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Safety Clip: Morbiditäts und Mortalitätskonferenzen zur Förderung der Sicherheitskultur

Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (MMK) finden seit Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Der Anteil an MMK in Allgemeinkrankhäusern ist in den letzten acht Jahren deutlich gestiegen.1 Das liegt zum einen daran, dass in der „Qualitätsmanagement-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung“ (QM-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses aus dem Jahr 2016 die Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen im Teil B § 1 Satz 6 QM-RL beispielhaft als Instrument des klinischen Risikomanagements aufgeführt werden, zu dessen Einführung die stationären Einrichtungen verpflichtet sind. Auch Ärztekammern und das Aktionsbündnis für Patientensicherheit empfehlen die Durchführung von MMKs. Zum anderen ist der Nachweis von MMKs zur Erlangung ausgewählter Zertifikate wie OnkoZert erforderlich.

Der Stellenwert der Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen begründet sich in ihrem Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit und Behandlungsqualität. In einer MMK werden Behandlungsverläufe reflektiert, sodass mögliche Abweichungen von etablierten Handlungsroutinen auffallen. Diese werden interdisziplinär besprochen, mit dem Ziel, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung abzuleiten. Damit wird die MMK zum Spiegelbild der gelebten Sicherheitskultur und einem Instrument des individuellen und organisationalen Lernens.

MMK-Leitfäden und ihre Durchdringung in der Praxis

Im deutschsprachigen Raum liegen verschiedene Leitfäden zur Methodik von MMKs vor, zum Beispiel von der Bundesärztekammer in Deutschland oder der Stiftung Patientensicherheit in der Schweiz. Mit Blick auf die Durchführung von MMKs fällt allerdings auf, dass knapp ein Viertel der MMKs ohne Struktur erfolgen, einige Gesundheitsunternehmen kein einheitliches Konzept haben und nur in etwa zwei Dritteln der Fälle ein berufsgruppenübergreifender Ansatz gewählt wird. Damit stellt sich die Frage nach der Qualität. Wenn MMKs allein dazu dienen, formale Anforderungen zu erfüllen, sind sie kein Ausdruck einer selbstkritischen und förderlichen Patientensicherheitskultur. Ihre Wirkung in dieser Hinsicht verpufft. Umso wichtiger ist die Rolle der Führungskräfte bei der Ausgestaltung und Umsetzung von Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen.

Die Rolle der Führungskraft

Führungskräfte können aktiv Einfluss auf die Struktur einer MMK und darüber hinaus auf die Sicherheitskultur ihrer Abteilung nehmen und sie in ihrem Sinne weiterentwickeln. Folgende Fragestellungen helfen, eine MMK zu strukturieren, sodass sie ihr Ziel erfüllt, nämlich das individuelle und organisationale Lernen zu verbessern und damit auch die Patientensicherheit zu fördern.

1.  Kommt es während einer MMK zu einem offenen Dialog der Anwesenden oder ist die Beteiligung gering und ein kontroverser Austausch entsteht nicht?

Im zweiten Fall könnten die Teilnehmenden Angst vor Restriktionen haben. Hier ist es Aufgabe der Führungskraft, ein Klima des offenen Dialogs zu schaffen, damit möglichst viele Mitarbeitende bereit sind, ihre Gedanken mit den Kolleginnen und Kollegen zu teilen. Denn nur so werden verschiedene Perspektiven reflektiert, die letzten Endes zu einer Optimierung der Behandlung beitragen können.

2.  Sind die Anwesenden bereit, mögliche Ursachen für den Outcome der Patientin bzw. des Patienten auch in der Organisation des Behandlungsablaufs zu sehen und zu diskutieren oder wird sich allein auf die medizinische Versorgung beschränkt?

Daran lässt sich erkennen, welches Verständnis die Mitarbeitenden von Fehlerentstehung in der Medizin haben. Die Mehrheit von Fehlern in der Patientenversorgung basiert nicht auf fachlichen Mängeln, sondern liegt in der Kommunikation und Organisation der Behandlung. Die Führungskraft sollte immer wieder auch dahingehende Fragen stellen, zumal die Organisation der Abteilung in ihrem Verantwortungsbereich liegt.

3.  Möglicherweise werden Konflikte zwischen Berufsgruppen oder einzelnen Akteuren erkennbar. Können die Konfliktparteien konstruktiv zusammenarbeiten oder blockiert der Konflikt die weitere Zusammenarbeit und kann damit ursächlich für Patientenschäden werden?

Hier kann die Führungskraft möglichen Handlungsbedarf ableiten. Fachliche Kontroversen kann die Führungskraft in einer MMK durch die Erläuterung des aus ihrer Sicht besten Vorgehens lösen. Dadurch setzt sie den Mitarbeitenden einen Interpretationsspielraum, wie in solchen Fällen zu verfahren ist. Konflikte, die auf der Beziehungsebene liegen, können in einer MMK nicht geklärt werden. Treten sie zutage, sollte die Führungskraft prüfen, ob Handlungsbedarf besteht, der dann anderweitig realisiert wird.

4.  Stellt sich heraus, dass Vorgaben bzw. definierte Behandlungsprozesse nicht eingehalten werden?

Die Führungskraft kann am dargestellten medizinischen Behandlungsverlauf erkennen, ob die von ihr gemachten Vorgaben von den Mitarbeitenden umgesetzt werden. Dies gibt Auskunft über deren Compliance und den Durchdringungsgrad in der Praxis. Sollten Vorgaben nicht eingehalten werden, ist zu eruieren, ob es sich um eine einmalige Abweichung oder um eine nicht erfüllbare Vorgabe handelt und Anpassungen erforderlich sind. Deren Evaluierung kann ebenfalls im Rahmen der MMK erfolgen.

