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Editorial im Dezember 2021: Perioperatives Management in Deutschland – höchste Zeit für Veränderung!

In den letzten 30 Jahren haben technische Entwicklungen, wie die minimalinvasive Chirurgie, Fortschritte der Endoprothetik oder die Einführung endovaskulärer Techniken die gesamte Chirurgie revolutioniert. Naturgemäß steht die Verfeinerung der operativen Technik im Zentrum chirurgischer Bemühungen und zahlreiche dieser technischen Innovationen haben zu deutlichen Therapieverbesserungen geführt. Bei neueren Verfahren – wie beispielsweise der robotischen Chirurgie – steht der zweifelsfreie Nachweis klinisch relevanter Patient:innenvorteile dagegen noch aus.

Von Chirurg:innen weniger genau beachtet als neue Zugangswege, Instrumente, Prothesen und Roboter hat seit 1995 eine weitere medizinische Revolution in der operativen Medizin stattgefunden, nämlich die Entwicklung und Anwendung evidenzbasierter multimodaler perioperativer Behandlungskonzepte als sogenanntes Fast-track, „enhanced recovery after surgery“ oder „rapid recovery“. Obwohl die Erfolge des optimierten perioperativen Managements mit dramatischen Verbesserungen für die Patienten einhergehen, ist diese Revolution an weiten Teilen der deutschen Chirurgie spurlos vorübergegangen.

Durch Fast-track oder ERAS ist die postoperative Krankenhausverweildauer in anderen Industrienationen dramatisch gesunken. Heute werden Patientinnen dort bereits 3 bis 5 Tage nach elektiven Kolonresektionen entlassen, in Deutschland ist die postoperative Krankenhausverweildauer dreimal so lang. Der Krankenhausaufenthalt nach elektiver Hüft- und Kniegelenksendoprothetik wurde in Dänemark im vergangenen Jahrzehnt durch Fast-track von 10 Tagen auf 2 Tage reduziert – und das mit vergleichbaren oder besseren funktionellen Ergebnissen. Große Fallserien aus Italien beschreiben nach elektivem offen-chirurgischem Aortenersatz unter ERAS eine postoperative Krankenhausverweildauer von 3 bis 5 Tagen mit niedrigeren Komplikationsraten. Ambulant oder kurzstationär durchgeführte kleinere Operationen (wie Cholezystektomie, Fundoplikatio und bariatrische Eingriffe) sind in anderen Ländern unter optimiertem perioperativem Management häufig. Während französische, skandinavische und britische Publikationen sogar ambulante (!) Knie- und Hüftgelenksendoprothetik oder Kolonresektionen diskutieren, sind derartige Behandlungspfade in Deutschland bislang nur sehr selten beschritten worden und unter traditionellem perioperativem Management auch nicht vorstellbar.

Die Ursachen des Rückstands in Deutschland beim optimierten perioperativen Management im Vergleich zu skandinavischen Ländern, Frankreich, den Niederlanden, aber auch Spanien und Italien, sind vielfältig. Eine wesentliche Rolle spielt unser im Vergleich zu anderen Nationen großzügig finanziertes Krankenhaussystem. Bislang waren die Grenzen der Belastbarkeit nur selten spürbar. Initiativen zur Verbesserung des perioperativen Managements mit nachfolgender Verweildauerkürzung wurden daher oftmals nur als Wege zur Gewinnmaximierung verstanden. Die SARS-CoV-2-Pandemie hat auch Deutschland spüren lassen, dass Intensivmedizin, Beatmungsplätze und qualifiziertes Pflegepersonal nicht beliebig zur Verfügung stehen, sondern ein begrenztes Gut darstellen. Das optimierte perioperative Fast-track-/ERAS-Management reduziert die Rate postoperativer Komplikationen, vermeidet geplante und ungeplante Intensivbehandlungen, entlastet das Pflegepersonal und führt zu Verbesserungen für Patient:innen, Pflegende, Ärzte und Krankenhausträger.

„Das optimierte perioperative Fast-track/ERAS-Management reduziert die Rate postoperativer Komplikationen, vermeidet geplante und ungeplante Intensiv­behandlungen, entlastet das Pflegepersonal und führt zu Verbesserungen für Patient:innen, Pflegende, Ärzte und Kranken­hausträger.“

C. Eckmann, P. Möhnle, M. Spannagl und A. Weimann stellen in dieser Ausgabe der PASSION drei wesentliche Behandlungselemente des perioperativen Managements dar. Während die Antibiotika- und Thromboembolieprophylaxe – nicht zuletzt auch aus forensischen Gründen – in vielen Kliniken zum Therapiestandard gehören, werden die Grundlagen der perioperativen Ernährungstherapie auch heute noch in vielen Kliniken vernachlässigt. Weitere wesentliche Elemente der perioperativen Behandlung sind die Risikoevaluation und -optimierung, der perioperative Erhalt der Normothermie und Euvolämie, der Umgang mit Sonden, Kathetern und Drainagen, die optimale Narkosetechnik und Schmerztherapie, die Patientenschulung und die rasche postoperative Mobilisation. Auf Studien mit hohem Evidenzniveau beruhende Empfehlungen liegen für viele dieser Therapieelemente bereits seit Jahren vor, ohne Eingang in den klinischen Alltag deutscher Kliniken gefunden zu haben.

Erst wenn evidenzbasierte Empfehlungen mithilfe multiprofessioneller Behandlungsteams und unter Kontrolle spezialisierter Pflegekräfte zu prozedurenspezifischen und klinikindividuellen Behandlungspfaden kombiniert werden, entfalten sie ihr gesamtes Potenzial als ERAS oder Fast-track. Die Optimierung des perioperativen Managements setzt die Bereitschaft voraus, lieb gewonnene Traditionen zugunsten effektiver und effizienter Maßnahmen zu verlassen. Programme zur strukturierten Implementierung von Fast-track oder ERAS werden auch in Deutschland angeboten und berücksichtigen die Besonderheiten deutscher Krankenhäuser und des G-DRG-Systems. Der so initiierte Wandel zum optimierten perioperativen Management ist in Deutschland lange überfällig, damit unsere Patient:innen von der höheren Qualität der Behandlung und der rascheren Genesung profitieren und unser Pflegepersonal entlastet wird!

