Alle Artikel von Dr. Thomas Friedrich Weigel

Kritische Anmerkungen zum Qualitätsparadigma

Eine Rekonstruktion des Qualitätsbegriffs in der Chirurgie

„Das Personal ist streng angewiesen, jeden Gast zufriedenzustellen.“ Dieser Satz war im Jahre 1930 in einem kleinen Cafe im Berliner Westen auf allen Getränkekarten aufgedruckt.

Auf die heutige Zeit und die Chirurgie übertragen könnte dieser Satz lauten:

„Die Chirurgen werden von der Bundesregierung streng angewiesen, jeden Patienten mit guter Qualität zufriedenzustellen.“

Während der letzten Monate wurde in den Medien, in der Politik und in Fachverbänden über die Mengenausweitung insbesondere bei operativen Eingriffen ausführlich diskutiert. Ein Grund dafür ist, auch nach Ansicht von vielen Experten, das derzeitige Vergütungssystem für die erbrachten Leistungen der Kliniken. Statt dieses Vergütungssystem grundsätzlich in Frage zu stellen und neu zu ordnen, soll es eine Qualitätsoffensive geben. Die griffige Kurzformel lautet aktuell: „Qualität statt Quantität“. Dagegen hat niemand etwas, das klingt gut. Dementsprechend findet sich diese Forderung in unterschiedlichen Varianten in dem Teil des Koalitionsvertrages, der sich mit unserem Medizinsystem beschäftigt.Die Forderung nach mehr Qualität impliziert, dass die Qualität bisher nicht ausreichend war und dass die bisherigen Strukturen nicht für eine gute Qualität gesorgt haben. Es braucht also, nach Einschätzung der Bundesregierung, Sanktionen, damit sich die Qualität verbessert. Diese Sanktionen sind im konkreten Fall finanzieller Art. Es gab und gibt schon lange einen Qualitätswettbewerb. Der, aus welchen Gründen auch immer, unzufriedene Patient, wird das Krankenhaus nach schlechten Erfahrungen nicht mehr aufsuchen und auch nicht weiterempfehlen. Auch der Arzt, bei dem sich die Klagen der Patienten über ein Krankenhaus häufen, wird mit Empfehlungen für dieses Krankenhaus zurückhaltend sein.

Was ist Qualität?

„Eine Qualität, von lat. qualitas, Beschaffenheit, bezeichnet eine Eigenschaft von Gegenständen, die eine Angabe wie (griech. poion) der jeweilige Gegenstand der Rede oder das Ding ist. […] Manchmal gebraucht man das Wort ‚Qualität‘ auch in einer engeren, wertenden Bedeutung, nämlich im Sinne von ‚positiver Eigenschaft‘, etwa wenn man von den Qualitäten einer Person oder einer Institution, eines Gesetztes, einer Erfindung oder eines Geräts, eines Kunstwerks oder Künstlers spricht.“[2]

Im heutigen Sprachgebrauch ist Qualität immer etwas Gutes. Gegen Qualität hat niemand etwas, es sei denn, man spricht explizit von schlechter Qualität. Hier ein Zitat aus dem Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung:

„Gut heißt: Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, nach dem neuesten medizinischen Stand und in bester Qualität behandelt zu werden. In einer Qualitätsoffensive werden wir die Qualität der stationären Versorgung verbessern.“[3]

Man könnte den Satz auch anders formulieren, ohne dabei den Inhalt zu verändern:

„Gut heißt: Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, gut behandelt zu werden. In einer Offensive für das Gute wollen wir das Gute weiter verbessern.“ („Besser“ ist der Komparativ von „Gut“)

Die Qualität im Medizinsystem spielt im Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine zentrale Rolle. Immerhin wird der Begriff „Qualität“ auf den drei Seiten, die das Krankenhaus betreffen, 25mal erwähnt. [4]

Gute Qualität soll dann auch finanziell belohnt werden, insbesondere die Qualität, die von den unterschiedlichen Krankenhäusern erbracht wird. Da dieses Vorhaben mit großer Wahrscheinlichkeit unser ärztliches Handeln beeinflussen wird, erscheint es mir notwendig, eine Diskussion über dieses „Qualitätsparadigma“ zu führen. Im Folgenden möchte ich die Diskussion vor allem aus Sicht eines Chirurgen führen.

Vorbemerkungen

Es war und ist eine genuin ärztliche Aufgabe, sich um die Verbesserung (heute würde man sagen „die Qualität“) der diagnostischen und therapeutischen Methoden zu kümmern. Selbstverständlich steht dabei der erkrankte oder hilfesuchende Mensch im Mittelpunkt.

Die Verbesserung der diagnostischen und therapeutischen Methoden war schon immer Gegenstand des wissenschaftlichen Arbeitens innerhalb der Medizin. Verbesserung bedeutet, Methoden zu finden, die den bereits vorhanden überlegen sind. Dabei stellt sich häufig die Frage: „Was bedeutet überlegen?“ Diese ist im Einzelfall nicht einfach zu beantworten. Als Beispiel sei hier die Entwicklung von Chemotherapeutika genannt. Durch den Einsatz solcher Therapeutika kann das Fortschreiten einer bösartigen Erkrankung verzögert werden, aber unter Umständen mit vielen Nebenwirkungen für den Erkrankten. Die zunächst vermutete Verbesserung stellt sich dann bei genauem Hinsehen als Verschlechterung heraus. Dies zu bewerten, abzuwägen und dann konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, ist auch Gegenstand medizinischer Forschung.