5.  Nimmt die Führungskraft an der MMK konzentriert und aktiv teil oder lässt sie sich durch nicht dringliche Telefonate ablenken, kommt zu spät und geht vor dem Ende?

Die Mitarbeitenden können am Verhalten der Führungskraft erkennen, welche Bedeutung die MMK für ihre Führungskraft und in ihrer Abteilung hat. Die Führungskraft ist Vorbild. Ihr Verhalten ahmen die Mitarbeitenden nach. Mitarbeitende kommen ebenfalls zu spät und/oder gehen eher, telefonieren o. ä. Aufgrund dieser Störungen ist ein konstruktiver Dialog nicht möglich. Im Ergebnis finden MMKs zwar der Form halber statt, können aber nicht zu einer Verbesserung der Behandlungsqualität beitragen.

6.  Wie ist mit Fehlern der Mitarbeitenden umzugehen?

Bei der Bewertung des medizinischen Vorgehens und der Organisation der Behandlung können Fehler des Einzelnen erkannt werden. Wie die Führungskraft damit umgeht, wird von den Mitarbeitenden genauestens registriert. Hier kann die Führungskraft durch ihr Verhalten die Sicherheitskultur in der Abteilung aktiv beeinflussen. Die Mitarbeitenden erfahren, ob es bei einem Fehler zu einer Bloßstellung oder harten, verbalen Formulierungen kommt, und ziehen daraus ihre Schlüsse. Im schlimmsten Fall lernen die Teilnehmenden, Fehler zu verschweigen, wenn sie passieren. Das Lernen aus Fehlern wird damit deutlich eingeschränkt. Auch die gegenteilige Reaktion der Führungskraft ist für eine Sicherheitskultur im Sinne der Patientensicherheit nicht sinnvoll. Scheint der Führungskraft der gemachte Fehler bedeutungslos, nehmen die Teilnehmenden mit, dass das eigene Handeln keine Konsequenzen hat. Die Führungskraft prägt den Umgang mit Fehlern in ihrer Organisationseinheit und die Teilnehmenden lernen daraus.

7.  Findet ein interdisziplinärer Austausch statt?

Für die Patientensicherheit ist die reibungslose interdisziplinäre Zusammenarbeit von großer und oftmals entscheidender Bedeutung. Daher sollten MMKs immer interdisziplinär durchgeführt werden. Innerhalb einer Abteilung ist die Anwesenheit der ärztlichen und pflegerischen Berufsgruppen sinnvoll. In ausgewählten Fällen sollten die in die Behandlung involvierten Berufsgruppen ebenfalls einbezogen werden. Eine Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz ist ein Instrument des individuellen und organisationalen Lernens. Eine Organisationseinheit kann dann lernen, wenn alle an ihr beteiligten Berufsgruppen vertreten sind. Die Mitarbeitenden erkennen am Miteinander der Führungskräfte, wie die Kommunikation und der Grad der Kooperation zwischen den Abteilungen gestaltet ist. Im besten Fall sind diese so konstruktiv, dass ein niedrigschwelliges Hinzuziehen konfliktfrei erfolgt.

Tipps zur Gestaltung von Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen im Klinikalltag

In Zeiten von Personal- und Fachkräftemangel, Krankenhausreformplänen und desolater wirtschaftlicher Lage vieler Kliniken scheint die Durchführung von Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen nebensächlich zu sein. Hinzu kommt, dass die vorhandenen Leitfäden zwar sehr gut den Ablauf und die Methodik beschreiben, deren Übertragung in die Praxis in Anbetracht der fehlenden personellen, zeitlichen und wirtschaftlichen Ressourcen allerdings visionär und nur wenig realistisch klingt. Auf deren Durchführung zu verzichten, wäre jedoch gleichbedeutend mit einem Verzicht auf individuelles und organisationales Lernen, Förderung der Patientensicherheit und letztendlich der Mitarbeiterführung. Ist eine Abteilung wegen fehlender Ressourcen gezwungen, MMKs möglichst zeit- und kostensparend umzusetzen, braucht es eine praktikable und systematische Vorgehensweise. Diese könnte wie folgt gestaltet sein:

Vorbereitung

Innerhalb der Abteilung sind Kriterien festgelegt, welche Fälle für eine MMK infrage kommen. Ob ein Fall den Kriterien entspricht, kann in den Frühbesprechungen diskutiert werden. Innerhalb eines definierten Zeitraums, zum Beispiel drei Monate, werden die Fallnummern im Sekretariat gesammelt. Der Chefarzt und/oder leitender Oberarzt wählen in Vorbereitung einer MMK drei Fälle aus. Diese werden von verschiedenen Mitarbeitenden inhaltlich aufbereitet. Zur Vereinfachung wird ein Foliensatz zur Verfügung gestellt, in den der Behandlungsverlauf eingesetzt wird. Dieser orientiert sich an einem der verfügbaren Leitfäden. Der Teilnehmerkreis wird mit Nennung von Zeitpunkt und Ort eingeladen.

Durchführung

Es wird eine Teilnahmeliste geführt. Darauf ist auch der Hinweis auf die Vertraulichkeit der MMK enthalten. Zwingend sollte ein Moderator bestimmt werden, der nicht am Behandlungsverlauf beteiligt gewesen und nicht die Führungskraft selbst ist. Der Schwerpunkt der MMK ist die konstruktive Diskussion – im Sinne einer Ursachenforschung. Die unterschiedlichen beruflichen Perspektiven auf das Geschehen sollten erläutert werden.

Nachbearbeitung

Falls Maßnahmen abgeleitet werden, sind diese in einem Ergebnisprotokoll festzuhalten. Das kann bereits während der MMK am PC in einer Vorlage erfolgen. Nach Abschluss der MMK wird das Ergebnisprotokoll an die Abteilungsleitung zur Freigabe geschickt. Die Abteilung für Qualitäts- und Risikomanagement erhält eine Kopie zur Veröffentlichung im Intranet und Maßnahmennachverfolgung.

