Alle Artikel von Regina Iglauer-Sander

Kunstherzimplantation rettete ukrainischem Sportler das Leben

Dies ist keine Heldengeschichte. Dies ist ein Bericht mit und von Herz(en): Prof. Stephan Ensminger flog kurz vor Kriegsbeginn in die Ukraine, um einem schwerst herzinsuffizienten Patienten ein Kunstherz zu implantieren. Der Hilferuf von Prof. Illya Yemets vom Ukrainischen Herzzentrum in Kiew erreichte das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (USKH) am 9. Februar 2022. Die Zeit drängte. Der 47-jährige Patient schwebte in Lebensgefahr und Kunstherz-Spezialisten waren nicht vor Ort. 24 Stunden später stand Herzchirurg Ensminger mit dem dortigen Team im OP. Dank der engen und langjährigen Beziehung zwischen dem USKH und der Kiewer Klinik war eine schnelle und unbürokratische Hilfe möglich. Keine 14 Tage später war bereits Krieg in der Ukraine …

Hilferuf aus Kiew: Kunstherz muss implantiert werden

„I can‘t believe, you are here!“ Das waren die freudigen Worte, mit denen Prof. Yemets, Direktor des Ukrainischen Kinderherzzentrum in Kiew, den Kunstherz-Spezialisten Prof. Ensminger begrüßte. Und der 51-jährige Direktor der Klinik für Herz- und thorakale Gefäßchirurgie konnte es wahrscheinlich selbst kaum glauben: „Wir bekamen den Hilferuf am 9.2.; ich buchte einen der letzten Linienflüge und nahm am Folgetag den Flieger nach Kiew“, beschreibt Herzchirurg Ensminger die Situation. Nie hätte er geglaubt, die Genehmigung für den Einsatz zu erhalten. „Wir hatten nach wie vor Dienstreiseverbot, denn die Corona-Pandemie forderte Tribute. Die Überlastungssituation in den Kliniken ist nach wie vor gegeben und hoch“, betont der gebürtige Bamberger. Nur fünfzehn Minuten nach Schilderung der lebensbedrohlichen Lage des schwer herzkranken ukrainischen Patienten erteilte Prof. Dr. Jens Scholz, Vorstand und CEO des USKH und Bruder des deutschen Bundeskanzlers, die Genehmigung. „Ich habe eigentlich nicht lange nachgedacht“, erinnert sich Ensminger. „Der Patient brauchte dringend Hilfe, ich konnte helfen. So einfach war die Kausalkette.“

Kiew: Lagebesprechung und Teamzusammenstellung für Herzoperation

In Kiew eingetroffen führte der erste Weg zum Krankenbett des herzkranken Familienvaters. Der ehemalige Hockeyspieler hatte bereits eine Odyssee hinter sich, wurde zweimal reanimiert und über einen längeren Zeitraum mit einer ECMO versorgt. „Sein Zustand war schlecht. Aber er war neurologisch adäquat und kontaktierbar, wenn auch intubiert. Wir mussten schnell entscheiden und handeln. Die Lagebesprechung erfolgte direkt im Team vor Ort“, schildert Ensminger die Situation. „Es galt, in kürzester Zeit das Kompetenzteam für den OP und die mechanische Herzunterstützung zu organisieren.“ Die ukrainische Kardiologin Dr. Olga Gurjeva hatte bereits am USKH in Lübeck hospitiert und daher stand dem Herzchirurgen eine erfahrene Fachkollegin zur Seite. „Olga Gurjeva ist äußerst kompetent und auch ein großartiger Mensch“, urteilt Ensminger. „In der Ukraine gibt es kein Transplant-Programm. Sie war öfter bei uns in Lübeck und es war geplant, dass sie hier Erfahrungen im Bereich der künstlichen Herzunterstützung sammelt. Ein Transplant-Programm war auch für die Ukraine geplant.“ Mit dem Techniker Petr Liszka von Abbot, Hersteller für Kunstherzunterstützungssysteme, war der Grundstein für eine erfolgreiche Operation gelegt. „Auch die Firma hat sofort gehandelt und uns unterstützt. Das Menschenleben stand bei allen im Vordergrund“, berichtet Ensminger.

Abb. 1: Prof. Stephan Ensminger (links) mit Prof. Illya Yemets, dem Direktor des Ukrainischen Kinderherzzentrums in Kiew; Bildquelle: Stephan Ensminger

Schwere Herzinsuffizienz und lange ECMO-Versorgung drängten zur eiligen Operation im Krisengebiet Ukraine

Die Pumpfunktion des Herzens war äußerst eingeschränkt, beschreibt Herzchirurg Ensminger den Patientenzustand weiter. Mit der Implantation eines Linksventrikulären Herzunterstützungssystems (LVAD) sollte die linke Herzkammer unterstützt werden. Es folgte eine komplizierte siebenstündige Operation. „Die Implantation des LVAD ging relativ reibungslos, aber durch die lange Versorgung an der ECMO war die Blutgerinnung beeinträchtigt und die Gefäße in der Leiste quasi ein Trümmerfeld und mussten mit Gefäßprothesen ersetzt werden“, beschreibt Ensminger die OP. „Die Erleichterung nach der erfolgreichen OP war im ganzen Team zu spüren.“ Was ihn besonders beeindruckt habe, war das kompetente Team vor Ort. „Eine OP-Schwester sprach kein Englisch. Das war aber überhaupt nicht einschränkend, weil sie mit solch einer Achtsamkeit assistierte. Wir haben alle Hand in Hand sehr effizient und kollegial gearbeitet“, betont Operateur Ensminger.