Worum geht es bei der „Qualitätsoffensive“?

Die Ergebnisse ärztlichen Handelns sollen gemessen, bewertet und sanktioniert werden. Chirurgische Handlungen sind im Wesentlichen zwei zentrale Handlungen: Die Indikation und der operative Eingriff. (Andere Handlungen wie Ausbildung, Gespräche mit Patienten und Angehörigen, Kommunikation mit anderen Kollegen usw. sollen hierbei nicht betrachtet werden.)

Bei der Indikation entscheidet der Chirurg, ob eine Operation durchgeführt wird oder nicht. Eine klassische Ja-/Nein-Entscheidung.

Ist diese für eine Operation getroffen, muss aber weiterhin folgendes entschieden werden:

  1. Wer führt die Operation durch?
  2. Wann wird die Operation durchgeführt?
  3. In welchem Krankenhaus soll die Operation durchgeführt werden?

Dies gilt sowohl für die planbaren (elektiven) als auch nicht planbaren (Notfall) operativen Eingriffe. Der Einfachheit halber möchte ich diese Handlungen als „Präoperative Handlungen“ zusammenfassen. Die sogenannte Qualitätsoffensive wird sich direkt und indirekt auf diese auswirken. Auch hierbei würde auf den ersten Blick niemand, vor allem keiner der patientenfernen Theoretiker, etwas dagegen einwenden wollen. Aber wie immer lohnt es sich auch hier, etwas genauer hinzusehen.

„Handlungen sind Mittel zur Realisierung von Zwecken“ [5] Der Zweck ärztlichen Handelns ist die bestmögliche (optimale) Therapie des erkrankten Menschen. Nun kommt aber noch ein weiterer Zweck, ein Nebenzweck, hinzu – nämlich die Vermeidung von Sanktionen bei der Vergütung der ärztlichen Leistung. Neben den bisherigen Zielen der präoperativen Handlungen muss nun auch die Erfüllung der „Qualitätsindikatoren“ bei der Wahl der Mittel in Betracht gezogen werden. Dieser Nebenzweck muss nicht zwangläufig identisch sein mit dem eigentlichen Zweck ärztlichen Handelns, nämlich die bestmögliche Therapie zu finden.

„Das kann dazu führen, dass Ärzte komplizierte Fälle von vornherein aussortieren. Genau das beobachten wir in den USA: Die ausschließliche Orientierung an Erfolgskriterien führt dort dazu, dass Schwerstkranke abgeschoben werden und nicht mehr die beste Therapie bekommen, weil das den Ärzten die Bilanz verschlechtert“[6]

Zudem wird dieser neue Zweck, die „Erfüllung von Qualitätsindikatoren“, auf weitere Bereiche wie Ausbildung, Bürokratie, Kodierung von Erkrankungen, Liegedauer, etc. Einfluss nehmen.

Industrie versus Krankenhaus

Bei den Methoden, die die patientenfernen Theoretiker zur Messung von Qualität vorschlagen, dienten sehr wahrscheinlich industrielle Prozesse als Vorbild: Ein Stück Metall wird in eine Werkbank eingebracht. Mit Messfühlern unterschiedlicher Art wird dann der Arbeitsprozess kontrolliert, damit am Ende dieses Prozesses aus diesem Stück Metall ein Gegenstand wird, der eine vorgegebene Beschaffenheit oder Qualität besitzt. Dieser Gegenstand könnte z. B. eine Kurbelwelle sein, also die Qualität „Kurbelwelle“. Je mehr Messfühler, umso dichter ist das Ergebnis des Arbeitsprozesses an der vorgegebenen Beschaffenheit. Anders formuliert: Mehr Messfühler bedingen bessere Qualität.

Auf die Chirurgie übertragen bedeutet dies Folgendes: Das Werkstück ist der erkrankte Mensch. Die Werkbank ist der Operationssaal. Die Messfühler sind die Qualitätsindikatoren.

Warum ist diese Denkweise nicht auf das Krankenhaus übertragbar?

  1. Ein Metallstück hat keinen eigenen Willen; es wird auch nicht gefragt, ob es in die Werkbank will oder nicht.
  2. Das Schicksal des Metallstücks ist bereits am Anfang des Prozesses besiegelt. Daraus soll eine Kurbelwelle werden und nicht, aus welchen Gründen auch immer, plötzlich eine Tachonadel.
  3. Das Metallstück wird auch während des gesamten Prozesses nicht plötzlich seine Eigenschaften ändern. Es wird keine kleine Beule bekommen, die dann auf einer anderen Werkbank korrigiert werden muss.
  1. Etc.