Literatur

[1]   Qualitätsmanagement-Richtlinie. Richtlinie über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sowie zugelassene Krankenhäuser – QM-RL
[2]   https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2309/QM-RL_2020-09-17_iK-2020-12-09.pdf, zuletzt eingesehen am 16.06.2023.
[3]   KHaSiMiR 21 – Krankenhausstudie zur Sicherheit durch Management innerklini-scher Risiken 2021-22, Download Bericht 1: Ergebnisse der Befragung zur Implementierung des klinischen Risikomanagements
[4]   Download Bericht 2: Vergleich der Befragungsergebnisse zwischen 2010, 2015 UND 2022
[5]   https://www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2023/01/KHaSiMiR_ Abschlussbe-richt_Teil-II.pdf, zuletzt eingesehen am 16.06.2023.
[6]   Schrappe, M. (2018). APS-Weißbuch Patientensicherheit. Sicherheit in der Gesundheitsversorgung: neu denken, gezielt verbessern. Hrsg. vom Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS). Gefördert durch den Verband der Ersatzkassen (vdek). Mit Geleitworten von Jens Spahn, Donald M. Berwick und Mike Durkin (1st ed.). Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
[7]   St. Pierre, M. & Hofinger, G. (2014). Human Factors und Patientensicherheit in der Akutmedizin (3. Auflage). Springer: Berlin/Heidelberg

1   Aktuelle Ergebnisse der „KHaSiMiR 21 – Krankenhausstudie zur Sicherheit durch Management innerklinischer Risiken 2021-22“ zeigen, dass der Anteil von Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen in Allgemeinkrankhäusern von 2015 auf 2022 zugenommen hat, von etwa 85 Prozent auf ca. 93 Prozent.

Triphaus V: Safety Clip: Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen zur Förderung der Sicherheitskultur – Auf das „Doing“ kommt es an. Passion Chirurgie. 2023 Oktober; 13(10): Artikel 04_02.

Safety Clip: Mit den Instrumenten des Risikomanagements dem Personalmangel wirkungsvoll begegnen

Dem klinischen Risikomanagement wird vor allem eine hohe Bedeutung zugesprochen, wenn es darum geht, Patientenschäden zu vermeiden. Dazu werden seine Instrumente, beispielsweise die OP-Sicherheitscheckliste oder das Patientenidentifikationsarmband, im Klinikalltag konsequent angewendet. Doch Risikomanagement ist auch geeignet, zur Bindung von Mitarbeitenden beizutragen, wie Risikoberaterin Vera Triphaus ausführt.

Ein systematisch angewandtes Risikomanagement berücksichtigt neben den klinischen Risiken auch die wirtschaftlichen und operativen Risiken der „Unternehmung Krankenhaus“. Betrachtet man diese nicht klinischen Risiken, wird ein Problem immer deutlicher: der Personal- und Fachkräftemangel in den Krankenhäusern. Es fehlt an Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten. Sind sie nicht ausreichend vorhanden, müssen Operationen verschoben oder Intensivbetten temporär geschlossen werden. Damit sinkt auch die Einnahmenseite des Krankenhauses.

Babyboomer und Personalnotstand

Die Auswirkungen des demografischen Wandels tragen zu diesem Personalnotstand bei. Die Krankenhäuser profitierten in den vergangenen Jahren von der Tatsache, dass die Babyboomer-Generation ausreichend Köpfe zur Bewältigung der Arbeit stellte. Doch diese Generation befindet sich an der Schwelle zum Renteneintritt und verlässt bis spätestens Mitte der 30er Jahre den Arbeitsmarkt. Die nachfolgende Generation hat neue, erweiterte oder schlichtweg andere Vorstellungen zum Berufs- und Privatleben, zum Beispiel hinsichtlich des wöchentlichen Arbeitsumfangs. Waren im Jahr 2011 nur 10,9 Prozent der Chirurginnen und Chirurgen in Teilzeit beschäftigt, stieg deren Zahl bis 2017 auf 20,9 Prozent an. Dies erklärt sich nicht allein durch einen höheren Anteil an Frauen in dieser Berufsgruppe, denn der stieg im selben Zeitraum nur um 3,4 Prozent an (Destatis, Grunddaten der Krankenhäuser 2011 & 2017).

Als Risikoberaterinnen und -berater gehen wir in viele Krankenhäuser und begegnen dort täglich der Frage: Wie können wir das Strukturproblem „Personalnot“ lösen? Unsere Erfahrung als GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH lautet: Werden Instrumente des klinischen Risikomanagements auch in der Personalpolitik eines Hauses eingesetzt, können Mitarbeitende gewonnen, ans Haus gebunden und bewährte Kräfte langfristig gehalten werden. Auch dem frühzeitigen Ausstieg wird vorgebaut. Dies setzt voraus, dass die Personalpolitik sich von einer administrativen Tätigkeit hin zu einer proaktiven Gestaltung weiterentwickelt. Zur Umsetzung einer solchen Personalstrategie kann der im Risikomanagement angewendete Top-Down- und Bottom-Up-Ansatz angewendet werden. Übertragen auf die Personalpolitik bedeutet das: Die oberste Leitung setzt die Maßnahmen zur Personalgewinnung und -bindung um, das Personal selbst nimmt an den Maßnahmen teil und akzeptiert sie. Im Sinne des vierstufigen Regelkreises des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses „Plan, Do, Check, Act“ (PDCA-Zyklus) darf die Evaluation der festgelegten und umgesetzten Maßnahmen nicht fehlen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Umsetzung weiterer Maßnahmen ein, so dass alle – top-down und bottom-up ebenso wie horizontal – an der kontinuierlichen Verbesserung arbeiten.