Viel Spaß beim Lesen der Ausgabe Periopertives Management.


Schwenk W: Perioperatives Management in Deutschland – höchste Zeit für Veränderung! Passion Chirurgie. 2021 Dezember; 11(12): Artikel 01_Editorial.

CME-Artikel Was gibt es Neues in der perioperativen Medizin?

1. Präoperative Anämie

1.1. Bedeutung der präoperativen Anämie

Die präoperative Anämie ist ein eigenständiger Risikofaktor für komplizierte und letale Verläufe nach operativen Eingriffen. Die WHO definiert eine Anämie dabei als einen Hämoglobin-Wert von < 13 g/dl bei Männern und < 12 g/dl bei nichtschwangeren Frauen. Bei Schwangeren spricht man ab einem Hb < 11 g/dl von einer Anämie. Anämien werden vor Operationen häufiger beobachtet als in der entsprechenden Normalbevölkerung und liegen je nach Patientengut bei 10 und 50 % der Fälle vor. Gleichzeitig nimmt die Inzidenz einer Anämie mit steigendem Alter zu, sodass etwa 10 % der über 65-jährigen und ca. 25 % der über 85-jährigen Deutschen unter einer Anämie leiden.

Im Jahr 2018 ist die unter der Leitung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin erstellte S3-Leitlinie zu Diagnostik und Therapie der präoperativen Anämie erschienen [1]. In dieser Leitlinie wird zunächst noch einmal die außerordentliche Bedeutung der präoperativen Anämie auf das Ergebnis operativer Behandlungen hingewiesen. Die Autoren führten gemäß den Vorgaben der AWMF eine systematische Literatursuche durch und stellten die darin enthaltenen Daten in Metaanalysen zusammen. In einem strukturierten Konsensusverfahren wurden dann die Empfehlungen der Leitlinie erstellt und begründet. Für nicht-kardiochirurgische Operationen konnten 10 Studien identifiziert werden, in denen das Risiko, innerhalb von 30 Tagen nach der Operation zu versterben, bei 892.266 anämischen Patienten mit 4,6 % fast 5-mal so hoch war, wie das der 217.270 nicht-anämischen Patienten (0,96 %) (p < 0,0001). Gleichzeitig konnte erneut bewiesen werden, dass der Schweregrad der Anämie mit der Sterblichkeit assoziiert ist. 15 % der 266.824 Patienten mit präoperativer Anämie mussten postoperativ transfundiert werden, während dies nur bei 3,1 % der 78.739 Patienten mit präoperativ normalem Hämoglobin der Fall war (p < 0,0001). Gleichzeitig war die Krankenhausverweildauer bei 2.289 anämischen Patienten um 4,01 Tage höher als bei 23.808 Patienten mit normalem Blutbild; dieser Unterschied verfehlte aber im statistischen Test das Signifikanzniveau knapp (p = 0,06).

Was gibt es Neues in der Chirurgie?
Jahresband 2019 Jähne/Königsrainer/Südkamp/Schröder
ecomed Medizin Verlag Hardcover, 400 Seiten
ISBN 978-3-609-76940-0

Der vorliegende Artikel wurde in dem Buch „Was gibt es Neues in der Chirurgie? Jahresband 2019“ erstveröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des ecomed Medizin Verlags dürfen wir ihn in der PASSION CHIRURGIE zweitverwerten.

Im eCME-Center des BDC können Sie einen Test durchführen und bei korrekter Beantwortung zwei CME-Punkte erhalten. Am Ende des Artikels finden Sie eine Anleitung.

1.2. Diagnostik der präoperativen Anämie

Obwohl die Eisenmangelanämie die häufigste Form der präoperativen Anämie darstellt, empfiehlt die S3-Leitlinie keine generalisierte Eisengabe bei anämischen Patienten vor Operationen. Vielmehr sollte der Therapie der Anämie eine zweistufige Diagnostik vorangestellt werden. Zunächst muss bei Eingriffen mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit von mehr als 10 % oder bei Verdacht auf eine präoperative Anämie ein kleines Blutbild entnommen werden. Bei Nachweis einer Anämie sollte dann ein in jeder Klinik individuell zu erstellender Algorithmus zur Differenzialdiagnose der Anämie durchlaufen werden, bevor eine spezifische Anämietherapie erfolgt. In der Leitlinie selbst wird ein derartiger Algorithmus dargestellt (Abb. 1).

Abb. 1: Diagnostischer Algorithmus bei präoperativer Anämie; mit freundlicher Genehmigung [1]

Die Diagnostik und daraus resultierende Therapie der präoperativen Anämie sind durchaus zeitaufwendig, sodass die Leitlinie empfiehlt, die Diagnostik etwa vier bis sechs Wochen vor einer elektiven Operation durchzuführen.