Methodische Probleme der „Qualitätsmessung“ in der Chirurgie

„Nach wie vor ist der Glaube an die Möglichkeit einer quantitativen Erfassung von qualitativen Leistungen weit verbreitet, obwohl es sich ständig von neuem zeigt, dass dies nicht geht. […] Man kann durchaus die Zahl der Dreifachsprünge bei einer Eiskunstlaufkür messen, aber diese Zahl ist nicht identisch mit ihrer Qualität. Und wenn man versucht, der Qualität mit immer mehr Indikatoren auf die Spur zu kommen und ganze Indikatorsysteme kreiert, dann sieht man schnell einmal vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Und ein immer genaueres Ausmessen von Bäumen ermöglicht einem nicht, die Qualität des Waldes besser zu verstehen.“[7]

Qualitätsindikator: Wundinfektion

Wenn man versucht, die Qualität z. B. anhand der Wundinfektionen bei der Appendektomie einer chirurgischen Abteilung zu messen, kann dies immer nur in Relation zur Gesamtzahl der Appendektomien und in Relation zu anderen chirurgischen Abteilungen sein. Wenn bei 100 Appendektomien in einem Jahr zwei Wundinfektionen und im darauffolgenden Jahr vier auftreten, ist dies eine hochsignifikante Zunahme der Infektionsrate. Dies kann zahlreiche Ursachen haben, die mit der eigentlichen chirurgischen Qualität dieser Abteilung nichts zu tun haben, angefangen bei Zunahme der Risikopatienten bis hin zu Simultanappendektomien im Rahmen von großen onkologischen Eingriffen.

An diesem sehr einfachen Beispiel werden die Grenzen der „Qualitätsmessung“ deutlich. Von den zahlreichen Strategien, möglichen Sanktionen (geringe Vergütung) entgegenzuwirken, seien hier nur zwei genannt:

  1. Wenn ich schon zwei Wundinfektionen in meiner Statistik habe, führe ich keine weiteren Appendektomien durch.
  2. Ich führe weitere Appendektomien durch (Indikationsausweitung), bis die Relation wieder stimmt.

Hinzu kommt, dass eine genaue Beurteilung und Wertung von solchen Wundinfektionen (Qualitätsindikator) natürlich nur möglich ist, wenn die Daten zu 100 % erfasst werden. Bei Verlegungen in andere Kliniken oder Abteilungen, vorzeitigen Entlassungen, Jahreswechsel, Chefarztwechsel, Veränderungen der Dokumentation- und Codierqualität etc. kann es schnell dazu kommen, dass die Daten eben nicht zu 100 % erfasst werden.

Wundinfektion ist nicht gleich Wundinfektion. Neben der Tiefe (Innerhalb der Bauchdecke) einer solchen Infektion geht es auch um die Größe der Wundfläche. Diese Befunde müssten konsequenterweise ebenfalls erfasst werden. Adipositas, Nikotinabusus, Diabetes mellitus, Durchblutungsstörungen etc. stellen Risikofaktoren dar. Auch diese Faktoren müssten dokumentiert werden. Schließlich kommt es auch darauf an, wie sehr die Entzündung im Wurmfortsatz fortgeschritten war. Auch dies müsste dokumentiert werden. Eine chirurgische Abteilung, die eine niedrige Wundinfektionsrate bei zahlreichen „nicht notwendigen“ Appendektomien hätte, würde demnach eine gute Qualität für den Qualitätsindikator „Wundinfektion“ haben. Dieses einfache aber realistische Beispiel zeigt auch hier die Grenzen der Messung von Qualität.

Selbstverständlich beeinflusst auch die technische Durchführung einer Operation das Operationsergebnis und damit auch die Rate an Wundinfektionen. Dies ist aber nur ein Element von vielen und dieses eine Element soll letztlich über zahlreiche Indikatoren geprüft und auch sanktioniert werden.

Hinzu kommt, dass Patienten auch das Problem „Wundinfektion“ unterschiedlich erleben und unterschiedlich damit umgehen können oder müssen. Entscheidend ist, wie mit dem Problem (hier Wundinfektion), wenn es auftritt, von ärztlicher Seite umgegangen wird:

Muss ambulant oder stationär behandelt werden? Wie ist der tägliche Verbandwechsel organisiert? Wer führt diesen durch? Gibt eine Anbindung an die Klinik? Sieht der Operateur den weiteren Verlauf?

Weitere Qualitätsindikatoren

Wie ist es mit dem Qualitätsindikator „Dauer des stationären Aufenthaltes“ nach Appendektomie, wenn der engagierte junge Stationsarzt bei der körperlichen Untersuchung des Patienten ein Melanom entdeckt, und sich dadurch der stationäre Aufenthalt verlängert?

Wie ist die Qualität einer Hüftoperation zu bewerten, wenn der weniger engagierte Arzt bei der körperlichen Untersuchung ein Rektumkarzinom übersieht, die Qualitätsindikatoren für eine Hüftoperation aber sämtlich erfüllt werden? Ist dies dann „gute Qualität“?

Diese Beispiele aus dem Alltag ließen sich beliebig fortführen.

