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Diagnose und Therapie des primären Hyperparathyreoidismus (pHPT)

Der primäre Hyperparathyreoidismus (pHPT) ist die dritthäufigste endokrine Erkrankung. In 85-90 % der Fälle wird der pHPT durch ein singuläres Adenom verursacht. Es gibt allerdings auch Mehrdrüsenerkrankungen, die dann häufiger im Zusammenhang mit genetischen Syndromen, wie zum Beispiel bei der Multiplen Endokrinen Neoplasie 1, auftreten können [1–3]. Das Nebenschilddrüsenkarzinom ist eine Rarität und tritt bei weniger als 1 % der Patienten mit dem klinischen Bild eines pHPT auf [4]. Die einzige kausale Therapie des pHPT ist die chirurgische Entfernung der erkrankten Nebenschilddrüse [1, 5].

Klinische Symptomatik und Formen des pHPT

Mit einem Erkrankungsgipfel im Alter von 50 bis 60 Jahren ist der pHPT die häufigste Ursache einer Hyperkalziämie und wird im Erwachsenenalter bei Frauen häufiger festgestellt. Zu den typischen Symptomen gehören die Nephrolithiasis bei etwa 20 % der Betroffenen, das Vorliegen von osteoporotischen Veränderungen in etwa 30 % sowie muskuläre Beschwerden [1]. Es können auch Beschwerden im oberen Gastrointestinaltrakt auftreten. Zusätzlich sind häufig unspezifische psychische Symptome wie Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und Stimmungsschwankungen sowie depressive Stimmungslagen bis hin zu Angststörungen zu beobachten [6]. Man unterscheidet den symptomatischen pHPT vom asymptomatischen pHPT. Da beim asymptomatischen pHPT häufig okkulte Symptome vorliegen, ist es sinnvoll, eine detaillierte Anamnese zu erheben [1, 2].

Die Diagnose eines primären Hyperparathyreoidismus wird ausschließlich durch die biochemische Konstellation gestellt. Diese umfasst ein erhöhtes Calcium, ein erhöhtes Parathormon und meist ein erniedrigtes Phosphat bei häufig normaler oder wenig eingeschränkter Nierenfunktion. Schwierig ist es manchmal, den normocalciämischen pHPT zu erkennen. Hierbei ist das Calcium im hoch-normalen Bereich und das Parathormon inadäquat erhöht. Zur Diagnosestellung ist die Feststellung einer erhöhten Calciumkonzentration im Urin hilfreich. Dies sollte unabhängig davon regelhaft beim pHPT durchgeführt werden, um differentialdiagnostisch die Familiäre Hypercalciämische Hypocalciurie (FHH) auszuschließen [1–3].

Operationsindikation beim pHPT

Der symptomatische pHPT mit den typischen körperlichen und/oder psychischen Symptomen stellt eine Operationsindikation dar. Hier ist zu beachten, dass die Symptome oft vielfältig sind und in starken Abstufungen vorkommen können. Vor allem die einem pHPT häufig zugrundeliegenden psychischen Veränderungen sollten hierbei gezielt erfragt werden. Beim normokalziämischen pHPT, der biochemisch durch ein inadäquat erhöhtes Parathormon bei hochnormalem Calcium gekennzeichnet ist, gilt ebenfalls die symptomatische Erkrankung als Operationsindikation. Beim asymptomatischen Patienten muss die Indikation in Abhängigkeit der erhöhten Calciumkonzentration sowie bei der Detektion okkulter Symptome gestellt werden. In der Literatur wird mehrheitlich darüber berichtet, dass auch diese vermeintlich „asymptomatische“ Patientengruppe von der Operation profitiert [1–3, 5].

Da die Operation die einzige kausale Therapie darstellt und zudem eine niedrige Morbidität aufweist, sollte die Indikation eher großzügig gestellt werden, um Langzeitschäden beim Patienten zu vermeiden [5].