1.3. Therapie der präoperativen Anämie

Interessanterweise ist in den wissenschaftlichen Studien zur Therapie der präoperativen Anämie in der Regel keine differenzialdiagnostische Unterscheidung der verschiedenen Anämieformen erfolgt. Aussagefähige Daten zur präoperativen Anämiebehandlung finden sich in der Literatur offensichtlich nur zur Frage der Eisengabe mit oder ohne gleichzeitige Erythropoetintherapie. Die Fallzahlen der Studien sind erstaunlich gering. In zwei randomisiert kontrollierten Studien (RCTs) mit insgesamt 64 Patienten stieg der Hb-Wert unter Eisengabe im Vergleich zu Placebo nicht signifikant an (mittlere gewichtete Differenz – MWD: 0,5 g/dl; p = 0,61). Bei 36 Patienten in zwei RCTs führte die Eisengabe zu keiner unterschiedlichen Transfusionshäufigkeit (Odds Ratio: 0,32; p = 0,1). 14 RCTs verglichen die Gabe von Erythropoetin (EPO) und Eisen mit Placebo. Bei 2.106 Patienten stieg der Hb-Wert in der Prüfgruppe um 0,96 g/dl im Vergleich zur Placebogruppe an (p < 0,001). 13 RCTs mit 2.083 Patienten fanden ein niedrigeres Risiko für eine Transfusion, wenn vor der Operation bei Anämie eine Behandlung mit EPO und Eisen durchgeführt worden war (OR: 0,32; p < 0,0001). RCTs zur Sterblichkeit präoperativ anämischer Patienten unter EPO und Eisentherapie im Vergleich zu Placebo konnte die Leitliniengruppe nicht finden. In Beobachtungsstudien wurde die Sterblichkeit unter dieser Behandlung allerdings von 14,5 auf 5,8 % gesenkt. Die Leitliniengruppe hat daher bei präoperativ-anämischen Patienten die Behandlung mit EPO bei Patienten mit chronischer und/oder renaler Anämie empfohlen und bei gleichzeitigem Eisenmangel auch die Gabe von Eisen. Allerdings weisen die Autoren auch auf die derzeit noch ungeklärten Wechselwirkungen zwischen EPO (als Wachstumsfaktor) und Tumorerkrankungen hin. Einflüsse des EPO auf Tumorwachstum, -infiltration und -progression können nicht ausgeschlossen werden. Gleichzeitig könnten Chemotherapeutika bei gleichzeitiger EPO-Gabe weniger wirksam sein. RCTs zur Gabe von Folsäure/Vitamin B12 bei Mangelanämien existieren nicht. Bei einem entsprechenden Mangel wird die präoperative Substitution von Folsäure/Vitamin B12 jedoch empfohlen. Randomisierte, kontrollierte Daten zur präoperativen Erythrozytentransfusion existieren nicht, sodass diesbezüglich keine Empfehlungen abgegeben werden.

Fazit

  • Die präoperative Anämie ist ein relevanter Risikofaktor für einen komplizierten oder sogar letalen Verlauf nach nicht-kardiochirurgischen Operationen.
  • Bei Operationen mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit von > 10 % sollte eine standardisierte zweistufige Anämiediagnostik erfolgen.
  • Gemäß der S3-Leitlinie sollte vor der Behandlung einer präoperativen Anämie eine Differenzialdiagnose der Anämie vorgenommen werden.
  • Eisenmangelanämien können – als häufigste präoperative Anämieformen – durch die Gabe von Eisen oder die Kombination von Eisen und Erythropoetin behandelt werden.
  • Zur Effektivität der Behandlung einer Eisenmangelanämie mit Eisen oder mit Eisen + EPO liegen nur wenige Daten aus hochwertigen Studien vor.
  • Die Nebenwirkungen von EPO als Wachstumsfaktor auf onkologische Erkrankungen müssen beachtet werden.
  • Weitere hochwertige Studien zur Therapie der präoperativen Anämie sind dringend erforderlich.

2. Umgang mit ACEInhibitoren und ARB bei nicht-kardiochirurgischen Operationen

Angiotensin Converting Enzyme (ACE)-Inhibitoren und Angiotensin Rezeptor Blocker (ARB) sind gebräuchliche Antihypertensiva, die bei etwa einem Drittel aller 280 Millionen weltweit durchgeführter Operationen durch die Patienten eingenommen werden. Sowohl die kontinuierliche perioperative Einnahme von ACE-I und ARB als auch das perioperative Aussetzen der Medikation kann zu relevanten Nebenwirkungen führen (Fortsetzen: Hypotension; Aussetzen: erhöhte Inzidenz perioperativer myokardialer Infarkte). Die diesbezüglichen Empfehlungen der US-amerikanischen [2] und der europäischen [3] Leitlinien sind widersprüchlich. Daher kommt der systematischen Literaturrecherche mit Metaanalyse der RCT von Hollmann et al. [4] zu dieser Fragestellung besondere Bedeutung zu. Die Arbeitsgruppe aus Südafrika untersuchte die Frage, ob das Absetzen der ACE-I/ARB-Behandlung am Tag vor der Operation im Vergleich zur kontinuierlichen Gabe der Medikation bei erwachsenen Patienten und nicht-kardiochirurgischen Operationen zu Unterschieden bei den Hauptzielkriterien Tod oder schwere kardiale Komplikationen („major adverse cardiac events“ – MACE) oder den Nebenzielkriterien Auftreten einer akuten Nierenschädigung, Herzinsuffizienz, zerebrovaskuläre Ereignissen, intra- und postoperativer Hypotension und Dauer des Krankenhausaufenthaltes führt. Die Autoren identifizierten dabei fünf RCTs und vier Beobachtungsstudien zu dieser Fragestellung. Die perioperative Sterblichkeit war in fünf Studien mit 1.671 Patienten bei ACE-I/ARB-Pause mit 1,6 % gegenüber 1,8 % bei perioperative Pause der Medikation nicht verschieden (p = 0,89). Auch die Häufigkeit von MACE war mit 3,5 versus 3,7 % nicht verschieden (p = 0,48). Intraoperative Hypotensionen wurden bei ACE-I-/ARB-Unterbrechung seltener (23,4 %) beobachtet als bei anhaltender Medikation (29,9 %; p = 0,002). Bezüglich der weiteren Zielkriterien bestanden zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede.

