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Die Zukunft des Digitalen im chirurgischen Training – Good Practise Sharing

Nicht erst seit der Coronakrise hat sich der Vormarsch digitaler Technologien auch in der Chirurgie gezeigt. Schon seit einigen Jahren werden für Kongresse, Messen, Tagungen oder Symposien, innovative Web-Applikationen und Tools eingesetzt.

Für das Training in der Chirurgie wurden bis dato nur wenige digitale Tools oder Konzepte entwickelt, bzw. gibt es unseres Wissens noch keine Anwendung, welche sich nachhaltig in der Community durchsetzen konnte. Die Herausforderung der Fusion digitaler Möglichkeiten mit dem handwerklichen und kognitiven Training bei der Ausbildung der Chirurgie sind nachvollziehbar, jedoch komplex zu lösen.

Diesen Herausforderungen haben sich die Autoren in dem Projekt „Sebastian“, das im Januar 2019 gestartet wurde und durch die österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gefördert wird, angenommen.

Forschungsprojekt „Sebastian“ – digitales Training und Expertisemanagement

Seit 20 Jahren forscht Prof. Dr. Werner Korb an der Schnittelle zwischen Mensch und Technik im Operationssaal. Der Mission konsequent folgend, die Chirurgie sicherer zu machen, wurden seitdem einige Projekte ins Leben gerufen, um Chirurgen und Chirurginnen Möglichkeiten zu schaffen, komplexe Prozeduren sicherer zu trainieren. In seiner Forschungsgruppe an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig wurde u. A. die Simulationsanwendung RealSpine, eine hochrealistische Kunststoffsimulation für das Training in der Wirbelsäulenchirurgie, entwickelt. 2019 führten die Forschungsaktivitäten dazu, eine digitale Plattform zu entwickeln welche eine Ergänzung und Erweiterung zum analogen Training sein sollte. Eine Technologie, die sich den ungelösten Fragen im chirurgischen Training annimmt: Kann man Training messen? Wie kann Trainingserfolg in den OP transferiert werden? Wie kann man Training systematisieren?

Aus den Fragen ergibt sich der Titel des Projekts: Sensor based surgical training – integrated system and analytics (= Sebastian).

In der Luftfahrt wurden im Laufe der Zeit Ausbildungsformate entwickelt, die Training ohne echtes Risiko ermöglichen. In der Chirurgie werden demgemäß chirurgische Eingriffe zuerst am Präparat, am Tier, oder am Simulator trainiert, bevor junge Chirurgen und Chirurginnen das erste Mal selbst am Patienten Hand anlegen.

Für die vielen digitalen Trainingskonzepte (Virtual Reality, Augmented Reality, Mixed Reality), welche das Operieren am lebenden Menschen in einer virtuellen Umgebung simulieren, blieb ein nachhaltiger Erfolg aus. Vor allem die fehlende Haptik und ein OP-fremdes Szenario, ausbleibende Transfereffekte und somit ausbleibender Kompetenzzuwachs bzw. hohe Anschaffungskosten sind Gründe dafür.

Auch die Versuche, klassisches, bis spielerisches eLearning für die Chirurgie neu auszurichten, blieben bis dato weitgehend erfolglos.

Training in der Chirurgie kann also durch digitale Möglichkeiten nicht substituiert oder grundlegend verändert werden, sondern eher vereinfacht, ergänzt und systematisiert.

Feldanalyse – Mit chirurgischen Experten und Expertinnen im OP

In der ersten Forschungsphase des Sebastian-Projekts wurde analysiert, wer die Beteiligten im Training sind und wo die Verantwortlichkeiten liegen. Für bessere Qualität und letztendlich Sicherheit der Patienten und Patientinnen ist es notwendig, dass junge auszubildende Chirurgen und Chirurginnen nach wie vor von den älteren und erfahreneren Vorgesetzten lernen können. Wie zuvor erläutert, kann die Chirurgie – ein hochspezialisiertes Handwerk – nur analog, im „Szenario“, vom und mit dem Meister gelernt werden. Das seit Jahrhunderten etablierte Meister-Lehrlings-Prinzip „See One – Do One – Teach One“ kann trotz diverser Kritik (vgl. Rodrigue-Paz et al., 2009) nicht ersetzt werden (vgl. Hupp, 2018) und bildet in erweiterter Form die didaktische Grundlage des Projekts. Im ersten initialen Entwicklungsschritt wurde demgemäß ein Paradigmenwechsel für die Konzeption einer digitalen Lehr-Lern Umgebung vollzogen, um den unveränderlichen Ausbildungsbedingungen der Chirurgie gerecht zu werden.