Abb. 2: Während der siebenstündigen Operation mit dem herzchirurgischen Kollegen Dr. Sergey Varbanetc (rechts) im Operationssaal des Ukrainischen Kinderherzzentrums in Kiew; Bildquelle: Stephan Ensminger

Bereits einen Tag nach der Operation sitzt der Herzchirurg wieder im Flieger Richtung Deutschland. Auch die Nachsorge und Visite erfolgten unter eher ungewöhnlichen Bedingungen. „Wir haben per WhatsApp gechattet und via Facetime Visiten abgehalten. Das Verhältnis zum Patienten war sehr gut und ich bin äußerst dankbar für diese Erfahrung und dass alles so gut abgelaufen ist“, sagt Ensminger. Ob ihm bewusst war, in welche Situation er sich begibt? Eine Krisenregion, in der Krieg in der Luft liegt? Ensminger sagt dazu: „Meine Frau hat gesagt: ‚Hast du die Reisewarnungen wahrgenommen?‘ Ja, ich wusste natürlich um die Situation und bin nicht naiv. Aber ich dachte auch, wenn etwas passiert, komme ich schon raus und habe die Adresse der Botschaft. Auch vor Ort haben wir kontrovers diskutiert. Viele Mitglieder des Teams vor Ort hätten es auch nicht für möglich gehalten, dass es einen Krieg gibt. Mitten in Europa. Doch die Lage eskalierte sehr zeitnah …“

Kriegslage hat dramatische Auswirkungen auf medizinische Versorgung

Der Krieg hatte und hat auch dramatische Auswirkungen für die medizinische Versorgung der ukrainischen Bevölkerung – konkret auch für den frisch herzoperierten Patienten. „Die Frage war, welche Blutverdünner verfügbar sind vor Ort, wie es kontrolliert werden kann und welche Alternativen es gab. Ich habe intensiv recherchiert und sogar mit Kollegen in den USA, die an der Zulassungsstudie des Kunstherzens beteiligt waren, gesprochen und dann mit dem ukrainischen Team kommuniziert. Zudem war seit Kriegsausbruch die Stromversorgung nicht konstant gewährleistet. Das ist dramatisch für ein Kunstherzimplantat. Ich dachte, jetzt hat der Patient eine Therapie für 100.000 EUR erhalten und es scheitert am Strom? Der Patient ist jetzt in den Westen evakuiert … dort hat er in einem kleinen ländlichen Haus wenigstens einen Dieselgenerator und ist unabhängig. Das ist doch Wahnsinn, dachte ich“, beschreibt Ensminger die Situation.

Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen sind auch Bombenziele

In welcher Geschwindigkeit die politische Lage eskalierte – damit hatte auch das Herz-Team um Prof. Ensminger nicht gerechnet. „Bereits kurz nach meiner Landung in Deutschland forderte das Auswärtige Amt alle Bundesbüger:innen auf, die Ukraine zu verlassen. Ich verfolge seitdem die Lage, insbesondere erschüttert mich, wie fast alle Menschen, dass Zivilisten schwer betroffen sind und auch Krankenhäuser beschossen werden.“

Dem Herzpatienten geht es aktuell gut. Ensmingers kardiologische Kollegin, Dr. Olga Gurjeva, berichtete, dass man zeitweise im Krankenhaus das Licht ausgemacht hätte; auf der Intensivstation nur das Surren und Flimmern der Monitore zu hören und sehen sei. Erst wollte man ein Kreuz auf das Dach des Krankenhauses zeichnen, um zu signalisieren, dass es sich um eine Zivileinrichtung handele. Im Nachhinein sei man froh gewesen, dies nicht realisiert zu haben, da auch Krankenhäuser Bombenziele seien, lautete der Bericht aus Kiew. „Sie ist schon am dritten Tag nach dem Angriff nicht mehr nach Hause gegangen. Viele Pflegekräfte seien verständlicherweise aus Todesangst auch geflohen. Eine Anästhesistin aus unserem OP-Team wurde auf dem Weg zur Arbeit in ihrem zivilen Auto erschossen. Olga ist geblieben, weil sie die Patienten nicht allein lassen wolle. Operiert wird teilweise, während im Hintergrund laute Detonationen zu hören sind. Das schnürt mir die Kehle zu“, sagt Ensminger.

Abb.3: Prof. Stephan Ensminger (rechts) mit der Kardiologin Dr. Olga Gurjeva und Petr Liszka, einem Techniker der Kunstherz-Firma, vor dem Ukrainischen Kinderherzzentrum in Kiew; Bildquelle: Stephan Ensminger

Politisches Statement der Medizin relevant

„1.600 Kilometer liegen zwischen Lübeck und Kiew. Und zwei Welten, seit der Krieg inmitten Europas tobt. Demokratie ist fragil. Die Lage in der Ukraine desaströs. Es kommt nicht oft vor, dass man auch als Mediziner ein politisches Statement abgeben kann, aber in diesem Falle musste und wollte ich mich solidarisch mit der Ukraine erklären“, so Ensmingers Ansicht.

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Iglauer-Sander R: Kunstherzimplantation rettete ukrainischem Sportler das Leben. Passion Chirurgie. 2022 Oktober; 12(10): Artikel 09_01.

