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Sektorenunabhängige Versorgung in der Chirurgie – Das Pilotprojekt „Hybrid-DRG Thüringen – Neue Wege im Gesundheitswesen“

Sektorierung, Kostendämpfung, Bürokratisierung, Ökonomisierung, Wettbewerbsförderung bis hin zur Kriminalisierung haben bisher zu keiner qualitativen Besserung und zu keiner nachhaltigen Kostenregulierung im Gesundheitswesen geführt. Insbesondere die Sektorierung, welche alle Bereiche des Gesundheitssystems einschließlich Industrie und Politik durchzieht, hat zu Anreizsystemen geführt, welche sich letztendlich nachteilig auf die Patientenversorgung, und mit höheren Kosten negativ auf die Solidargemeinschaft der GKV-Versicherten, auswirken. So weist der Sachverständigenrat seit Jahren in seinen Gutachten wiederholt auf die mangelnde Integration zwischen der ambulanten und der stationären Gesundheitsversorgung als eine der zentralen Schwachstellen des deutschen Gesundheitssystems hin. Nach der Förderung der integrierten Versorgung hat die Politik die Forderung nach einer sektorenübergreifenden Versorgung erneut aufgegriffen.

Ziel zukünftiger medizinischer Versorgung muss es also sein, auf Basis der Spezifika des Arzt-Patientenverhältnisses und ärztlich definierter Behandlungspfade eine sektorenunabhängige, bedarfsgerechte und patientenorientierte Versorgung unter Beachtung der Qualität und der Kosten zu gestalten (sogenannte populationsorientierte Versorgung nach Wille).

Um dieses Ziel perspektivisch umzusetzen, wurde als erster Schritt das Projekt einer sektorenunabhängigen Versorgung von Erkrankungen, welche zur Behandlung einer ambulanten bzw. Short-Stay-Operation bedürfen, von den chirurgischen Fach- und Berufsdachverbänden (Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC)) unter meiner Federführung initiiert und seit 2013 in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse und der NAO GmbH (Kliniknetz für integrativer Medizin) ausgearbeitet. Aus Sicht des Kostenträgers und der ärztlichen Berufsverbände ist es notwendig, die Versorgungsstrukturen flexibel an die Bedürfnisse der Patienten und an die regionalen Besonderheiten anzupassen.

Eine Voraussetzung zur Umsetzung in diesem Kontext ist die Ausgestaltung von flexiblen Vergütungsstrukturen. Dies gilt insbesondere zwischen stationärer und ambulanter Versorgung. Hierfür gilt es neue, auch gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen integrativen Versorgungsansatz zulassen und mit einer adäquaten, harmonisierten Vergütung ausgestattet sind. Vertragsärztliche Versorgungsstrukturen (z. B. Praxiskliniken, Berufsausübungsgemeinschaften, MVZ), deren Versorgungsspektrum einen hohen Anteil an Leistungen umfasst, die an der Schnittstelle zur ambulanten Versorgung liegen, und Krankenhäuser müssen zukünftig die Möglichkeit haben, gleichberechtigt flexiblere Behandlungsangebote anbieten zu können.

Das Projekt „Sektorenunabhängige Versorgung in der Chirurgie“ mit dem Pilotprojekt „Hybrid-DRG Thüringen – Neue Wege im Gesundheitswesen“ ist ein Konzept, welches aufzeigt, wie eine sektorenunabhängige Versorgung gestaltet werden kann. Es ist somit eine Alternative zu bisherigen strukturell und finanziell sowie ökonomisch getriggerten Versorgungsansätzen. Das Konzept hat nichts mit den prozedurbezogenen Hybrid-DRGs der Vergangenheit zu tun.

Aus Sicht des Versorgungsmanagements und der Versorgungsforschung besteht der Vorteil dieses Konzeptes in der Übersichtlichkeit der Behandlungspfade mit klarer Definition des Anfang- und Endpunktes sowie den mit der Behandlung in Zusammenhang stehenden adjuvanten Leistungen, Verordnungen und Produktversorgungen.

Das Pilotprojekt „Hybrid DRG Thüringen – Neue Wege im Gesundheitswesen“ ist seit 2017 die praktische Umsetzung einer sektorenunabhängigen, IT-basierten Patientenversorgung und Qualitätssicherung an der Schnittstelle stationär – ambulant auf Basis definierter Behandlungspfade und Indikationen sowie einer pragmatisch harmonisierten Vergütung unter Mitwirkung von 25 Prozent der klinischen und ambulanten Leistungserbringer im Bundesland Thüringen.

Pilotprojekt „Hybrid-DRG Thüringen – Neue Wege im Gesundheitswesen“

Das Pilotprojekt basiert auf folgenden Kriterien:

  • Ärztliche Definition der Indikation auf Basis von Leitlinien sowie bewährten medizinischen Standards und Erfahrungen. Dazu wurden Fachgesellschaften und Ärzte aus dem klinischen und ambulanten Versorgungsbereich mit einbezogen
  • Berücksichtigung medizinischer und soziomedizinischer Aspekte der Patienten/des Patientenwillen
  • Definition und Dokumentation (IT-Fallakte) des gesamten Behandlungspfades einschließlich eines Jahres-Follow-Up, wobei im Rahmen der konkreten Leistungserbringung im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit Gestaltungsfreiheit besteht
  • Sektorenübergreifende Qualitätssicherung durch Definition bzw. Erfassung der Struktur, Prozess- und Ergebnisqualität auf Basis medizinischer Standards, Indikations-, Befund- und Ergebnisdokumentationen mit Erfassung und Bewertung von Routinedaten (z. B. aQua-Kriterien), objektiv klinischer Ergebnisse und subjektiver Patientenangaben mittels interner und externer Erhebungen sowie flankierender MDK-Stichprobenprüfungen. Eine routinemäßige MDK-Prüfung bezüglich ambulant sensitiver Krankenhausfälle entfällt
  • Mischkalkulation aus den Kosten der beteiligten Leistungserbringer einschließlich der Harmonisierung der bisher differenten Honorierungssysteme (vertragsärztlich, krankenhaus-ambulant, IGV, DRG) unter Bildung eines gewichteten Durchschnittfallwertes (Hybrid-DRG)
  • Kostenneutralität auf Basis der bisherigen Regelversorgung bezüglich der medizinischen Behandlung.

Auf der Grundlage einer leitliniengerechten, dokumentierten ärztlich-medizinischen Indikationsstellung, Berücksichtigung der Patientencompliance und -einwilligung und medizinisch anerkannter Ausschlusskriterien (G-AEP-Kriterien), erfolgt eine ambulante, tagesklinische bzw. Short-Stay-Operation/medizinische Prozedur für zunächst folgende Indikationen: Karpaltunnelsyndrom, Leistenhernie, Ruptur vorderes Kreuzband (Knie), Stammvarikosis. Der Ort der Leistungserbringung (ambulant/ stationär) und die Wahl der Methode ergibt sich aus der patientenindividuellen medizinischen Notwendigkeit auf o. g. Basis. Die weitere Nachbetreuung inkl. adjuvanter Heilmaßnahmen (z. B. Physiotherapie) bis zum Behandlungsabschluss verbleibt in der Verantwortung des Operateurs/der behandelnden Einrichtung und wird entsprechend der ambulanten Regelversorgung vergütet. Ein Jahr postoperativ erfolgt eine Nachuntersuchung mit Erfassung von Routinedaten (aQua-Bericht adaptiert) sowie des subjektiven (Arzt- und Patientensicht) und objektiv-klinischen Behandlungsergebnisses. Flankiert wird der gesamte Behandlungspfad durch die o. g. Qualitätssicherungsmaßnahmen. Durch die Einbeziehung aller Leistungserbringer wurden die differenten Honorierungssysteme zusammengefasst sowie Indikationen, Behandlungswege, Ergebnisse und Kosten definiert bzw. transparent dargestellt.

Somit wurde in Kenntnis der Probleme und Nichtvergleichbarkeit der differenten sektoralen Honorierungssysteme für das Pilotprojekt transparente, einheitliche Qualitäts- und Honorierungskriterien für Praxen und Kliniken für identische Leistungen/Indikationen im Grenzbereich zwischen ambulant und stationär als pragmatisches Übergangsmodell geschaffen. Die Harmonisierung des ambulant-vertragsärztlichen, krankenhausambulanten und Short-Stay-Klinik-Operierens und konservativer Behandlungsoptionen sowie die Harmonisierung der bisher sektoral geprägt differenten Kostenstrukturen erfordert im Pilotprojekt keine rechtlichen (Vertragsbasis ist § 140a SGB V) und ökonomischen (siehe Kostenneutralität) Maßnahmen bzgl. der Regelversorgung. Ökonomisch und organisatorisch kommt es im Pilotprojekt zu Mehraufwendungen für Kostenträger, Management und Leistungserbringer durch die begleitenden Maßnahmen z. B. zusätzliche Qualitätssicherung und -management, Fallmanagement, EDV-Vernetzung, Evaluation.

Das IT- basierte Management des Projektes hat die NAO GmbH als Vertragspartner der Techniker Krankenkasse im Rahmen eines Vertrages nach § 140 a SGB V übernommen.

Es bestand das Erfordernis der Bildung einer Arbeitsgruppe „Hybrid-DRG“ aus Kostenträgern, Management inkl. IT und medizinischer Expertise zur Projektbegleitung und -weiterentwicklung sowie deren personeller und finanzieller Ausstattung. Diese Arbeitsgruppe wurde 2016 nach Ablehnung des Projektes durch den Innovationsfonds gegründet.

Das Pilotprojekt ist als Test für ein sektorenunabhängiges medizinisches Leistungs- und Honorierungssystem zu verstehen und somit der bereits umgesetzte praktische Vorreiter des MDK-Reform-Gesetzes sowie einer sektorenunabhängigen Qualitätssicherung. Strukturelle Veränderungen, wie z. B. die Wandlung von Kliniken in intersektorale Versorgungszentren und als Pendant die Reanimation der im SGB V verankerten Praxiskliniken, werden sich aus meiner Sicht perspektivisch im Rahmen eines solchen Konzeptes auf einer kalkulierten DRG-Basis betriebswirtschaftlich darstellen lassen.

Aus Sicht des Versorgungsmanagements und der Versorgungsforschung besteht der Vorteil dieses Konzeptes in der Übersichtlichkeit der Behandlungspfade mit klarer Definition des Anfang- und Endpunktes sowie den mit der Behandlung in Zusammenhang stehenden adjuvanten Leistungen (z. B. Heilmittel, Pflege) und Verordnungen/Produktversorgungen.

Mit dem Konzept werden Fehlanreize beseitigt und eine stärkere Orientierung auf den Patienten erreicht.

Übertragbarkeit/Erforderliche Maßnahmen für Regelversorgung

Eine Übertragbarkeit des Pilot-Projektes besteht für

  • das gesamte Bundesgebiet (Basis: einheitliche Indikation; z. B. Leistenbruch)
  • alle medizinischen Indikationen mit definierbaren Behandlungspfaden
  • weitere Kostenträger
  • die Regelversorgung in der gesetzlichen und privaten Patientenversorgung (Basis: einheitlich definierte indikationsbezogene Kalkulation („Hybrid-DRG“))

Perspektivisch sind im Rahmen der avisierten Regelversorgung folgende Maßnahmen erforderlich:

  • Organisatorisch/rechtlich
  • Sektorenübergreifende Bedarfsplanung
  • Anpassungen im SGB V/Bundesmantelvertrag mit Harmonisierung bisheriger differenter ambulant/stationärer Regelungen (z. B. Verordnungsbefugnisse, Zulassungsbestimmungen, elektronische Abrechnungsmodalitäten, …)
  • Ökonomisch/Medizin-fachlich
  • Ist-Kosten Kalkulation der Hybrid-DRG durch ein unabhängiges Institut auf Basis der Kostenstrukturen in Analogie zur DRG/PEPP Kalkulation (Einbeziehung der Erfahrungen des Pilot-Projektes)
  • Wahl von medizinischen Indikationen und Behandlungen sowie Definition der Behandlungspfade, Struktur, Prozess und Ergebnisqualität, die für eine Überführung in eine Hybrid-DRG-Systematik geeignet sind
  • Erstellung eines Indikations- und Kalkulationskataloges
  • Harmonisierung der different sektoral und/oder territorial geprägten Honorierungs- und Kostenstrukturen inkl. der Arzneimittel- und Heil- und Hilfsmittel sowie Medizinproduktkosten

Risiko-Nutzen/Verhältnismäßigkeit

Risiko

  • Nichtakzeptanz des Versorgungskonzeptes durch Kostenträger (Fallzahlproblem)
  • Einseitige Nichtakzeptanz des Versorgungskonzeptes durch Leistungserbringer (insbesondere stationärer Bereich)
  • Politisch/berufspolitisch und ökonomisch motivierte Eingriffe und Widerstände gegen eine sektorenunabhängige Versorgung, Besitzstandswahrungen, Kostendämpfungsszenarien.
  • Versuch der sektoralen Optimierung des sektorenunabhängigen Konzeptes
  • Unzulässige Übertragung des Versorgungsmodells auf nicht geeignete Fälle und Dogmatisierung (kostenseitig motivierte Indikationsbeugung)
  • Fehlerhafte Kostenkalkulation des Hybrid-DRG
  • Weiche Indikationskriterien mit resultierenden Umgehungsstrategien und/oder Mengenausweitungen

Nutzen

  • Patientenorientierte, bedarfsgerechte und qualitätsverbessernde Versorgung durch
  • ärztlich-medizinischen Indikationsbezug/-definition
  • definierte, dokumentierte, evaluierte Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität
  • Kein Anreiz zu sektorbedingten Verlagerungseffekten
  • Beseitigung sektorgeprägter ökonomischer Anreize bei Diagnostik- und Behandlungsmethoden, Verordnungen und Produkteinsätzen
  • Minderung der Gefahr der Mengen- und Kostenausweitung durch
  • Exakte Indikationsdefinition, Dokumentation und Qualitätskontrolle
  • Definition eines Indikationskataloges und ggf. eines Ausschlusskataloges
  • Transparente Kostenkalkulation (Hybrid-DRG) unter Einbeziehung aller primären und sekundären/adjuvanten Kostenstrukturen
  • Stichprobenprüfung
  • Verbesserung der Möglichkeiten einer indikationsbezogenen Versorgungsforschung/-management, z. B. Nutzung des Konzeptes als komplexes Prüfmodell für die Einführung von medizinischen Innovationen, da gesamter Behandlungspfad abgebildet und evaluiert ist
  • Verbesserung der Transparenz in der Abrechnung von erbrachten Leistungen
  • Abbau von Doppel- und Mehrfachstrukturen (z. B. Kostenträger: DRG-Abrechnung, Krankenhausambulante Abrechnung (§ 115b), vertragsärztliche Abrechnung; Kliniken: DRG-Abrechnung, Krankenhausambulante Abrechnung)
  • Reduktion von MDK-Prüfungen und Retaxierungen bezüglich ambulant-sensitiver Krankenhausfälle und den damit verbundenen Bürokratie- und Kostenaufwendungen für Kostenträger und Leistungserbringer

Viele Bereiche der Grund- und Regelversorgung, insbesondere im Schnittstellenbereich ambulant/stationär, lassen sich mit der Hybrid-DRG-Systematik bezogen auf die Gesundheitsgesamtausgaben kostenneutral durch Beseitigung sektoraler Anreizsysteme bei harmonisierter Vergütung darstellen (Stichwort: gleiches Geld für gleiche Leistung). Für den Patienten mit z. B. einem Leistenbruch ist wichtig, dass der Bruch durch eine individuell patientenbezogene OP-Methode nachhaltig beseitigt wird, sein Behandlungsrisiko minimiert und seine peri- und postoperative Lebensqualität gut sind – und dass ist unabhängig vom Ort der Leistungserbringung.