Abb. 1: Training am Simulator, ein Ergebnis der Forschungsgruppe rund um Prof. Korb

Der Experte bzw. die Expertin wird ins Zentrum gerückt, weil gute Lehre letztendlich von der Ambition der Lehrenden bestimmt ist. In dieser Annahme sollten intelligente Tools den Herausforderungen der Lehrenden entgegentreten. Einzigartig ist, dass es in der Chirurgie, anders als in anderen Risikodomänen, keine speziell ausgewiesenen Lehrenden gibt. Die Chirurgen und Chirurginnen stehen viel eher pausenlos im OP. Für fachlich und pädagogisch qualitätsvolle Ausbildung des Nachwuchses muss nebenher gesorgt werden.

Abb. 2: Paradigmenwechsel: Fokus vom Trainee hin zum Experten

Unsere Studie Surgical Training in a World of limited Resources (Korb & Gernerth Mautner Markhof, 2019) hat neben dem Zeitproblem noch andere Herausforderungen des chirurgischen Trainings aus Experten- und Expertinnensicht aufgeschlüsselt. In der internationalen Studie wurden acht erfahrene Lehrende befragt und die Interviews mittels der Kognitiven Taskanalyse (vgl. Militello & Hutton, 1998), ausgewertet und interpretiert. Es konnte festgestellt werden, dass die fehlende Zeit bzw. strukturelle und finanzielle Probleme die Hauptprobleme im Training sind. Trotzdem muss die Ausbildung von den Experten und Expertinnen ausgehen. (siehe Abb. 3, Zeile: Pro „Do one, See one, Teach one“).

Abb. 3: Probleme im chirurgischen Training (Korb & Gernerth Mautner Markhof, 2019)

Daher muss die vordergründige Aufgabe sein, ein Konzept zu entwickeln, mit dem chirurgisches Good practise sharing zum hintergründigen, integrierten und systematisierten Bestandteil des OP-Alltags der Experten und Expertinnen wird.

MYSEBASTIAN: Eine Plattform für das Lehren und Lernen in der Chirurgie

Gemäß der oben genannten initialen Forschungsarbeiten wurde die intelligente und unabhängige Web-Plattform MYSEBASTIAN entwickelt. Die Browser-basierte Lösung ist responsive gestaltet und für jedes mobile Endgerät verfügbar.

Im Zentrum stehen die erfahrenen Chirurgen und Chirurginnen, welche über große Expertise verfügen, diese im OP anwenden, und dabei ständig noch mehr Wissen & Daten live im OP „produzieren“. Moderne Videotechnik ist untrennbar mit den wichtigen jüngeren Entwicklungen der Chirurgie (Endoskopie, Robotik etc.) verbunden. Es werden ununterbrochen große Datenmengen produziert, die größten Teils ungenutzt bleiben und in den unzugänglichen IT-Netzwerken der Krankenhäuser verhaftet bleiben.

Mit MYSEBASTIAN werden lernrelevante Case-Daten wie Videos, Bilder und Lernziele direkt aus dem OP mit vorgefertigten klinischen Prozeduren (Workflows) verknüpft. Die Workflows sind in einzelne Schritte und Unterschritte untergliedert und mit zugehörigen Inhalten befüllt. Ein einfach zu bedienendes UX-Konzept erlaubt den Usern, eigenen Lehrcontent mit nur wenigen Klicks den eigenen Bedürfnissen anzupassen.

Sowohl Trainees als auch die MedTech nutzen die aufbereiteten Daten für die Ausbildung bzw. die MedTech zudem für Content Management, Produktschulungen und Produktinnovationen. Aufgrund der Mobilität der Plattform wird MYSEBASTIAN für Hands-on-Kurse, Kongresse, Symposien und andere Events als Applikation genutzt. Es ist außerdem vorgesehen, dass sich die Nutzer bald mit verschiedenartigen Networking Tools direkt in MYSEBASTIAN vernetzen und austauschen können.