Netzwerk Herzchirurginnen fördert weiblichen Nachwuchs und initiiert praxisorientierte Seminare

Rund 64 Prozent der Medizinstudierenden sind heute weiblich. Um den jungen Nachwuchs für das Fachgebiet der Herzchirurgie zu begeistern und junge Kolleginnen in Fort- und Weiterbildung effektiv zu unterstützen, wurde bereits 2020 das Netzwerk der Herzchirurginnen in der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. gegründet. Es bietet Herzchirurginnen eine fundierte Plattform für den themenübergreifenden Austausch, praxisorientierte Workshops und die berufliche Interessenvertretung. Geleitet wird das Netzwerk von den drei Herzchirurginnen und Initiatorinnen Prof. Dr. Sabine Bleiziffer, Privatdozentin Dr. Gloria Färber und Prof. Dr. Claudia Schmidtke.

Das Thema Nachwuchs in der Herzchirurgie

Nahezu jedes medizinische Fachgebiet muss sich akut mit dem Thema Nachwuchs auseinandersetzen. „Wer das Fachgebiet der Herzchirurgie wählt, braucht einen langen Atem“, weiß Prof. Dr. Sabine Bleiziffer, eine der Gründerinnen des Netzwerks Herzchirurginnen. Die leitende Oberärztin sieht in dem Netzwerk die Möglichkeit der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung. Die Netzwerkgründerinnen Bleiziffer, Färber und Schmidtke werden regelmäßig Workshops für angehende und Herzchirurginnen anbieten und ein Mentorinnen-Programm etablieren. Die Fragen des Nachwuchses sind allerdings genderübergreifend: Weiterbildungschancen und Karriere, Work-Life-Balance und familiengerechtes Arbeiten beschäftigen Frauen wie Männer in der Herzchirurgie. „Wollen wir jedoch gerade Medizinstudentinnen und junge Ärztinnen für das Fachgebiet gewinnen und Kolleginnen fördern, brauchen wir dieses stabile und tragende Netzwerk“, betont die Führungs-Trias. „Das bekommen wir auch gespiegelt und die Resonanz zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.“ Schmidtke fügt hinzu: „Bedenken wir, dass derzeit das Medizinstudium in nahezu 65 Prozent von Frauen begonnen wird, so muss die Herzchirurgie zukünftig für Ärztinnen attraktiver werden.“

Frauenanteil in der Herzchirurgie erhöhen – weiblichen Nachwuchs fördern

Einer im Netzwerk initiierten Umfrage zufolge sind im Bundesgebiet im Fachgebiet der Herzchirurgie 34 Prozent der Fachkräfte Assistenzärztinnen, 28 Prozent Fachärztinnen und 12 Prozent Oberärztinnen. Nur ca. 10 Prozent der Leitungspositionen innerhalb der Herzchirurgie sind mit Frauen besetzt. In den 78 etablierten bundesweiten herzchirurgischen Einheiten gibt es keine einzige Chefärztin. „Die Herzchirurgie ist ein absolut spannendes und faszinierendes Fachgebiet“, betont Herzchirurgin Bleiziffer. „Immerhin hat sich in den letzten zehn Jahren der Frauenanteil verdoppelt. Es geht zwar schon in die richtige Richtung, aber es bleibt noch viel zu tun. Das gilt übrigens auch für weitere chirurgische Fachgebiete. Frauen machen gleich gute Arbeit auf dem Fachgebiet der Herzchirurgie. Das ist unumstritten. Jetzt müssen wir weiter daran arbeiten, dass Frauen im herzchirurgischen Fachgebiet ankommen und vor allem bleiben.“

Auftaktveranstaltung der Praxisseminare: Frauen trainieren Frauen in der Herzchirurgie

Erstmalig veranstaltete das Netzwerk der Herzchirurginnen das speziell auf den weiblichen Nachwuchs in der Herzchirurgie ausgerichtete Seminar Herzchirurgie-Praxis: Frauen trainieren Frauen. Im Langenbeck-Virchow-Haus konnten zwölf Assistenzärztinnen in fortgeschrittener Weiterbildung und junge Fachärztinnen die persönliche Weiterentwicklung der individuellen herzchirurgischen Operationstechniken in Form von Hands-on-Übungen am Schweineherz trainieren. Privatdozentin Dr. Gloria Färber verantwortet dieses praktische Seminar: „Hier wurden sowohl verschiedene Anastomosen-Techniken aus dem Bereich der koronaren Bypass-Chirurgie als auch unterschiedliche Optionen zur Aorten- und AV-Klappen-Chirurgie individuell zugeschnitten in Kleingruppen trainiert. Die praktischen Einheiten wurden auf erfrischende Weise durch kurze Theorie-Parts und durch interaktives Coaching rund um das Thema Soft Skills, Karriere und Self-Marketing ergänzt.“ Als weitere erfahrene und etablierte Herzchirurginnen begleiteten Prof. Dr. med. Sabine Bleiziffer, Prof. Dr. med. Claudia Schmidtke, Privatdozentin Dr. med. Julie Cleuziou und Dr. med. Jasmin Hanke das Seminar als Referentinnen und Tutorinnen. Dr. med. Shirin Mansouri und Sabine Schicke unterstützten mit Einblicken aus dem Bereich Coaching, Karriere und Marketing. „Bereits beim ersten Seminar hätten wir die dreifache Teilnehmerinnenzahl schulen können. Wir haben uns jedoch bewusst für kleine Ausbildungseinheiten entschieden, die wir gezielt trainieren können“, erklärt das Team des Netzwerk Herzchirurginnen. „Weitere Workshops sind geplant, um den Anfragen gerecht zu werden.“

Abb. 1: Frauen trainieren Frauen – erstes Praxisseminar mit zwölf Teilnehmerinnen, initiiert vom Netzwerk Herzchirurginnen: PD Dr. Gloria Färber (links), Dr. Laura Gutierres Roman; (Mitte mit Lupenbrille) und Dr. Che von Wardenburg (rechts)