Zum erfolgreichen Ausbau des Konzeptes sind die Unterstützung durch Politik/Gremien/Verbände und die Beteiligung weiterer Leistungserbringer und Kostenträger erforderlich.

Perspektive einer sektorenunabhängigen bzw. sektorenübergreifenden Versorgung

Mit dem kleinen Pilotprojekt konnte gezeigt werden, dass es möglich ist, eine patientenorientierte, sektorenunabhängige Versorgung im Schnittstellenbereich ambulant/stationär mit einer harmonisierten Vergütung und sektorenübergreifenden Qualitätskriterien zu gestalten und praktisch umzusetzen. Dass dieser Ansatz aufgegriffen und weiter ausgebreitet wird, ist trotz aller politischer/berufspolitischer Statements aus meiner Sicht inzwischen eher kritisch zu sehen. Viel zu tief sind die sektoralen Gräben in allen Bereichen der Politik und Berufspolitik, der Kostenträger, der Gesundheitsökonomie, der Industrie, der Klinik- und Praxisbetreiber und nicht zuletzt in der Ärzteschaft und deren Verbänden und Fachgesellschaften – und viele leben in ihrer sektoralen Schachtel sehr bequem. Leicht redet es sich seit Jahrzehnten redundant und mit alten auf neu getrimmten Begrifflichkeiten von erforderlicher komplexer sektorenübergreifender Versorgung, solange man es nicht praktisch umsetzen muss oder beim Wort genommen wird. So ist zum Beispiel das 5. Sozialgesetzbuch unverändert völlig ungeeignet, die gewünschte integrierte bzw. sektorenübergreifende Versorgung praktisch bzw. in der Regelversorgung zu gestalten – auch dies zeigte sich im Pilotprojekt sehr deutlich.

Das einzige, was sich unter Ökonomisierung, Kostendruck und Gewinnoptimierung in diesem Kontext m. E. ausgebildet hat und weiter ausbilden wird, sind sektorenübergreifende Strukturveränderungen im Sinne von Praxis-, MVZ-, IGZ-, Klinikverbünden und Vernetzungen. Damit einher geht ein Konzentrierungsprozess von Großklinikbetreibern und deren adjuvanter Kostenträger-/politischer, fach- und berufsverbandlicher Lobby vorgesehener Beseitigung unabhängiger Selbstverwaltung der Körperschaften von Kostenträgern und Ärzteschaft (siehe z. B. die jüngsten Gesetzesvorhaben GKV-FKG und Notdienst sowie Versorgungsstruktur- und -stärkungsgesetz in Verbindung mit der Krankenhausreform- und -strukturgesetz), sowie Freiberuflichkeit in Praxen, Berufsausübungsgemeinschaften, Praxiskliniken und Kliniken. Offenbar sind neben der selbstständigen ambulanten Fachärzteschaft vor allem jetzt die unflexibleren Kliniken der Grund- und z. T. Regelversorgung zum Abschuss freigegeben. Stichworte sind da aus meiner Sicht z. B. zum Teil sehr verlogene Diskussionen um Bedarfsplanungen, Mindestmengen, strukturelle Qualitätskriterien und Leitlinien, die Sinnhaftigkeit des Allgemeinchirurgen u. v. a. m. – zum Glück wird wohl die „Digitalisierung“ alles richten – oder doch der massive Ärztemangel?

Ein weiteres Problem, das Konzept flächendeckend umzusetzen, wird sein, dass sich die Ärzteschaft mit Versorgungsmanagement beschäftigen muss und vor allem klare ärztliche und nicht ökonomisch getriggerte Indikationskriterien sowie patientenorientierte, sektorenübergreifende Behandlungspfade und Prozesse definieren und evaluieren sowie die resultierenden Behandlungskonzepte in einen ökonomisch machbaren Kontext bringen muss – eine Herkulesaufgabe, die wohl keiner übernehmen wird. Die Forderung nach mehr Geld ist bei aller Berechtigung aber zu einfach und wenig zielführend. Bei fortgesetzter Passivität und Selbstverliebtheit darf sich dann aber auch niemand beklagen, wenn Healthcare Manager und Ökonomen das Heft des Handelns in die Hand nehmen und ärztliche Expertise nicht mehr gefragt ist.

Ich hoffe nicht zu viel Essig in den Wein gegossen zu haben und hoffe natürlich im Sinne unserer Patienten auf die perspektivische Umsetzung weiter Teile des sektorenunabhängigen/-übergreifenden Konzeptes – denn Neue Wege entstehen beim Gehen.

Dittrich S: Sektorenunabhängige Versorgung in der Chirurgie – Das Pilotprojekt „Hybrid-DRG Thüringen – Neue Wege im Gesundheitswesen. Passion Chirurgie. 2020 Februar, 10(02): Artikel 03_03.

Bundeskongress Chirurgie 2020: Freiberuflichkeit und Kollegialität im chirurgischen Alltag

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Diskussionen um eine sektorenübergreifende Vernetzung der Gesundheitssysteme reißen nicht ab. Welche Rollen spielen dabei die ambulanten Fachärzte, Praxiskliniken, Integrative Versorgungszentren, MVZ, Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung? Wie können sektorenübergreifende Modelle sinnvoll gestaltet werden? Wie geht es ganz konkret weiter? Ist die Grund- und Regelversorgung in Praxis und Klinik Auslaufmodell oder Zukunft?

Diese Themen werden vom berufspolitischen Teil des Kongresses, der unter dem Motto „Freiberuflichkeit und Kollegialität im chirurgischen Alltag“ steht, aufgegriffen. Bedeutet doch Freiberuflichkeit auch Sektorenunabhängigkeit in der medizinischen Entscheidung im Sinne des Patienten, Qualität ärztlichen Handelns, Kooperationsfähigkeit, Streben nach sinnvoller Innovation und Fortschritt – analog, digital und reflektierend. Neben Statements der tragenden Berufsverbände und Fachgesellschaften im Rahmen der Kongresseröffnung am Freitag widmet sich insbesondere das Symposium der ambulanten Operateure und Anästhesisten am Sonnabend der Schnittstellenproblematik und bietet eine neue Plattform für das gemeinsame Auftreten der Anästhesisten, Chirurgen und ambulanten Operateure in Praxis und Klinik. Hochkarätige Experten sind zum produktiven Meinungsaustausch geladen. Diverse Workshops zu Praxisabgabe, -übernahme, Abrechnung und aktuellen Rechtsfragen runden das Thema ab.

Die medizinisch-wissenschaftlichen Sitzungen umfassen die breite Palette der Chirurgie mit praxisrelevanten Themen der Unfall-, Fuß-, Hand-, Allgemein- und Viszeral-, Kinder- und Plastischen Chirurgie sowie der Orthopädie, der Phlebologie und der Proktologie. Die einzelnen Sitzungen werden mit hoher fachlicher Kompetenz von den (erstmalig) 19 am Kongress beteiligten Fachgesellschaften und Berufsverbänden gestaltet und sind so strukturiert, dass nach den Übersichtsreferaten genug Zeit zur Diskussion bleibt. Einen festen Platz hat das Herniensymposium am Freitag, ebenso wie Vorträge und Workshops zu chronischen Wunden, Hygiene, Arzt und Recht sowie zum Praxismanagement. Erstmals beteiligt sich der Berufsverband der Anästhesisten mit einem eigenen Symposium „Ambulante Anästhesie“ am Bundeskongress.

Das Junge Forum wurde komplett neu strukturiert. Konkrete Fallvorstellungen aus dem chirurgischen Alltag werden in drei Sitzungen unter Moderation eines Assistenten und eines erfahrenen Praktikers diskutiert. Zuvor befassen sich zwei Sessions mit den Sorgen und Nöten sowie Perspektiven unserer jungen Kolleginnen und Kollegen. Schon im Vorfeld hat dieses Konzept eine breite Resonanz bei vielen Universitäten und Kliniken gefunden. Mit dem Jungen Forum bietet sich eine Plattform auch für alte Hasen in der Diskussion Wissen weiterzugeben, Kontakte zu knüpfen und sicherlich das eine oder andere interessante Neue zu erfahren. Spezielle Themen werden in den zahlreichen Workshops abgehandelt und unsere Industriepartner nutzen diese Plattform auch, um ihre Innovationen vorzustellen.

Abgerundet wird das wissenschaftliche Programm durch Seminare, auf denen die Ärzte und MFA die Fortbildungsvorgaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (Kindertraumatologie, Gutachten, Rehamedizin und Rehamangement), des Strahlenschutzes und der Hygienerichtlinien (z. B. Präsenzseminar „Hygienbeauftragter Arzt“) erfüllen können. Der Reanimationskurs steht ebenso wieder auf dem Programm wie der Tag der Medizinischen Fachberufe mit praxisrelevanten Themen.

Der Bundeskongress Chirurgie in Nürnberg ist in der Kongresslandschaft in seiner Art einmalig. An zwei Tagen gibt es für Fachärzte und Assistenten aus Praxis, BAG, MVZ und Klinik fachliche Updats und alles was für einen ambulant tätigen bzw. ermächtigten Chirurgen, Operateur bzgl. Fortbildung und Praxismanagement wichtig ist – inklusive zahlreicher CME-Punkte. In erster Linie bietet der Kongress die Möglichkeit des interkollegialen Meinungsaustauschs und die Gelegenheit mehr miteinander als übereinander zu reden. Dazu dient auch der Gesellschaftsabend am Freitag – rustikal, deftig, chirurgisch, kommunikationsfähig.

Der Bundeskongress Chirurgie kann aber nur seinem Namen Ehre machen und das Plakat ambulanter und sektorenübergreifender Medizin sein, wenn Sie sich engagieren. Kommen Sie nach Nürnberg! Zeigen Sie Flagge! Lassen Sie uns als Ärzte zusammen mit unseren Partnern gemeinsam stark die Zukunft gestalten.

Das aktuelle Programm finden Sie auf der Kongresshomepage: www.bundeskongress-chirurgie.de. Nutzen Sie die Online-Anmeldung und Frühbucherrabatte.

Ich freue mich auch im Namen aller beteiligten Verbände und Organisatoren, Sie auf dem Bundeskongress Chirurgie 2020 in Nürnberg begrüßen zu dürfen!

Dittrich S: Bundeskongress Chirurgie 2020: Freiberuflichkeit und Kollegialität im chirurgischen Alltag. Passion Chirurgie. 2019 November, 9(11): Artikel 04_04.

Sektorenverbindende Versorgung – Realität und Erwartung

Das Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen: die demografische Entwicklung, die Zunahme chronischer Erkrankungen (4 D: Dick, Degenerativ, Diabetisch, Dement), die verbesserten Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten bei organspezifischen Verletzungen und Erkrankungen sowie im Bereich der Onkologie (3 O), die damit einhergehende zunehmende Diskrepanz zwischen Kostenentwicklung und Einnahmen sowie die an der Versorgungsrealität vorbeigehende Bedarfsplanung der medizinischen Betreuung der Bevölkerung. (Abb. 1).

OEBPS/images/07_01_A_10_2016_Dittrich_image_01.pngAbb.1: Herausforderungen des Gesundheitswesens

Zunehmende Ökonomisierung, schwindender ärztlicher Einfluss, steigende Informationsmöglichkeiten der Gesellschaft, aber auch die Erkenntnis, dass nicht alles Machbare sinnvoll und finanzierbar ist, führen zu einem Wandel von der Standardversorgung zur Individualversorgung der Patienten. Somit ist eine Umwandlung des Gesundheitswesens in einen Gesundheitsmarkt zu verzeichnen. Krankheit wird zum versicherungsrechtlichen Schaden degradiert, der mit medizinischen Mitteln zu beheben ist. Das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis, welches einen freiberuflichen Arzt und einen mündigen Patienten zur Basis hat, wird destruiert und als Wurzel jeglicher Heilungsoption infrage gestellt.

Eine offene gesellschaftliche Diskussion über Leistungsinhalte und Finanzierung einer solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung findet nicht statt. Die resultierenden Probleme im Gesundheitswesen werden in der Realität nicht gelöst, sondern zunehmend verwaltet, bürokratisiert, ökonomisiert und letztendlich kriminalisiert. Dabei gibt es Lösungsansätze, wie z. B. die Integrierte oder wie man jetzt sagt: die Sektorenverbindende Versorgung (IV). Diese populationsorientierte Versorgungsform wird von Vertretern der Kostenträger, Ärzte, Leistungserbringer, von Gesundheitsökonomen und -Politikern auf diversen Kongressen und Symposien seit über zehn Jahren gewünscht, gefordert und für gut befunden.

Theoretisch bietet diese Versorgung auf Basis von Kostenkalkulation und definierter Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität die Möglichkeit, Behandlungsabläufe zu definieren, zu evaluieren und medizinisch fachlich sowie ökonomisch zu optimieren. Zur Förderung hatte der Gesetzgeber im Jahr 2004 eine zeitlich begrenzte Anschubfinanzierung implementiert. Leider wurde diese potenzielle Chance von der überwiegenden Zahl der Kostenträger und den Leistungserbringern nicht in ihrer Komplexität erfasst und umgesetzt, ja sogar zum Teil völlig konterkariert. So ist es bis jetzt zu keinem nennenswerten Durchbruch dieser Versorgungsform gekommen.