Präoperative Bildgebung beim pHPT

Der Nachweis eines Adenoms durch bildgebende und/oder funktionelle Diagnostik ist weder beweisend für das Vorhandensein eines pHPT, noch schließt umgekehrt der fehlende Nachweis eines Adenoms diese Erkrankung aus. Beim sporadischen primären Hyperparathyreoidismus liegt in etwa 85 % der Fälle ein einzelnes Adenom vor, während in den anderen Fällen eine multiglanduläre Erkrankung vorliegen kann. Der Verdacht auf eine Mehrdrüsenerkrankung kann bereits im Rahmen der präoperativen Lokalisationsdiagnostik aufkommen, wenn diese inkonklusiv ist oder keinen Nachweis eines Nebenschilddrüsenadenoms erbringt. Grundsätzlich schließt jedoch der Nachweis eines Adenoms nicht die Mehrdrüsenerkrankung aus. Die Basisdiagnostik sollte in jedem Fall eine Sonographie des Halses umfassen. Diese dient auch dazu, etwaige Begleitpathologien an der Schilddrüse auszuschließen und um diese gegebenenfalls in die Planung der operativen Therapie einzubeziehen.

In der täglichen Praxis wird häufig zusätzlich zur Sonographie eine funktionelle Bildgebung durchgeführt. Dies wird vor allem angeraten, wenn die Sonographie nicht erfolgreich dabei ist, ein Nebenschilddrüsenadenom zu detektieren, um eine extrazervikale Lokalisation auszuschließen [1]. Hierfür wird häufig eine SESTA-MIBI-Szintigraphie durchgeführt. Auf Basis eigener Erfahrungen sehen wir den Sinn dieser Untersuchung kritisch: Im eigenen Patientenkollektiv haben wir über 600 Patienten mit pHPT retrospektiv in Bezug auf die Bildgebung untersucht. Hierin hat sich gezeigt, dass die Sonographie in 77 % der Fälle erfolgreich war, das gesuchte Nebenschilddrüsenadenom zu detektieren. Die nachfolgende SESTA-MIBI-Szintigraphie bestätigte die sonographische Verdachtsdiagnose in den meisten Fällen. Auffällig war dagegen, dass bei den Patienten, in denen die Sonographie nicht in der Lage war, ein Adenom zu detektieren, die SESTA-MIBI-Szintigraphie nur in 25 % der Fälle das gesuchte Adenom erfolgreich detektiert hat. Dagegen führte ein 11C- Methionin- oder ein 11C-Cholin PET in 79 % der Fälle ohne sonographisch nachgewiesenes Adenom zur erfolgreichen Detektion des gesuchten Adenoms. Da ein Methionin/Cholin-PET darüber hinaus noch eine geringere Strahlenbelastung als die Szintigraphie aufweist, sollte basierend darauf zur erweiterten Diagnostik ein Methionin/Cholin-PET statt einer Szintigraphie durchgeführt werden. Hier stellt die Verfügbarkeit dieser Diagnostik sicherlich noch ein Problem dar, was die praktische Umsetzung dieses Vorschlags erschweren dürfte [7].

„Offene Parathyreoidektomie“ versus „Offen Minimal Invasive Parathyreoidektomie“ (OMIP) zur Therapie des pHPT