Routinedaten, Lebensbäumchen, Transparenz versus Verantwortung, Vertrauen, Freiheit

Routinedaten sind Daten, wie der Name schon sagt, die bei der täglichen Arbeit (Routine) der Krankenkasse oder Gesundheitskasse anfallen. Diese Daten der erkrankten Menschen erhält die Krankenkasse in erster Linie im Rahmen des Vergütungsprozess für erbrachte Leistungen der Leistungserbringer. Der Zweck dieser Daten ist die optimale Vergütung der erbrachten Leistung. Plötzlich haben die vorhandenen Daten einen anderen Zweck, nämlich die „Qualitätsmessung“.

Sogar mit aufwendigen Datenerhebungen die dem Zweck der „Qualitätsmessung“ dienen und damit auch die Möglichkeit der Risikoadjustierung haben, kann eine Beurteilung der Qualität, wie an den genannten Beispielen gezeigt, nur eingeschränkt gelingen. Wie soll dieses Vorhaben mit Routinedaten möglich sein?

Diese Routinedaten, die ursprünglich zur Vergütung gesammelt wurden, müssen sich neuerdings durch die großen Rechenapparate der Gesundheitskasse quälen, damit am Ende des Rechenprozesses, drei Lebensbäumchen (LB) entstehen (AOK-Krankenhausnavigator).

„Die Häuser, welche mit drei Lebensbäumchen gekennzeichnet sind, gehören zu den besten 20 Prozent im Bundesgebiet.“ [8] Die drei LBs sind in der Kategorisierung nur zwei Zeichen (zwei LBs) von Facebook entfernt. Facebook kommt mit nur einem Zeichen zurecht. Dieses ist: Daumen hoch. Das ist die ultimative Reduktion des wahren Lebens.

Ein Krankenhaus, das für eine bestimmte Leistung drei LBs von der Gesundheitskasse bekommt, ist über dem Durchschnitt. Daher aus Sicht der Gesundheitskasse empfehlenswert.

Innerhalb eines Krankenhauses können sich die Gegebenheiten schnell ändern, insbesondere dann, wenn das Personal, Anzahl und Qualifikation sich ändert. Reagieren darauf auch die Lebensbäumchen? Ist es in der Welt der Lebensbäumchen auch vorgesehen, dass die Bewertung schlichtweg falsch ist?

Wer, innerhalb der Gesundheitskasse, übernimmt eigentlich die Verantwortung, wenn sich ein erkrankter oder hilfesuchender Mensch auf die drei Lebensbäumchen verlässt und sich in der Klinik, mit den drei LBs, die Erwartungen nicht erfüllen. In diesem Fall, der auch moralisch zu bewerten ist, entstehen wahrscheinlich enorme Fliehkräfte.

Immer wieder muss die Transparenz zur Legitimation für fragwürdige Zahlenreihen herhalten:

„Der Patient braucht dafür eine fachlich fundierte Orientierung, mehr Transparenz, welche Klinik besonders gut abschneidet.“ (Wilfried Boroch, Unternehmenssprecher der AOK) [9]

“Transparenz und Wahrheit sind nicht identisch. […] Mehr Informationen, oder eine Kumulation von Informationen alleine, stellt noch keine Wahrheit her. Ihr fehlt die Richtung, nämlich der Sinn“[10]

„Statt ‚Transparenz schafft Vertrauen‘ sollte es eigentlich heißen: ‚Transparenz schafft Vertrauen ab.‘ […] Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens und des Verdachts, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt. […] An die Stelle der wegbrechenden moralischen Instanz tritt die Transparenz als neuer gesellschaftlicher Imperativ.“ [11]

Martin Hartmann schreibt in der Einleitung des Buches „Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts“: „Vertrauen kann nicht gekauft werden, es kann auch nicht gelernt oder gelehrt werden; wie wir es auch drehen und wenden, es braucht Zeit zum Entstehen und verlangt in der Regel nach wiederholter Begegnung. […] Andererseits sollte man die Gefahren nicht gering schätzen, die entstehen, wenn man Vertrauen tatsächlich überall durch Kontrolle ersetzt. Der Freiheitsverlust, der damit einherginge, könnte tiefer sein, als man auf den ersten Blick anzunehmen geneigt wäre.“[12] (Fett-gedruckt durch Weigel)

Zusammenfassung

Qualität und Quantität sind grundsätzlich zwei verschiedene Kategorien. Will man, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, in Zukunft die Qualität sanktionieren, muss diese zwangsläufig quantifiziert werden. Hier liegt das eigentliche Dilemma. Hier ein Zitat aus einer Enzyklopädie der Philosophie:

„Durch die entsprechend diffusen Quantifizierungen werden auch sonst in den zahlenartigen Quantitäten die qualitativen Bestandteile dieser Wertungen regelmäßig nivelliert. Das ist der Grund, warum eine Orientierung unseres institutionellen Handelns bloß an quantitativen Bewertungen regelmäßig in die Irre führen kann.“ [13] (Fett-gedruckt durch Weigel)

Die Qualität von ärztlichen Handlungen ist abhängig von der Ausbildung, der Erfahrung, dem Engagement und nicht zuletzt von der Zeit, die einer Ärztin oder einem Arzt für den jeweiligen erkrankten oder hilfesuchenden Menschen zur Verfügung steht.

Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, Engagement und Verlässlichkeit sind zentrale ärztliche Tugenden. Da insbesondere ärztliches Handeln immer etwas Irreversibles ist, gibt es ein altes und sehr bewährtes Prinzip „primum nil nocere“.

Die Beachtung dieses Prinzips, das Leben der genannten Tugenden, und die Erkenntnis, dass medizinische Kriterien und ökonomische Kriterien unterschiedlichen Kategorien angehören [14], würden ausreichen, um das ein oder andere „Qualitätsproblem“ und „Mengenproblem“ dauerhaft zu beseitigen.

Durch weitere Zettel [15], die ausgefüllt werden müssen, oder Institute, in denen patientenferne Theoretiker weitere Zettel produzieren, wird die Qualität mit großer Wahrscheinlichkeit nicht verbessert. Sicher ist nur, dass das Geld der Beitragszahler und die Zeit der Leistungserbringer verbraucht werden.

Literatur

[1] Voswinkel, Stephan: Glossar der Gegenwart, hrsg. Ulrich Bröckling et al. Frankfurt 2004, Seite 145

[2] Pirmin Stekeler-Weithofer: Qualität/Quantität – in Enzyklopädie Philosophie, hrsg. Von H.J. Sandkühler, Hamburg 2010, Seite2184

[3] Koalitionsvertrag, 18. Legislaturperiode, Seite 78

[4] Jens Flintrop: Qualitätsoffensive im Krankenhaus, Zu kurz gedacht, Deutsches Ärzteblatt, Jg 110, Heft 49, 6.Dezember 2013

[5] Felix Thiele: Autonomie und Einwilligung in der Medizin. Eine moralphilosophische Rekonstruktion, Paderborn 2011, Seite 18

[6] Eckard Nagel: Interview in der „ Zeit“ vom 5.12.2013

[7] Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe, Freiburg 2012, Seite 218

[8] Wilfried Boroch: Es gibt messbare Unterschiede, Frankfurter Rundschau online, vom 23.1. 2014

[9] Wilfried Boroch: Es gibt messbare Unterschiede ,Frankfurter Rundschau online, vom 23.1. 2014

[10] Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft, Berlin 2012, Seite 17

[11] Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft, Berlin 2012, Seite 79

[12] Martin Hartmann: Einleitung, in Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts, hrsg. von M. Hartman, C. Offe, Frankfurt 2001, Seite 34

[13] Pirmin Stekeler-Weithofer: Qualität/Quantität, in Enzyklopädie Philosophie, hrsg. von H.J. Sandkühler, Hamburg 2010, Seite2189

[14] Julian Nida-Rümelin: Die Optimierungsfalle, Philosophie einer humanen Ökonomie, München 2011, Seite 124

[15] Zettel: Abwertender Begriff für Formulare zur Erfassung von Daten – Weigel, 2014

Weigel T. F. Kritische Anmerkungen zum Qualitätsparadigma – Eine Rekonstruktion des Qualitätsbegriffs in der Chirurgie. Passion Chirurgie. 2014 März, 4(03): Artikel 07_01.

Der Gesundheitsmarkt

„Auch in Zeiten der Krise, so der Papst, die dem Schutz der Gesundheit Mittel entziehe, sei dies ein Auftrag zur Neuevangelisierung. Gerade in diesem Kontext sei es unabdingbar, dass Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen sich auf ihre Rolle besönnen, um zu verhindern, dass Gesundheit – statt ein Allgemeingut zu sein – eine einfache „Ware“ werde, die den Gesetzen des Marktes unterworfen und somit nur noch wenigen zugänglich sei.“ [1]

Einleitung

Ökonomische Denkweisen und Prinzipien wie Effizienz, Wettbewerb und Wachstum nehmen immer mehr Einzug in unterschiedliche soziale Bereiche.

Diese Entwicklung macht auch vor unserem Gesundheitssystem nicht halt. Begriffe wie „Gesundheitsmarkt“, „Gesundheitswirtschaft“, „Leistungsanbieter“ „Konsument“ werden inzwischen immer häufiger verwendet. Krankenhäuser geraten in eine finanzielle Schieflage und müssen sich, um bestehen bleiben zu können, an künstlich inszenierten Wettbewerben beteiligen, um Wachstum zu generieren. Die daraus zwangläufig entstehenden Folgen werden aktuell in der Öffentlichkeit diskutiert.

Es gibt mittlerweile große Kongresse. die den Begriff „Gesundheitswirtschaft“ in ihrem Namen tragen und die zukünftige Gestaltung des Gesundheitswesens zu ihrem Thema haben. Neben diesen Kongressen gibt es auch zahlreiche Institute und Einrichtungen, die vor allem aus ökonomischer Sichtweise ebenfalls an der Gestaltung mitwirken möchten.