Fazit

  • Die bislang vorliegenden internationalen Leitlinien zum perioperativen Umgang mit ACE-I oder ARB sind widersprüchlich.
  • Der aktuelle systematische Review mit Metaanalyse zeigt keine erhöhte Sterblichkeit bei perioperativem Absetzen der ACE-I/ARB-Therapie.
  • Die Häufigkeit schwerwiegender perioperativer kardialer Zwischenfälle (MACE) ist bei Absetzen von ACE-I oder ARB nicht erhöht.
  • Perioperative Hypotensionen waren bei kontinuierlicher perioperativer ACE-I/ARB-­Behandlung häufiger als bei unterbrochener Therapie.
  • Dieses systematische Review fand keine entscheidenden Argumente gegen eine perioperative ACE-I/ARB-Pause.

3. NaCl 0,9 % oder balancierte Elektrolytlösungen zur Infusionstherapie

0,9 prozentige NaCl-Lösung stellt als sogenannte „physiologische“ Kochsalzlösung auch heute noch in vielen Kliniken eine der Standard-Infusionslösungen dar. Tatsächlich ist NaCl 0,9 prozentige Lösung keinesfalls physiologisch. Die hohe Chloridkonzentration (154 mmol/l) weicht erheblich vom Plasma-Chloridspiegel ab (94–111 mmol/l), sodass NaCl 0,9 % zu hyperchlorämischen Azidosen, renalen Entzündungsreaktionen und gestörter Nierenperfusion führen kann. Sogenannte balancierte Elektrolytlösungen enthalten Chloridkonzentrationen zwischen 98 und 109 mmol/l, die dem Plasma-Chloridspiegel ähnlich sind. Die verbleibende „Anionenlücke“ wird in diesen Lösungen durch Laktat, Azetat oder Glukonat geschlossen. Die Arbeitsgruppe aus der Vanderbilt-Universität in Nashville, Tennessee, USA, hat nun in zwei großen RCTs die Auswirkungen von NaCl 0,9%ig im Vergleich zu balancierten Elektrolytlösungen bei der Anwendung in der Notaufnahme und auf der Intensivstation untersucht.

3.1. NaCl 0,9 % oder balancierte Elektrolytlösungen in der Notaufnahme

Bei nicht-kritisch kranken Erwachsenen untersuchte die SALT-ED-Studie, ob eine Gabe von mindestens 500 ml NaCl 0,9 % oder balancierter Elektrolytlösung und nachfolgender stationärer Aufnahme zu relevanten Unterschieden im weiteren Krankheitsverlauf führt [5]. Die Hauptzielkriterien der Untersuchung waren die Anzahl der Tage außerhalb des Krankenhauses bis zum 28. Tag und die Kombination aus den Überlebenstagen und den Tagen außerhalb des Krankenhauses bis zum 28. Tag. Es wurden zudem drei Nebenzielkriterien untersucht: schwere renale Ereignisse innerhalb von 30 Tagen, akute Nierenschädigung > Stadium 2 und Krankenhaussterblichkeit. Dabei galten als schwere renale Ereignisse: Tod, Nierenersatztherapie oder Anstieg des Kreatinins auf > 200 % des initialen Kreatinins im Serum. Die Verwendung von NaCl 0,9 % oder balancierten Elektrolytlösungen (Ringerlaktat oder Plasma-Lyte A) wurde nach dem jeweiligen Kalendermonat randomisiert. Die Studie dauerte 16 Monate und es wurden unter Beachtung der Ein- und Ausschlusskriterien 13.347 Patienten untersucht. 6.708 Patienten (50,3 %) erhielten randomisiert die balancierte Elektrolytlösung und 6.639 Patienten (49,7 %) wurde die 0,9%ige NaCl-Lösung infundiert. 19,1 % der balancierten Gruppe und 18,2 % der NaCl-Gruppe waren chirurgische Patienten. Im Median erhielten die Patienten 1.089 ml balancierte Lösungen oder 1 071 ml NaCl-­Lösung. Die Anzahl der krankenhausfreien Tage innerhalb von vier Wochen waren in beiden Gruppen mit 25 gleich hoch (p = 0,98) und die Sterblichkeit mit 1,4 bzw. 1,5 % nicht verschieden (p = 0,89). Auch bezüglich der o. g. weiteren Nebenzielkriterien gab es keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen (p jeweils > 0,1). Wenn allerdings die Summe aus letalen Verläufen, neu einsetzenden Nierenersatzverfahren und persistierenden Nierenstörungen gebildet wurde, waren 4,7 % der Patienten mit balancierten Elektrolytlösungen, aber 5,6 % der NaCl 0,9 %-Patienten betroffen (p = 0,01). Weiterhin wurden nach der Infusionsbehandlung bei Patienten der balancierten Elektrolytgruppe für bis zu 72 Stunden niedrigere Chlorid- und höhere Natrium bzw. Bikarbonat-Konzentrationen als in der NaCl-Gruppe festgestellt (p jeweils < 0,001).

3.2. NaCl 0,9 prozentig oder balancierte Elektrolytlösungen bei kritisch kranken Erwachsenen

Die sogenannte SMART-Studie untersuchte alle erwachsenen Patienten, die in einem Zeitraum von 34 Monaten auf einer der 5 Intensivstationen des Vanderbilt Medical Centers aufgenommen wurden [6]. Auch diese Patienten wurden je nach Monat der Aufnahme randomisiert entweder mit balancierten Elektrolytlösungen oder NaCl 0,9 prozentig behandelt. Dabei wurde für jede Intensivstation zu Beginn der Studie festgelegt, ob die jeweilige Lösung in einem geraden oder einem ungeraden Monat verabreicht werden würde. In dieser RCT wurde als Hauptzielkriterium dieser Studie die Häufigkeit schwerer renaler Komplikationen (Definition s. o.) innerhalb von 30 Tagen nach der Studienaufnahme festgelegt. Weitere Zielkriterien waren: Krankenhaussterblichkeit innerhalb von 30 und 60 Tagen, Tage ohne Intensivbehandlung, Tage ohne mechanische Beatmung, Tage ohne Vasopressortherapie, Überlebenszeit und Tage ohne Nierenersatztherapie innerhalb der ersten 28 Tage. Von den 15.802 Studienpatienten erhielten 7.942 balancierte Elektrolytlösungen und 7.860 0,9 prozentige NaCl-Lösungen. Etwa 50 % der Patienten wurden aus der Notaufnahme auf die Intensivstationen verlegt, 21 % aus dem Operationssaal, 13 % aus anderen Krankenhäusern, 10 % von Normalstationen und 4,6 % aus dem Ambulanzzentrum.