Auf die Hintergründe soll kurz eingegangen werden: Motivation für Krankenkassen, integrative Versorgung zu finanzieren, waren und sind vor allem Marketingaspekte, der Ausgleich von akuten Versorgungsdefiziten, die mit Patientenbeschwerden einhergehen, Datenerfassung von Leistungsträgern und die Möglichkeit, den Risikostrukturausgleich zu nutzen. Für die Leistungserbringer stehen finanzieller Benefit bzw. Unabhängigkeit vom KV-System, vereinfachte Behandlungswege (z. B. direkter Facharztzugang) und Beteiligung an der ambulanten Versorgung im Vordergrund. Die Verträge sind vordergründig über persönliche Kontakte und Engagements sowie über Leistungserbringer-Identifikationen zustande gekommen. Tatsächliche sektorenübergreifende – besser sektorenverbindende fachübergreifende integrierte Versorgung – mit Beteiligung von Vertragsärzten, Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Physiotherapeuten und Pflegediensten fand und findet nur selten statt. Nach Ende der Anschubfinanzierung und Überprüfung der IV-Verträge wurden in den Jahren 2007 und 2008 dann auch viele, insbesondere Krankenhaus-assoziierte Verträge gekündigt. Derzeit ist eine, wenn auch abgeschwächte, Dynamik der Zahl der Selektivverträge nur im vertragsärztlichen Bereich zu verzeichnen. Die integrierte Versorgung im Rahmen von Selektivverträgen ist überwiegend zu einem Notnagel für Versorgungsengpässe bzw. Marketingobjekt von Kostenträgern verkommen. Obwohl die bekannten, seit Jahren immer wieder plakatierten Leuchttürme (z. B. Kinzig-Tal), aber auch konkrete praktische eigene Erfahrungen, die Sinnhaftigkeit integrierter sektorenverbindender Konzepte zur Verbesserung der Versorgungsqualität der Patienten unter dem Aspekt der Qualitätssicherung und Kostenoptimierung unterstreichen.

Folgende vier Ursachen, welche alle miteinander in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen, sollen exemplarisch begründen, warum die Integrierte bzw. Sektorenverbindende Versorgung bisher nicht funktioniert:

1. Sektorale Organisation des Gesundheitswesens

Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer. Die Länder haben für die ambulante Versorgung diesen Auftrag an die Kassenärztlichen Vereinigungen übertragen. Das hat zu einer nahezu verstaatlichten, stringenten Sektorierung geführt. Unter dem Dogma der Beitragsstabilität für die gesetzlichen Krankenkassen erfolgten Budgetierungen im Rahmen von Kollektivverträgen, Vorgaben von Leistungskatalogen, Qualitätssicherungsmaßnahmen, Defacto-Budgetierungen von Honorar-, Arznei- und Heilmittelausgaben, Eingriffe in die Honorarverteilung (Hausarzt/Facharzt) – flankiert von überbordender Bürokratie, existenzbedrohenden Kontrollen und Regressen und einer kaum noch nachvollziehbaren Straf- und Sozialgerichtsbarkeit. Die stationäre Behandlung verblieb unter der Länderhoheit, war anfangs traditionell kommunal bzw. klerikal geprägt und weist jetzt bei klammen kommunalen/staatlichen Kassen die Tendenz der Dominanz rein privater Trägerschaft auf. Dies hat zur Folge, dass Gelder der Solidargemeinschaft (Krankenkassen) als Gewinn dem System entzogen werden. Eine ambulante Patientenversorgung war, bis auf die Notfallversorgung, bis Mitte der 1990er-Jahre für Kliniken nahezu tabu.

Die stringente Sektorierung in einen ambulanten und stationären Bereich hat in ihren Auswirkungen und vor dem Hintergrund der unten genannten differenten Honorierungssysteme zu einer intern-strukturellen Sektorierung bei Kostenträgern, Industrie und Handel sowie Politik- und Verwaltungsstrukturen geführt.

2. Finanzierungssystem im Gesundheitswesen

Es gibt drei vordergründige Finanzie­rungssysteme:

a) Einzelleistungsvergütung: Pharmaindustrie, Medizintechnik, Apotheken, Privat-/BG-Ärzte, Physiotherapeuten u. ä. erhalten überwiegend eine Einzelleistungsvergütung, d. h. das Produkt, die erbrachte/verordnete Leistung wird vergütet. Dies hat den Anreiz der Bedarfsdeklaration, der Leistungserweiterung, positiver und negativer Preisgestaltung (Monopol, Rabatte). Die Kostenträger schultern das Morbiditätsrisiko und das Risiko der allgemeinen und fallbezogenen Leistungserweiterung.

b) Fallpauschale: Für jeden Behandlungsfall wird eine Pauschale bezahlt – das ist das klassische DRG-System der Krankenhäuser und Fallpauschalen der Reha-Kliniken. Diese Honorierung hat den Anreiz zur Fallvermehrung, Case mix adaptierten Optimierung, betriebswirtschaftlich vorgegebener Verweildauer und Leistungsverlagerung in andere Bereiche (Ambulanter Sektor, Rehabilitation). Es besteht der Anreiz der Morbiditätsdeklaration, welche Prozedur und nicht unbedingt gesichert Krankheit bezogen ist. Das Morbiditätsrisiko trägt der Kostenträger. Das Risiko der fallbezogenen Leistungserweiterung trägt der Leistungserbringer, das Risiko der Fallzahlsteigerung wird in der Praxis durch Begrenzungsregelungen eingefangen.

Abb. 2: Finanzierungssystem im Gesundheitswesen

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c) Kopfpauschalen (Capitation): Für jeden Versicherten im System wird eine Gesamtpauschale bezahlt – die klassische Honorierung im KV-System. Dies führt zum Anreiz der Leistungsverweigerung und birgt das Risiko der Durchschnitts- und Unterversorgung. Morbiditätsbedingte Honorierungssteigerungen haben den Anreiz der Morbiditätsdeklaration, welche im Rahmen der Leistungsabrechnung als „Gesichert“, „Verdacht“ oder „Ausschluss“ zu kodieren ist. Das Morbiditätsrisiko und das Risiko jeglicher Leistungserweiterung – auch im Rahmen von Verlagerungseffekten – trägt der Leistungserbringer.

Alle drei Honorierungssysteme haben den Anreiz der Bedarfs- bzw. Morbiditätsdeklaration, jedoch keinerlei Ansatz der erfolgreichen Morbiditätsbeseitigung. Die ambulanten und stationären Kodierungsmodalitäten sind ebenfalls different entsprechend der Honorierungsmodalitäten ausgelegt, was durch eine unkritische Vermengung möglicherweise auch eine Ursache des statistischen Morbiditätszuwachses in Deutschland bedeutet.

Die völlig differenten drei Honorierungssysteme sind zum anderen eine weitere Ursache dafür, dass die Differenzierung der Leistungserbringer im Gesundheitswesen und damit die Entsolidarisierung voranschreiten.

Die GKV-Kostenträger haben keine Budget-Verantwortung für den gesamten Behandlungspfad (z. B. Rehabilitations- und Rentenleistungen erfolgen über die Rentenversicherungsträger) und wurden in den Topf „Gesundheitsfond“ gesteckt. Somit besteht für sie der Anreiz der Kostenverlagerung, der Leistungsverlagerung und im Rahmen des Risikostrukturausgleiches ebenfalls der Anreiz zur Morbiditätsdeklaration, jedoch nicht immer der Anreiz zur Honorierung einer effizienten Behandlung. Sogenannte Qualitätsindikatoren, welche meist mittelalterlich-metaphysisch in einfacher Kausalkette verwendet werden, tragen wenig zu einer Effizienzsteigung bei und bergen die Gefahr, massive Fehlanreize zu setzen.

Auf die Sinnhaftigkeit, das „Prävention“ eine Krankenkassenleistung und nicht eine gesundheits- und gesellschaftspolitische und somit steuerfinanzierte Aufgabe ist, soll nicht näher eingegangen werden.

3. Interessenslagen

Aus den genannten Anreizsystemen erwachsen entsprechende differente Interessenlagen der beteiligten Akteure im Gesundheitswesen. Diese sind vielseitig und auf verschiedenen Ebenen angesiedelt:

Unternehmerisch – ökonomisch; medizinisch – ärztlich – ethisch – persönlich/menschlich und haben wiederum zu verschiedenen Betriebs-, Verbandsstrukturen, Interessengemeinschaften und Lobbyismen geführt. Schon allein die Differenzierung der Arztgruppe in Unternehmer und Angestellte, in Vertragsärzte, angestellte MVZ- und Krankenhausärzte, in Chefärzte mit und ohne Gewinnbeteiligungen/Ermächtigungen/Lehraufträgen, in Ärzte universitärer, großer und kleiner Versorgungskrankenhäuser/kommunaler, kirchlicher und privater Träger, in Fach- und Assistenzärzte, in Haus- und Fachärzte, in Beleg-, Honorar- und Konsiliarärzte, in niedergelassene Ärzte in Einzelpraxis, Berufsausübungsgemeinschaften/MVZ in jeweils differenten fachlichen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen und mit differenten Risiken und Verantwortlichkeiten, offenbart, wie schwer es ist, fachlichen und menschlichen Konsens für eine Sektorenverbindende Versorgung zu finden. Aus meiner Erfahrung heraus, sind viele gute IV-Projekte schon allein aus rein subjektiven Befindlichkeiten gescheitert.

Die Differenzierung der Interessenlagen wurde auch durch den Gesetzgeber vertieft. Seit etwa 2005 gibt es neben dem Trend einer zunehmenden Verstaatlichung und privater Konzernkonzentrierung, Initiativen und Gesetzgebungen, die versuchen, Behandlungsmonopole der einzelnen Sektoren – vor allem des ambulanten Bereiches – zu durchbrechen und einen Wettbewerb (bzw. besser Pseudowettbewerb) der Leistungserbringer zu fördern.

4. Rechtliche Rahmenbedingungen

Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten der verschiedenen Sektoren, Industrie und Fachhandel auf Basis von gegenseitigen Respekt und Vertrauen ist sinnvoll und notwendig zur Optimierung der Gesundheitsversorgung und von Behandlungspfaden mit Hebung von Struktur- und Prozessreserven. Nur so können patientenorientierte

Innovationen entwickelt und im Alltag umgesetzt werden. Die struktur- und/oder prozessdefinierten Kooperationen im Rahmen von Praxis-/Klinikverbünden, Netzstrukturen, Selektivverträgen sind auf der einen Seite durch den Gesetzgeber möglich und gewollt (Vertragsarztänderungsgesetz, Versorgungsstrukturgesetz), andererseits sind die resultierenden Interaktionen straf-, dienst-, berufs- und sozialrechtlich risikobehaftet, sodass sich alle Beteiligten sofort in ein nicht kalkulierbares Spannungsfeld mit der Gefahr der unsachgemäßen Einflussnahme auf Verordnungs- und Therapieentscheidungen begeben, was jetzt im Rahmen des Antikorruptionsgesetzes sogar strafbewehrt sein. Somit wird die gesetzliche Förderung von Kooperationen an der ambulant/stationären Schnittstelle durch Verunsicherung der Beteiligten konterkariert. Fachliche und ärztliche Kompetenz wird durch juristische Auslegung ersetzt.

Zusammenfassend kann zur bisherigen Realität der Sektorenverbindenden Versorgung gesagt werden:

  • Ökonomisierung, differente Hono­rierungssysteme, Interessenslagen, subjektive Befindlichkeiten, tradierte Denkschemen sowie Rechtsnormen trennen die Sektoren.
  • Die Sektorierung ist unverändert zementiert in ärztlichen und pflegerischen Leistungsstrukturen, bei Kostenträgern, bei Industrie und Handel, in der Politik und in den vielen Köpfen der Beteiligten im Gesundheitswesen.
  • Dauerbaustellen sind seit über zehn Jahren der Vertragswettbewerb und das Bereinigungsverfahren sowie der Sicherstellungsauftrag.
  • Evaluation, Versorgungsmanagement und -forschung fristen ein Schattendasein.

Was ist zu erwarten?

Verknappende Geldmittel und der Aufbruch der Sektorengrenzen zwingen zu einem Konzentrationsprozess und zur Kooperation der Leistungserbringer (Abb. 3).

Abb. 3: Konzentrationsprozess und Aufbruch der Sektorengrenzen zwingt zur Kooperation

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Mit dem Ziel der Kostenoptimierung/Umsatz-/Gewinnsteigerung, des Erhalts einer fachlichen und/oder ökonomischen Unabhängigkeit und Zukunftssicherung und nicht zuletzt zur Verbesserung der Patientenversorgung wurden/werden von den Beteiligten Kooperationen eingegangen. Diese sind meist traditionell strukturell-sektoral im Sinne von Berufsausübungsgemeinschaften, MVZ (fachgleich, fachübergreifend, überörtlich), Praxisnetzen, Genossenschaften oder Klinikverbundsystemen. In letzter Zeit sind zunehmend auch sektorenverbindende Kooperationen mit entsprechend gestalteten Krankenhaus-MVZ Strukturen, Verbundsystemen oder Netzwerken von Praxen und Kliniken (z. B. 5-Phasen-Campus Modell) zu verzeichnen. In Zusammenhang mit diesen Kooperationen, aber auch unabhängig davon, bestehen prozessbezogene Kooperationen im Rahmen von z. B. Einkaufsmodellen, Verträgen nach §§ 63/64/140/116 SGB V. Die Einbindung von Industrie und Fachhandel ist oft mangelhaft, perspektivisch aber aus meiner Sicht zwingend erforderlich.

Die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach § 116 ff SGB V ist m.E. ein Hoffnungsfunke zur Reanimation der Integrierten bzw. Sektorenverbindenden Versorgung. Leider wurde vor der Bundestagsabstimmung aus dem Gesetzentwurf das Ambulante Operieren gestrichen, mit dem man bei übersichtlichen Behandlungspfaden und Kostenstrukturen die neue Versorgungsform hätte trainieren können. So muss man sich gleich an schwierige Behandlungskomplexe wie z. B. die Onkologie heranwagen. Vorteil der ASV ist die harmonisierte Vergütung und die potentiell gleichberechtigte Beteiligung der Sektoren, wobei z. B. die differenten Finanzierungsmodelle von Krankenhäusern (s. duale Finanzierung) und Vertragsärzten (monistische Honorierung) von z. B. Investitionen meines Wissens keine Berücksichtigung finden. Die ASV ist überwiegend strukturdefiniert und kaum prozess- bzw. falldefiniert. Nachteile sind weiterhin die Nichteinbeziehung von Produkt- und Arzneimittelversorgung/-kosten und die aufwendigen bürokratischen Hürden. Somit ist die ASV ein Schritt in die richtige Richtung und eine Chance für eine Sektorenverbindende Versorgung, muss aber in Zukunft weiter suffizient ausgestaltet werden.