Für die Plattform wurde eine intelligente Ontologie, speziell angepasst an die Verhältnisse in der Chirurgie, entwickelt. Wissen wird nicht überschrieben, sondern kann nebeneinanderstehen. Konkret bedeutet das, dass sich klinische Workflows voneinander ableiten lassen, diese individuell angepasst werden können, jedoch die Vergleichbarkeit untereinander nicht verloren geht. Der mühsamen Suche nach einem einzigen Standard wird Einhalt geboten. Nunmehr entscheidet die Community im klassischen Review-Verfahren, welche Workflows als Best Practise gehandelt werden. Ein komplexes Rechte- und Rollenmanagement erlaubt einen Austausch ausschließlich unter Healthcare Professionals, nichtsdestotrotz ist der Einstieg niederschwellig und kostengünstig gehalten.

Abb. 4: MYSEBASTIAN – Eine intelligente und unabhängige Web-Plattform für das chirurgische Training

Der seit März 2020 laufende Beta-Test mit 44 aktiven Early-Adopter-Nutzern wurde im Januar 2021 evaluiert [1].

Dazu haben 21 Nutzer einen standardisierten Fragebogen online ausgefüllt.Unter den befragten Teilnehmern befanden sich fünf Chirurgen, 14 Medizintechnik-Vertreter, ein Student und ein Wissenschaftler.

85 % der Teilnehmer würden die Plattform an Chirurgen und Chirurginnen weiterempfehlen (42.9 % strongly agree; 42.9 % agree; 9.5 % neither agree nor disagree; 4.8 % disagree; 0 % do not agree at all).

90 % würden die Plattform an die Medizintechnik- und Pharmaindustrie für Produktschulungen weiterempfehlen (61.9 % strongly agree; 28.6 % agree; 9.5 % neither agree nor disagree; 0 % disagree; 0 % do not agree at all).

71.4 % der Teilnehmer meinen, MYSEBASTIAN kann für chirurgisches Training von den Lehrenden genutzt werden, 66.7 % sehen den Nutzen vor allem für die Lernenden, 57.1 % für Produktschulungen & Content-Management. Jeweils über 30 % der Befragten wünschen sich verbesserte Suchfunktionen (38.1 %) und online-Werkzeuge für „Benchmarking“ (33.3 %) im Training.

Insgesamt befindet sich das Forschungsprojekt somit auf dem richtigen Weg. Der neuartige Ansatz, Workflows und Trainings-Cases für das eLearning in der Chirurgie zu adaptieren, wird gut angenommen und sollte weiter ausgebaut werden.

Abb. 5: Funktionsmodell MYSEBASTIAN

Ausblick

Es braucht ein Umdenken im chirurgischen Training für mehr Qualität und Sicherheit. Mit MYSEBASTIAN wir der Ansatz verfolgt, dass digitale Möglichkeiten die ursächliche Konzeption von Ausbildung in der Chirurgie nicht umstoßen können und sollten. Die Zukunft der Chirurgie wird dennoch unweigerlich digital geprägt sein – sowohl im Operationssaal selbst, als auch im chirurgischen Training. Jedoch nicht per unreflektiertem Einsatz von „Digitalem“. Das Digitale sollte als Applikation zu bestehenden Konzepten verwendet werden.

Es benötigt simple Tools, die vor allem für die klinischen Experten und Expertinnen angepasst werden und im gestressten Berufsalltag funktionieren. Das kann schlussendlich Lehrende, Auszubildende und die forschende Industrie näher zusammenbringen.

Literatur

[1]   Gernerth Mautner Markhof, P., Korb, W., Miller, K., et al. (2021). Entwicklung und Validierung einer Online-Plattform für das chirurgische Training. Abstract wurde akzeptiert für den ÖCK2021, Salzburg, Österreich
[2]   Hupp, J. R. (2017). Strengthening feedback in surgical education. Journal of Oral and Maxillofacial Surgery, 75(2), 229-231.
[3]   Korb, W., Gernerth Mautner Markhof, P. et al., (2019). Surgical Training in a world of limited resources. White Paper. Self-publishing.
[4]   Militello, L. G., & Hutton, R. J. (1998). Applied cognitive task analysis (ACTA): a practitioner’s toolkit for understanding cognitive task demands. Ergonomics, 41(11), 1618-1641.
[5]   Rodriguez-Paz, J., Kennedy, M., Salas, E., Wu, A. W., Sexton, J. B., Hunt, E. A., & Pronovost, P. J. (2009). Beyond “see one, do one, teach one”: toward a different training paradigm. BMJ Quality & Safety, 18(1), 63-68.

Gernerth Mautner Markhof P, Frank K, Korb W: Die Zukunft des Digitalen im chirurgischen Training – Good Practise Sharing. Passion Chirurgie. 2021 Mai; 11(05): Artikel 03_02.

