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Der 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin fand in diesem Jahr unter dem Motto „Chirurgie in Partnerschaft“ statt. Im Fokus der Tagungen standen hierbei nicht nur die Partnerschaft zwischen zuweisenden und zugeordneten ärztlichen Kollegen der verschiedenen Fachdisziplinen, sondern insbesondere die Partnerschaft zwischen Medizinern und Patienten mit dem Ziel einer patientengerechten Organisation chirurgischer Einrichtungen.

Eine Diskussion, die uns einlädt über alternative Beschäftigungsmodelle für Chirurgen nachzudenken und einen Blick in das benachbarte europäische Ausland zu werfen. Insbesondere das Best Practice Modell der Niederlande bietet viele Anregungen für eine positive Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems.

Das Gesundheitssystem der Niederlande

Voraussetzung für die Begründung nachfolgender Beschäftigungsmodelle ist ein Grundverständnis für den Aufbau des niederländischen Gesundheitssystems. Vereinfacht dargestellt gibt es in den Niederlanden zwei Ebenen der medizinischen Versorgung. Die erste und zweite ‚lijn’, frei übersetzt mit erster und zweiter Ebene.

Als erste und einzige Anlaufstelle für jeden Patienten gibt es in der ersten Ebene ausschließlich den niedergelassenen Allgemeinmediziner in der Funktion des Hausarztes, der seine Patienten im Idealfall lebenslang betreut. Die Patienten schreiben sich hierzu bei einer Praxis in ihrem Wohnort ein. Eine echte Auswahl der Praxis erfolgt hierbei nicht. Die Patienten bleiben in der Regel bei dem durch ihre Eltern gewählten Arzt. Ein späterer Wechsel erfolgt fast ausschließlich im Falle eines Umzuges in eine andere Stadt oder in besonderen Ausnahmefällen. Der niederländische Hausarzt ist somit für den Patienten die zentrale Anlaufstelle in sämtlichen Gesundheitsfragen und dient als Koordinator innerhalb des Gesundheitssystems. Er entscheidet, ob im konkreten Einzelfall eine interdisziplinäre Abklärung erforderlich ist und weist den Patienten hierzu in die sogenannte zweite Ebene, das Krankenhaus, ein.

Nota bene: In den Niederlanden gibt es keine niedergelassenen Fachärzte. Eine Niederlassung ist nur als Allgemeinmediziner oder Zahnarzt möglich. Im Gegensatz zu Deutschland sind daher die niederländischen Krankenhäuser vollumfänglich für fachärztliche Versorgung der Patienten verantwortlich. Die Kliniken übernehmen somit ebenso die Aufgaben, die in Deutschland den niedergelassenen Fachärzten obliegen, zum Beispiel die ambulanten chirurgischen Sprechstunden.

Beschäftigungsmodelle für Chirurgen

Bei dieser Betrachtung drängt sich die Frage auf, ob die Tätigkeit in der Klinik für junge Chirurgen in den Niederlanden eine Einbahnstraße darstellt. Doch es gibt nach dem abgeschlossenen Medizinstudium interessante Beschäftigungsalternativen. Zunächst müssen junge Ärzte die Entscheidung treffen, ob sie primär klinische Erfahrung sammeln oder promovieren möchten. Voraussetzung für die Promotion ist eine drei- bis vierjährige wissenschaftliche Tätigkeit an einer Universitätsklinik ohne klinische Mitarbeit. Es gibt daneben auch Kombinationsmodelle.

Entscheidet sich ein junger Arzt für die klinische Arbeit, muss er sich zunächst für eine Assistenzarztstelle bewerben. Assistenzarztstellen werden in den Niederlanden nach „AGNIOS“ und „AIOS“ = Assistent Geneeskunde (Niet) In Opleiding unterschieden. Wörtlich übersetzt heißt dies Assistent der Medizin in der Facharztweiterbildung bzw. nicht in der Facharztweiterbildung. Eine Assistenzarztstelle beinhaltet demnach nicht automatisch eine Weiterbildungsstelle für den jeweiligen Fachbereich. In den meisten Fällen erhalten Studienabsolventen zunächst eine Assistenzarztstelle ohne Weiterbildungserlaubnis. Erst wenn sie erste Erfahrungen im Beruf gesammelt haben, können sie sich im weiteren Verlauf um eine Weiterbildungsstelle bewerben. Für den chirurgischen Fachbereich ist diese Bewerbungsprozedur landesweit streng geregelt. Die Auswahl erfolgt nur zweimal im Jahr, und die Bewerber dürfen sich jeweils bei maximal zwei der insgesamt acht regionalen Weiterbildungskommissionen [Regionale Opleidings Commissies (ROC’s)] gleichzeitig bewerben. Eine erfolgreiche Bewerbung wird zudem durch die Vielzahl von Bewerbern auf eine deutlich geringere Zahl an Weiterbildungsstellen erschwert. Die AIOS-Stellen sind somit das Nadelöhr der niederländischen Facharztausbildung.

Für bereits laufende Facharztweiterbildungen ist es zurzeit noch möglich ein Fellowship z. B. im Bereich Gastroenterologie, Traumatologie, Gefäßchirurgie etc. anzuschließen. Im Rahmen der europäischen Anpassung der chirurgischen Weiterbildung wird es zukünftig nur noch den Ausbildungsweg über den Common Trunk, zwei Jahre chirurgische Grundausbildung und vier Jahre fachrichtungsgebundene Weiterbildung geben.