Maßnahmen des Risikomanagements in die Personalpolitik übertragen

Eine proaktive Personalpolitik unter Zuhilfenahme des Risikomanagements kann folgendermaßen gestaltet werden:

1. Ist-Situation analysieren

Zu Beginn eines Verbesserungsprozesses steht die Analyse der Ist-Situation. Neben der Auswertung von personalbezogenen Kennzahlen wie Fehlzeiten und Fluktuationsrate wird das im Risikomanagement bewährte Instrument der Mitarbeiterbefragung eingesetzt. Bei klinischen Risiken sollen damit mögliche Sicherheitsdefizite in der Patientenversorgung aufgedeckt werden. Im Kontext der Mitarbeiterbindung können die Arbeitsplatzzufriedenheit und Arbeitsplatzperspektiven für die nächsten zehn Jahre erfragt werden. Mitarbeitende sind in der Lage, gut und präzise auf Probleme, Herausforderungen und Verbesserungsmöglichkeiten ihres Arbeitgebers hinzuweisen.

2. Änderungswünsche identifizieren, priorisieren und bearbeiten

Die Erkenntnisse einer solchen Befragung zeigen Stärken und Schwächen der Abteilung und des Krankenhauses auf. Nicht alle Schwächen sind behebbar. Beispielsweise lässt sich eine bessere Bezahlung bei Tarifbindung nicht realisieren. Andere Wünsche der Mitarbeitenden, zum Beispiel Kinder- oder Angehörigenbetreuung, ausreichende Parkmöglichkeiten etc. können identifiziert, priorisiert und bearbeitet werden. Zudem erhält die Krankenhausleitung Informationen über mögliche Abwanderungstendenzen oder Wünsche nach Arbeitszeitreduzierungen. Die Erkenntnisse geben Hinweise darauf, wie groß eine eventuelle Personallücke sein wird – und in welcher Höhe damit das Budget für Honorarkräfte eingeplant werden muss. Ebenfalls können nach Hospitationen und bei Kündigungen entsprechende Fragen in den Abschlussgesprächen gestellt werden.

3. Stärken beibehalten und ausbauen

Aber auch von den Mitarbeitenden genannte Stärken, wie beispielsweise das Angebot betrieblicher Gesundheitsförderung, sollten erhalten und ausgebaut werden – und zwar so, dass die Mitarbeitenden das als Wertschätzung erkennen und honorieren.

Peter und Hasselhorn stellen in ihrem Modell „Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe“ (2013) dar, dass die Motivation des Einzelnen zur Erwerbsteilhabe abhängt von seiner Arbeitsfähigkeit, Gesundheit und physiologischen Alterung sowie von der Arbeit selbst. Sie zeigen auf, dass bei bestehender finanzieller Absicherung allein die Motivation des/r Einzelnen über seine Erwerbsteilhabe entscheidet.

Faktoren, die die Motivation beeinflussen, können aktiv gestaltet werden, beispielsweise, indem die physische und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz gefördert wird. Neben der physischen Arbeitsplatzgestaltung kann der psychischen Belastung vorgebeugt werden, beispielsweise durch die gute Gestaltung von Führung. Damit lassen sich Fehlzeiten und die frühzeitige Aufgabe der Erwerbstätigkeit vermindern.

4. Hierarchien abbauen, Arbeitsklima verbessern

Krankenhaushierarchien abzubauen, ist eines der Ziele des Risikomanagements, um die Patientensicherheit zu erhöhen. Denn starre Krankenhaushierarchien sind für Fehler in der Patientenversorgung verantwortlich. Wie kommt das? Auf Grund ihrer Stellung trauen sich Mitarbeitende nicht, auf Fehler oder Verstöße von in der Hierarchie über Ihnen stehenden Mitarbeitenden hinzuweisen. So kann es zu – vermeidbaren – Behandlungsfehlern kommen. Auch für die Personalpolitik sind flache Hierarchien ein erstrebenswertes Ziel. Denn eine Kommunikation unter den Mitarbeitenden, die unabhängig von der fachlichen Qualifikation gleichberechtigt und respektvoll verläuft, trägt zu einem guten Arbeitsklima, zur Mitarbeiterbindung und zur Vermeidung von psychischen Belastungen bei. Flache Hierarchien sind somit ein motivationsbeeinflussender Faktor.

Aber auch die Arbeit selbst ist in flachen Hierarchien für die Mitarbeitenden interes­sant. Aus Sicht des Risikomanagements braucht es eindeutige Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten, in denen der Handlungsspielraum des Einzelnen in der Patientenversorgung definiert ist. So muss der Assistenzarzt wissen, ab wann er die Fachärztin hinzuziehen muss. Übertragen auf das Konzept der gesunden Führung, hat der/die einzelne Mitarbeiter/in mit dem/der Vorgesetzten Leitplanken abgestimmt, innerhalb derer eigenständige Entscheidungen getroffen werden. Die Leitplanken werden regelmäßig neu festgelegt. Damit wird ihr/ihm ein frei gestaltbarer Handlungsspielraum zugestanden. Der/die Vorgesetzte erwartet die korrekte Bewältigung der gestellten Aufgaben innerhalb der Leitplanken und der/die Mitarbeiter/in Lob und Anerkennung nach Erledigung. Das wirkt sich positiv auf die Arbeitszufriedenheit aus und entlastet den/die Vorgesetzte/-n. Vorgesetzte und Mitarbeitende befinden sich demnach in einem kontinuierlichen Dialog. Die Führungsaufgabe ist: die Beziehung kontinuierlich zu gestalten. Starre Hierarchien werden dadurch abgebaut (Lohmer, Sprenger, von Wahlert, 2012).

Auch die Arbeit in Projektgruppen kann diesen Abbau unterstützen. In einer Projektgruppe werden die bestehenden Hierarchien aufgehoben und jedes Mitglied ist gleichberechtigt. Die gleichberechtigte Kommunikation kann geübt und in den Klinikalltag übertragen werden.