MYSEBASTIAN, Plattform für Management von chirurgischem Fachwissen

Weiterentwicklung der chirurgischen Lehre – Notizen aus dem Trainingssektor

Wir beschäftigen uns seit spätestens 2010 als interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Ärzten, Pädagogen und Psychologen, Technikwissenschaftlern und Designern unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Modernisierung und Verbesserung der chirurgischen Ausbildung. Den Anstoß dazu gab ein vom BMBF gefördertes Projekt zur Entwicklung eines innovativen Simulationssystems für das chirurgische Training im Bereich Wirbelsäulenchirurgie, hier konkret für die Standard-OP einer lumbalen Diskektomie. Neben dem technologischen Ziel der Entwicklung eines Simulationsgeräts war von Anfang an die Konzeption eines adäquaten Trainingsentwurfs geplant, der den Kompetenzerwerb effektiv leiten und unterstützen sollte. Eine Haupterkenntnis aus unserer ersten qualitativ ausgerichteten Feldforschung war: Zur kompetenten Abwicklung einer Diskektomie gehört mehr als die Beherrschung rein technischer Skills [1].

Auch wenn die genannten non-technical skills am OP-Tisch nicht stetig und vordergründig in Erscheinung treten, sind sie nach Meinung der von uns interviewten Neurochirurgen doch von wesentlicher Bedeutung für das perioperative Management des Gesamtprozederes. Sie sollten deshalb unbedingt und „irgendwie“ bei der Trainingsgestaltung berücksichtigt werden. Dies führte uns notwendig zu unserer nächsten Forschungsfrage: Wie halten es die Chirurgen eigentlich mit der Lehre?

Als bis heute die chirurgische Ausbildung bestimmende Elemente identifizierten wir das „Meister-Schüler-Prinzip“ und das „See one-do one-teach one“-Prinzip. Beide spiegeln die besondere Bedeutung von Demonstration sowie Beobachtung und Imitation in der chirurgischen Lehre. Als konstituierende Lehr-Lern-Techniken werden sie mit Sicherheit einen wichtigen Platz auch in der Zukunft behalten. Fraglich und weithin skeptisch diskutiert ist allerdings, ob die traditionelle „Meister-Schüler-Didaktik“ alle Anforderungen an eine moderne Ausbildung abdecken kann, ob die mit ihr verbundenen kulturellen Umgangsformen zwischen den Beteiligten noch zeitgemäß sind und wie die Grundprinzipien einer modernen Weiterbildungsdidaktik letztlich aussehen könnten [2].

Abb. 1: Antworten auf die Frage nach Kompetenz(bestandteil)en, die im pädagogischen Konzept für ein Simulationstraining der Diskektomie berücksichtigt werden sollten (Quelle: Interviewstudie ForMaT/ISTT, 2010).

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Strukturierung

Die ökonomisch-organisatorischen Rahmenbedingungen der Weiterbildung haben sich in den letzten Dekaden rapide gewandelt [3]. Eine Meister-Schüler-Kontinuität, im Sinne eines regelmäßigen täglichen Umgangs aller Akteure, ist längst nicht mehr gegeben. Viele Fachärzte treffen heute auf viele und wechselnde Assistenzärzte, ohne dass es zu langfristigen Lehrer-Lerner-Arrangements kommt. Damit kann notwendig ein Ausbildungssystem, das allein auf den traditionellen Grundprinzipien beruht, nicht mehr funktionieren. Die moderne Medizinpädagogik stellt ein ganzes Portfolio makro- und mikrodidaktischer Strategien und Methoden bereit, die für die Weiterbildung adaptiert werden können [4]. Wir haben vielfach beobachtet, dass Kliniken bereits erste Schritte in diese Richtung tun und zum Beispiel interne Curricula erstellen, die durch die Definition konkreter mittel- und langfristiger Lernziele eine Strukturierung der Weiterbildung sichern und diese für alle Beteiligten zu jedem Zeitpunkt transparent machen. Der Einsatz von validierten Assessmentinstrumenten, anhand derer die individuelle Leistungsentwicklung resp. die Lernkurve der Weiterbildungsassistenten verfolgt und dargestellt werden könnte, würde diese Strukturen sinnvoll ergänzen. Hier seien vor allem die Instrumente des Workplace based und Procedere based Assessment angeführt, die international bereits erfolgreich eingesetzt werden. Eine umfangreiche Sammlung von Assessmentinstrumenten, u. a. für die wichtigsten chirurgischen Prozeduren der einzelnen Fachgebiete, findet sich auf dem Webportal zur gemeinschaftlichen Curriculumsentwicklung und -realisierung des Royal College of Surgeons of England [5]. Der (zumindest klinikintern) standardisierte Gebrauch solcher Instrumente würde eine objektive Bewertung der Leistungen und die Gewährung eines, von den Assistenzärzten vielfach eingeforderten, qualitativen Feedbacks garantieren.