Ausgebildete Chirurgen können sich entweder an einer Universitätsklinik oder in einem anderen Krankenhaus bewerben. Über die jeweilige Website kann man in Erfahrung bringen, ob es sich um ein Lehrkrankenhaus handelt und welches operative Spektrum angeboten wird. Im Verhältnis zur Bevölkerungsdichte gibt es in den Niederlanden eine geringere Anzahl Kliniken pro Region als in Deutschland. Das Stellenpotential verteilt sich somit auf wenige Zentren mit entsprechend größeren Kapazitäten.

Die Hauptformen der Beschäftigung innerhalb einer niederländischen Klinik sind das hierzulande bekannte Angestelltenverhältnis gegenüber einem Klinikträger sowie die Teilhaberschaft in einer Maatschap. Darüber hinaus kann die Maatschap selbst Fachärzte im Angestelltenverhältnis beschäftigten. Diese Beschäftigungsform wird häufig zur Erprobung eines potentiellen Teilhabers genutzt. In Universitätskliniken wird ausschließlich die Beschäftigungsform des Angestelltenverhältnisses angeboten.

Maatschap heißt wörtlich übersetzt „Gemeinschaft/Gesellschaft“. Eine Gemeinschaft gleichberechtigter Fachärzte, z. B. eine Gruppe von Chirurgen, räumlich angesiedelt in einem Krankenhaus, die einen gemeinschaftlichen Vertrag mit dem Krankenhaus schließen. Dieser Vertrag legt die Nutzungsbedingungen der dortigen Einrichtungen wie z. B. die Operationssäle, Betten auf Station, Sprechstundenzimmer etc. fest. Die Maatschap ist eigenverantwortlich für ihre wirtschaftlichen Erträge und Gewinne. Um eine Teilhaberschaft in einer Maatschap zu erlangen, ist es notwendig, in diese zu investieren. Die Höhe der Investitionssumme wird von der jeweiligen Maatschap festgelegt. Je nach Potential kann diese stark variieren und schnell mehrere hunderttausend Euro überschreiten.

Das Maatschaps-Modell wird von den verschiedenen Interessenvertretern in den Niederlanden jedoch auch kritisch betrachtet, insbesondere vor dem Hintergrund fehlender externer Kontrollmechanismen und im Rahmen von Kostendämpfungsmaßnahmen des Gesundheitswesens.

Kollegialsystem statt Hierarchie

Ein wesentlicher Unterschied zum deutschen System zeigt sich in der inneren Struktur der jeweiligen Fachabteilungen. Anstelle eines hierarchischen Aufbaus, Chefarzt, leitender Oberarzt, Oberarzt bis hin zum Assistenzarzt, arbeiten die niederländischen Fachärzte gleichberechtigt in einem Kollegialsystem. Selbstverständlich ergibt sich durch unterschiedliche Ausbildungs- und Erfahrungsstände eine natürliche Autorität für die Zusammenarbeit. Diese wird jedoch nicht in formalen Führungsstrukturen abgebildet.

Unterschiede im chirurgischen Alltag

Die wichtigste zu nennende Abweichung gegenüber dem deutschen System ist die strukturierte eigene Sprechstunde eines jeden Facharztes. Auf Niederländisch spricht man von „polikliniek“ oder kurz „poli“. Da sich dem niederländischen Patienten nicht die Möglichkeit bietet, einen niedergelassenen Facharzt aufzusuchen, wird er zur ambulanten Abklärung seiner Symptome vom Hausarzt in die chirurgische Sprechstunde des Krankenhauses eingewiesen. Hieraus ergibt sich für den behandelnden Arzt der große Vorteil, seinen Patienten vor einem operativen Eingriff, während der Operation und bei der postoperativen Nachsorge zu begleiten. Für den Patienten ist somit der Operateur der Ansprechpartner für den postoperativen Verlauf und bei eventuellen Komplikationen. Daraus resultiert für den Chirurgen eine größere Möglichkeit zur Selbstreflektion. Ein Ärztehopping (engl. doctor shopping) und die damit zusammenhängenden unnötigen Kosten können auf diese Weise weitestgehend vermieden werden.

Ein deutlicher Unterschied zeigt sich außerdem in der Organisation der administrativen und wissenschaftlichen Tätigkeiten. Den niederländischen Chirurgen steht bei einer Vollzeitbeschäftigung in der Regel ein Tag pro Woche für diese Aufgabenfelder oder als Freizeitausgleich für Dienste zur Verfügung.

Durch die zahlreichen ambulanten chirurgischen Eingriffe bieten sich insbesondere für junge Assistenzärzte ausreichend Gelegenheiten, erste Operationserfahrungen zu sammeln. Hierbei werden die Assistenten durch erfahrenere Chirurgen begleitet. Die Supervisoren unterstützen je nach Erfordernis mittels eines kollegialen Austausches oder direkter praktischer Hilfe. Im Idealfall sind die räumlichen Begebenheiten so organisiert, dass die Supervisoren unmittelbar erreichbar sind.

Ausblick

Im Ergebnis bietet das niederländische Gesundheitssystem interessante Beschäftigungsformen und Alternativen für die Klinikstrukturen sowie die Gestaltung der chirurgischen Tätigkeiten. Bei der Weiterentwicklung der hiesigen Strukturen lohnt sich demzufolge ein Blick in das benachbarte europäische Ausland, um die besten Lösungen für das eigene System auszuwählen. Sicherlich eignen sich nicht sämtliche Elemente, aber wir sollten es als unsere Aufgabe ansehen, neues auszuprobieren, um die Arbeitsbedingungen für Chirurgen zu optimieren und gleichzeitig eine patientengerechte Versorgung sicher zu stellen.

Merten B. Beschäftigungsmodelle für Chirurgen im In- und Ausland – Best Practice Niederlande. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 02_04.

Autor des Artikels

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Drs. (NL) Britta Merten

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