Versorgungsstruktur- und Versorgungsstärkungsgesetz werden in Zusammenhang mit der avisierten Krankenhausreform die Versorgungslandschaft im Gesundheitswesen beeinflussen. Der freiberufliche-selbstständige Facharzt in eigener Praxis (früher oder später auch der Hausarzt) und kleine regionale Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung werden verdrängt und durch ambulante/teilstationäre Versorgungszentren kommunaler/privater Krankenhausträger in Kooperation mit hausärztlichen Versorgungszentren ersetzt. Die stationäre Behandlung findet hochspezialisiert in Krankenhäusern der Schwerpunktversorgung statt – mit hoher Fallfrequenz, überwiegend kurzstationär und multimodal. Daneben werden wirtschaftlich engagierte freiberufliche Ärzte aber auch Kliniken sicherlich auskömmliche Nischen finden.

Abschließend möchte ich ein Projekt vorstellen, an dem ich seit dem Jahr 2004 arbeite und in das ich meine fachlichen und organisatorischen Erfahrungen und Aktivitäten im Rahmen von Tätigkeiten in Akut-Kliniken, Praxen, ambulanten OP-Zentrum, MVZ, Reha-Klinik, Körperschaften (KV/LÄK), Berufs- und Fachverbänden sowie bei Krankenkassen, Industrie und Fachhandel eingebracht habe:

Projekt Sektorenverbindende Versorgung in der Chirurgie

Das vertragsärztlich ambulante und krankenhausambulante Operieren sowie das sogenannte „kurzstationäre“ Operieren sollen im Rahmen eines sektorenverbindenden Versorgungsprojektes auf der Basis des § 115 ggf. auch perspektivisch des § 116 SGB V mit einer entsprechenden Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität auf Basis eines kalkulierten Dienstvertrages einheitlich für den ambulanten und klinischen Bereich entwickelt werden. Neben der Operation umfasst das Projekt die gesamte prä-, peri- und postoperative Sektorenverbindende Versorgung mit zweckmäßiger und notwendiger Diagnostik, Vor- und Nachbehandlung zur Sicherung der Ergebnisqualität auf Basis einer eindeutigen Indikationsstellung. Vordergründiges Ziel ist dabei unter der Prämisse der Patientenorientiertheit die Schaffung einheitlicher Qualitäts-, Kosten- und Honorierungskriterien für Praxen und Kliniken und die Abschaffung von Doppelstrukturen bei Kostenträgern und Körperschaften. Durch die Einbeziehung aller Leistungserbringer (Praxen, Krankenhäuser, Pflege, Reha, Heilmittel-, Arzneimittelversorger, Industrie- und Fachhandel) werden die drei differenten Honorierungssysteme im Gesundheitswesen (Einzelleistungsvergütung, Fallpauschale, Capitation) im Rahmen einer Gesamtbudgetverantwortung zusammengefasst sowie Indikationen, Behandlungswege, Ergebnisse und Kosten transparent dargestellt. Basis für eine Kalkulation ist eine DRG- Systematik unter Einbeziehung von Produkt- und Managementkosten. Qualitätsmanagement, Abrechnung und Honorarverteilung sollten aufgrund des bestehenden Know-hows von einer entsprechenden Managementgesellschaft bzw. über eine Kassenärztliche Vereinigung als Dienstleistung erfolgen.

Startpunkt zur Umsetzung der Initiative war eine Sitzung auf dem Bundeskongress Chirurgie am 2. März 2013 in Nürnberg, zu der ich als Kongressleiter repräsentative Vertreter von GKV-Spitzenverband, Industrie und Fachhandel sowie der chirurgischen Berufsverbände BDC, BNC und BAO eingeladen hatte und die sich dort einhellig für eine konzertierte Aktion aussprachen. Diesem Ansinnen hat sich die DGCH angeschlossen. Nach entsprechenden Projektvorstellungen mit Unterstützung des damaligen Präsidenten des BDC, Herrn Prof. Bruch, des BDC-Geschäftsführers, Herrn Dr. Ansorg, und des Generalsekretärs der DGCH, Herrn Prof. Meyer, konnte man sich mit den Kostenträgern und GKV-Spitzenverband auf die Umsetzung des Projektes zunächst als Pilotprojekt für vier Indikationen einigen, für das als Kostenträger die Techniker Krankenkasse gewonnen werden konnte.

Hilfreich war bei der weiteren Umsetzung, dass die TK ein prozedurbezogenes Hybrid-DRG-Finanzierungsmodell entwickelt hatte, welches für das Projekt mit entsprechenden Indikationsbezug angepasst wurde. Als Modellregion wurde das Land Thüringen gewählt, aufgrund der dort bereits bestehenden Netzstrukturen (Chirurgennetz, Netzwerk Ambulantes Operieren, Wundnetz Thüringen) und der guten Zusammenarbeit von Kassenärztlicher Vereinigung, Berufsverbänden, Landesärztekammer und regionaler wissenschaftlicher chirurgischer Fachgesellschaft sowie einschlägigen Erfahrungen bei der Konzeption und erfolgreichen Umsetzung von flächendeckenden integrierten Versorgungsverträgen (NAO GmbH) sowie Selektivverträgen (KV-Thüringen). Nachdem über die Hälfte der Kliniken in Thüringen und die niedergelassenen Chirurgen ihr Interesse an dem Projekt bekundet haben, soll das Pilotprojekt „Hybrid-DRG Thüringen – Neue Wege im Gesundheitswesen“ mit den Indikationen: Leistenhernie, vordere Kreuzbandläsion, Stammvarikosis und Karpaltunnelsyndrom in Abhängigkeit des Innovationsfond noch im Jahr 2016 starten. 

Auf Basis einer leitliniengerechten, dokumentierten ärztlich-medizinischen Indikationsstellung, Berücksichtigung der Patientencompliance und -einwilligung und medizinisch anerkannter Ausschlusskriterien (G-AEP-Kriterien) erfolgt bei den vier Indikationen eine ambulante, tagesklinische bzw. short stay-Operation/medizinische Prozedur bei einheitlicher Hybrid-DRG Finanzierung und modularen Zulagen für z. B. Vorbehandlung/Dokumentation-Qualitätssicherung/Na­chuntersuchung Physiotherapie. Routine-MDK-Prüfungen erfolgen an beteiligten Kliniken für die Fälle nicht. Die weitere Nachbetreuung inkl. adjuvanter Heilmaßnahmen (z. B. Physiotherapie) bis zum Behandlungsabschluss verbleibt in der Verantwortung des/der Operateurs/behandelnden Einrichtung. Je nach Erfordernis werden sektorenübergreifend Kooperationspartner (z. B. Physiotherapeut) einbezogen. Ein Jahr postoperativ erfolgt eine Nachuntersuchung mit Erfassung von Routinedaten (AQUA-Bericht adaptiert) sowie des subjektiven (Arzt- und Patientensicht) und objektiv-klinischen Behandlungsergebnisses. Das Pilot-Projekt ist für vier Jahre konzipiert. Für das Jahr 2017 sind weitere acht Indikationen avisiert.

Fazit

Die Herausforderung der künftigen medizinischen Versorgung ist im Rahmen von Kooperationen, integrativen, sektorenverbindenden Versorgungsmanagement und Healthcare Services die Definition:

Wer behandelt patientenorientiert was, wo, wie, welche Kosten sind damit verbunden und wie wird die praktische Umsetzung gestaltet.

Das von Ökonomisierung, Regulierung, Kriminalisierung und Sektorierung geprägte bisherige Gesundheitssystem löst die Probleme nicht.

Die Erwartungen bestehen somit in der Hinwendung von der sektoralen zu einer patienten- bzw. populationsoriertierten Versorgung. Integrierte bzw. sektorenunabhängige Versorgungsformen mit der Möglichkeit indikationsbezogener Behandlung und Finanzierung, der Evaluation und der Kosten-Nutzen-Analyse sind Bestandteil einer solchen Versorgung und können außerdem als Modell für die Versorgungsforschung genutzt werden. P4P, Werksverträge, Rabattierungen, direkte und indirekte Kostendämpfungen provozieren falsche Anreizsysteme und sind somit kontraproduktiv.

Langfristiger Erfolg von Kooperationen und sektorenverbindender Zusammenarbeit wird generiert über

  • Patientenzufriedenheit mit den Indikatoren Heilung, Linderung, Vorbeugung vor Sekundärschäden,
  • das von Vertrauen geprägte und unantastbare Arzt-Patienten-Verhältnis,
  • ärztlich geprägten Indikationsbezug und ärztlich festgelegte Behandlungspfade,
  • die Bewahrung der ärztlichen Freiberuflichkeit/eines Berufsethos,
  • die gegenseitige Wertschätzung und der respektvolle Umgang aller Beteiligten miteinander,
  • die Überwindung von sektorenbezogenen Denkansätzen, Vorbehalten, Klischees,
  • eine gemeinsame Unternehmenskultur (Basis: Healthcare compliance) mit Zuverlässigkeit, Kollegialität, Integrations- und Kommunikationsfähigkeit sowie,
  • Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung.

Die Lösung lautet also: Zurück zu den chirurgischen Wurzeln, das Richtige richtig tun und Partnerschaft leben.

Der Artikel basiert auf einem Vortrag des Autors im Rahmen der „Teupitzer Gespräche“ im Jahr 2014, welcher in Wolff.H. (Hrsg.): Stand und Erwartung in der Chirurgie -Fremdbestimmung? im Dr. R. Kaden Verlag, Heidelberg im Jahr 2016 erschienen ist und jetzt aktualisiert wurde.

Dittrich S. Sektorenverbindende Versorgung – Realität und Erwartung. Passion Chirurgie. 2016 Oktober, 6(10): Artikel 07_01.

Bundeskongress Chirurgie 2015: Chirurgie in Not – Notfall Chirurgie

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bei der Konzeption des diesjährigen Bundeskongresses Chirurgie stand für mich die Besinnung auf die Wurzeln unseres ärztlich-chirurgischen Handelns, das patientenorientierte Arzt-Patientenverhältnis mit seiner intimen Mystik, erneut im Vordergrund. Die Artikel im Themenschwerpunkt des vorliegenden Heftes sind ausgewählte in schriftliche Form gebrachte Vorträge vom Kongress.

Kein Kostenträger, kein Krankenhausträger, kein Pharma- bzw. medizinisches Industrieunternehmen, aber auch keine Verwaltungsdirektion, keine KV oder KBV, keine Kammer und kein Politiker hat je einen Patienten gesund gemacht. Vielmehr sind diese Strukturen Dienstleister – zum Teil sehr wichtige Dienstleister und Partner, die sich tiefen Respekt und Wertschätzung verdient haben – aber eben Dienstleister und Partner für unabhängige freiberuflich agierende Ärzte, die sich dem Wohl ihrer Patienten verpflichtet fühlen.

Es gilt die Gesundheitsökonomie und die Gesundheitspolitik – welche sich zunehmend verselbstständigen und im Berliner Elfenbeinturm den Blick für jede Realität verloren haben, die sich darauf verlegt haben, Mängel und Defizite immer umfangreicher zu verwalten, statt zu beseitigen, die mit immer neuen populistischen Aktionen und Gesetzgebungen die tatsächlichen Akteure im Gesundheitswesen zunehmend reglementieren und kriminalisieren – wieder auf den Boden der Realität zu bringen. Dazu ist es aber notwendig, dass wir Ärzte und Chirurgen zusammen mit unseren Partnern nicht mehr nur reagieren, sondern agieren, indikationsbezogen Sektoren einreißend und auf der Basis eines vertrauensvollen Arzt-Patientenverhältnisses definieren, was für unsere Patienten notwendig ist. Selbstverständlich müssen wir dabei auch ökonomische Gegebenheiten berücksichtigen.

Entscheidend wird sein, dass wir Fachkompetenzen sowie berufspolitische Erfahrungen aller Sektoren und Fachbereiche nutzen, bündeln und auf Augenhöhe diskutieren – um dann mit einer Stimme zu sprechen. Ein hehres Ziel, welches u. a. der Präsident der DGCH Prof. Rudolf Häring bereits im Jahr 1990 in seiner Eröffnungsansprache zum Chirurgenkongress aus der Sicht eines Klinikers wie folgt formulierte: „Einer „Atomisierung“ in Subspezialitäten muss jedoch Einhalt geboten werden. Spezialisierung um jeden Preis spaltet die Chirurgie im Partikularitäten. Versuche der völligen Abgrenzung und Isolierung und der Kampf um die „Ressourcen“ sind unerträglich, sie vergiften die Klinikatmosphäre und enden in Misstrauen und Intoleranz. Diese Kleinstaaterei kann sich in vieler Hinsicht nachteilig auf den kranken Menschen auswirken. Die Einheit der Chirurgie ginge verloren. Aber nur die Einigkeit nach innen macht uns stark gegen viele Anfechtungen und Angriffe von außen.“

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Aus diesen Beweggründen habe ich das diesjährige Kongressthema gewählt: Notfälle in der Chirurgie. Kaum ein anderes Thema kann die Gemeinsamkeiten und die Vielfältigkeit der Chirurgie so gut widerspiegeln. Der Chirurg ist der Primärarzt bei Verletzungen und Schmerzen. Interdisziplinarität, spezielle Fachgebietskenntnisse und Teamwork mit gemeinsamen Handeln sind im Rahmen einer patientenorientierten chirurgischen Notfallversorgung unabdingbar. Der Kongress bietet Dank der Beteiligung der vielen Fach- und Berufsverbände mit zahlreichen Sitzungen, Kursen und Workshops einen praxisrelevanten Überblick über den aktuellen Stand der chirurgischen Notfallversorgung in Klinik und Praxis und zeigt Perspektiven auf.