Die folgenden Zeilen sind der Beginn einer Pressemitteilung zur Ankündigung des „Gesundheitswirtschaftskongress 2013“ mit der Überschrift: „ Medizin ohne Ökonomie gibt es nicht.“

„‘Wer Medizin und Ökonomie zu Gegensätzen erklärt, stiehlt sich aus der Verantwortung.‘ Mit diesen scharfen Worten brandmarkt der Gesundheitsunternehmer Prof. Heinz Lohmann bestimmte Äußerungen in der augenblicklichen Diskussion um die Zukunft des Gesundheitssystems. Wenn etwa von der ‚Kolonialisierung der Medizin durch die Ökonomie‘ gesprochen werde, gelte es ‚hellwach‘ zu sein. Unwirtschaftlichkeit sei und bleibe unethisch. (Fett gedruckt durch Weigel) […] Was nicht in Ordnung sei, sei den Patienten vorzuschieben und sich hinter dessen angeblichen Interessen zu verschanzen. Im Übrigen werde dieser sich das auch in Zukunft nicht mehr bieten lassen. Die wachsende Patientensouveränität auf der Basis zunehmender Transparenz werde die Anbieter auf den Gesundheitsmärkten zu mehr Wettbewerb zwingen.“ [2]

Von den patientenfernen, ökonomisch ausgebildeten Akteuren werden naturgemäß ihrer Ausbildung die Prinzipien der Ökonomie zur Lösung der Probleme angeboten. Hierbei wird häufig auf Instrumente, die aus der Industrie kommen, zurückgegriffen. Krankheitsverläufe sollen als „Behandlungspfade“ oder „Prozess“ dargestellt werden. Dieser Prozess soll dann von einem „Case Manager“ begleitet werden.

Der kranke Mensch soll sich im Internet informieren, um dadurch die transparenten Kennzahlen des jeweiligen Leistungserbringers zu erfahren, damit er dann seine Entscheidung souverän treffen kann, in wessen Hände er sich begibt.

Patientengespräche über Internet werden ebenfalls als Lösung zur Steigerung der Effizienz im Gesundheitswesen angeboten. Jeder der sich schon einmal mit Kommunikation beschäftigt hat, weiß wie eindimensional diese Art der Kommunikation ist. Jeder Arzt weiß, dass niemals ein Telefonat oder eine Internetkonsultation den persönlichen realen Kontakt mit einem Patienten ersetzten darf. Die digitalen Informationen auf dem Bildschirm über den erkrankten Menschen können noch so umfangreich sein, sie werden aber niemals die Realität abbilden können. Gerade in der Medizin ist die Realität zur genauen und schnellen Urteilsfindung unerlässlich.

Die patientenfernen ökonomisch ausgebildeten Akteure fordern in der Medizin immer häufiger ein „Mehr“ an:

Effizienz, Wachstum, Wettbewerb, Transparenz, Qualität, Technisierung (Internet), Patientensouveränität, Eigenverantwortlichkeit

Beispiele aus dem Alltag

Wenn ich mir einen neuen Fernseher kaufen möchte, weil es meine finanzielle Lage zulässt, dann ist das eine frei gewählte Entscheidung. Ich kann mir verschiedene Angebote ansehen, die unterschiedlichen Produkte untereinander vergleichen, mich mit Experten besprechen, mich auf den Kauf freuen, diesen Kauf zu einem frei gewählten Zeitpunkt vollziehen und mich anschließend über das neue große Bild in meinem Wohnzimmer freuen oder auch nicht.

Völlig anders ist die Situation im Falle einer Erkrankung. Was unternimmt der 75-jährige, alleinstehende Mann, der plötzlich nachts Schmerzen im rechten Unterbauch bekommt? Liest er im Internet nach, was er jetzt zu tun hat und welches die Ursache dieser Schmerzen sein könnte? Schaut er auf sein APP des Smartphone unter der Rubrik „Schmerzen“? Ruft er das Call-Center der Krankenkasse an? Schaut er sich die transparenten Qualitätskennzahlen (wie auch immer diese entstanden sind) des Krankenhauses in seiner Nähe an?

Wahrscheinlich lässt er sich mit dem Rettungsdienst in das nächste Krankenhaus bringen. Dort trifft er dann zunächst auf eine Pflegekraft, die ihn beruhigt und sich um ihn kümmert. Anschließend untersucht ihn eine junge Ärztin oder ein Arzt. Falls sie oder er sich nicht sicher sind, rufen sie den diensthabenden Oberarzt. Dieser entscheidet dann über die weitere Therapie und führt möglicherweise die Appendektomie noch in derselben Nacht durch.