Lehr-Lern-Kultur

Ein Grundsatz der Pädagogik besagt, dass Lernen mit Erwachsenen keine Erziehung ist; vielmehr haben wir es hier mit selbstgesteuerten und selbstverantwortlichen Individuen zu tun, die sich in der Regel freiwillig für eine Ausbildung, Weiterbildung, Fortbildung entschieden haben. Der Umgang miteinander sollte von gegenseitigem Respekt geprägt sein. Dementsprechend ist autoritäres Verhalten von Lehrpersonen, das auf Abhängigkeiten baut und einen prinzipiell unbedingten Gehorsam einfordert, nicht hinnehmbar und dürfte ohnehin endgültig der Vergangenheit angehören. Erfahrungen belegen, dass es nicht nur möglich, sondern sogar sehr wirkungsvoll ist, Assistenzärzte in die Mitverantwortung für das Management ihrer Ausbildung einzubinden. Das britische System zum Beispiel garantiert den Trainee Doctors das Recht auf regelmäßige Beurteilung ihrer Leistungen durch Kollegen und Vorgesetzte [6]. Für die Einholung dieses Feedbacks jedoch – unter terminlichen und organisatorischen Gesichtspunkten – sind sie selbst zuständig, ebenso wie für die rechtzeitige Zusammenstellung aller weiteren erforderlichen Dokumente in den einzelnen Etappen ihrer Ausbildungsgänge. Der Erfolg dieses Modells taugt vielleicht auch dazu, Befürchtungen zu zerstreuen, eine Modernisierung der Weiterbildung in Deutschland müsse stark verschulte Strukturen annehmen, die mit einer übermäßigen Mehrbelastung für die lehrenden Fachärzte einhergehen.

Methodenkompetenz

In unseren Forschungen zur Ausprägung von Lehrkompetenzen bei Fachärzten haben wir festgestellt, dass eine ganze Reihe der sich bietenden Lehr-Lern-Gelegenheiten im klinischen Alltag instinktiv wahrgenommen werden, auch ohne dass dies beständig als absichtsvolles didaktisches Handeln im Bewusstsein aller Beteiligten läge. Andererseits bleiben viele solcher Gelegenheiten – im täglichen Lehren und Lernen in der Niederlassung oder Ambulanz, auf Station oder im OP – noch ungenutzt. Es kommt u. E. jetzt vor allem darauf an, den Akteuren der Weiterbildung das vorhandene Potenzial bewusst zu machen, existierende didaktische Fähigkeiten zu vertiefen und weiter zu entwickeln [7], mit dem Ziel, ein systematisches, kompetenzbasiertes und für beide Seiten noch befriedigenderes Lehren und Lernen zu ermöglichen.

Ähnlich wie andere Aktive im Erneuerungsprozess der chirurgischen Weiterbildung haben wir aus diesem Grund einen Basiskurs „Train-the-Trainer“ entwickelt, den wir interessierten Klinikern seit 2013 anbieten. Schwerpunkte des Kurses bilden knapp gehaltene Verständigungen über die Strukturierungsmöglichkeiten des Lehrens und Lernens, eine intensive Beschäftigung mit Assessment und Feedback, sowie der Austausch über mikrodidaktische Methoden und Techniken für den klinischen Lehralltag.