1.139 Patienten (14,3 %) mit balancierter Elektrolytlösung und 1.211 Patienten mit NaCl 0,9 %-Lösung (15,4 %) erlitten eine schwere renale Komplikation (OR: 0,91; p = 0,04). 2.336 Patienten wurden wegen einer Sepsis behandelt und die 30-Tage-Sterblichkeit der 1.167 Patienten mit balancierter Elektrolytlösung betrug 10,3 %, während 11,1 % der 1.169 NaCl-0,9 %-Patienten verstarben (Adjustierte OR: 0,80; p = 0,02). Zudem verzeichneten die Elektrolyten-balancierte Gruppe mit 25,0+8,6 Tagen eine etwas kürzere Zeit ohne Nierenersatzverfahren als die Patienten der NaCl-Gruppe mit 24,8+8,9 Tagen (OR: 1,11; p = 0,01). Nach Ansicht der Autoren könnte durch den Ersatz von NaCl-0,9 prozentiger-Lösung auf Intensivstationen durch balancierte Elektrolytlösungen in den USA jährlich 55.000 schwerwiegende renale Komplikationen vermieden werden.

Fazit

  • 0,9 prozentige NaCl-Lösung ist keinesfalls als „physiologisch“ zu betrachten.
  • Nach vergleichsweise geringen Gaben von 0,9 prozentiger NaCl-Lösung im Vergleich zu balancierten Elektrolytlösungen konnten anhaltende Veränderungen der Natrium-, Chlorid- und Bikarbonatkonzentrationen im Serum nachgewiesen werden.
  • Schwerwiegende Komplikationen (Summe aus Tod, neu einsetzender Nierenfunktionsstörung und anhaltender Nierenfunktionsstörung) waren auch nach kurzzeitiger Gabe von NaCl 0,9 % im Vergleich zu balancierten Elektrolytlösungen bei nicht-kritisch-kranken Patienten häufiger.
  • Bei kritisch-kranken Patienten waren die Inzidenz renaler Komplikationen, die Sterblichkeit und die Dauer von Nierenersatzverfahren bei NaCl 0,9 %-Infusion im Vergleich zur Infusion balancierter Elektrolytlösungen schlechter.
  • NaCl 0,9 %-Lösung sollte (außer bei seltenen und speziellen Indikationen) nicht mehr als Infusionslösung verwendet werden.
  • Am besten wird NaCl 0,9 %-Lösung auf chirurgischen Stationen in Mengen von höchsten 100 ml (zum Auflösen von Medikamenten) vorgehalten.

4. Systemische Steroide bei Sepsis und septischem Schock

Antibiotika, Vasopressoren, nicht-invasive oder invasive Beatmung und Flüssigkeits-/Volumentherapie sind derzeit die einzigen anerkannten Behandlungen der Sepsis und des septischen Schocks. Dabei beträgt die Sterblichkeit septischer Patienten unverändert zwischen 30–45 %. Die Kortikosteroidgabe in verschiedenen hohen Dosierungen ist bereits seit mehr als 30 Jahren als mögliche Behandlung der Sepsis und des septischen Schocks diskutiert worden. Bislang lagen aber keine Daten aus großen randomisierten, kontrollierten Studien zur Bedeutung der Kortikoidgabe in dieser Situation vor. Im vergangenen Jahr sind im New England Journal of Medicine zwei große RCTs zu diesem Thema publiziert worden

4.1. Hydrokortison bei septischem Schock

Die ADRENAL-Studie („Adjunctive Corticoisteroid Treatment in Critically Ill Patients with Septic Shock“) wurde als doppelblinde, Placebo-kontrollierte Untersuchung bei erwachsenen Patienten mit septischem Schock und mechanischer Beatmung auf Intensivstationen durchgeführt [7]. Patienten, die vor Studieneinschluss mindestens vier Stunden mit Vasopressor und Beatmung behandelt worden waren, wurden in dieser multizentrischen RCT entweder zur Gabe von 200 mg Hydrokortison als Dauerinfusion für 24 Stunden oder Placebo randomisiert. Die Behandlung dauerte höchstens sieben Tage oder bis zur Verlegung von der Intensivstation oder bis zum Tode. Als Hauptzielkriterium der Untersuchung galt die 90-Tage-Sterblichkeit, weitere Zielkriterien waren: 28-Tage-Letalität, Dauer bis zur Schockauflösung, erneuter septischer Schock, Intensivaufenthaltsdauer, Krankenhausverweildauer, Beatmungsdauer, Häufigkeit und Dauer einer Nierenersatztherapie, Häufigkeit neuer bakterieller oder fungaler Infektionen innerhalb von 14 Tagen und Anzahl der Blutübertragungen auf der Intensivstation. In vier Jahren wurden 5.501 Patienten in Australien, Großbritannien, Neuseeland, Saudi-Arabien und Dänemark identifiziert und 3.658 den beiden Behandlungsarmen zugeordnet (1.832 Hydrokortison und 1.826 Placebo). 60 % der durchschnittlich 62 Jahre alten Patienten waren Männer und der mediane APACHE-II-Score betrug 23–24. 31 % der Patienten waren zuvor operiert worden. Bezüglich der epidemiologischen Daten, der Sepsisursache und der Schwere der Erkrankung bestanden keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen. In der 90-Tage-Sterblichkeit bestand mit 27,9 % der Kortikoid-Patienten und 28,8 % der Placebo-Patienten kein signifikanter Unterschied (p = 0,50). Die 28-Tage-Sterblichkeit beider Gruppen war ebenfalls nicht unterschiedlich (22,3 vs. 24,3 %; p = 0,13). Die Dauer bis zur Auflösung des septischen Schocks (3 vs. 4 Tage; p < 0,001), die Intensivbehandlungsdauer (10 vs. 12 Tage; p < 0,001) und die Beatmungsdauer (6 vs. 7 Tage; p < 0,001) waren bei Patienten mit Hydrokortisontherapie kürzer als bei Placebo-Patienten. Patienten der Hydrokortison-Gruppe erhielten zudem seltener (37,0 %) als Patienten der Placebo-Gruppe (41,7 %) Bluttransfusionen (p = 0,004).