Wozu einen Behandlungspfad für rechtsseitige Unterbauchschmerzen? Was muss hier noch strukturiert werden? Wie ist es mit der Effizienz, falls dieser Patient eine Gerinnungsstörung hat und teure Gerinnungsprodukte vor der Operation benötigt? Soll er dann in ein anderes Krankenhaus verlegt werden, weil die Kosten zu hoch sind? Übernimmt die Krankenkasse die Transportkosten in die andere Klinik? Wäre es aus Gründen der Effizienz nicht besser, ihn erst am nächsten Tag zu operieren? Muss jetzt der Case-Manager kommen? Warum die laparoskopische Appendektomie? Hierbei sind die Kosten höher. Veranlasse ich noch eine computertomographische Untersuchung des Abdomens, weil der souveräne Patient, der ja jetzt Konsument ist, dies so wünscht? Oder wäre ein CT in diesem Fall ineffizient? Wie ist es mit der Zeit, die dadurch verlorengeht und währenddessen die Entzündung in seinem Körper fortschreitet? Dadurch, dass noch eine CT-Untersuchung durchgeführt wird, kann die Operation dann erst nach zwei Stunden durchgeführt werden, weil zwischenzeitlich ein Kaiserschnitt in diesem OP-Saal durchgeführt werden musste. Gleichzeitig telefoniere ich als diensthabender Oberarzt mit dem Gynäkologen, ob er die Sectio auch nach der Appendektomie durchführen könne. Er erwidert aber darauf, dass es der Wunsch der souveränen Patientin sei, die ja auch Kundin ist, sofort zu entbinden. Sage ich dem Patienten vor der Operation, dass die Ursache der Schmerzen, besonders in seinem Alter, auch ein perforiertes Zökumkarzinom sein könnte? Teile ich ihm dann die mittlere Überlebenswahrscheinlichkeit mit, weil er auf Augenhöhe sein will und nicht Objekt? Wenn ich aber jetzt den Sohn des Patienten anrufen soll, teile ich dem Patienten mit, dass er aus Gründen der Effizienz für das Krankenhaus die Kosten des Telefonats (Zeit und Telefonkosten) privat zahlen muss? Assistiere ich der jungen Kollegin oder dem Kollegen diese Operation? Ist es ineffizient für das Krankenhaus, wenn dadurch die Operation zehn Minuten länger dauert? Ist es sinnvoll für die Qualität der Ausbildung der jungen Kollegen, wenn ich ihnen diese Operation assistiere? Lässt sich das bemessen?

Dieses einfache und für jeden Chirurgen nachvollziehbare Beispiel zeigt, in welche absurden Situationen die zu Ende gedachte Gedankenwelt der Ökonomisierung der Medizin führt.

Kritische Anmerkungen zu: Qualität, Ökonomisierung, Veränderung der Sprache, Wettbewerb, Transparenz und Aufgabe der Ökonomie

Die so oft eingeforderte Qualität hängt im Wesentlichen vom individuellen Ausbildungsstand, dem persönlichen Engagement, der Motivation und nicht zuletzt von der Anzahl der jeweiligen Pflegenden und Ärzten pro Patient ab.

Die inflationäre Zunahme von zahlreichen Qualitätssicherungsmaßnahmen und Zertifizierungen dienen leider häufig auch dazu, patientenferne Theoretiker zu ernähren. [3]

Herr Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin schreibt in einem Artikel: „Ökonomische und medizinische Kriterien gehören zwei unterschiedlichen Kategorien an. Die Vermengung dieser beiden zerstört die Vertrauensgrundlage des Arzt-Patienten-Verhältnisses, weil das Kriterium medizinischer Verlässlichkeit, die Verlässlichkeit des medizinischen Urteils, nicht mehr erfüllt ist. […] Paradoxerweise führt also die Korruption medizinischer Verlässlichkeit durch ökonomische Rationalität zu ökonomischer Ineffizienz.[4]

Pamela Harztband und Jerome Groopmann von der Harvard Medical School in Boston schreiben kritisch in einem Artikel im New England Journal of Medicine über die aktuellen Veränderungen der Sprache innerhalb der Medizin und die daraus resultierenden Konsequenzen. „ Patients are no longer patients, but rather ‘customers’ or ‘consumers’. Doctors and nurses have been transmuted into ‘providers’. These descriptors have been widely adopted in the media, medical journals and even on clinical rounds.[…] To that end, many economists and policy planners have proposed that patient care should be industrialized and standardized.” [5]

Die zunehmende Forderung nach mehr Transparenz hat auch ihre Schattenseiten, wie es der Philosoph Herr Prof. Dr. Byung-Chu Han in einem Artikel in der „Zeit“ vom 12.01.2012 sehr eindrucksvoll darlegt:

„Die Forderung nach Transparenz wird gerade da laut, wo kein Vertrauen mehr vorhanden ist. Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt. […] Die lautstarke Forderung nach Transparenz weist gerade darauf hin, dass das moralische Fundament der Gesellschaft brüchig geworden ist, dass moralische Werte wie Ehrlichkeit oder Aufrichtigkeit immer mehr an Bedeutung verlieren. An die Stelle der wegbrechenden moralischen Instanz tritt die Transparenz als neuer gesellschaftlicher Imperativ. […] Der Zwang zur Transparenz ist letzten Endes kein ethischer oder politischer, sondern ein ökonomischer Imperativ. Ausleuchtung ist Ausbeutung. Wer ganz ausgeleuchtet ist, ist der Ausbeutung schutzlos ausgeliefert. Die Überbelichtung einer Person maximiert die ökonomische Effizienz. Der transparente Kunde ist der neue Insasse, ja der Homo sacer des ökonomischen Panoptikums.“ [6]