Für Frauen – das Netzwerk in der Herzchirurgie

Chancengleichheit und Gleichbehandlung sollten im 21. Jahrhundert in allen beruflichen Bereichen gegeben sein. Die Entscheidung sollte nach Qualifikation und Qualität fallen. Im klinischen Umfeld zeigt sich oftmals noch Verbesserungsbedarf, diesem will das Netzwerk der Herzchirurginnen z.B. mit Workshops und Mentoring-Programmen begegnen. „Wir wollen gezielt Ärztinnen fördern. Der Trainingseffekt in rein weiblichen Seminaren ist deutlich höher. Das Selbstbewusstsein wird gestärkt; die Kommunikationsfähigkeit geschult“, sagt PD Dr. Gloria Färber, Beisitzerin im Vorstand der DGTHG. Künftig soll das Mentorinnen-Programm Kolleginnen noch individueller in der Herzchirurgie begleiten. Ziel: Mehr Frauen an den OP-Tisch zu bringen. Das Netzwerk will aber nicht nur die chirurgischen Fähigkeiten fördern, sondern macht es sich darüber hinaus zur Aufgabe, bei der Karriereplanung zu unterstützen, Forschungsmöglichkeiten zu fördern und den Diskurs zum Thema Familie und Beruf auf die berufspolitische Plattform der DGTHG zu heben. Dabei gehen die gestandenen Herzchirurginnen den jungen Kolleginnen und Studierenden mit positivem Beispiel voran. „Die Vereinbarung von Familie und Beruf ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Thema ist zwar in der Politik angekommen, dennoch braucht es Best-Practice-Vorbilder und Ideen, wie beispielsweise Forschung und Familie neben der klinischen Tätigkeit Bestand haben können. Der Austausch von Erfahrungen und kreativen Lösungsansätzen im Netzwerk soll jede einzelne unterstützen“, so Prof. Dr. Schmidtke. „Jede Kollegin ist uns herzlich willkommen, um ihre Erfahrungen einzubringen, aber eben auch um Unterstützung zu erhalten“, so die Herzchirurgin.

Abb. 2: Anleitung Bypass-Chirurgie am Schweineherzen durch PD Dr. med. Julie Cleuziou. Frau Dr. Agunda Chekhoeva (links), PD Dr. Julie Cleuziou, Fabienne Plaßmeier (rechts)

Heterogenität ist ein Erfolgsfaktor in der Arbeitswelt

Eine gesündere und arbeitsklimaverbessernde Gruppendynamik und eine verbesserte Entscheidungsqualität gehen mit gemischten Teams einher. Dies bestätigte das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW)/2017) und die Unternehmensberatung McKinsey mit ihrer Studie „Diversity wins“ in Kooperation mit der AllBright-Stiftung, die für 1039 Unternehmen in 15 Ländern durchgeführt wurde. Demnach ist Heterogenität ein Erfolgsfaktor in der Arbeitswelt. Es lohnt sich also, geschlechtergerecht zu sein. Arbeitsklima, Umgangston und Kommunikation sind laut dieser Studie positiver.

DGTHG unterstützt das Netzwerk

„Als Netzwerk sind wir fest in der DGTHG etabliert“, sagen die Fachärztinnen Bleiziffer, Färber und Schmidtke. „Hier erfahren wir die Unterstützung, die notwendig ist, um unser Anliegen weiter voranzubringen: den weiblichen Nachwuchs im Fachgebiet Herzchirurgie qualitativ und quantitativ zu stärken.“ Die Chirurgie im Allgemeinen ist bekannt als Fachgebiet, das Mut und Forschungsdrang erfordert. Dies kann und wird sie jetzt auch bei der Frauenförderung in der Herzchirurgie beweisen können – und müssen.

Dabei betonen die etablierten Herzchirurginnen mit einem Augenzwinkern: „Im Klinikalltag bilden wir natürlich auch Männer aus …!“

Abb. 3: Netzwerk Herzchirurginnen im Virchow-Langenbeck-Haus, Charité Campus Mitte, Berlin; Prof. Dr. Sabine Bleiziffer (vorderste Reihe, Dritte v.l.) neben Privatdozentin Dr. Gloria Färber (vorderste Reihe, Vierte v.l,)

Regina Iglauer-Sander

Pressereferentin

Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG)

[email protected]

Chirurgie+

Iglauer-Sander R: Netzwerk Herzchirurginnen fördert weiblichen Nachwuchs und initiiert praxisorientierte Seminare. Passion Chirurgie. 2022 April; 12(04): Artikel 09_01.

Diesen Artikel finden Sie auf BDCOnline (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Panorama.

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Weiterführende Informationen

Netzwerk Herzchirurginnen
Studie Diversity wins

Raumfahrt relevant für die Erforschung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Grenzen überwinden, Horizonte erweitern war das Motto der gemeinsamen Jahrestagungen der DGTHG und DGPK Anfang des Jahres 2020. Ein Highlight: Die Interaktion mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Zur Eröffnungsfeier gab Dr. -Ing. Thomas Reiter Einblicke in die Raumfahrt. Der ESA-Astronaut war in den Jahren 1992 bis 2007 als achter Deutscher mehrfach im Weltall. In der russischen Raumstation Mir absolvierte er 1995/96 den ersten ESA-Langzeitflug überhaupt und unternahm als erster Deutscher einen Weltraumausstieg. Auch auf der ISS war er 2006 der erste europäische Langzeitflieger. Heute ist Thomas Reiter ESA-Koordinator und Berater des Generaldirektors. Im persönlichen Gespräch vertieft der Astronaut spannende Einblicke und erklärt die wissenschaftliche Forschung im Weltraum, u. a. im Kontext der Herzmedizin.