Szenariobasiertes Training

Zurück zum Ausgangspunkt unseres Engagements und zu einer speziellen Trainingsmethode: Für das Lernen am und mit dem von unserer Arbeitsgruppe entwickelten Simulator haben wir schließlich ein szenariobasiertes Training entwickelt, das den oben erörterten Anforderungen entgegen kommt. Szenariobasiert heißt hier: Ein realer klinischer Fall wird nachgestellt (bei Übereinstimmung von Simulator und Patientendokumentation, einer authentischen OP-Umgebung und Equipment) und dessen perioperatives Management trainiert. Die Trainees arbeiten sich in vorhandene Patientenunterlagen ein, untersuchen den (Schauspiel-)Patienten und führen ein OP-Aufklärungsgespräch durch. Danach hat jeder Trainingsteilnehmer die Gelegenheit, eine Diskektomie unter Nutzung des OP-Mikroskops selbständig und vollständig an unserem Kunststoffmodell durchzuführen. Assistiert wird ihm dabei von einem anderen Teilnehmer. Den Abschluss bildet ein ausführliches, ca. 15 bis 20-minütiges Feedback für jeden Nachwuchschirurgen durch den betreuenden chirurgischen Trainer – einem erfahrenen Facharzt der Neurochirurgie oder Orthopädie/Unfallchirurgie. Die genutzten Vorlagen des Procedere based Assessment werden den Trainees am Ende ausgehändigt. Sowohl Teilnehmer als auch Trainer der bisherigen Kurse zeigten sich begeistert von Konzeption und Durchführung der Trainings. Alle teilnehmenden Assistenzärzte erreichten ihre selbstformulierten Lernziele und wünschten sich für sämtliche zu erlernenden chirurgischen SOP ein ähnlich gestaltetes Training.

Abb. 2: Simulation – Authentizität ist Trainingsprinzip.OEBPS/images/02_07_A_08_2015_Korb_image_02.jpg

Profil des chirurgischen Trainers

Zu den sich verändernden Rahmenbedingungen der Weiterbildung gehören zunehmend auch internationale Migrationsbewegungen von ausgebildeten und in Ausbildung befindlichen Ärzten, was die Problematik einer objektiven Bewertung und Vergleichbarkeit von chirurgischen Leistungen aktuell auf eine neue Stufe stellt. Als Antwort darauf streben viele Fachgesellschaften bereits eine standardisierte europäische Facharztprüfung an, die freiwillig und zusätzlich zu den nationalen Prüfungen abgelegt werden kann. Einer der nächsten logischen Schritte wäre aus unserer Sicht, auch die Ausbildung und die Anforderungen an die Ausbilder zu standardisieren. Aus diesem Grund realisieren wir, gemeinsam mit chirurgischen Trainingsinstituten aus Spanien, Ungarn und Rumänien, seit Anfang 2015 ein EU-gefördertes Projekt zur Feststellung eines „Europäischen Profils chirurgischer ­Trainer“. Wir werden in einem ersten Schritt eine Vergleichsstudie zu den nationalen Rahmenbedingungen der Weiterbildung und den Anforderungen an chirurgische Lehrer durchführen, um auf deren Basis dann später ein Curriculum für eine gemeinsame Train-the-Trainer-Ausbildung entwickeln und testen zu können.

Ungeachtet der notwendigen Novellierung der zentralen Musterweiterbildungsordnung haben uns die Auswertung vieler Initiativen weiterbildender Einrichtungen und die positive Resonanz auf unsere eigenen Trainingsangebote in der Annahme bestätigt, dass die dringend eingeforderte Verbesserung des Weiterbildungssystems ihren Anfang an der Basis nehmen kann. Weiterhin viel Erfolg dabei!

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Train-the-Trainer-Curricula (SurgTTT)

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Surgical Simulation Training System

Literatur

[1] Adermann J, Geißler N, Bernal LE, Kotzsch S, Korb W: Development and validation of an artificial wetlab training system for the lumbar discectomy. Eur Spine J. 2014; 23(9):1978–83

[2] Krüger M: Ist die chirurgische Weiterbildung noch zeitgemäß? Gedanken eines Betroffenen zur Zukunftsfähigkeit der chirurgischen Weiterbildung. BDC-Online 01.04.2009; Download am 21.12.2011

[3] Adili F, Kadmon M, König S, Walcher F: Professionalisierung der Lehre im chirurgischen Alltag. Der Chirurg-Online 11.09.2013; Download am 13.05.2014

[4] David DM et al.: Die Zukunft der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland – Positionspapier des Ausschusses Weiterbildung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). GMS Z Med Ausbild. 2013; 30(2):Doc26.

[5] https://www.iscp.ac.uk

[6] The Trainee Doctor. General Medical Council 2011. www.gmc-uk.org/Trainee_Doctor.pdf_39274940.pdf

[7] Hesketh EA: A framework for developing excellence as a clinical educator. Med Educ 2001; 35:555–564

[8] BDC/BDI: Keine Zeit für Weiterbildung? Mastertrainer! Passion Chirurgie. 2015; 5(04): Artikel 03

Korb W. / Kotzsch S. Weiterentwicklung der chirurgischen Lehre – Notizen aus dem Trainingssektor. Passion Chirurgie. 2015 August, 5(08): Artikel 02_07.