5. Maßnahmen als Fortbildung nutzen

Die genannten Beispiele sind Teil einer proaktiven Personalpolitik mit Instrumenten des klinischen Risikomanagements. Weitere Instrumente, die zur Patientensicherheit und zugleich zur Mitarbeiterbindung beitragen, können regelmäßige Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen, retrospektive Fallanalysen und Simulationstrainings sein. Neben Zugewinn an fachlichen Kenntnissen bieten solche Maßnahmen auch Möglichkeiten zur Fortbildung und zur Bearbeitung von Teamfaktoren, wie Störungen in der Kommunikation in zeitkritischen Situationen oder fehlendes beziehungsweise fehlerhaftes Wissen zu festgelegten Vorgehensweisen. Wenn diese Instrumente in einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung eingesetzt werden, empfinden Mitarbeitende sie als Bereicherung. Denn Mitarbeitende möchten ihre berufliche Qualifikation erhalten und ausbauen, auch die über 50-Jährigen. Ihnen das mit Verweis auf das Alter vorzuenthalten, wird als Zurücksetzung empfunden. Risikomanagement fordert per se die regelmäßige Teilnahme aller Beschäftigten an diesen Maßnahmen und trägt damit zur Gleichbehandlung bei.

Patientensicherheit und Mitarbeiterbindung zugleich

Die Instrumente des Risikomanagements sind dazu gedacht, die Patientensicherheit zu erhöhen. Zugleich sind sie dazu geeignet, Mitarbeitende zu gewinnen und an die Einrichtung langfristig zu binden. Oftmals sind die Ergebnisse einer erfolgreichen Personalpolitik identisch mit denen eines erfolgreichen Risikomanagements. Es gilt zukünftig, die Ressource Mensch gut zu pflegen, also den Beschäftigten über alle Berufsgruppen hinweg einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten. Die zahlenmäßig kleinere nachfolgende Generation muss gefördert werden, damit sie möglichst lange und gesund in ihrem Beruf erwerbstätig bleibt. So kann der Wegfall der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt kompensiert und weiterhin eine hochwertige Patientenversorgung gewährleistet werden.

Literatur

[1] Bundesgesundheitsblatt 56: 415–421 DOI 10.1007/s00103-012-1615-z, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013, online publiziert: 28. Februar 2013, abgerufen am 16. September 2020.
[2] Raphael Peter (Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Universität Ulm) und Hans Martin Hasselhorn (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin): „Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe – Ein Modell“ in Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 3, 2013.
[3] Mathias Lohmer, Bernd Sprenger, Jochen von Wahlert: „Gesundes Führen. Life-Balance versus Burnout im Unternehmen“, Stuttgart, Schattauer GmbH, 2012.
[4] www.aerzteblatt.de/nachrichten/101904/Fachgesellschaft-warnt-vor-Chirurgenmangel-auf-dem-Land, abgerufen am 16. September 2020.
[5] www.aerzteblatt.de/archiv/198658/Pflegemangel-im-Krankenhaus-Die-Situation-wird-immer-dramatischer, abgerufen am 16. September 2020.

Triphaus V: Safety Clip: Mit den Instrumenten des Risikomanagements dem Personalmangel wirkungsvoll begegnen. Passion Chirurgie. 2021 Januar/Februar; 11(01/02): Artikel 04_03.

Safety Clip: Teile und (be)herrsche! Wie Wissensmanagement Patientenrisiken reduzieren hilft

„Wissen ist Macht!“ schrieb Philosoph Francis Bacon (1561-1626) und legte damit den Grundstein für die Philosophie der Aufklärung. Wenn Wissen gleichzusetzen ist mit Macht, wie kann man dann diese Macht in die Prozesse des Krankenhauses zum Nutzen der Patientensicherheit integrieren? Kann die Redewendung „Teile und herrsche!“ vielleicht die Lösung sein? Angewendet auf das klinische Risikomanagement und auf das Wissensmanagement bedeuten diese beiden Sätze zum einem ein Streben nach mehr Wissen und zum anderen eine systematische und strategische Steuerung dieses Wissens, um definierte Ziele, zum Beispiel Patientensicherheit steigern und Haftungsrisiken reduzieren, zu erreichen.

Dem Krankenhausmitarbeitenden ist die Definition und Bedeutung des klinischen Risikomanagements klar. Sorgen doch Instrumente wie CIRS, Risikoaudits, Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen im täglichen Krankenhausalltag für eine ständige Präsenz des Themas. Auch wenn die Ausgestaltung der einzelnen Werkzeuge jeweils unterschiedlich ist, so ist doch allen Mitarbeitenden bewusst, dass das klinische Risikomanagement eine Strategie ist, um Patientensicherheit zu fördern und bestenfalls Haftungsrisiken zu senken.

Der Begriff Wissensmanagement bietet indes Interpretationsspielräume, weil die Experten sich uneins darüber sind, was das „Wissen“ selbst eigentlich ist. Es besteht jedoch Konsens, dass ein Wissensmanagement die systemische und bewusste Steuerung des Wissens in einer Organisation, sprich einem Krankenhaus, und mit seinen Individuen, also den Mitarbeitenden, meint. Es hat zum Ziel, das vorhandene Wissen in der Organisation zu halten und zu vermehren, um damit die Produktivität (hier zum Beispiel bestmögliche Patientenversorgung) und Wertschöpfung (zum Beispiel optimaler Ressourceneinsatz) zu steigern.

Kann ein systematisches Wissensmanagement das klinische Risikomanagement unterstützen und somit zu mehr Patientensicherheit beitragen?