Aber haben wir nicht auch einen Notfall Chirurgie? Das Umfeld der Chirurgie hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die Schlagworte heißen Ökonomisierung, Hebung von Effizienzreserven, Kundenfreundlichkeit, Patientenströme, Morbiditäts- und Arbeitsverdichtung, Korruption, Hygienemängel, Ärztepfusch – um nur einige zu nennen. Die Erwartungen an Patientensicherheit, Arbeitsqualität und an die ärztliche Zuwendung steigen gerade in den chirurgischen Fächern erheblich an. Die Schere zwischen erwünschten Idealzustand und täglicher Realität geht immer weiter auseinander. Folgen sind Resignation, Aufgabe von Praxen bzw. Verkauf an MVZs, das Vergraben im OP-Saal, Unkollegialität und Überheblichkeit als vermeintlicher Selbstschutz bzw. als Ausdruck fachlichen und/oder menschlichen Unvermögens, letztendlich auch der viel beklagte Nachwuchsmangel. Wir stehen an einem Scheideweg.

Die Perspektive wäre aus meiner Sicht, wenn sich die Chirurgen, egal ob in Klinik, Universität oder Ambulanz, darauf besinnen würden, dass es einen Patienten gibt, der sich mit seinem Leiden in ihre Obhut begibt und sie berufen sind mit dem Ziel der Heilung, Linderung oder Bewahrung vor Sekundärschäden, den Kern des Leidens zu diagnostizieren, konservative und operative Behandlungsmöglichkeiten im Sinne des Patienten abzuwägen sowie eine adäquate chirurgische Therapie bis zur Genesung durchzuführen bzw. zu gewährleisten und sich nicht nur auf die operative Prozedur zu reduzieren bzw. reduzieren zu lassen. Diese Berufung setzt jedoch ärztliche, nicht unbedingt ökonomische, Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit eng verbunden mit der fachlichen sowie ärztlich geprägten ökonomischen Definition wer-was-wo-wie behandelt voraus. Dies bedarf eines gewaltigen sektorenübergreifenden Arbeitsaufwandes in Kliniken, Praxen, Universitäten, Fachgesellschaften und Berufsverbänden sowie einer gemeinsamen Sprache, um die Identität und ärztliche Freiheit des Chirurgen gegen alle ökonomischen, juristischen und politischen Einflüsse zu verteidigen.

Packen wir es an! Es ist vielleicht unsere letzte Chance, die Chirurgie in ihrer Schönheit, Gemeinsam- und Vielfältigkeit, Komplexität und spezifischen Individualität zu bewahren und die Zukunft zu meistern.

Es würde mich freuen, wenn ich mit dem Bundeskongress Chirurgie in Nürnberg unter dem Motto „Gemeinsam Stark“ einen Fingerzeig in diese Richtung geben konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stephan Dittrich

S. Dittrich. Editorial: Bundeskongress Chirurgie 2015: Chirurgie in Not – Notfall Chirurgie. Passion Chirurgie. 2015 Mai; 5(05): Artikel 01.

Bundeskongress Chirurgie 2014 – „Gemeinsam Stark“

Einer guten Tradition folgend dürfen wir Sie vom 21.2. – 23.2.2014 nach Nürnberg zu unserem Bundeskongress Chirurgie einladen.

Dieser gemeinsame Kongress richtet sich an Chirurginnen und Chirurgen, die in Praxen, MVZ, Kliniken, ambulanten Operationszentren und Tageskliniken tätig sind sowie an Kolleginnen und Kollegen benachbarter medizinischer Fachgebiete. Er bietet eine Plattform des fachlichen und berufspolitischen Erfahrungsaustausches über die Sektorengrenzen hinweg.

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Unter aktiver Einbeziehung unserer Partner aus Industrie und Fachhandel werden aktuelle Probleme chirurgischer und medizinischer Versorgung aufgeworfen, diskutiert und Lösungsansätze aufgezeigt.

Schwerpunkt des Kongresses 2014 wird neben unfall- und viszeralchirurgischen Themen sowie Tipps und Tricks aus dem Praxis- und Klinikalltag, die chirurgische Grund- und Regelversorgung sowie die Patientensicherheit sein. Auch die Schaffung effizienter sektorenübergreifender Vernetzungen wird wieder im Fokus der Diskussion stehen.

Das Umfeld der chirurgischen Tätigkeit in Klinik und Praxis hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Der Druck von außen wächst durch fortschreitende Ökonomisierung der Medizin, die Forderungen nach kontinuierlicher Leistungssteigerung bei gleichzeitigem Personalmangel, Morbiditäts- und Arbeitsverdichtung und den medienwirksam vorgetragenen Korruptionsvorwürfen, Hygienemängeln, Ärztepfusch usw. Die Erwartungen an Patientensicherheit, Arbeitsqualität und an die ärztliche Zuwendung steigen gleichzeitig erheblich an und lassen die Schere zwischen erwünschtem Idealzustand und harter Realität immer weiter auseinander gehen. Damit wir die Herausforderungen des demographischen Wandels mit seinen weitreichenden Auswirkungen auf die Sozialsysteme aktiv mitgestalten können, ist es wichtig, unsere hervorragende Struktur- und Ergebnisqualitität, aber auch unsere Fehler und Schwächen darzustellen und zu diskutieren sowie unsere Vorstellungen einer patientenorientierten Medizin aufzuzeigen. Aus diesem Grunde haben sich zahlreiche Verbände im Bundeskongress Chirurgie unter dem Motto „Gemeinsam Stark“ zusammen geschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie nach Nürnberg! Zeigen Sie Präsenz und werden Sie Teil dieser Gemeinschaft, die bereit ist, die gemeinsame Sache in den Mittelpunkt des Handelns zu setzen und persönliche Vorteile und Eitelkeiten außen vor zu lassen.

Dittrich, S. / Haack, D. / Bruch, H.-P. / Neumann A. Bundeskongress Chirurgie 2014 – „Gemeinsam Stark“. Passion Chirurgie. 2014 Februar; 4(02): Artikel 03_02.

Weiterführende Informationen
Hauptprogramm Bundeskongress Chirurgie 2014

Bundeskongress Chirurgie 2014 – „Gemeinsam Stark“

Einer guten Tradition folgend dürfen wir Sie vom 21.2. – 23.2.2014 nach Nürnberg zu unserem Bundeskongress Chirurgie einladen.

Dieser gemeinsame Kongress richtet sich an Chirurginnen und Chirurgen, die in Praxen, MVZ, Kliniken, ambulanten Operationszentren und Tageskliniken tätig sind sowie an Kolleginnen und Kollegen benachbarter medizinischer Fachgebiete. Er bietet eine Plattform des fachlichen und berufspolitischen Erfahrungsaustausches über die Sektorengrenzen hinweg.

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Unter aktiver Einbeziehung unserer Partner aus Industrie und Fachhandel werden aktuelle Probleme chirurgischer und medizinischer Versorgung aufgeworfen, diskutiert und Lösungsansätze aufgezeigt.

Schwerpunkt des Kongresses 2014 wird neben unfall- und viszeralchirurgischen Themen sowie Tipps und Tricks aus dem Praxis- und Klinikalltag, die chirurgische Grund- und Regelversorgung sowie die Patientensicherheit sein. Auch die Schaffung effizienter sektorenübergreifender Vernetzungen wird wieder im Fokus der Diskussion stehen.

Das Umfeld der chirurgischen Tätigkeit in Klinik und Praxis hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Der Druck von außen wächst durch fortschreitende Ökonomisierung der Medizin, die Forderungen nach kontinuierlicher Leistungssteigerung bei gleichzeitigem Personalmangel, Morbiditäts- und Arbeitsverdichtung und den medienwirksam vorgetragenen Korruptionsvorwürfen, Hygienemängeln, Ärztepfusch usw. Die Erwartungen an Patientensicherheit, Arbeitsqualität und an die ärztliche Zuwendung steigen gleichzeitig erheblich an und lassen die Schere zwischen erwünschtem Idealzustand und harter Realität immer weiter auseinander gehen. Damit wir die Herausforderungen des demographischen Wandels mit seinen weitreichenden Auswirkungen auf die Sozialsysteme aktiv mitgestalten können, ist es wichtig, unsere hervorragende Struktur- und Ergebnisqualitität, aber auch unsere Fehler und Schwächen darzustellen und zu diskutieren sowie unsere Vorstellungen einer patientenorientierten Medizin aufzuzeigen. Aus diesem Grunde haben sich zahlreiche Verbände im Bundeskongress Chirurgie unter dem Motto „Gemeinsam Stark“ zusammen geschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie nach Nürnberg! Zeigen Sie Präsenz und werden Sie Teil dieser Gemeinschaft, die bereit ist, die gemeinsame Sache in den Mittelpunkt des Handelns zu setzen und persönliche Vorteile und Eitelkeiten außen vor zu lassen.

„Gemeinsam Stark“: Bundeskongress Chirurgie 2013 in Nürnberg

Liebe Kolleginnen und Kollegen, täglich werden wir mit Reglementierungen, überbordender Bürokratie, Rechtsproblematiken, der Dominanz und Präferenz ökonomischer Denkweisen gegenüber ärztlichem Sachverstand sowie mit Freiberuflichkeit und Existenz bedrohendem Gebaren von Politik und Kostenträgern konfrontiert. Die notwendige gesellschaftliche Diskussion über Leistungsinhalte und Finanzierung einer solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung wird jedoch seit Jahren vermieden. Probleme werden zunehmend nicht gelöst, sondern verwaltet, bürokratisiert und kriminalisiert. Suspekt sind da vor allem Freiberufler und Selbstständige, insbesondere wenn sie nicht in die zum Teil mittelalterlichen, metaphysischen Schablonen passen.

Durch die sektorierten Strukturen, unsere differenten Interessen sowie bestehende Animositäten und Eitelkeiten sind wir jedoch ein leichter Spielball. Aus diesem Grunde ist es um so wichtiger, dass wir uns als Chirurgen in den grundsätzlichen, vor allem den übergreifend-fachlichen, berufspolitischen und berufsethischen Fragen einig sind, zu einander finden, gemeinsame Plattformen gründen und so „Gemeinsam Stark“ sind.

Wir Chirurgen, egal ob in Klinik, Universität oder Ambulanz, sollten uns darauf besinnen, dass es einen Patienten gibt, der sich mit seinem Leiden in unsere Obhut begibt und wir berufen sind, auf der Basis der Mystik des Arzt-Patientenverhältnisses mit dem Ziel der Heilung, Linderung oder Bewahrung vor Sekundärschäden, den Kern des Leidens zu diagnostizieren, konservative und/oder operative Behandlungsmöglichkeiten im Sinne des Patienten abzuwägen und eine adäquate chirurgische Therapie bis zur Genesung durchzuführen bzw. zu gewährleisten. Diese Berufung setzt jedoch ärztliche, nicht unbedingt ökonomische, Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit, eng verbunden mit der fachlichen sowie der ärztlich geprägten ökonomischen Definition wer-was-wo-wie behandelt, voraus. Verwaltungen und Ökonomen sind dafür unsere Dienstleister und nicht umgekehrt!

Somit bedarf es eines gewaltigen, sektorenübergreifenden Arbeitsaufwandes in Kliniken, Praxen, Universitäten, Fachgesellschaften und Berufsverbänden, um die Chirurgie in ihrer Schönheit, Vielfältigkeit, Komplexität und spezifischen Individualität zukünftig zu bewahren und unseren Nachwuchs zu begeistern. Es gilt das „Wir- Gefühl“ zu stärken und eine Identifikation für das Fach nicht nur über die Struktur, sondern auch über den Prozess und das Ergebnis zu erreichen.

Diesem Anliegen hat sich der gemeinsame Bundeskongress Chirurgie, in der Tradition des Bundeskongresses der niedergelassenen Chirurgen und im erfolgreichen Schulterschluss mit dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen und dem Bundesverband für Ambulantes Operieren (BAO), verschrieben. Der Kongress unter dem Motto „Gemeinsam Stark“, welcher im nächsten Jahr am ersten Märzwochenende in Nürnberg unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie, des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie, des Bundesverbandes der Durchgangsärzte und erstmalig unter Beteiligung des Berufsverbandes der Niedergelassenen Kinderchirurgen Deutschlands und der Gesellschaft für Fußchirurgie stattfindet, spricht Chirurginnen und Chirurgen aus Klinik und Praxis gleichermaßen an, was rund 1.200 Teilnehmer aus der gesamten Bundesrepublik in 2012 eindrucksvoll unterstrichen.

Schwerpunkte des gemeinsamen Kongresses sind die Fort- und Weiterbildung mit Auffrischung des Wissens und Diskussionen über Behandlungsstandards aus Sicht der täglichen Praxis, brennende gesundheits- und berufspolitische Fragen und die Gestaltung eines patientenorientierten Versorgungsmanagements. Neben Experten aus Praxen und Kliniken, die in Übersichtsreferaten Erfahrungen, Tipps und Tricks vermitteln und gemeinsam mit dem Publikum diskutieren, werden in den Kongress auch die Angehörigen der medizinischen Fachberufe sowie unsere Partner von Fachhandel und Industrie vermehrt mit einbezogen.

Einen besonderen Schwerpunkt bildet neben der Unfall- und Allgemeinchirurgie die chirurgische Onkologie, die derzeit von der fachlichen aber auch versorgungstechnischen Seite ambulant wie stationär im Brennpunkt steht. Meines Erachtens ist es wichtig, dass wir Chirurgen fachliche Kompetenz demonstrieren und „Flagge zeigen“. Namhafte Referenten haben sich angesagt, um einen profunden Überblick als „update 2013“ zu geben. Somit ist der Kongress schon allein aus diesem Grunde ein Muss für jeden angehenden Chirurgen, aber auch ein komprimierter Refresher für die etablierten Kollegen in Klinik und Praxis.

Im Rahmen des Versorgungsmanagements soll vor allem die Schnittstellenproblematik Klinik/Praxis beleuchtet und zukunftsweisende Wege aufgezeigt werden. Hierbei ist es mir eine besondere Freude, dass auch hochkarätige Referenten aus Industrie und Fachhandel sowie von Seiten der Kostenträger ihre Erfahrungen vermitteln und sich an der Podiumsdiskussion beteiligen werden.

Interessant wird sicherlich der berufspolitische Vormittag am Samstag, wo im Wahljahr die gesundheitspolitischen Sprecher der Parteien im Rahmen einer gemeinsamen Publikums- und Podiumsdiskussion zur Perspektive des Gesundheitswesens Rede und Antwort stehen müssen. Weitere Sitzungen widmen sich aktuellen und brisanten Themen, wie dem Patientenrechtegesetz, der Honorar- und Konsiliartätigkeit sowie der zukünftigen Gestaltung der Fort- und Weiterbildung in Praxis und Klinik.

