mir geduldige Zuhörerinnen, stellten provokante Fragen und gaben ehrliche Antworten, die mir Mut machten.
Dann aktivierte ich unser Netzwerk für eine Patientin und durfte einen aus dem Netzwerk vermittelten Patienten in unserer damaligen Sprechstunde einplanen. Ich hatte das Gefühl dazuzugehören. Auch wenn ich doch eigentlich keine Chirurgin bin.
Das Gefühl konnte mir keiner geben. Ich musste es selbst fühlen. Aber es kann Initialzündungen geben. Und diese Zündung, die ich als Rehabilitation der Brandmarkung von damals empfand, kam unerwartet: Als ich eine „komplexe Notfallreko klug und technisch brilliant“ löste und mein damaliger Chef noch anfügte: „Sie sind Gefäßchirurgin.“ Noch bevor ich wenige Monate später zur Prüfung antrat. In der gleichen Nacht erkannte ich den rupturierten Carotispatch klinisch und sonografisch und stellte die Indikation zur sofortigen OP. Ich war mir meiner Diagnose sicher. In dieser Nacht fühlte ich endlich, dass ich Chirurgin bin. Und dazu noch Gefäßchirurgin. Auch wenn ich die Carotis nicht selbst revidierte. Ich habe all die Jahre durchgehalten, weil tief in mir drin die Chirurgin verborgen lag. Und nicht aufgab.
Also: Wann ist man Chirurgin?
Wenn Herz, Geist und Seele es fühlen. Wenn die Hände nach Skalpell und Pinzette verlangen und man sich plötzlich nichts anderes mehr vorstellen kann. Wenn man sich begeistert mit Kolleg:innen über mögliche OP-Verfahren austauscht. Wenn man aus dem Saal geht und sich innerlich über jeden Schnitt und jede Naht freut.
Dann ist man Chirurgin.
Dr. med. Astrid Stula
Fachärztin für Gefäßchirurgie und Urologie
Oberärztin Gefäßchirurgie in der Schön Klink Vogtareuth
Chirurgie+
Stula A: Wann ist man Chirurgin? Passion Chirurgie. 2023 Mai; 13(05): Artikel 04_03.
Weitere Artikel zum Thema „Chirurginnen“ finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Karriere.
Weitere Artikel zum Thema
01.11.2019 Chirurginnen
Schwanger im OP – Erfahrungsbericht der Einführung eines Leitfaden-gestützten Konzeptes
In der Veröffentlichung der aktuellen BDC-Umfrage zum Operieren in der Schwangerschaft von Fritze-Büttner et al. haben die befragten Ärztinnen drei wesentliche Beweggründe genannt, die sie dazu bewogen, in der Schwangerschaft zu operieren: Kollegialität, Teamgeist und – vor allem – Freude am Operieren. Diese Gründe sind auch für nicht-schwangere Chirurginnen und Chirurgen gut nachvollziehbar, da die Tätigkeit im Operationssaal das Kernelement unseres Berufs darstellt.
26.03.2019 Chirurginnen
Neuregelung des Mutterschutzrechts – kurz gesagt, was wichtig ist
Das „Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts“ ist zum 01. Januar 2018 in Kraft getreten. Es soll u. a. operativ tätigen Ärztinnen die Möglichkeit geben, unter verbesserten Arbeitsbedingungen und kontrollierten Sicherheitsmaßnahmen ihren chirurgischen Beruf ohne Benachteiligung weiter auszuüben. Mit Bekanntgabe der Schwangerschaft ist der Arbeitgeber verpflichtet eine individuelle Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes vorzunehmen.
01.03.2019 BDC|Umfragen
BDC-Umfrageergebnisse: Operieren in der Schwangerschaft
Mit hohen Erwartungen, aber auch mit Skepsis haben viele Chirurginnen der Umsetzung des „Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzes“ entgegengesehen, welches am 01. Januar 2018 in Kraft getreten ist. Bis dahin hatte das seit dem 24. Januar 1952 geltende Mutterschutzgesetz in Ergänzung mit den Vorschriften der „Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz“ (MuSchArbV) vom 15. April 1997 Gültigkeit.
01.05.2018 Chirurginnen
Umfrage für Chirurginnen: What are the obstacles for women in surgery?
Der Europäische Facharztverband U.E.M.S. führt derzeit eine europaweite Befragung zum Thema Frauen in der Chirurgie durch. Wir bitte alle Chirurginnen sich einen Moment Zeit zu nehmen und an der Umfrage teilzunehmen, damit auch die Stimmen der Chirurginnen in Deutschland vertreten sind: What are the obstacles for women in surgery?
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.