Um diese Frage beantworten zu können, sollten die Begriffe „Daten“ und „Information“ genauer betrachtet werden, da sie im Sprachgebrauch häufig als Synonyme für „Wissen“ Verwendung finden. Die Unterschiede zwischen den Begriffen lassen sich am einfachsten mit Hilfe der „Wissenstreppe“ von North (1998) darstellen (siehe Abb.1).

Die vorhandenen Daten werden vom Individuum rezipiert und mit Bedeutungen versehen. Dadurch werden sie zu einer Information. Diese Information wird mit weiteren Informationen kombiniert und anschließend vor dem jeweiligen individuellen Erfahrungshintergrund abgeglichen. Am Ende dieser Stufen steht das Wissen des Einzelnen, welches die Voraussetzung für die weiteren Stufen wie Handlungen, Kompetenzen und Wettbewerbsfähigkeit bildet. Das Wissen ist an dieses einzelne Individuum gebunden.

In der Praxis des Krankenhausalltags kann die Wissenstreppe am Beispiel einer Blutanalyse so aussehen. Die Ziffern auf dem Laborbefundbogen sind Daten. Sie werden von einer Ärztin/einem Arzt betrachtet, die dazu ausgebildet sind, deren Bedeutung zu erkennen. Damit werden die Laborbefunde zu einer Informationsquelle über den Zustand des Patienten. Diese Information kombiniert die Ärztin/der Arzt mit weiteren vorliegenden Informationen, wie klinisches Erscheinungsbild oder bildgebende Diagnostik, und stellt sie in den Kontext zum Gesundheitszustand des Patienten. Das alles beantwortet die Frage nach eventuellen weiteren therapeutischen Maßnahmen. Die weitere Versorgung des Patienten, das Können der Ärztin/des Arztes, sein/ihr (richtiges) Handeln, selbst die Wettbewerbsfähigkeit des Krankenhauses hängen somit entscheidend von ihrem beziehungsweise seinem Wissen ab.

Qualitätsnorm ISO 9001:2015 betont die Bedeutung von Wissensmanagement

In der ISO 9001:2015, der führenden und am weitesten verbreiteten Qualitätsmanagementnorm, wird ein Zusammenhang zwischen Risikomanagement und Wissensvermittlung hergestellt. Der Begriff „Wissensmanagement“ wird nicht als einzelnes Risikoinstrument verwendet, vielmehr wird das „Wissen“ und der Umgang damit als strategische und systematische Ressource gesehen. Wissen wird hier ebenfalls als Ergebnis aus Daten und Informationen gedeutet, die vom Individuum zusammengesetzt werden und ihre Relevanz in einem spezifischen Kontext erhalten. Auch erkennt die ISO an, dass Wissen nicht gleichzusetzen ist mit objektiver Wahrheit. Wissen ist eine Überzeugung, die sich als Entscheidungsgrundlage bewährt hat. Damit ist Wissen an Individuen, sprich an den einzelnen Mitarbeitenden gebunden. Da das „Wissen“ die Entscheidungsgrundlage für spezifische Fragestellungen bildet, ist seine permanente Verfügbarkeit und Aktualität im Krankenhaus zwingend erforderlich. Ein systematisch gesteuerter Wissenstransfer vom Individuum zur Allgemeinheit, vom einzelnen Arzt zur Gesamtheit des Krankenhauspersonals ist also notwendig.

Wie muss ein strategisches und systematisches Wissensmanagement beschaffen sein, wenn es im Krankenhausalltag die Sicherheit der Patienten fördern und die Risiken der Haftung reduzieren soll?

Im Krankenhaus stehen den Mitarbeitenden eine Vielzahl an Daten- und Informationsquellen zu Verfügung, die die Grundlage des Wissens bilden. Die wichtigste Datenquelle ist der Patient selbst. Die Daten und Informationen des Patienten sind zwar subjektiv und auch durchaus unvollständig, nichtsdestotrotz ist der Patient selbst die wichtigste Informationsquelle.

Abb. 1: Wissenstreppe nach North, 1998

Eine weitere Datenquelle sind die Untersuchungsbefunde, die das ärztliche Personal selbst ermittelt oder die ihm vorliegen. Je nach Digitalisierungsgrad der Einrichtung ist jeder extern erhobene Befund bereits in der elektronischen Patientenakte gespeichert, ansonsten liegt er als Papierversion vor. Befunde in Papierform können verschwinden. Es besteht das Risiko einer fehlerhaften Beurteilung. Es passiert regelmäßig, dass ein extern erhobener Befund nachträglich korrigiert werden muss. Damit steht er für eine korrekte Beurteilung der Gesamtsituation nicht zur Verfügung.

Deshalb muss ein Verfahren zwischen den Abteilungen abgesprochen sein, wie die Information über eine fraglich therapierelevante Befundänderung an die behandelnden Mitarbeitenden zeitnah weitergegeben wird.

In krankenhauseigenen Datenbanken beziehungsweise im Intranet werden Dokumente, zum Beispiel Verfahrensanweisungen, hinterlegt. Die Qualität dieser Datenbanken ist jedoch sehr unterschiedlich. So sind beispielsweise in einigen Datenbanken unterschiedliche Dokumente zum selben Thema an verschiedenen Orten gespeichert. Entweder wurden bei Aktualisierungen veraltete Versionen nicht entfernt, oder es bestehen unterschiedliche Vorgehensweisen in den Abteilungen, die gegenseitig Dokumente einsehen können. Auch ist nicht immer festgelegt, wer nach welchen Verfahren in die Datenbank Dokumente einpflegen darf. Das Ergebnis ist eine völlig unübersichtliche Dokumentensammlung, die die Mitarbeitenden mehr verwirrt, als dass sie Wissen generieren kann. Wenn der Datenbank dann auch noch die Suchfunktion fehlt, ist sie ein Hindernis aber keine Hilfestellung.