Abb. 1: DGTHG-Tagungspräsident (links) Prof. Dr. Artur Lichtenberg mit Astronaut Dr.-Ing. e.h. Thomas Reiter und DGPK-Tagungspräsident Prof. Dr. Phillip Beerbaum

Regina Iglauer-Sander: Herr Dr.-Ing. Reiter, wie wird der Körper insbesondere im Hinblick auf das Herz-Kreislaufsystem auf den Aufenthalt im Weltraum vorbereitet?

Thomas Reiter: Während der gesamten Vorbereitungszeit ist Sport ein zentraler Trainingsbestandteil. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist Grundvoraussetzung für den Aufenthalt im Weltraum. Es gilt die lateinische Redewendung Mens sana in corpore sano – ein gesunder Geist sei in einem gesunden Körper. Wir müssen mental und physisch topfit sein. Bis zum Tag des Starts gehört ergo das tägliche Sportprogramm zum Tagesablauf, meist als Kombination von Ausdauer- und Kraftsport. Aber auch das Reaktionstraining hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Während zu Beginn meiner Aus- und Vorbereitungszeit vorrangig Fußball gespielt wurde, hat sich mehr und mehr Badminton etabliert. Dieser Sport fordert eine schnelle Aktion und Reaktion, ist ideal für die Beweglichkeit und trainiert überdurchschnittlich gut die Kondition. Intensität und Abwechslung des täglichen Sportprogramms sorgen dafür, dass wir ein gut trainiertes Herz-Kreislauf-System haben, welches den überdurchschnittlichen Anforderungen gewachsen ist.

RIS: Welche Voraussetzungen müssen Astronauten insbesondere körperlich erfüllen?
TR: Wir müssen eine Vielzahl von Voraussetzungen erfüllen. Die eigentliche Vorbereitungszeit auf den Aufenthalt im Weltraum dauert zwei bis zweieinhalb Jahre. In dieser Zeit werden grundlegende Ausbildungen, wie zum Beispiel der Umgang mit den Bordsystemen, vermittelt. 18 Monate verbringen wir mit der missionsspezifischen Ausbildung unserer Aufgaben für die wissenschaftliche Tätigkeit, durchzuführende Wartungsarbeiten und den Außenbordeinsatz. Soweit der theoretische Teil. Der Aufenthalt im Weltraum bedeutet umfangreiche physiologische Herausforderungen und Veränderungen. Die Frequenz der medizinischen Untersuchungen erhöht sich, je näher wir dem Starttermin kommen. Jeder ESA-Astronaut durchläuft vor und nach seinem Aufenthalt im All verschiedene medizinische Untersuchungen im Flugmedizinischen Zentrum des Instituts für Luft- und Raumfahrt in Köln. Die entsprechenden Daten werden jeweils vor und nach einer Mission erhoben und mögliche Risiken und Einschränkungen beurteilt. Alle Untersuchungen, wie z. B. MRT-Messungen, EKG, Fitness-Tests und Augenuntersuchungen, werden methodisch mit exakt denselben Messgeräten identisch durchgeführt, damit die Daten nach der Rückkehr vergleichbar sind. Die Erhebung humanphysiologischer Daten (Baseline Data Collection = BDC) ist ein wichtiger Bestandteil des Direct Return und dient als Referenz für den Vergleich der Messungen vor, während und nach Missionen ins All. Mit anderen Worten: Wir werden vor und nach dem Aufenthalt im All permanent überprüft und getestet, damit die körperliche Leistungsfähigkeit überprüft und dokumentiert ist.

Abb. 2: Thomas Reiter war der erste ESA-Astronaut auf einer Langzeitmission auf der Internationalen Raumstation. Seine Mission Astrolab dauerte von Juni bis Dezember 2006. Hier zu sehen bei einem 54-minütigen Weltraumspaziergang, bei dem Wartungsar­beiten durchgeführt wurden.

Abb. 3: Der ESA-Astronaut Thomas Reiter, Expedition 13 Flugingenieur 2, arbeitet am 3. August 2006 während eines 54-minütigen Weltraumspaziergangs an einer Kühlleitung am S1-Fachwerk der Internationalen Raumstation. Der Weltraumspaziergang war Teil seiner Astrolab-Mission, der ersten Langzeitmission der ESA zur Station.

RIS: Darf ein Astronaut keinerlei Vorerkrankungen haben?
TR: Generell muss ein sehr guter Gesundheitszustand gegeben sein. Dazu gehört, dass es keine gravierenden Vorerkrankungen gibt. Sicherlich darf man heute mit Zahnfüllungen in den Weltraum fliegen. Auch eine korrigierende Brille darf getragen werden, wobei hier die Sehhilfe individuell zu beurteilen ist. Im Zuge der medizinischen Entwicklung und verfeinerten Diagnostik, einschließlich der bildgebenden Verfahren, sind Mediziner heute in der Lage, den Körper anders zu beurteilen als es noch vor einigen Jahren der Fall war; ein entscheidendes Sicherheitsfaktum.