Es existieren mehrere Möglichkeiten, wie ein Nebenschilddrüsenadenom entfernt werden kann. Grundsätzlich kann die Entfernung der erkrankten Nebenschilddrüse über einen fokussierten Zugang im Rahmen einer „offen minimal invasiven Parathyreoidektomie“ (OMIP) erfolgen. Hierbei wird der „Kocher’sche Kragenschnitt“ etwa 2 Querfinger über dem Jugulum nur über eine Länge von 1-2 cm durchgeführt, um darüber die erkrankte Nebenschilddrüse zu entfernen. Der konventionelle Zugang ist etwas länger (3-5 cm). Der Vorteil bei der OMIP beziehungsweise des fokussierten Vorgehens ist neben der besseren Kosmetik durch den kleineren Zugang auch, dass in einer größeren Metaanalyse mit knapp 12.000 Patienten ein geringeres Risiko für eine Recurrensparese und eine postoperative Nachblutung sowie weniger postoperative Hypocalciämien beschrieben wurde [8]. Diese Vorteile des fokussierten Vorgehens wurden allerdings in einem Cochrane Review nur teilweise bestätigt [9]. Voraussetzung für die Durchführung einer OMIP ist die eindeutige präoperative Lokalisation des Adenoms. Technisch ist die Durchführung einer OMIP bei dorsokranial der Schilddrüse gelegenen Adenomen und bei anatomisch „kurzem“ und adipösen Hals häufig wenig sinnvoll und muss mit dem Patienten individuell diskutiert werden. Bei gleichzeitiger Indikation zur Sanierung der Schilddrüse und bei Mehrdrüsenerkrankung ist die Durchführung einer OMIP ebenfalls nicht möglich.

Ablauf einer Nebenschilddrüsenoperation

Die Nebenschilddrüsenoperationen werden in unserem Haus grundsätzlich in Vollnarkose durchgeführt. Hierbei wird zur kontrollierten Beatmung der Patientinnen und Patienten während der Narkose ein endotrachealer „Stimulationstubus“ eingebracht. Dieser wird unter videolaryngoskopischer Kontrolle so platziert, dass eine Ableitung von EMG-Signalen am M. vocalis zum Neuromonitoring des Nervus laryngeus recurrens möglich wird. Im Rahmen der Narkoseeinleitung erfolgt die Abnahme von Blut zur Messung des basalen Parathormonwerts.

Nach Lagerung des Patienten in leichter Reklination erfolgt der Hautschnitt über einen Kocher’schen Kragenschnitt und nach Eröffnung der Halsfaszie die Darstellung der erkrankten Nebenschilddrüse entsprechend der präoperativen Lokalisationsdiagnostik. Nur wenn die identifizierte Nebenschilddrüse makroskopisch eindeutig verändert erscheint, wird diese exstirpiert. Hierzu erfolgt dann die Ligatur der versorgenden Gefäße. Die entnommene Nebenschilddrüse wird dann immer zur Schnellschnittuntersuchung in die Pathologie geschickt. Diese bestätigt zum einen, dass es sich beim entnommenen Gewebe tatsächlich um Nebenschilddrüsengewebe handelt. Zum anderen kann der Pathologe eine Einschätzung abgeben, ob es sich um adenomatös verändertes Nebenschilddrüsengewebe handelt. Diese Einschätzung ist allerdings mit Unsicherheiten verbunden [10]. Die eindeutige Diagnose eines äußerst seltenen Nebenschilddrüsenkarzinoms ist im Schnellschnitt nur im Ausnahmefall möglich [4].

Wichtiger als der histologische Schnellschnitt ist die Messung des Parathormonwerts nach der Exstirpation. Diese wird auch als „biochemischer Schnellschnitt“ bezeichnet. Hierbei macht man sich die Eigenschaft einer sehr kurzen Halbwertszeit des Parathormons von circa 5-6 Minuten zu Nutze. Um von einer erfolgreichen Adenomexstirpation zu sprechen, muss der Parathormonwert signifikant abfallen. Hierfür existieren verschiedene Kriterien. In unserem Hause wurde festgelegt, dass der Parathormonwert 15-20 min nach Exstirpation des Adenoms auf 10 % des Basalwerts abgefallen sein muss. Andernfalls muss eine Fortsetzung der Operation mit Exploration der übrigen Nebenschilddrüsen erfolgen. Aus diesem Grund bleibt der Patient in unserem Hause immer in Narkose, bis die Messung nach Exstirpation des Adenoms vorliegt und eine biochemische Heilung gesichert ist [11].