Positiv hervorzuhebende Beispiele sind hier sicherlich Intranets, die nach dem Vorbild der Wikipedia-Plattform aufgebaut sind. Deren Bekanntheitsgrad ist so hoch, dass eine Anwenderschulung im Krankenhaus de facto entfällt.

Grundsätzlich ist zu empfehlen, dass eine Abteilung ihre in der Datenbank/dem Intranet abgelegten Dokumente regelmäßig auf Aktualisierungsbedarf und Doppelungen hin überprüft. Es sollte auch ein Verantwortlicher – meistens die Abteilungsleitung oder ein von ihr benannter Vertreter – für die Freigabe und Veröffentlichung verantwortlich sein.

Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass die Mitarbeitenden Änderungen zur Kenntnis nehmen. Elektronische Datenbanken bieten hier oftmals Komplettlösungen. Falls diese (noch) nicht angeschafft wurden, ist anderweitig, zum Beispiel über eine Handzeichenliste, die Kenntnisnahme der neuen Informationen sicherzustellen. Ein einheitliches Vorgehen des gesamten Behandlungsteams kann nur funktionieren, wenn alle die gleichen Informationen besitzen und anwenden.

Veraltete Dokumente müssen zwar aus dem elektronischen oder papierbasierten System herausgenommen werden, jedoch sollten sie an anderer Stelle archiviert werden. Falls es zu juristischen Auseinandersetzungen kommt, kann ein kritisches Vorgehen anhand der damals gültigen festgelegten Verfahrensanweisungen begründet werden.

Der Patient hat ein Recht auf eine Versorgung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Das setzt eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden voraus. Da grundsätzlich nicht alle Mitarbeitenden zeitgleich an einer Fort- oder Weiterbildung teilnehmen können, besteht die Herausforderung, wie eine schnelle Umsetzung von theoretischem Wissen in die Praxis sichergestellt werden kann. Vor dem Theorie-Praxis-Transfer sollte sich jede Abteilungsleitung jedoch fragen, ob sie das neue Wissen auch bei sich umsetzen möchte. Nicht immer sind aktuelle Erkenntnisse geeignet, in den eigenen Krankenhausstrukturen angewendet zu werden. Wird neues Wissen anscheinend unbegründet abgelehnt, kann dies jedoch zur Frustration bei den Mitarbeitenden führen. Kündigungen und damit einhergehend ein großer Verlust an Wissen für die Abteilung können die Folge sein.

Für die Umsetzung in die Praxis braucht es zudem eine festgelegte Vorgehensweise. Vielerorts wird in wöchentlich oder monatlich stattfindenden ärztlichen Qualitätszirkeln von der letzten Fortbildung referiert.

Die gewonnenen und umzusetzenden Neuerungen müssen natürlich verschriftlicht werden, damit jeder Mitarbeitende die Möglichkeit hat, diese nachzuvollziehen. Im Falle einer rein digitalen Verschriftlichung muss auch jeder Mitarbeitende darauf zugreifen können.

In der Praxis erlebt man, dass die der Abteilung zur Verfügung stehenden Verfahrensanweisungen als Dokumente (EDV- oder papierbasiert) gesammelt und hinterlegt sind. Trotzdem kommt es zu unterschiedlichen Vorgehensweisen innerhalb derselben Berufsgruppe, weil jeder die Vorgaben vor seinem eigenen Erfahrungshintergrund anders interpretiert, das heißt jeder wendet sein eigenes, erfolgreiches Wissen an. Eine einheitliche „Wissensbasis“ in der Abteilung ist somit nicht automatisch gegeben. Möchte man ein möglichst einheitliches und erfolgreiches Vorgehen bei der Patientenversorgung gewährleisten, ist es erforderlich die bestehenden Verfahrensanweisungen im Team regelmäßig zu besprechen, um Interpretationsspielräume zu klären und Vorgehensweisen festzulegen. Exzellenz erreicht diese Form des Wissensmanagements dann, wenn diese Besprechungen nicht nur innerhalb einer Berufsgruppe erfolgen, sondern mit allen an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen. Im Dialog über die jeweiligen Verfahrensanweisungen kann neues Wissen entstehen, das direkt in die Patientenversorgung einfließt. Darüber hinaus sorgt der interdisziplinäre Austausch für gegenseitiges Verständnis und führt zu einem einheitlichen Vorgehen. Es wird eine gemeinsame Wissensbasis gebildet. Diese muss selbstverständlich auch regelmäßig, zum Beispiel jährlich, erneuert werden.

Ein Hindernis für diese gemeinsame Wissensbasis kann das Nebeneinander von EDV- und papierbasierten Dokumenten sein. Oftmals sind Änderungen auf den Papierdokumenten handschriftlich und schwer leserlich ergänzt. Eine offizielle Freigabe der Änderung hat damit nicht stattgefunden. Auch können EDV-Dokumente bereits aktualisiert worden sein, während der Ausdruck noch veraltete Hinweise enthält. Es sollte nur ein System als Datenbasis genutzt werden. Ausdrucke sind zeitnah zu entsorgen.

Als letztes sei auf die „Entleerung“ von veraltetem Wissen hingewiesen. Neue Erkenntnisse und Vorgehensweisen stoßen nicht immer nur auf große Begeisterung in der Praxis. Neben dem üblichen Totschlagargument: „Das haben wir schon immer so gemacht!“ stehen Mitarbeitende Neuerungen auch kritisch gegenüber, weil sie Bewährtes aufgegeben müssen und eine Arbeitsverdichtung oder mögliche Sorgfaltspflichtverletzung befürchten. Es kommt zur inneren Ablehnung, und das neue Wissen findet keine oder unzureichende Anwendung in der Praxis. Es muss also für eine breite Akzeptanz des neuen Wissens gesorgt werden. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob das Wissen in der Praxis auch umgesetzt wird. Eine breite Akzeptanz kann durch eine offene Unternehmenskultur geschaffen werden, die den Einzelnen beteiligt und Entscheidungen transparent macht. Diese ist ebenfalls für eine gute Fehler- und Sicherheitskultur förderlich.