Abgerundet wird der Kongress durch den Tag der medizinischen Fachberufe, einer speziellen Veranstaltung für MFA/Arzthelferinnen, Gesundheits- und Krankenpfleger/innen, MTRA, Wundschwestern/-experten und Physiotherapeuten sowie durch zahlreiche praktische Workshops, Weiterbildungskurse und Fachseminare, wobei 2013 erstmalig ein Gutachterseminar angeboten wird, welches, wie auch die Kindertraumatologie, durch die DGUV voraussichtlich zertifiziert wird.

Bei allen Veranstaltungen sollen die Diskussion und das kollegiale Gespräch im Vordergrund stehen.

Diesem Ansinnen ist auch unser gemeinsamer Gesellschaftsabend am Samstag, dem 02.03.2012 gewidmet, welcher in lockerer Atmosphäre mit Unterhaltungs-Band, Jazz-Ecke, Bar, Buffet und Überraschungen in den Räumen des Germanischen Museums im Zentrum von Nürnberg stattfinden wird. Nach vorheriger Anmeldung können auch Teile des Museums unter fachkundiger Führung besichtigt werden.

Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir eine große Freude, Sie auch im Namen des Vorsitzenden des BNC, Herrn Dr. Haack, des Präsidenten des BDC, Herrn Prof. Bruch, des Präsidenten des BAO, Herrn Dr. Neumann sowie der gemeinsamen Kongresskommission zum Bundeskongress Chirurgie 2013 recht herzlich einzuladen und in Nürnberg begrüßen zu dürfen.

Dittrich S. „Gemeinsam Stark“: Bundeskongress Chirurgie 2013 in Nürnberg. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 03_02.

Umbrüche in der ambulanten Chirurgie

Im folgendem werden die Wahrnehmungen eines in freier Niederlassung praktizierenden Chirurgen, D-Arztes, unabhängigen Gutachters und Beraters im Gesundheitswesen etwas pointiert und „umbruchhaft“ dargestellt. Die Ausführungen basieren auf langjährigen Erfahrungen und Tätigkeiten in Klinik, Praxis, Berufsausübungsgemeinschaften, Klinik-MVZ, Ärztenetzen und –genossenschaften, Managementgesellschaften, Industrie und Fachhandel, stationärer Rehabilitation und sind Reflexionen berufsständischer- und berufspolitscher Tätigkeit in diversen Ausschüssen und Gremien von Kassenärztlichen Vereinigung und Landesärztekammer, Berufsverbänden und wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Landesschiedsamt, Prüfgremien der Ärzte und Krankenkassen.

Umbrüche in der ambulanten Chirurgie – da steht zunächst ein persönlicher Umbruch im beruflichen Werdegang eines Chirurgen im Vordergrund. Motivationen für eine freie Niederlassung in eigener Praxis sind die Flucht vor den zahlreichen Klinikdiensten, Stress mit Vorgesetzten und Kollegen, Drang zur Selbstverwirklichung und Eigenständigkeit und nicht zuletzt die Aussicht auf einen guten Verdienst. Die entscheidende Frage: „Fühle ich mich in der Lage einen Betrieb zu führen und soziale Verantwortung für meine Angestellten zu übernehmen?“ wird leider vor einem solchen Schritt nur selten gestellt.

Tab. 1: Entscheidung: Was will ich – angestellt oder selbständig?

Angestellt Selbständig

  Abhängig bezüglich fachlicher und organisatorischer Gestaltung

  Kollegen-/ Personalvorgabe

  Hohe Dienstbelastung

  Honorierung nach Tarif

  Unabhängig bezüglich fachlicher und organisatorischer Gestaltung

  Personalhoheit/ – auswahl

  Geringere Dienstbelastung

  Honorar nach eigener Leistung

Aber:

  „Sicherheit“ der Klinik / MVZ

  Wirtschaftliche Sicherheit

  Keine unmittelbare soziale Verantwortung für Mitarbeiter und Betrieb

Aber:

  Volle persönliche Verantwortung

  Volles Wirtschaftliches Risiko

  Soziale Verantwortung für Mitarbeiter und Betrieb

Quelle: in Anlehnung an Rüggeberg, Vortrag auf dem Kongress der DGCH 2009

Nach dem Weggang aus der Klinik mutiert man plötzlich vom anerkannten Leistungsträger zum „auswärtigen Zuweiser“, „Deppen aus der Niederlassung“, dem ein Azubi mitteilt, das die Klinikeinweisung nicht notwendig sei, aber auch zum anerkannten „Fachmann vor Ort“, zum „Chirurg zum Anfassen“, „Ambulanten Operateur“ und/oder „Kleinchirurgen und Gipsanwickler“, zum Allrounder, der sowohl konservativ wie auch operativ tätig sein muss, was gelegentlich zu einer Selbstverherrlichung führt. Tatsächliche Teamplayer gibt es, wie auch in der Klinik, nur wenige.

Was heißt ambulante Versorgung?

Der ambulante Chirurg ist in der Regel der „Primärarzt” bei Beschwerden und Schmerzen, im Not- und Verletzungsfall.

Differenziert man die Erkrankungen, die zum ambulanten chirurgischen Primärkontakt führen ergibt sich folgendes Bild:

  • 62 % Unfallchirurgische und degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates
  • 18 % Erkrankungen der Körperoberfläche (Entzündliche Prozesse/Tumore)
  • 11 % Viszeralchirurgische Erkrankungen inkl. gynäkologische und urologische Erkrankungen in der Differentialdiagnostik
  • 3 % Gefäßchirurgische Erkrankungen (Varizen, DBS)
  • 2 % Proktologische Erkrankungen
  • 1 % Onkologische Erkrankungen
  • 3 % Sonstige / fachfremde Notfälle

(Basis: Leistungsspektrum von 85 Praxen des Landes Thüringen)

Die erforderliche ambulante chirurgische Versorgung setzt sich aus drei Modulen zusammen:

I. Grundversorgung

a.   Basisversorgung

Beratungen, Untersuchungen, Verbände, Gipsverbände, Injektionen, Übungsbehandlungen, …

b.  Spezielle Diagnostik

Röntgen, Sonographie, Endoskopie, …

c.   Spezielle chirurgische Therapie

Wundversorgungen, Repositionen, kleinere chirurgische Eingriffe einschließlich der Anästhesie durch den Chirurgen, chronische Wunde, postoperative Behandlung, konservative Fraktur- und Gelenkluxationsbehandlung,…

II. Ambulante Operationen Kap. 31 EBM / § 115 b SGB V

III. Qualifizierte chirurgische Notfalldiagnostik und –therapie

Der von seiner Ausbildung her überwiegend internistisch ausgebildete Hausarzt ist für eine umfassende ambulante chirurgische Grundversorgung fachlich nicht in der Lage, auch wenn es hausärztliche Standesvertreter und Politiker mit der Implementierung des Primärarztsystems anders sehen. Kompensiert wird die eher geringe Kenntnis chirurgischer Erkrankungen durch Veranlassung zahlreicher paraklinischer und bildgebender Untersuchungen, Überweisungen, Klinikeinweisungen, was trotz Einführung der Praxisgebühr wahrscheinlich mit ein Grund ist für die Erhöhung der Zahl der Patienten-Arzt Kontakte ist. Selten findet sich eine wirkliche konstruktive Zusammenarbeit.

Spezial- und Ermächtigungssprechstunden sowie Notfallambulanzen umfassen nur ein begrenztes Spektrum ambulanter chirurgischer Versorgung. Die Erfahrungen aus diesen Bereichen lassen keine allgemeine Extrapolierung auf die allgemeine ambulante Versorgung zu.

Umbruch zum ambulanten Operateur

Adios große Viszeralchirurgie – aber auch die Kleinigkeiten des Lebens müssen ordentlich behandelt werden.

Ambulantes Operieren erfordert im Vergleich zur Klinik noch größere Präzision, noch genauere Indikationsstellung, Aufklärung und Risikoabschätzung. Der primäre Höhenflug, was man alles ambulant operieren kann, endet recht schnell auf dem allgemein praktizierten und bewährten Level. Auf der anderen Seite geht nach guter Vorbereitung bei entsprechendem Umfeld viel mehr als vorher angenommen wird.

In Deutschland werden laut statistischem Bundesamt und Mitteilung der KBV pro Jahr rund sechs Millionen ambulante Operationen pro Jahr durchgeführt, wovon rund 25 % auf das krankenhausambulante Operieren entfallen. Ca. 75 % werden von Vertragsärzten durchgeführt, das sind 40 % aller ambulanten und stationären Operationen. Das Spektrum reicht von der Wirbelsäulenchirurgie bis zur Hernienoperation, von differenzierter Varizenchirurgie bis zur Arthroskopie, von der Endoprothetik bis zur Operation eines Schnappdaumens oder Hallux valgus. Hinzu kommen die häufigen Eingriffe an der Körperoberfläche, wie Unguis incarnatus, Haut- und Weichteiltumore, Abszessspaltungen und Wundversorgungen.

Ausschließlich ambulant operierende Praxen gibt es kaum. Selbst chirurgische Großpraxen und Praxen, die sich als OP-Zentren, Praxiskliniken etc. bezeichnen, haben 70 bis 80 Prozent Anteil an konservativen Fällen. Insofern gehen Bestrebungen der KBV im Rahmen der neuen Bedarfsplanung in „konservative“ und „operative“ Chirurgen zu unterscheiden völlig an der Realität vorbei. Vielmehr gibt es Patienten, welche mit konservativen und/oder operativen Methoden behandelt werden müssen. Der Chirurg als Arzt und Operateur ist dabei prädestiniert die richtige Wahl zu treffen.

Ambulantes Operieren im niedergelassenen Bereich vereinigt alle Kriterien der multimodalen Fast Track Chirurgie mit dem Vorteil der Behandlung aus einer Hand und dem Nachteil einer Unterfinanzierung.

Umbrüche in der ambulanten chirurgischen Versorgung

Zunehmende Ökonomisierung, schwindender ärztlicher Einfluss, zunehmende Informationsmöglichkeiten und –überflutung der Gesellschaft, aber auch die Erkenntnis, dass nicht alles Machbare sinnvoll und finanzierbar ist, haben dazu geführt, dass wir einen Wandel von der Standardversorgung zur Individualversorgung der Patienten, eine Umwandlung des Gesundheitswesens in einen Gesundheitsmarkt zu verzeichnen haben. Ärzte und Patienten wandeln sich zunehmend von reaktiven zu aktiven Marktteilnehmern und die immer noch dominierende sektorale Versorgung weist einen Trend zur Integration auf.

Für den ambulanten Arzt, insbesondere den Chirurgen mit hohem Anteil technisch-instrumenteller Tätigkeiten reicht das Prinzip Hoffnung nicht mehr, existentielle Befürchtungen werden wahr, Anpassungs- und Handlungsdruck, Ressourceneinsatz für Unternehmeraufgaben und das unternehmerische Risiko steigen. Politische/berufspolitische Diskussionen, Statements und Polemik ersetzten dabei nicht das unternehmerische Handeln. Dabei kann man die Ärzteschaft grob in vier Kategorien bzw. Unternehmertypen einteilen, woraus sich differente Handlungsoptionen sowie Chancen und Risiken rekrutieren:

1.   Arzt mit individueller Nischenorientierung ohne Kooperationsbestrebungen
Hier findet sich das Gros der Hausärzte wieder, aber auch Fachärzte mit individuellen, monopolistischen Versorgungsaufträgen (z. B. Augenärzte, HNO) oder Subspezialisierungen (z. B. Handchirurg, Proktologe). Diese Praxen haben die Chance, auch als Einzelpraxen fachlich und wirtschaftlich in ihren jeweiligen Nischen und/oder Versorgungsmustern eine Zukunft zu haben.

2.   Arzt ohne unternehmerische Ambitionen
Diese Ärzte verrichten hervorragende medizinische Tätigkeit, sind aber ungeeignet, einen Betrieb bzw. eine Praxis zu leiten. Folgen sind Überlastung, volle Sprechstundenzimmer mit desaströsem Betriebsergebnis, Burnout, Resignation. Für diese Kollegen wären Anstellungsverhältnisse in Berufsausübungsgemeinschaften oder MVZ-Strukturen, wie sie seit dem Vertragsarztänderungsgesetz möglich sind, ideal.

3.   Arzt mit ausgeprägter kollegialer Kooperationsorientierung
Diese Kollegen finden sich in Berufsausübungsgemeinschaften, Ärztenetzen und Genossenschaften wieder und können von den möglichen Kooperationsvorteilen fachlich und wirtschaftlich profitieren. Leider ist in dieser Gruppe das subjektive Risiko „Mensch“ ebenso ausgeprägt, sodass viele gute Ansätze oft ein jähes Ende finden und diese Ärzte dann zum Großteil den ersten beiden Gruppen und vereinzelt der folgenden Gruppe zuzuordnen sind.

4.   Arzt mit ausgeprägter Unternehmer- und Führungsorientierung
Diese Ärzte und Unternehmer reagieren differenziert auf Veränderungen der Rahmenbedingungen unter Nutzung der Chancen bei vollem persönlichem Risiko. Auffällig in dieser Gruppe ist, dass sich die Ärzte zunehmend unabhängig von Honorierungen und Restriktionen der Kassenärztlichen Vereinigungen machen, Praxiskliniken führen, Ärzteverbünde gründen bis hin zur Angliederung/Aufkauf ganzer Krankenhäuser.

Folge dieser Differenzierung und der dominierenden wettbewerbs- und marktorientierten Rahmenbedingungen ist eine zunehmende Entsolidarisierung der Ärzteschaft, da es weniger interessensgleiche Bedingungen und Handlungsoptionen gibt.

Die voranschreitende Individualisierung der Gesundheitsversorgung hat einen wachsenden Wettbewerb um den „Kunden Patient“ entfacht, der laut Fries bereit ist, in Deutschland neben Krankenkassenbeiträgen rund 900 € pro Jahr für Gesundheitskonsum und individuelle Zusatzversorgung zusätzlich auszugeben. Dem gegenüber steht die staatliche Nivellierung der Basis- und Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gegenüber mit politisch gewollter Beitragsstabilität, jedoch effektiv steigenden Belastungen durch Erhöhungen der Beitragsbemessungsgrenzen, Zusatzbeiträgen, Zuzahlungen, Leistungskürzungen.