RIS: Welche Voraussetzungen müssen Bewerber generell erfüllen?
TR: Bewerber kommen aus verschiedenen Disziplinen und sind oftmals diplomierte Luft- und Raumfahrtingenieure. Das Auswahlverfahren erstreckt sich insgesamt etwa über ein halbes Jahr und impliziert zahlreiche Tests, beginnend mit der psychologischen Selektion. Es folgen umfangreiche medizinische Untersuchungen in allen Disziplinen. Man wird quasi einmal komplett auf den Kopf gestellt. Circa ein Prozent aller Bewerber erfüllen die Voraussetzungen und Kriterien dieses strengen Einstellungstests. In den folgenden 18 Monaten der Grundausbildung gehören medizinische Überwachungen und Tests zum Alltag. Alle 6 bis 8 Wochen finden Untersuchungen statt. Alljährlich werden, wie bei der Fliegerei, Basis-Checks vorgenommen, wie Hör- und Sehtests, allgemeine Tauglichkeit, Blutbild etc. Die psychische und physische Tauglichkeit sind Grundvoraussetzungen für die Raumfahrt und dienen der eigenen Sicherheit und der der gesamten Crew.

RIS: Welche Maßnahmen werden auf der Weltraumstation getroffen, um den Körper –insbesondere das Herz-Kreislauf-System – fit zu halten?
TR: Sport gehört auch auf der Weltraumstation zum täglichen Programm – sieben Tage die Woche. Summa summarum werden hierfür inkl. Vorbereitung, Umziehen, Aufbau und Körperpflege ca. 2,5 Stunden brutto pro Tag veranschlagt. Das heißt, effektiv wird ca. 1,5 bis 1,75 Stunden am Tag trainiert. Ich habe meist am Vormittag und abends mein Programm absolviert. Die Kombination aus Ausdauer- und Kraftsport ist auch auf der Raumstation entscheidend. Auf einem Fahrradergometer oder Laufband – hier muss man sich vorher festschnallen wegen der Schwerelosigkeit – können wir Ausdauersport betreiben. Dank des Krafttrainers können wir heute auch statisch das Knochengerüst und die Muskeln belasten, sodass mehr Muskelmasse erhalten bleibt.

RIS: Welche körperliche Erfahrung bringt der Aufenthalt im Weltraum mit sich?
TR: Die Effekte auf den menschlichen Körper sind enorm. Doch ich muss auch sagen, dass das Gefühl der Schwerelosigkeit sehr angenehm ist und nicht belastet.

RIS: Wie wirkt sich dies insbesondere auf das Herz-Kreislauf-System aus?
TR: Das Herz hat es viel einfacher, Blut durch den Körper zu pumpen, weil in der Schwerelosigkeit kein hydrostatischer Druckgradient existiert. Als Folge wird die Regulierung des Blutdrucks „träge“. Astronauten zeigen eine sog. orthostatische Intoleranz und eine reduzierte kardiovaskuläre Kapazität. In Folge wird das Gewebe mit bis zu 30 Prozent weniger sauerstoffreichem Blut versorgt. Da man in der Schwerelosigkeit nicht mehr sein eigenes Gewicht sprichwörtlich tragen muss, kommt es zum Muskelabbau. Das betrifft auch das Herz als Hohlmuskel. Das ist ein Grund, warum unser tägliches Fitnessprogramm so wichtig ist für unsere Gesundheit.

RIS: Welche weiteren medizinischen Effekte zeigt die Schwerelosigkeit?
TR: Wie erwähnt, beginnen die Knochen zu demineralisieren. Dem wirken wir durch das Krafttraining auch entgegen. Aufgrund der Degradation des Immunsystems in der Schwerelosigkeit, müssen wir zwei Wochen vor dem Start in Quarantäne, damit eine mögliche Infektion erkannt wird, denn in der Regel dauert eine Inkubationszeit nicht länger als 14 Tage. Ein weiterer Effekt ist die Einschränkung des Gleichgewichtssinns und die Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses. All diese körperlichen Effekte sind analog zum menschlichen Alterungsprozess. Die Raumstation ist daher ein idealer Ort, um Gesundheitsforschung auch in Hinblick auf die Alterung zu betreiben.

RIS: Nehmen Astronauten im Weltraum bestimmte Medikamente ein?
TR: Es gibt auf der Raumstation kein frisches Gemüse. Wir nehmen Vitaminpillen als Ausgleich zu uns. Ebenso nehmen wir ein Medikament, das die Bildung von Nierensteinen unterbindet. Die Demineralisierung der Knochen beginnt mit dem Aufenthalt im Weltraum und schreitet kontinuierlich über die gesamte Zeit im All fort, sodass vermehrt Kalzium ausgeschieden wird, was die Nieren belastet. So war es zu meiner Zeit auf der ISS im Jahr 2006. Der technische und medizinische Fortschritt findet hier immer neue und effizientere Wege zur Gesundheitserhaltung und Prävention.

RIS: Wer beauftragt die naturwissenschaftlichen/medizinischen/technischen etc. Tests und wie ist die prozentuale Aufsplittung?
TR: Der Großteil der Forschung wird über Steuergelder finanziert. Die Forschungsteams arbeiten institutionell übergreifend, aber auch konkret für zum Bespiel das Max-Planck-Institut, die Charité oder auch Medizinproduktehersteller. Wir könnten ca. 30 Prozent der Ressourcen für weitere industrielle Kunden nutzen. Der Markt öffnet und entwickelt sich dahingehend. Die internationale Raumstation wird weltweit von mehr als 100 Ländern genutzt, entsprechend braucht es eine faire Splittung. Die Europäische Weltraumorganisation ESA forscht zu einem weiteren Spektrum, das nahezu gleichmäßig aufgeteilt wird: 20 Prozent Medizin, 20 Prozent Physik, 20+ Prozent Biologie und Biotechnologien, sowie 20+ Prozent für neue Technologien. Die restlichen Prozentpunkte werden für Forschungsprojekte von Schulen und Universitäten bereitgehalten. Forschungsvorschläge werden hier ausgewertet, damit Duplizierungen vermieden werden. Die gleichmäßige Austeilung der Bereiche erlaubt uns ein ausgewogenes Arbeiten. Es gibt Länder, die einen klaren Schwerpunkt definiert haben. Japan beispielsweise forscht zu 60 bis 80 Prozent im Bereich Biologie und Biotechnologie.