Das rechtzeitige Erkennen einer Mehrdrüsenerkrankung kann einen wiederholten Eingriff bei Persistenz der Erkrankung ersparen. Dieser ist in der Regel mit einer deutlich erhöhten Rate von Recurrensparesen oder persistierendem Hypoparathyreoidismus verbunden. Beides führt zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und ist durch die intraoperative Messung des Parathormonwerts vermeidbar.

Postoperativer Verlauf und Nachbehandlung

Im direkten postoperativen Verlauf erfolgt die engmaschige Überwachung der Patienten, um eine etwaige Nachblutung frühzeitig erkennen zu können. Am ersten postoperativen Tag erfolgt eine Messung des Calciums. Gleichzeitig werden etwaige Hypocalciämiesymptome (Kribbelparästhesien, periorales Taubheitsgefühl der Haut, Tetanieneigung etc.) gezielt evaluiert. Gelegentlich kann es zu derartigen Symptomen kommen, bis die Funktion der übrigen gesunden Nebenschilddrüsen wieder adäquat ist oder, wenn ein „Hungry bone“-Syndrom vorliegt. In diesen Fällen sollte eine vorübergehende Substitution mit aktivem Vitamin und Calcium erfolgen. Eine Wundkontrolle sowie die postoperative Kontrolle der regelrechten Stimmlippenbeweglichkeit durch den Hals-Nasen-Ohren-Arzt gehören ebenfalls zu den Untersuchungen am ersten postoperativen Tag. In der Regel erfolgt die Entlassung aus der stationären Behandlung nach 1-2 Tagen.

Da die verbliebenen Nebenschilddrüsen die Regulation des Calcium- und Phosphathaushalts vollständig übernehmen sind normalerweise keine Substitutionstherapien erforderlich. Wir empfehlen über die Hausärzte im Intervall von drei Monaten eine Calcium- und Parathormon durchzuführen, um eine Persistenz definitiv auszuschließen.

Literatur

[1]   Weber, T., et al., Management of primary and renal hyperparathyroidism: guidelines from the German Association of Endocrine Surgeons (CAEK). Langenbecks Arch Surg, 2021. 406(3): p. 571-585.

[2]   Bilezikian, J.P., et al., Task Force #8: Management of Primary Hyperparathyroidism. J Bone Miner Res, 2022.

[3]   Brandi, M.L., et al., Management of Hypoparathyroidism: Summary Statement and Guidelines. J Clin Endocrinol Metab, 2016. 101(6): p. 2273-83.

[4]   Lenschow, C., et al., Clinical Presentation, Treatment, and Outcome of Parathyroid Carcinoma: Results of the NEKAR Retrospective International Multicenter Study. Ann Surg, 2022. 275(2): p. e479-e487.

[5]   Perrier, N., et al., Surgical Aspects of Primary Hyperparathyroidism. J Bone Miner Res, 2022.

[6]   Chandran, M., et al., Cognitive deficits in primary hyperparathyroidism – what we know and what we do not know: A narrative review. Rev Endocr Metab Disord, 2022.

[7]   Lenschow, C., et al., Questionable value of [(99m)Tc]-sestamibi scintigraphy in patients with pHPT and negative ultrasound. Langenbecks Arch Surg, 2022.

[8]   Singh Ospina, N.M., et al., Outcomes of Parathyroidectomy in Patients with Primary Hyperparathyroidism: A Systematic Review and Meta-analysis. World J Surg, 2016. 40(10): p. 2359-77.

[9]   Ahmadieh, H., et al., Minimally invasive parathyroidectomy guided by intraoperative parathyroid hormone monitoring (IOPTH) and preoperative imaging versus bilateral neck exploration for primary hyperparathyroidism in adults. Cochrane Database Syst Rev, 2020. 10: p. CD010787.

[10]  Sheu-Grabellus, S.Y. and K.W. Schmid, [Pathology of parathyroid glands: Practical aspects for routine pathological investigations]. Pathologe, 2015. 36(3): p. 229-36.