Herr Dr. Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre in der Schweiz, beschreibt in seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe“, dass es Bereiche gibt, in denen künstlich ein Wettbewerb inszeniert wird. „Also versucht man, künstliche Wettbewerbe zu inszenieren, um so auch Bereiche wie Wissenschaft, Bildung oder Gesundheitswesen auf Effizienz zu trimmen“ [7] „[…] Wenn Bauern immer mehr Lebensmittel produzieren, dann sinken bald einmal die Preise, denn die Nachfrage wird durch das Angebot kaum beeinflusst. Bei Arztdienstleistungen geschieht genau das Gegenteil. Wenn Ärzte immer mehr Gesundheitsdienstleistungen ‚produzieren‘ dann ‚konsumieren‘ die Menschen immer mehr aufwendigere Dienstleitungen und die Preise steigen. Denn im Unterschied zu Nahrungsmitteln ist man von medizinischen Angeboten nie übersättigt. Man kann immer noch etwas fitter, noch etwas schöner und noch etwas älter werden.“ [8]

In dem Artikel „Heilen als Management? Zum Verlust einer Kultur der verstehenden Sorge in Zeiten der Ökonomie“ schreibt Prof. Dr. Maio, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg: „Da medizinische Güter grundsätzlich knapp sind, ist das ökonomische Denken Voraussetzung dafür, dass möglichst vielen geholfen werden kann. Daher gehört das ökonomische Denken zu einer guten Medizin unabdingbar dazu. Aber eine sinnvolle Rangfolge der Ziele der Medizin und der Ökonomie kann doch nur so aussehen, dass die Ziele der Ökonomie in den Dienst der Medizin gestellt werden müssen. Die Ökonomie hätte demnach eine der Medizin dienende Funktion. Nur diese lediglich dienende Funktion der Ökonomie würde es der Medizin ermöglichen, ihre eigenen Ziele zu bewahren. In der Realität aber, ist es gerade umgekehrt. So hat sich in den modernen Strukturen vieler Praxen und Kliniken eine bedenkliche Entwicklung eingeschlichen, weil mancherorts der Markt nicht mehr der Medizin, sondern zunehmend die Medizin dem Markt dient.[9] (Fett gedruckt durch Weigel)

Zusammenfassung

Nach meiner Einschätzung führen die zunehmenden Forderungen der patientenfernen, ökonomisch ausgebildeten Akteure zu einem Verlust der Verlässlichkeit in unserem Gesundheitssystem und damit zu einem Verlust des Vertrauens in unsere ärztliche Arbeit.

Dieses Vertrauen soll dann durch Transparenz, vor allem aus Sicht der Ökonomen, wieder hergestellt werden. Was aber wahrscheinlich nicht gelingen kann. Damit sind wir dann einfache Gesundheitsdienstleister und Teil des „ökonomischen Panoptikums“.

Gerade diese Forderungen nach mehr Ökonomie führen am Ende des Tages zu einer Ineffizienz des so neu regulierten Gesundheitssystems und damit zu einer Steigerung der Ausgaben.

„Daher dürfen Ärzte die Realisierung der Medizin nicht der Ökonomie überlassen, sondern sie müssen darum kämpfen und werben, dass Medizin nicht zum Gewerbe herabgestuft wird, sondern eine soziale Form der Zuwendung bleibt.“ [9]

Nicht zuletzt müssen wir gerade auch wegen unserer Patienten, für die wir die Verantwortung haben, immer wieder darauf hinweisen, dass Gesundheit nicht zur „Ware“ werden darf.

Literatur

[1] Mitteilung des Radio Vatikan vom 17.11.2012 (http://de.radiovaticana.va) anlässlich der 27. Internationalen Konferenz des Päpstlichen Rates mit dem Thema „Das Krankenhaus als Ort der Neuevangelisierung“ (600 Teilnehmer: Ärzte, Pflege, Juristen, und anderen Berufsgruppen aus der ganzen Welt, die im Gesundheitswesen tätig sind)

[2] Pressemitteilung„ Medizin ohne Ökonomie gibt es nicht“ vom 9.11.2012, www.gesundheitswirtschaftskongress.de

[3] Thomas F. Weigel, Mathias Kamm: Bürokratie: Auskommen für Theoretiker; Dtsch Arztebl 2012; 109(22-23): A-1187 / B-1022 / C-1014 (Leserbrief)

[4] Julian Nida-Rümelin: Verlässlichkeit-Eine Grundlage humaner Ökonomie, 2012, (www.julian.nida-ruemelin.de, unter Downloads)

[5] Pamela Hartzband, Jerome Groopmann: The New Language of Medicine; NEJM, 2011, 365; 15, 1372-1373

[6] Byung-Chul Han: Transparent ist nur das Tote; „Die Zeit“ vom 12.1. 2012

[7] Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe.- Herder Verlag 2010, Seite 46

[8] Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe.- Herder Verlag 2010, Seite 182

[9] Giovanni Maio: Heilen als Management? Zum Verlust der Kultur der verstehenden Sorge in Zeiten der Ökonomie; Z Allg Med; 2011; 87 (12), 36-41

Weigel T. F.Der Gesundheitsmarkt. Passion Chirurgie. 2013 Juni, 3(06): Artikel 02_05.