RIS: Welche Erkenntnisse konnten für das Immunsystem gewonnen werden, zum Beispiel für die Transplantation im Kontext zu Immunsuppressiva?
TR: In den westlichen Industrieländern leiden rund 20 Prozent der Bevölkerung an Autoimmunerkrankungen wie Allergien oder Morbus Chron. Der Weltraum ist ein idealer Ort zur Erforschung des Immunsystems und zum Verständnis der Abläufe der körpereigenen Abwehr. Die Immunmechanismen sind in der Schwerelosigkeit gedämpft und sehr verlangsamt, da die Aktivierung der Immunzellen unterdrückt wird. Dadurch lassen sich Funktionsabläufe besser untersuchen. Die Forschung an Bord der ISS hat zur Entwicklung einer neuartigen Behandlung gegen solche Autoimmunerkrankungen beigetragen.

RIS: Stichwort Human Emulation System; erklären Sie bitte kurz „personalisierte Organ-Chips“.
TR: Das Ziel des „Human Emulation Systems“ ist es, eine Organ-on-Chip-Technologie zu entwickeln. Die Organ-Chips, basierend auf körpereigenen Stammzellen des Menschen, sollen es möglich machen, die Wirkung von neu entwickelten Medikamenten systemisch in einem humanen Modell zu testen und zu überprüfen. Für Transplantierte würde dies zum Beispiel bedeuten, dass im Vorfeld getestet werden könnte, welches immunsuppressives Medikament in welcher Dosierung für den Patienten das geeignetste ist. Auch könnte vor einer Operation bereits festgestellt werden, wie die Reaktion auf ein bestimmtes Medikament ist. Diese Entwicklung ist noch in einem frühen Stadium. Ziel wird es sein, aus Stammzellen eines individuellen Patienten personalisierte Organ-Chips für ein weites Spektrum individualisierter Gesundheitsanwendungen zu entwickeln. Auf der ISS erforschen wir hierzu die Kapillarströmungen, welche im Kontext des verlangsamten Immunsystems ebenfalls eingeschränkt sind. Von besonderer Bedeutung ist auch die Funktion von Proteinen. Als Botenstoffe koordinieren sie innerhalb des Immunsystems gezielte Angriffe auf Keime, die schon in die Köperzellen eingedrungen sind. Proteinketten sind fragil, aber in der Schwerelosigkeit stabiler und daher besser zu beobachten.

RIS: Welche weiteren neuen Forschungsansätze gibt es für die Herzmedizin?
TR: Im letzten Jahr erhielt Emiliano Bolesani von der Medizinischen Hochschule Hannover den ersten Preis der Sommerschule zur kosmischen Strahlenforschung. Bolesani wollte herausfinden, wie Herzzellen pathophysiologisch reagieren, wenn sie kosmischer Strahlung ausgesetzt sind. Der Wissenschaftler nutzte für die Kultivierung Stammzellen von Herzgewebestrukturen. Diese sollen auf der Empfängerseite des Teilchenbeschleunigers im GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt platziert werden. Die Innovation dieses Ansatzes besteht in der Verwendung von Herz-Mikrogeweben, um die Zellzusammensetzung des menschlichen Herzens nachzuahmen. Bolesani erforscht, welche Zellarten – Kardiomyozyten, Endothelzellen, glatte Muskulatur oder Fibroblasten – am anfälligsten für durch Strahlung hervorgerufene Schädigungen sind, und will herausfinden, wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Die dabei generierten Daten tragen zum Aufbau eines analytischen Modells bei, mit dem vorhergesagt werden kann, wie Zellen miteinander interagieren, wenn sie Strahlung ausgesetzt sind. Diese Forschung hat direkte Auswirkungen auf die Begrenzung unerwünschter Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System nach einer Strahlentherapie.

Das Vorgehen ließe sich zukünftig auch auf andere Organe ausweiten. Dies dient nicht nur dem Schutz der Astronauten im Weltall. Künftig sollen Astronauten vor und nach dem Raumflug Stammzellen entnommen werden, die dann miteinander verglichen werden können. Gewebe und Organe könnten dann in vitro gezüchtet und im Strahl eines Teilchenbeschleunigers platziert werden, um zu sehen, wie sie auf diese simulierte kosmische Strahlung reagieren. So kann diese Studie Aufschluss darüber geben, welche zellulären und molekularen Mechanismen der individuellen Reaktion auf kosmische Strahlung zugrunde liegen. Die Untersuchungen des Herz-Kreislauf-Systems nach einer Strahlentherapie sind relevant für die Herzmedizin, aber auch die Onkologie.