4.2. Hydrokortison und Fludrokortison bei septischem Schock

In der APROCCHSS-Studie („Activated Protein C and Corticosteroids for Human Septic Shock“) wurden Erwachsene mit nachgewiesenem oder vermutetem septischen Schock untersucht, die vor der Randomisierung weniger als 24 Stunden auf einer Intensivstation behandelt worden waren [8]. Diese Patienten wurden randomisiert entweder mit 4 × 50 mg Hydrokortison als i. v.-Bolus und 50 μg Fludrokortison-Tablette täglich für sieben Tage oder mit Placebo für den gleichen Zeitraum behandelt. Ebenso wie im ADRENAL-Trial war das Hauptzielkriterium der Studie die 90-Tage-Sterblichkeit. Weiterhin wurde die Sterblichkeit während der Intensivbehandlung, die 28-Tage-Sterblichkeit, die Krankenhaussterblichkeit, die 180-Tage-Sterblichkeit und die Häufigkeit von Patienten ohne Vasopressor, ohne mechanische Beatmung oder SOFA-Score < 6 nach 28 und 90 Tagen festgestellt. In 34 Zentren wurden in sieben Jahren 1.241 Patienten in die Studie aufgenommen. Das durchschnittliche Patientenalter war 66 Jahre, 67 % der Patienten waren Männer und 18,3 % der Patienten wurden aus operativen Stationen auf die Intensivstation verlegt. Der initiale SOFA-Score betrug 12, 91,8 % der Patienten wurden beatmet und 27,6 % erhielten ein Nierenersatzverfahren. Bei Randomisierung bestanden keine relevanten Unterschiede zwischen der Prüf- und der Placebogruppe. Die 90-Tage-Sterblichkeit der 627 Placebo-Patienten war mit 49,1 % höher als die der 614 Hydrokortison-Patienten mit 43,0 % (p = 0,03). Weiterhin bestanden signifikante Unterschiede in der Intensivstations-Sterblichkeit (41,0 vs. 35,4 %; p = 0,04), Krankenhaussterblichkeit (45,3 vs. 39,0; p = 0,02) und innerhalb von 180 Tagen (52,5 vs. 46,6 %; p = 0,04) zu Ungunsten der Placebo-Gruppe. Die vasopressorfreien Tage bis zum 28. Tag (19 vs. 23; p < 0,001) und die Tage ohne Organversagen bis zum 28. Tag (12 vs. 19; p = 0,003) waren in der Hydrokortison-Fludrokortison-Gruppe zahlreicher als bei Placebo-Patienten. Zudem war die Dauer der mechanischen Beatmung (p = 0,0006) und die Tage mit einem SOFA-Score > 6 (p < 0,001) in der Hydrokortison-Fludrokortison-Gruppe kürzer.

Fazit

  • Die Sterblichkeit der Patienten in den beiden Studien weicht erheblich voneinander ab (28 vs. 45 %).
  • Diese Unterschiede in der Sterblichkeit könnten die unterschiedlichen Ergebnisse der Kortikoidtherapie auf die 90-Tage-Sterblichkeit erklären.
  • In beiden RCT hatte die Gabe von 200 mg Hydrokortison (mit oder ohne Fludrokortison) einen positiven Einfluss auf Schwere und Dauer der Sepsis.
  • Bei sehr schwerem septischem Krankheitsbild mit geringem oder fehlendem Ansprechen auf die herkömmliche Behandlung durch Antibiotika, Vasopressoren. Beatmung und Volumentherapie innerhalb von 24 Stunden und zu erwartender hoher Sterblichkeit sollte eine Behandlung mit 200 mg Hydrokortison am Tag gegebenenfalls in Kombination mit 50 μg Fludrokortison erfolgen.

5. Medikamentöse Behandlung der Delirs

Beatmete Patienten auf Intensivstationen werden zu 50–75 % von einer akuten Hirnfunktionsstörung im Sinne eines Delirs betroffen. Dabei werden meist nur die hyperdynamen Formen des Delirs frühzeitig erkannt, hypoaktive Delirien werden im klinischen Alltag häufig übersehen. Patienten mit einem Delir haben eine höhere Morbidität und Letalität, werden länger beatmet und verweilen länger im Krankenhaus als delirfreie Patienten. Auf Intensivstationen, aber auch auf Normalstationen, werden delirante Patienten häufig mit typischen (Haloperidol) oder atypischen (Ziprasidon) Neuroleptika behandelt, obwohl bislang keine Daten großer RCTs zur Effektivität dieser Therapie im Vergleich zu Placebo vorlagen. Nun wurde eine multizentrische, doppelblinde, Placebo-kontrollierte dreiarmige Studie publiziert, in der die Wirksamkeit der o. g. Medikamente gegenüber Placebo untersucht wurde [9]. Über sieben Jahre hinweg wurden erwachsene Patienten, die auf einer Intensivstation durch invasive oder non-invasive mechanische Beatmung, Vasopressorgabe oder intraaortale Ballongegenpulsation behandelt wurden, in die Studie aufgenommen und randomisiert.