[11]  Lorenz, K., R. Schneider, and M. Elwerr, [Intraoperative measurement of parathyroid hormone in hyperparathyroidism]. Chirurg, 2020. 91(6): p. 448-455.

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Schlegel N: Diagnose und Therapie des primären Hyperparathyreoidismus (pHPT). Passion Chirurgie. 2020 Oktober; 12(10): Artikel 03_03.

Wichtigste Aspekte der Indikationsstellung, Vorbereitung & Durchführung von Schilddrüsenoperationen

Obwohl die Häufigkeit von Schilddrüsenoperationen mit knapp 80.000 Operationen/Jahr bei benigner Struma zuletzt abgenommen hat, liegt deren Anzahl in Deutschland weiterhin deutlich höher als im internationalen Vergleich [1, 2]. Die Schilddrüsenchirurgie gilt im Vergleich zu anderen Operationen als „komplikationsarme“ Chirurgie, wenn wichtige Grundsätze und Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden. Der vorliegende Artikel hat das Ziel, eine kurze Übersicht zu den wichtigsten Aspekten der Indikationsstellung, präoperativen Vorbereitung und Durchführung der Operation zu geben.

Auf was muss bei der Indikationsstellung geachtet werden?

Es besteht allgemein die Annahme, dass die Häufigkeit der Schilddrüsenoperationen in Deutschland im internationalen Vergleich deshalb so hoch ist, weil die Indikationsstellung durch den Chirurgen zu unkritisch erfolgt [3]. In der täglichen Praxis ist es häufig so, dass Patienten bereits mit einer Empfehlung zur „operativen Sanierung“ der Schilddrüse durch den Hausarzt oder Nuklearmediziner beim Chirurgen vorstellig werden und damit an die unbedingte Notwendigkeit einer Operation glauben. Es ist jedoch essenziell, dass sämtliche Indikationen vom Chirurgen kritisch hinterfragt werden und eine entsprechende Aufklärung des Patienten durchgeführt und dokumentiert wird.

Auf Basis der aktuellen Empfehlungen erfolgt die Indikationsstellung zu Schilddrüsenoperationen vereinfacht auf der Basis von drei Säulen [2, 4]; (Tab. 1):

  1. Indikation aufgrund von nachgewiesener Malignität oder eines Malignitätsverdachts
  2. Funktionelle Indikation
  3. Mechanische Indikation

Ein großer Teil der Schilddrüsenoperationen in Deutschland werden zum Ausschluss eines Malignoms durchgeführt. Hierbei ist anzumerken, dass die Diagnostik zur Abschätzung der Dignität eines Schilddrüsenknotens häufig nicht ausgeschöpft wird und damit Operationsindikationen leichtfertig gestellt werden [3].

Der häufigste Grund, der Patienten zum Chirurgen führt, ist die Detektion eines szintigraphisch kalten Knotens. Ein kalter Knoten allein ohne weitere Angaben stellt zunächst keine Operationsindikation dar. Es ist daher notwendig, die Dignität des Knotens weiter abzuklären. Die Abschätzung des Risikos einer malignen Entartung ergibt sich aus verschiedenen Aspekten (Tab. 1): Dazu gehören die Gesamtheit der Anamnesedaten mit Familienanamnese, der klinischen Untersuchungsbefunde, Schilddrüsenhormonwerte, Ultraschall und Szintigraphie. Insbesondere ist zu betonen, dass zur Abklärung von suspekten Knoten die feinnadelgesteuerte Punktion ebenfalls ein wesentliches Element ist. Obwohl letztere im vorgeschlagenen Algorithmus der Diagnostik zur Abklärung von verdächtigen Schilddrüsenknoten ausdrücklich implementiert ist, wird diese nur in etwa 21 Prozent der Fälle in Deutschland durchgeführt [3]. Für die Stratifizierung von Knoten hat sich auch die hochauflösende Sonographie und Einschätzung der Knoten anhand der „Ti-Rads“ Kriterien etabliert [5, 6]. Weitere Verfahren wie die Elastographie finden zunehmend Verbreitung [7].