Die größte Herausforderung der Abteilungsleitung ist es, die unzähligen Daten- und Informationsquellen zu kennen und zu managen. Neben den oben aufgeführten Quellen kommen noch viele weitere formelle und informelle hinzu. Beispielsweise werden in einer Mortalitäts- und Morbiditätskonferenz wichtige Schlüsse für die zukünftige Patientenversorgung gezogen. Drei Meldungen aus dem CIRS-System zeigen sofortigen Handlungsbedarf auf. Leitlinien und Empfehlungen der Fachgesellschaften sollten gelesen, abgeglichen und umgesetzt werden. Ein neuer Fachartikel wirft zahlreiche Fragen zur jetzigen Patientenbehandlung auf. Daneben gibt es das frei verfügbare Wissen aus dem Internet, was heute auch aus dem Krankenhausalltag nicht wegzudenken ist. Das unbekannte Syndrom eines Patienten wird dort genauso nachgeschlagen wie die SOP (Standard Operating Procedure) zur postoperativen Versorgung aus dem Nachbarkrankenhaus. Gleichzeitig kommt es vor, dass Befunde zwischen Ärzten per „WhatsApp“ kommuniziert werden, obwohl dies aus Datenschutzgründen untersagt werden sollte.

Es braucht also eine Struktur, wie und welches Wissen in der Abteilung gewonnen und weitergegeben wird. Die Mitarbeitenden sind aufgefordert, sich daran zu beteiligen, denn jeder Einzelne generiert sein eigenes subjektives Wissen, was zur Behandlung des Patienten, zur Organisation der Abteilung und zu deren Weiterentwicklung zur Verfügung steht. Der Rahmen, in dem das geschehen soll, ist von der Abteilungsleitung festzulegen.

Aber auch abteilungsübergreifende Wissensvermittlung spielt in der üblichen Routine eine Rolle. Die Querschnittsthemen im Krankenhaus wie Hygiene, Qualitätsmanagement oder Codierung unterliegen ebenfalls sich permanent verändernden Rahmenbedingungen. Sie erfordern eine ständige Anpassung, die den Mitarbeitenden kommuniziert werden muss.

Kann also ein strategisches und systematisches Wissensmanagement das klinische Risikomanagement unterstützen und somit zu mehr Patientensicherheit beitragen?

„Nur Individuen können weise sein, Institutionen sind im günstigsten Fall gut konzipiert“, sagt Philosoph Peter Sloterdijk. Ein strukturiertes Wissensmanagement sorgt für eine gemeinsame, interdisziplinäre Wissensbasis, auf deren Grundlage der einzelne Mitarbeitende die Behandlung durchführen kann. In der gemeinsamen Wissensbasis ist nicht nur fachspezifisches therapeutisches Wissen gespeichert, sondern es herrscht auch Klarheit und Einigung über Vorgehensweisen. Da für das klinische Risikomanagement der gelungene Dialog zwischen den Berufsgruppen zu einer offenen Fehler- und gelebten Sicherheitskultur beiträgt, wirkt ein systematisches Wissensmanagement hier maßgeblich unterstützend. Das führt zu einem hohen Grad an Patientensicherheit.

Gelingen kann dies, wenn die Abteilungsleitung entsprechende Rahmenbedingungen für das Wissensmanagement setzt und die Teamkultur entsprechend förderlich gestaltet. Das trägt zusätzlich dazu bei, dass Mitarbeitende nicht abwandern, sondern ihr Wissen kontinuierlich einfließen lassen.

Demnach kann man davon ausgehen, dass ein strukturiertes Wissensmanagement zur Patientensicherheit und damit auch zur Senkung von Haftungsrisiken beiträgt, wenn:

  • der Transfer von Theorie zur Praxis festgelegt ist;
  • in regelmäßigen interdisziplinären Besprechungen vorhandene und neue Verfahrensanweisungen bewusst und aktuell gehalten werden;
  • nur eine Form der Dokumentation benutzt und konsequent fortgeschrieben wird;
  • die Akzeptanz von Neuerungen durch eine offene Unternehmenskultur gefördert wird, welche maßgeblich die Patientensicherheit positiv beeinflusst;
  • Rahmenvorgaben festgelegt werden, wie Wissen gewonnen und weitergegeben wird;
  • abteilungsübergreifende Wissensvermittlung sichergestellt ist.

Literatur

[1] North, K.: Wissensorientierte Unternehmensführung. Wertschöpfung durch Wissen. Gabler. Wiesbaden 1998

[2] Wilkesmann, U., Rascher, I., Bönnighausen, M.: Wissensmanagement. Analyse und Handlungsempfehlungen. Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf 2003

[3] Bohrer, A., Hähner, K., Krautz, B., Wissensmanagement. https://www.fh-muenster.de/gesundheit/…/Lerneinheit_Wissensmanagement.pdf. 2005. zuletzt eingesehen am 14.03.2019

[4] Vollmar, G.: Wissensmanagement in der revidierten ISO 9001:2015 – Chancen und Risiken, erschienen unter: http://www.community-of-knowledge.de/beitrag/wissensmanagement-in-der-revidierten-iso-90012015-chancen-und-risiken/, Berlin 2015

[5] Danijela, A.: Angewandtes Wissensmanagement: Die Bedeutung von Storytelling und Dialog in High Reliability Organizations in der dritten industriellen Revolution nach Jeremy Rifkin. Diplomarbeit. Linz. 2015

Triphaus V: Safety Clip: Teile und (be)herrsche! Wie Wissensmanagement Patientenrisiken reduzieren hilft. Passion Chirurgie. 2019 Juni, 9(06): Artikel 04_05.