Plastische Chirurgie Loseblattwerk zzgl. Aktualisierungslieferungen. In 4 Ordnern mit CD-ROM und Download Krupp/Rennekampff/Pallua ecomed Medizin Verlag ISBN 978-3-609-76212-8

Sowohl die Diagnose des Delirs als auch die Aktivität der Patienten wurden mit etablierten Instrumenten (Confusion Assessment Method for the ICU – CAMICU bzw. Richmond Agitation-Sedation Scale – RASS) gemessen. Patienten mit Delir wurden im Alter bis 70 Jahren entweder mit 0,5 ml 0,9%ige NaCl-Lösung (Placebo) oder 2,5 mg Haloperidol in 0,5 ml Lösung oder 5 mg Ziprasidon in 0,5 ml und im Alter über 70 mit der halbierten Dosis behandelt. Weitere Medikamentengaben erfolgten alle 12 Stunden, wobei die Dosis verdoppelt wurde, bis die Haloperidol-Dosis 10 mg pro Gabe und 20 mg pro Tag oder die Ziprasidon-Dosis 20 mg pro Gabe oder 40 mg pro Tag erreichte. Bei zweimalig negativem CAM-ICU wurde die Medikationsdosis halbiert, nach vier aufeinanderfolgenden CAM-ICU ohne Delir wurde die Medikation ausgesetzt. Hauptzielkriterium dieser Studie waren die Überlebenstage ohne Delirium oder Koma, Nebenzielkriterien waren Delirdauer, Beatmungsdauer, Intensiv- und Krankenhausbehandlungsdauer und 30-Tage- bzw. 90-Tage-Überleben. Von 20.914 initial evaluierten Patienten wurden 1.183 Patienten in die Studie eingeschlossen und 566 dieser Patienten entwickelten tatsächlich ein Delir und wurden gemäß des Studienprotokolls behandelt (184 Placebo, 192 Haloperidol, 190 Ziprasidon). Die Patienten waren etwa 60 Jahre alt, 57 % waren Männer und 28 % chirurgische Patienten. Der APACHE-II-Score betrug 29, der SOFA-Score 10 und es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug vier Tage und es wurden im Durchschnitt 11,0 mg Haloperidol bzw. 20,0 mg Ziprasidon täglich verabreicht. Die delirfreien Tage innerhalb der Studienperiode waren mit sieben (Placebo), acht (Haloperidol) und acht (Ziprasidon) nicht unterschiedlich (p = 0,26). Ebenso war die Dauer der Intensivbehandlung dauerte mit fünf (Placebo), fünf (Haloperidol) und sechs (Ziprasidon) Tagen nicht signifikant verschieden. Die 30-Tage-Letalität (27 % Placebo, 26 % Haloperidol, 28 % Ziprasidon) und die 90-Tage-Sterblichkeit (34 %, 38 % und 34 %) waren ebenfalls nicht signifikant verschieden.

Fazit

  • Die Behandlung eines Delirs bei Intensivpatienten mit typischen oder atypischen Neuroleptika wird derzeit noch weltweit durchgeführt.
  • In dieser großen RCT hatte die medikamentöse Therapie mit Haloperidol oder Ziprasidon im Vergleich zu Placebo bei deliranten Intensivpatienten keinen nachweisbaren positiven Effekt.
  • Die Wirkungen der medikamentösen Behandlung des Delirs werden offensichtlich überschätzt und überbewertet.
  • Bei deliranten Patienten auf Intensiv- und Normalstationen sollten nicht-medikamentöse Therapien (Dämpfung der Geräuschkulisse, Anwesenheit bekannter Personen, Beachtung des Tag-Nacht-Rhythmus etc.) im Vergleich zur anscheinend wirkungslosen medikamentösen Delirbehandlung verstärkt erwogen werden.

Literatur

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Schwenk W: CME-Artikel: Was gibt es Neues in der perioperativen Medizin? Passion Chirurgie. 2020 April, 10(04): Artikel 03_01.

Akademie aktuell: Update perioperative Medizin

Im März 2017 wird in der Charité in Berlin erstmals ein BDC-Seminar „Update perioperative Medizin“ durchgeführt. Die wesentlichen Grundzüge der optimierten perioperativen Behandlung werden im Rahmen dieses Update-Seminars in chronologischer Reihenfolge der Patientenbehandlung dargestellt und im Folgenden kurz aufgeführt.

Im Mittelpunkt der chirurgischen Tätigkeit steht die Operation. Ebenso wichtig für den Erfolg der chirurgischen Behandlung ist aber auch die perioperative Behandlung des/r Patienten/innen. Während die perioperative Medizin des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen traditionsbestimmt war, sollten Konzepte zur perioperativen Behandlung im 21. Jahrhundert durch hochwertige klinische Studien belegt sein und den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin folgen. Obwohl diese Behandlungskonzepte unter dem Schlagwort „Fast-track“-Chirurgie oder ERAS („enhanced recovery after surgery“ – beschleunigte Erholung nach Operationen) bereits vor 20 Jahren etabliert wurden, ist die Umsetzung im klinischen Alltag immer noch nicht erfolgt.

Präoperative Behandlung

Risikoevaluation: Die optimale perioperative Behandlung beginnt mit dem ersten Patientenkontakt. Integraler Bestandteil der OP-Indikationsstellung ist die Einschätzung des individuellen OP-Risikos für jede/n Patienten/in. Insbesondere die Risikoeinschätzung perioperativer kardialer Komplikationen ist gut untersucht worden, sodass evidenzbasierte Leitlinien europäischer und US-amerikanischer Fachgesellschaften existieren, die im klinischen Alltag umgesetzt werden müssen. Dabei stehen Anamnese und klinische Untersuchung im Mittelpunkt der Risikoeinschätzung. Apparative Untersuchungen wie EKG, Röntgen-Thoraxaufnahmen oder erweiterte kardiale Diagnosetechniken sind nur in wenigen begründeten Fällen indiziert. Ein unkritisches apparatives Screening ist ebenso wenig sinnvoll, wie die routinemäßige präoperative Blutuntersuchung bei allen Patienten. Die zunehmende Zahl von Patienten/innen mit klinisch relevanter Dauermedikation (z. B. ß-Blocker, Statine, Antidiabetika, Plättchenaggregationshemmer, Antikoagulantien) erfordert einen wissenschaftlich begründeten perioperativen Umgang mit diesen Medikamenten. Schließlich müssen die komplexen Anforderungen an eine rationale und evidenzbasierte Risikoevaluation im klinischen Alltag mit schwindenden personellen Ressourcen erfüllt werden.