Abb. 4: Kosmische Strahlung kann das Krebsrisiko bei Langzeitmissionen erhöhen. Schäden am menschlichen Körper erstrecken sich auf Gehirn, Herz und das Zentralnervensystem und bilden die Grundlage für degenerative Erkrankungen. Ein höherer Prozentsatz der früh einsetzenden Katarakte wurde bei Astronauten berichtet. Das Magnetfeld und die Atmosphäre der Erde schützen uns vor dem ständigen Beschuss mit galaktischen kosmischen Strahlen – energetischen Teilchen, die sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit fortbewegen und in den menschlichen Körper eindringen. Eine zweite Quelle für Weltraumstrahlung sind unvorhersehbare Sonnenpartikelereignisse, die in kurzer Zeit hohe Strahlungsdosen abgeben und zu einer „Strahlenkrankheit“ führen, sofern keine Schutzmaßnahmen getroffen werden.

RIS: Wie und wann erhält der Auftraggeber die Testergebnisse?
TR: Der aktuelle Status-quo-Bericht sowie die Übermittlung von Forschungsergebnissen werden in „Echtzeit“ vorgenommen. Der Austausch funktioniert auch auf der Raumstation gut, da wir mittlerweile über gute Kommunikationssysteme verfügen. Finale Analysen, Aufbereitungen und Dokumentationen finden dann nach Abschluss des Aufenthaltes im Weltraum statt.

Abb. 5: ESA-Astronaut Thomas Reiter arbeitet mit Probenröhrchen im Zvezda-Servicemodul der Internationalen Raumstation.

RIS: Welche Einschränkungen gibt es während des Aufenthaltes?
TR: Der Aufenthalt im All ist trotz Schwerelosigkeit kein „Spaziergang im Park“: begrenzter Raum in technischer Umgebung. Allerdings entschädigt der Ausblick. Rund 30 Prozent der täglichen Arbeit besteht aus Bedienung und Wartung der Bordsysteme und Dokumentation der Forschungsergebnisse – sieben Tage die Woche. Wie bereits dargestellt, gehört auch der tägliche Sport zum Programm.

RIS: Wie halten Sie Kontakt zu Ihrer Familie?
TR: Die Kommunikation ist heute gut gelöst, sodass ich von der ISS jede beliebige Telefonnummer wählen kann, sofern Verbindung zum geostationären Satelliten besteht, was für die überwiegende Zeit eines Orbits der Fall ist. Am Wochenende gibt es eine Videokonferenz mit der Familie. Das war nicht immer so. Auf der russischen Raumstation Mir konnten wir nur einmal in der Woche Verbindung aufnehmen; Videoschaltungen waren nur zur russischen Kontrollzentrale möglich, bei der sich dann die Familie einfinden musste – also keine sehr private Atmosphäre.

RIS: Wie lange dauert es nach dem Weltraumaufenthalt, bis der Körper sich wieder „angepasst“ hat?
TR: Direkt nach der Landung, also mit Einwirkung der Schwerkraft auf den Körper, beginnt die Anpassung. Man muss sich zunächst wieder daran gewöhnen, wie schwer der eigene Körper ist. Auch die Effekte auf den Gleichgewichtssinn wirken stark nach. Man kann nach der Landung zwar stehen und auch gehen, aber nicht parallel den Kopf drehen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Einen Walzer würde ich nach Landung nicht tanzen wollen und können. Nach zwei Wochen hat sich auch die Regulierung des Blutdrucks regeneriert und nach ca. sechs Wochen hat man sein Fitness-Level wie vor dem Start wieder erreicht. Die Remineralisierung der Knochen dauert am längsten und nimmt die gleiche Zeitspanne in Anspruch, die man im Weltraum verbracht hat. Natürlich war man im All auch einer Strahlung ausgesetzt, die zu Gendefekten geführt hat, welche aber nur marginal sind und weitgehend ausgeglichen werden. Ich würde sagen, nach sechs bis acht Wochen funktioniert der Körper wieder „normal“.

RIS: Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf? Was ist herausfordernd?
TR: Als ich elf Jahre alt war, habe ich wie Millionen andere Menschen verfolgt, wie Neil Armstrong die ersten Schritte auf den Mond gemacht hat. Ich war fasziniert; Feuer und Flamme und wusste: Das will ich auch machen. Astronaut werden – ja, das war ein Kindheitstraum. Mit 14 Jahren machte ich den Segelflugschein, nach dem Abitur studierte ich Luft- und Raumfahrttechnik. Mir war bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, jemals in das All zu fliegen, praktisch gleich Null war. Es war ein langer Weg bis zur Raumstation. Der erste Blick vom Orbit auf die Erde ist kaum zu beschreiben und unvergesslich. Ich habe realisiert: Mensch, jetzt bist du tatsächlich im All – ein unbeschreibliches Gefühl. Die Kombination aus Schwerelosigkeit, also Körperlosigkeit, und Ausblick auf die Erde ist faszinierend, fast euphorisierend. 90 Minuten dauert ein Orbit. Man kann Europa mit einem einzigen Blick überschauen – aus 400 Kilometern Entfernung. Gleichzeitig wurde ich mir der Verletzlichkeit des Ortes bewusst. Die Atmosphäre erscheint hauchdünn und zeigt sich in verschiedenen Blautönen, welche die Fragilität nur noch mehr unterstreichen. Man erkennt die riesigen Rodungsflächen Südamerikas und die Rauchfahnen der Waldbrände bis in die Atmosphäre hinein. Die täglichen Nachrichten lesen sich im All anders … Mir wurde da oben nochmals klar, dass wir alle an einem Strang ziehen müssen, um unsere Probleme zu lösen.

Weitere Informationen unter www.dgthg.de und unter www.esa.int.

Das Interview führte: Regina Iglauer-Sander

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Iglauer-Sander R: Raumfahrt relevant für die Erforschung von Herz-Kreislauferkrankungen. Passion Chirurgie. 2020 November; 10(11): Artikel 09.