Im Rahmen der chirurgischen Versorgung ist es laut Proklamationen der Kostenträger aber auch ärztlicher Fachgesellschaften zu einer Ausweitung der sogenannten Schönheitschirurgie und der DRG-basierten Endoprothetik gekommen. Auf der anderen Seite besteht bei zunehmender Morbiditätsverdichtung eine Unterfinanzierung der ambulanten Grund- und Regelversorgung, was perspektivisch zu weiteren Rationierungen bzw. Unterversorgung führen wird.

Umbrüche in den Rahmenbedingungen

1. Abschaffung des ambulanten Facharztes/Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung

Seit 1998 gibt es die Tendenz den ambulanten Facharzt abzuschaffen. Dieses Vorhaben, welches bereits in einem Referentenentwurf offen proklamiert und von Deutscher Krankenhausgesellschaft, Bund-, Ländern und Kommunen, Gewerkschaften, Diakonie und Bischofskonferenz unterstützt wurde, fand zwar bisher nicht Einzug in eines der Gesundheitsgesetze, wird aber seit dieser Zeit weiter verfolgt und indirekt umgesetzt. So wurde zum Beispiel seitens des Gesetzgebers in die Honorarverteilung der Vertragsärzte eingegriffen und diese zugunsten des hausärztlichen Sektors verschoben, auch das Wort „ambulanter Facharzt“ findet sich nicht mehr in den Perspektivpapieren der Gesundheitsministerkonferenzen. Weiterhin wurden in Verbindung mit Kostenexplosion und Preistreiberei Mythen wie „doppelte Facharztschiene“, „Doppeluntersuchungen“, „teure Gerätemedizin“, „in Deutschland wird zu viel ambulant operiert“ in die Welt gesetzt, welche sich bei genauer Betrachtung (z. B. Gutachten, Stellungnahmen von Rürup, Wille, Beske, u. a. ) als völlig absurd und/ oder haltlos erweisen, aber durch die vielseitige und vielfältige Wiederholung der Behauptungen dazu führen, das die breite Masse, aber auch Ärzte und Standesvertreter dies glauben und es so zum Beispiel möglich war, dass durch das GKV – Finanzierungsgesetz einseitig das ambulante vertragsärztliche Operieren gedeckelt wurde, während das krankenhausambulante Operieren in seiner Dynamik unbehelligt blieb.

Durch die Einführung der sogenannten Euro-Gebührenordnung wurde auch dem letzten ambulanten Chirurgen in Deutschland bewusst, dass die chirurgische Grundversorgung unzureichend im GKV-Honorierungssystem abgebildet und hochgradig unterfinanziert ist. So erhält ein Chirurg im Quartal pro Patient für den o. g. Leistungsumfang 25 bis maximal 30 € Umsatz, auch Honorar genannt.

Abb.1: Zusammenfassende Darstellung der Honorarsituation einer durchschnittlichen chirurgischen Praxis in Thüringen (Basis: Angaben der KVT, Erhebungen ANC-Thüringen, eigene Analysen)

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Auf der anderen Seite ist es zu einer zunehmenden „Ambulantisierung“ der Krankenhäuser gekommen, wobei Spezialgebiete (z. B. nach § 116 SGB V) und ambulante Operationen (§ 115 b SGB V) auch unter dem Druck der Krankenkassen von den Krankenhäusern übernommen werden. Ambulante Operationen, welche im Vergleich zu DRG´s schlechter honoriert werden, können für Krankenhausträger in Anbetracht des Mehrerlösausgleiches durchaus attraktiv werden. So wurde die Zahl ambulanter Operationen nach Angaben der Techniker Krankenkasse innerhalb von fünf Jahren auf das dreifache gesteigert, wobei der niedrige Ausgangspunkt zu beachten ist. Die Steigerungsrate des vertragsärztlichen ambulanten Operierens liegt bei 5 % im gleichen Zeitraum und hält sich somit im Rahmen der allgemeinen demographisch und morbiditätsbedingten Steigerungen ärztlicher Leistungen.

2. Bedarfsplanung durch Veränderungen in der Weiterbildungsordnung

Die chirurgische Weiterbildungsordnung mit den resultierenden acht Facharztkompetenzen hat bisher, selbst im Versorgungsstrukturgesetz und den Ansätzen der KBV mit ihrem kleinräumigen Bedarfsplanungskonzept, keine Berücksichtigung bei der Versorgungsplanung gefunden. Derzeit sind die niedergelassenen Chirurgen Fachärzte für Chirurgie sowie meist H- bzw. D-Ärzte und decken so, das gesamte chirurgische Behandlungsspektrum ab. Perspektivisch gibt es aber den FA für Chirurgie und auch den FA für Orthopädie nicht mehr. Der Hausarzt ist fachlich und strukturell nicht in der Lage, bei zunehmend kürzeren Krankenhausverweilzeiten die Patienten nach stationärer Behandlung insbesondere auf unfallchirurgischen Fachgebiet qualitäts-, fach- und sachgerecht weiter zu behandeln. Die Nichtberücksichtigung der differenten Facharztkompetenzen bei der Bedarfsplanung führt zu einem Vortäuschen ausreichender Versorgung (Beispiel: 1 Kinderchirurg ist in einem ländlichen Gebiet Kat. 7 der Bedarfsrichtlinie für rund 68.000 Einwohner ausreichend, eine 100%ige chirurgische Sicherstellung zu gewährleisten). Zum anderen kann es zu einem möglichen Übernahmeverschulden kommen, wenn zum Beispiel der o. a. Kinderchirurg bei einem Erwachsenen unfallchirurgisch tätig wird. Völlig ungeklärt bleiben auch perspektivische Modalitäten der Praxisveräußerung.

Medizinische Versorgungszentren am Krankenhaus lösen das Problem nicht, da sie den gleichen, zum Teil sogar restriktiveren Bedarfsplanungs- und Zulassungsbedingungen eines Vertragsarztes unterliegen.

3. Sicherstellung der ambulanten Versorgung

Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer. Die Länder haben für die ambulante Versorgung diesen Auftrag an die Kassenärztlichen Vereinigungen übertragen. Das hat zu einer nahezu verstaatlichten, stringenten Sektorierung geführt. Unter dem Dogma der Beitragsstabilität für die gesetzlichen Krankenkassen erfolgten Budgetierungen im Rahmen von Kollektivverträgen, Vorgaben von Leistungskatalogen, Qualitätssicherungsmaßnahmen, Defacto-Budgetierungen von Honorar-, Arznei- und Heilmittelausgaben, Eingriffe in die Honorarverteilung (Hausarzt/Facharzt) – flankiert von überbordender Bürokratie -, existenzbedrohenden Kontrollen und Regressen und einer kaum noch nachvollziehbaren Straf- und Sozialgerichtsbarkeit. Die Sektorierung des Kollektivvertragssystems wurde in der letzten Zeit durch diverse Gesetzesinitiativen partiell aufgebrochen und den Krankenkassen die Sicherstellung ambulanter Versorgung im Rahmen von Selektivverträgen, Modellvorhaben, Einkaufsmodellen, integrierter Versorgung und spezialisierter Leistungen an Krankenhäusern ganz oder teilweise übertragen, jedoch ohne dass es zu einer entscheidenden Verbesserung der Versorgungssituation gekommen ist. Vielmehr hat man die Krankenkassen im Rahmen des Gesundheitsfonds in einen gedeckelten Topf gesteckt, wo sie sich mit dem Werkzeug des Risikostrukturausgleiches um den Inhalt streiten.

Auf die integrierte Versorgung (i. V.) soll etwas näher eingegangen werden.

Von der Theorie her bietet diese Versorgung auf Basis einer Kostenkalkulation, definierter Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität die Möglichkeit, Behandlungsabläufe zu definieren, zu evaluieren und medizinisch fachlich patientenorientiert als auch ökonomisch zu optimieren. Zur Förderung hatte der Gesetzgeber eine zeitlich begrenzte Anschubfinanzierung implementiert. Leider wurde diese potentielle Chance von den Kostenträgern und den Leistungserbringern nicht in ihrer Komplexität erfasst und umgesetzt.

Wie sieht die Realität aus: Motivation für Krankenkassen integrative Versorgung zu finanzieren, sind vor allem Marketing Aspekte, Ausgleich von akuten Versorgungsdefiziten, welche mit Patientenbeschwerden einhergehen, Datenerfassung von Leistungsträgern und die Möglichkeit, den Risikostrukturausgleich zu nutzen. Für die Leistungserbringer stehen finanzieller Benefit bzw. Unabhängigkeit vom KV-System, vereinfachte Behandlungswege (z. B. direkter Facharztzugang) im Vordergrund. Tatsächliche sektorenübergreifende, besser sektorenverbindende fachübergreifende integrierte Versorgung mit Beteiligung von Vertragsärzten, Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Physiotherapeuten und Pflegediensten fand und findet nur selten statt. Nach Ende der Anschubfinanzierung und Überprüfung der i. V.-Verträge wurden in den Jahren 2007 und 2008 dann auch viele, insbesondere Krankenhaus-assoziierte Verträge gekündigt. Derzeit ist eine, wenn auch abgeschwächte, Dynamik der Zahl der Selektivverträge nur im vertragsärztlichen Bereich zu verzeichnen.

Für die ambulante Chirurgie waren und sind die i.V.-Verträge segensreich und für viele Praxen ein wichtiges existentielles Standbein. Insbesondere das ambulante Operieren mit Einbeziehung von Physiotherapeuten, ambulanten Pflegediensten, Reha-Einrichtungen, hausärztlichen Sektor aber auch Krankenhäusern, ist im Rahmen einer integrierten Versorgung gut darstellbar, transparent, qualitätsgesichert und vor allem patientenorientiert. Gleiches trifft auch auf die Versorgung chronischer Wunden, diabetischer Füße u. ä. zu, nur sind die Versorgungsstrukturen und –erfordernisse wesentlich komplexer. Aus eigener Erfahrung in der Gestaltung, Umsetzung und Evaluation solcher Verträge wird auch den Kostenträgern eine win-win-Situation bewusst, wenn sie nicht nur unmittelbare Kosten, sondern auch den Prozess, das Ergebnis, die Patientenzufriedenheit bewerten und sie sich von ihrer internen Sektorierung und Schubkastendenkweise befreien können.

Hoffungsfunke zur Belebung der seit Jahren dahin dümpelnden integrierten Versorgung ist das GKV-Versorgungsstrukurgesetz im Rahmen der spezialfachärzlichen Versorgung, vorausgesetzt man schafft eine sektorenverbindende Ausgestaltung. Leider ist das dafür prädestinierte ambulante Operieren in letzter Minute aufgrund sektoraler Befindlichkeiten und Animositäten aus dem Gesetz gestrichen worden, so dass man sich jetzt gleich komplexen Versorgungssystemen wie der Onkologie widmen muss. Aber gerade hier müssen sich die Chirurgen einbringen, um nicht zukünftig als „Auftragshandwerker“ disqualifiziert zu werden.

Perspektivisch wird meines Erachtens die Industrie mit ihrer Potenz und know how ihrer sozialen Verantwortung bei der Gestaltung von Versorgungsprozessen gerecht werden müssen, wobei auch das AMNOG einen gewissen Druck aufbauen wird.

Umbruch in der Struktur chirurgischer Praxen

Das Vertragsarztänderungsgesetz, aus ärztlicher Sicht einer der wenigen Lichtblicke der Sozialgesetzgebung der letzten Jahre, hat die Möglichkeit der Strukturflexibilisierung und somit eine Ausweichmöglichkeit bezüglich der übrigen Restriktionen (Honorar, Bedarfsplanung,…) gegeben. So sind nahezu alle denkbaren Berufsausübungs- und Kooperationsformen möglich:

  • Einzelpraxis
  • Berufsausübungsgemeinschaften: lokal – regional – überörtlich
  • MVZ (vertragsärztlich u./o. Krankenhausgetragen, sonstige Träger)

Die Tätigkeit als Arzt ist möglich

  • als: Selbständiger u./o. in Anstellung
  • in: Praxis, BAG, MVZ, Krankenhaus (Honorararzt, Konsiliararzt, Belegarzt)

Die Kooperationsformen sind strukturdefiniert (Berufsausübungsgemeinschaft, MVZ) – und/oder prozessdefiniert (Integrierte Versorgung, Selektivverträge, Modellvorhaben, Praxisverbundsysteme).

Das Versorgungsstrukturgesetz wirkt sich bezüglich der Kooperationen positiv aus und entkriminalisiert leistungsbezogene Kooperationsformen zwischen Krankenhäusern und Vertragsärzten beim krankenhausambulanten Operieren und im Rahmen der prä- und poststationären Behandlung.

In der ambulanten Chirurgie ist, schon betriebswirtschaftlich bedingt, ein zunehmender Trend zu lokalen und überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften und vertragsärztlich getragenen MVZ, letztere insbesondere in Ballungszentren, zu verzeichnen. Einzelpraxen werden seltener, haben aber in Nischen (z. B. Handchirurgie) oder Kooperationsformen mit Krankenhäusern (Konsiliararzt, Belegarzt, Honorararzt, Teil-Anstellungsverhältnis; Gerätegemeinschaften mit gemeinschaftlicher Nutzung von OP-Saal, Röntgengeräten,…) durchaus eine Zukunft. Seltener finden sich Praxisnetze und -verbünde, die, wenn sie funktionieren, eine hocheffiziente ambulante Versorgungsstruktur darstellen.

Medizinische Versorgungszentren (MVZ)

Wenn von einem MVZ gesprochen wird, versteht man in der Regel darunter ein krankenhausgetragenes MVZ, obwohl diese Form nur 34 % aller MVZ ausmacht. Für viele Krankenhäuser, besser deren Verwaltungsdirektoren/innen, ist die Möglichkeit verlockend, ein MVZ zu gründen, um in den ambulanten Markt einzubrechen – auch unter der klischeehaften Sichtweise: Ambulant = wenig Arbeit und viel Geld. So werden zum Teil wahllos Vertragsarztsitze aufgekauft und Ambulanzstrukturen nach Einzelpraxismuster geschaffen. Die Ernüchterung erfolgt in der Regel nach einem Jahr, wenn die ersten KV-Honorarabrechnungsbescheide kommen und die Erkenntnis gewonnen wird, das im fachärztlichen Vertragsarztbereich nur ca. 60 % der erbrachten Leistungen zum Orientierungspunktwert von 3,50 Cent honoriert werden (Kalkulationsgrundlage im EBM waren primär 5,11 Cent), demgegenüber aber die Löhne der angestellten Ärzte bei 40 Stunden Arbeitswoche (oft werden nur 20 h Sprechstunde angeboten) in Höhe von Oberarztgehältern liegen, das Leistungsvermögen aber nur 70 % der niedergelassenen Vertragsärzte, welche im Durchschnitt 60 h/Woche arbeiten, beträgt und zusätzliche Kosten für Verwaltungspersonal anfallen. Im zweiten Jahr folgen dann die ersten Regresse und Rückzahlungen, weil die von der Klinik kommenden Kollegen die vertragsärztlichen Fallstricke nicht kannten und im dritten Jahr werden dann die ersten Nachbesetzungen notwendig und es finden sich wie im klinischen Bereich, auch für die Ambulanz keine qualifizierten Ärzte.