Patientenvorbereitung: Viele Chirurginnen und Chirurgen verstehen unter der präoperativen Patientenvorbereitung vor allem „lokale“ Maßnahmen (z. B. die orthograde Darmspülung). Viele dieser speziellen OP-Vorbereitungen sind ineffektiv oder sogar schädlich. Dagegen dürfen präoperative Mangelernährung und Anämie nicht vernachlässigt werden, da deren Therapie die Morbidität und Letalität größerer chirurgischer Eingriffe senkt. Die präoperative Konditionierung mangelernährter und/oder anämischer Patienten/innen ist jedoch zeitaufwendig, so dass elektive Operationen bei diesen Patienten/innen sorgfältig geplant werden müssen.

Intraoperative Behandlung

Prophylaxe und operative Maßnahmen: Intraoperativ konzentrieren sich der/die Chirurg/in natürlich auf den Eingriff und seine technischen Aspekte. Eine schichtgerechte und blutungsarme Operationstechnik ist das Fundament einer raschen und komplikationslosen Erholung. Dennoch müssen perioperative Faktoren wie Lagerung und Infektionsprophylaxe (durch zeitgerechte Antibiotikagabe, Vermeidung von Hypothermie und Hypo- oder Hypervolämie) ebenso beachtet werden. Positive Effekte minimal-invasiver Zugangswege auf die Genesung sind unumstritten, aber auch Lage, Ausdehnung und Richtung von Laparotomie oder Thorakotomie können den postoperativen Verlauf erheblich beeinflussen. Schließlich sollte die Indikation zur Anwendung von Sonden, Drainagen und Kathetern sehr streng gestellt werden und nur ausgesuchten Fällen vorbehalten bleiben.

Anästhesiologische Maßnahmen: Moderne Techniken der Allgemeinanästhesie, neuroaxiale Blockaden (z. B. Periduralanästhesie, Nervenblockaden), Temperatur- und Volumenmanagement sowie die Vermeidung des postoperativen PONV-Syndroms („postoperative nausea and vomiting“ – postoperative Übelkeit und Erbrechen) haben einen erheblichen Einfluss auf den postoperativen Verlauf. Die enge Kooperation zwischen Anästhesist/in und Chirurg/in ist daher eine Grundvoraussetzung für die rasche und komplikationslose Genesung der Patienten/tin. Operativ tätige Ärzte/innen sollten die wesentlichen Grundzüge moderner Narkose- und Analgesietechniken kennen, um ihren Einsatz mit den anästhesiologischen Kollegen/innen absprechen zu können.

Postoperative Behandlung

Chirurgische Intensivmedizin: Die wesentliche Aufgabe operativer Intensivstationen ist die Behandlung schwerer septischer Krankheitsbildern oder komplizierter postoperativer Verläufe. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass schwere septische Krankheitsbilder anderen Mechanismen unterliegen – und daher auch andere Therapien benötigen – als dies bei regelrechten postoperativen Verläufen nach großen elektiven Operationen und bei Risikopatienten/innen der Fall ist. In der postoperativen Intensivmedizin stehen daher vor allem die postoperative Unterstützung der Atmung und die differenzierte Volumen- und Katecholamintherapie im Mittelpunkt. Da die Komplikationsquoten großer Operationen (z. B. Ösophagektomie, Duodenopankreatektomie, erweiterte Leberresektionen) relativ hoch sein können, ist auf der Intensivstation die frühzeitige Diagnose und konsequente Therapie postoperativer Komplikationen bedeutsam.

Normalstation: Frühzeitige postoperative aggressive Mobilisation, rascher postoperativer oraler Kostaufbau und effektive Schmerztherapie sind wesentliche Eckpfeiler jedes funktionierenden „Fast-track“-Konzeptes. Sie sollten so früh wie möglich nach der Operation beginnen, idealerweise bereits im sogenannten Aufwachraum. In deutschen Kliniken werden „Fast-track“-Maßnahmen oftmals durch die unzureichende Ausstattung der Normalstationen mit geschultem Pflegepersonal unmöglich gemacht. Postoperative Intensivpflegebereiche („high level care units“) könnten dieses Hindernis beseitigen. Schließlich müssen Risikopatienten/innen auch auf der Normalstation weiter intensiv beobachtet und bei Zustandsverschlechterung sofort effektiv behandelt werden.

Zusammenfassung

Die Etablierung einer modernen perioperativen Behandlung stellt die verantwortlichen Ärzte/innen und Pflegenden vor erhebliche organisatorische, logistische und pädagogische Aufgaben. Unabhängig davon bleibt die Operation der Mittelpunkt der chirurgischen Arbeit. Wer Chirurgie nur als feinmechanisches Handwerk im Operationssaal definiert, hat die wesentlichen Anforderungen dieser Tätigkeit nicht verstanden. Chirurgie ist mehr als Operieren! Das BDC-Seminar „Update perioperative Medizin“ soll interessierten Kolleginnen und Kollegen aus allen operativen Fächern daher die Chirurgie vor, während und nach der Operation näher bringen.

BDC-Seminar: Update perioperative Medizin
Berlin, 03. – 04. März 2017
Hier geht’s zum Programm und der Anmeldung.

Schwenk W. Akademie aktuell: Update perioperative Medizin. Passion Chirurgie. 2016 November; 6(11): Artikel 03_02.