Ein Krankenhaus-MVZ funktioniert, wenn es dem DRG-Management optimal dient und/oder integrativer Bestandteil einer Klinik ist und sich die Fachabteilungen für ihre MVZ Struktur fachlich und organisatorisch verantwortlich fühlen.

Ambulantes Operieren in einem Krankenhaus-MVZ macht wirtschaftlich betrachtet keinen Sinn, da die ambulanten Operationen nach § 115 b am Krankenhaus in der Summe besser, transparenter und bereits nach 4 Wochen auch schneller honoriert werden. Kauft ein Krankenhaus einen chirurgischen Vertragsarztsitz, muss das im Rahmen eines Gesamtkonzeptes erfolgen und mit bestehenden Ermächtigungen, D-Arztzulassungen, Notambulanzstrukturen abgestimmt werden.

Für die ambulante Versorgung ist die Krankenhaus-MVZ-Struktur im Vergleich zu einer vertragsärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft/MVZ niedergelassener Ärzte aufgrund der Bürokratie/Verwaltungswege, arbeitsrechtlichen Gegebenheiten, Hierarchie- und Kostenstrukturen nur zweite Wahl, aber in Verklärung von ehemaligen DDR-Polikliniken politisch gewollt und schön geredet.

Umbrüche in der GKV-Honorierung

Voranstellen möchte ich zum besseren Verständnis des Folgenden die drei vordergründigen Finanzierungssysteme der Leistungserbringer im Gesundheitswesen:

1.   Einzelleistungsvergütung
Pharmaindustrie, Medizintechnik, Apotheken, Privat-/BG-Ärzte, Physiotherapeuten u. ä. erhalten überwiegend eine Einzelleistungsvergütung, d. h. das Produkt, die erbrachte/ verordnete Leistung wird vergütet. Dies hat den Anreiz der Leistungserweiterung, positiver und negativer Preisgestaltung (Monopol, Rabatte). Die Kostenträger schultern das Morbiditätsrisiko und das Risiko der allgemeinen und fallbezogenen Leistungserweiterung.

2.   Fallpauschale
Für jeden Behandlungsfall wird eine Pauschale bezahlt – das ist das klassische DRG-System der Krankenhäuser, Fallpauschalen der Reha-Kliniken. Diese Honorierung hat den Anreiz zur Fallvermehrung, Case mix adaptierten Optimierung, betriebswirtschaftlich vorgegebener Verweildauer und Leistungsverlagerung in andere Bereiche (Ambulanter Sektor, Rehabiliation). Das Morbiditätsrisiko trägt der Kostenträger. Das Risiko der fallbezogenen Leistungserweiterung trägt der Leistungserbringer, das Risiko der Fallzahlsteigerung wird in der Praxis durch Begrenzungsregelungen eingefangen.

3.   Kopfpauschalen (Capitation)
Für jeden Versicherten im System wird eine Gesamtpauschale bezahlt – die klassische Honorierung im KV-System. Dies führt zum Anreiz der Leistungsverweigerung und birgt das Risiko der Durchschnitts- und Unterversorgung. Das Morbiditätsrisiko und das Risiko jeglicher Leistungserweiterung – auch im Rahmen von Verlagerungseffekten – trägt der Leistungserbringer.

Diese völlig differenten drei Honorierungssysteme sind eine weitere Ursache dafür, dass trotz aller Bekenntnisse, die Sektorierung und Differenzierung der Leistungserbringer im Gesundheitswesen und damit die Entsolidarisierung voranschreitet. Zu beachten ist, dass es sich bei den sogenannten Honoraren um Umsätze handelt.

Bis 1996 wurden im ambulanten Bereich die ärztlichen Leistungen im Rahmen einer Einzelleistungsvergütung honoriert, in den alten Bundesländer zu 10 Pfennig Punktwert und in den neuen Bundesländern zu 6,xx Pfennig Punktwert, wobei die Auszahlungspunktwerte aufgrund der bestehenden Gesamtvergütung und Leistungsausweitung zunehmend darunter lagen.

Bei ausufernder Leistungsmenge erfolgte ab 1996 eine Budgetierung ärztlicher Leistungen mit Leistungs- und Fallzahlbeschränkungen und eine stringente Umsetzung des bestehenden Capitationsmodells im Rahmen einer pauschalen Gesamtvergütung seitens der Krankenkassen auf Landesebene, welche an der Grundlohnsummenentwicklung festgemacht wurde. Der zentral vorgegebene Erweiterte Bewertungsmaßstab (EBM) gibt zwar im Sinne einer Gebührenordnung eine Leistungsbewertung vor, konnte aber durch regionale Honorarverteilungsmaßstäbe (HVM) auf Landesebene durch die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen in seiner Wirkung völlig ausgehebelt werden. Zum anderen führte eine negative Grundlohnsummenentwicklung (s. 400 € Jobs, s. zunehmende Teilzeitbeschäftigungen, s. Überführung der Sozialhilfeempfänger in die GKV; …) und eine weitere Leistungserweiterung im ambulanten Bereich (s. Verlagerung stationärer Leistungen (Endoskopie, Radiologie, Onkologie-Chemotherapie, ambulantes Operieren,… Innovationen, Morbiditäts- und Anspruchsprogredienz, Entwicklung von leistungsfähigen Großpraxen, u. a. m.)) bei gedeckelter, regredienter Gesamtvergütung zu Honorar- besser Umsatzeinbrüchen bzw. deutlicher Unterfinanzierung vor allem strukturtechnisch aufwendiger fachärztlicher Leistungen (Chirurgie, Radiologie, Augenheilkunde, HNO,… ). Je nach HVM in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt, hatte dies eine betriebswirtschaftlich notwendige Rationierung ärztlicher GKV-Leistungen zu Folge, mit dem Resultat langer Wartezeiten, minimaler Durchschnittsbehandlung – welche außerdem seitens der Kostenträger durch verschärfte Wirtschaftlichkeitsprüfungen (Regresse) schon allein durch das Droh-Szenarium gefördert wurde (System der aktiven und passiven – indirekten Kostendämpfung).

Bei zunehmender Verweigerungshaltung der Ärzte, aber vor allem aufgrund von Patientenbeschwerden und Unterversorgung, wurde im Jahr 2007 das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz implementiert, welches keine Lösung des Strukturproblems der ambulanten Versorgung (höherer Leistungsbedarf, Demographie, steigende Morbidität bzw. Morbiditätsverdichtung, Unterfinanzierung, latenter Ärztemangel) darstellte, sondern sich als Verwaltungsmoloch des Missstandes entpuppte. Es wurden Regelleistungsvolumina (RLV) und später noch sogenannte QZV (Qualitätsgebundene Zusatzvolumina – ein irreführender Name, da der Finanzbedarf für diese Leistungen aus dem RLV-Topf kommt) eingeführt, welche im Rahmen der Euro-Gebührenordnung im Jahr 2009 bundesweit zum Tragen kamen. Unverändert blieben das System der Verordnungsbudgets und des defacto Honorarbudgets mit einer Gesamtvergütung, welche jetzt jedoch nicht mehr an die Grundlohnsummenentwicklung, sondern an die Morbiditätsentwicklung gekoppelt wurde. Basis für die Leistungsbewertung im EBM wurde das dort verankerte Punktvolumen mit einem Orientierungspunktwert von 3,500xx Cent hinterlegt, was eine Abwertung der primären EBM-Kalkulation um 30 % bedeutete. Die Gesamtvergütung wurde in je einen nicht ausgleichsfähigen Haus- und Facharzthonorartopf getrennt, diese dann in sich nochmals untergliedert und sogenannte freie Leistungen außerhalb der Gesamtvergütung eingeführt (Prävention, DMP, ambulantes Operieren). Die Honorarverteilung erfolgte jetzt mit bundeseinheitlichen Vorgaben, die auf Landesebene von den jeweiligen KVen umgesetzt werden mussten.

Mit den Änderungen hatte man aus einer restriktiven Gebührenordnung mit Anreiz zur Leistungsverweigerung eine restriktive Gebührenordnung mit Anreiz zur individuellen Leistungserweiterung gemacht, da jeder Arzt über eine Fallzahlsteigerung vermeintlich mehr Honorar bekommt, durch die Leistungssteigerung aber der Fallwert im Folgejahr bei gedeckeltem Budget sinkt. Somit wurden die niedergelassenen Ärzte bei nahezu gleichbleibenden Honoraren in ein Fallzahlhamsterrad gesteckt, in der Hoffnung, so kostenneutral Versorgungsdefizite zu beheben. Die öffentlich verkündeten zusätzlichen Finanzmittel für die ambulante Versorgung stellten lediglich einen partiellen Ausgleich der über die Jahre aufgelaufenen Inflations-und Kostensteigerungsdefizite dar.

Neben der Neuordnung der Honorierung wurde die Kontrolle der Ärzte, insbesondere der Chirurgen, z. B. durch Schaffung eigenständiger Prüfgremien, der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, Verschärfungen des § 128 SGB V, der Medizinproduktebetreiberverordnung, der Hygienerichtlinien, durch Praxisbegehungen von Behörden und Ämtern aller Couleur, Fortbildungspflicht verbunden mit finanziellen Sanktionen, u. v. a. m. kostenintensiv verstärkt. Flankiert wurde das Ganze von den bereits erwähnten medienwirksamen Mythen und Halbwahrheiten, wie „Kostenexplosion“, „teure Gerätemedizin“, „doppelte Facharztschiene“, und Verallgemeinerungen von Einzelfällen mit „Abrechnungsbetrug“, „Fehlbehandlung“, „Korruption“, „Hygienemissstände“,…

Unter dem Eindruck der scheinbar notwendigen Kostendämpfung und Anti-Facharzthaltung erfolgte im Jahr 2009 im Rahmen des GKV-OrgWG die gesetzliche Fixierung der hausarztzentrierten Versorgung. Die Ausführungsbestimmungen der ärztlichen Honorierung wurden nahezu im Monatsrhythmus verändert und im Jahr 2011 schließlich im Rahmen des GKV-Finanzierungsgesetzes die Aussetzung des Honorarbezuges zur Morbiditätsentwicklung verkündet. Folge: Honorierung ambulanter Leistungen beliebig je nach Kassenlage und völlig losgelöst von jeglichem betriebswirtschaftlichen Bezug.

Das Versorgungsstrukturgesetz beseitigt ab dem Jahr 2012 wieder die zentralistischen bundeseinheitlichen Vorgaben bezüglich der Honorarverteilung, das heißt jede Landes-KV kann diesbezüglich machen was sie will: zunächst bei der RLV-QZV Systematik bleiben (überwiegender Teil der Landes-KVen), wieder zu Individualbudgets zurückkehren (Thüringen, Rheinland-Pfalz) oder etwas völlig neues ausdenken. Vielleicht werden auch das Konstrukt der Kostenerstattung und die Einzelleistungsvergütung reanimiert.

Fazit der Umbrüche in der ambulante Chirurgie: Ambulanter Chirurg – Quo vadis

  • Abschaffung des ambulanten freiberuflichen Facharztes wird weiter forciert.
  • Eine reine chirurgische GKV-Einzelpraxis ist nicht mehr wirtschaftlich existenzfähig.
  • Die ambulante chirurgische Grund- und Regelversorgung ist gefährdet.
  • Das Versorgungsstrukturgesetz löst die Probleme nicht.
  • MVZs lösen die Probleme nicht wirklich.
  • KV-Zulassung und Bedarfsplanung verlieren ihre dominierende Honorarbedeutung bei der Standortwahl.

Der freiberufliche Chirurg in Einzelpraxis und/oder Kooperation ist jedoch prädestiniert Umbrüche zu überwinden, da er den potentiellen Vorteil freier Entfaltungsmöglichkeit, Flexibilität und Unabhängigkeit hat und alternativlos aus fachlicher und medizinökonomischer Sicht ist. Dazu ist es erforderlich, dass er

  • fachlich up to date,
  • kooperativ,
  • berufspolitisch interessiert ist

und sich auch als Unternehmer begreift, Risiken erkennt und minimiert sowie Chancen nutzt.

Vision

Der entscheidende Umbruch wäre jedoch, wenn sich die Chirurgen, egal ob in Klinik, Universität oder Ambulanz, darauf besinnen würden, das es einen Patienten gibt, der sich mit seinem Leiden in ihre Obhut begibt und sie berufen sind mit dem Ziel der Heilung, Linderung oder Bewahrung vor Sekundärschäden, den Kern des Leidens zu diagnostizieren, konservative oder operative Behandlungsmöglichkeiten im Sinne des Patienten abzuwägen und eine adäquate chirurgische Therapie bis zur Genesung durchzuführen bzw. zu gewährleisten – und sich nicht nur auf die operative Prozedur zu reduzieren bzw. reduzieren zu lassen.

Diese Berufung setzt jedoch ärztliche, nicht unbedingt ökonomische, Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit eng verbunden mit der fachlichen sowie ärztlich geprägten ökonomischen Definition wer-was-wo-wie behandelt voraus. Dies bedarf eines gewaltigen sektorenübergreifenden Arbeitsaufwandes in Kliniken, Praxen, Universitäten Fachgesellschaften und Berufsverbänden. – Packen wir es an – es ist vielleicht unsere letze Chance, die Chirurgie in ihrer Schönheit, Vielfältigkeit, Komplexität und spezifischen Individualität zu bewahren und um weitere Umbrüche perspektivisch zu meistern.

Der Artikel basiert auf einem Vortrag im Rahmen der Teupitzer Gespräche im September 2012, welcher aktuell ergänzt wurde.

Literatur und Quellennachweise auf Anfrage beim Verfasser.

Dittrich S. Umbrüche in der ambulanten Chirurgie. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 02_01.