Tab. 1: Operationsindikationen, Übersicht über wichtige Kriterien bei der Indikationsstellung zur Operation in der Schilddrüsenchirurgie

Indikation bei Malignitätsverdacht

Funktionelle Indikation

Mechanische Indikation

(schnell) wachsender szintigraphisch kalter Knoten

sonographische Malignitätskriterien

zervikale Lymphadenopathie

sonographische Hochrisikoläsion (Kategorie 4c und 5 TI-RADS-Klassifikation)

verdächtige Feinnadelzytologie

abklärungsbedürftige Feinnadelzytologie

basale Calcitoninerhöhung im Serum > 26 pmol/L bei Frauen und 60 pmol/L bei Männern (cave: Laborabhängig)

Kompressions-symptome

Konservativ therapierefraktärer M. Basedow

M. Basedow Rezidiv

M. Basedow mit endokriner Orbitopathie

Ein oder mehrere hyperfunktionelle Knoten mit subklinischer oder manifester Hyperthyreose

Konservativ nicht zu beherrschende thyreotoxische Krise

lokale Beschwerden

Trachealeinengung

Kompression benachbarter Gefäße

retrosternale Struma

dystope Lage

kosmetische Beeinträchtigung durch Schilddrüsengröße

Ein Sonderfall, bei dem eine Indikationsstellung zur Operation ohne weitere Abklärung eines Knoten erfolgen kann, stellt sich dar, wenn der Patient trotz dezidierter Aufklärung ohne weitere Diagnostik eine dignitätsklärende Operation wünscht. Die differenzierte Aufklärung in einem solchen Fall sollte sehr gut dokumentiert werden.

Die funktionelle Indikation ist bei konservativem Therapieversagen bei M. Basedow gegeben [2]. Insbesondere bei Vorliegen einer endokrinen Orbitopathie ist die chirurgische Sanierung im Vergleich zur ansonsten möglichen Radiojodtherapie von Vorteil [8]. Weitere funktionelle Indikationen sind das Vorliegen eines oder mehrerer hyperfunktioneller Knoten oder eine konservativ nicht zu beherrschende thyreotoxische Krise. Bei M. Basedow und bei hyperfunktionellen Knoten muss mit den Patienten immer auch die Radiojodtherapie als mögliche alternative Therapieoption besprochen werden [2].

Für die „mechanische Indikation“ wird in der Literatur ein Schilddrüsenvolumen > 60 ml als häufige Operationsindikation angegeben [9]. Hier muss beachtet werden, dass die Indikation anhand einer bestimmten Größe relativ zu stellen ist. Entscheidend sind die Angabe von lokalen Beschwerden sowie weitere Kriterien wie Trachealeinengung oder Kompression der benachbarten Gefäße, die zu einer Operationsindikation führen. Bei ausgedehnter riesiger Struma mit retrosternalen Anteilen oder dystoper Lage kann eine Indikation zur Operation auch bei fehlender Symptomatik oder fehlenden Malignitätshinweisen gestellt werden [2].

Prinzipiell gelten bei Rezidivstrumen die gleichen Indikationen wie bei Ersteingriffen. Da die Komplikationsrate bei Rezidivoperationen im Vergleich zur Erstoperation deutlich erhöht ist, muss die Indikation besonders kritisch gestellt werden. Die Patienten müssen über das erhöhte Komplikationsrisiko bei Rezidivoperationen explizit aufgeklärt werden, was entsprechend dokumentiert werden sollte [2, 4].

Welche Untersuchungen sollten vor einer Schilddrüsenoperation durchgeführt werden?

Neben den allgemeinen Vorbereitungen vor einer Operation wie der Anamnese, Abfrage von Vorerkrankungen, Medikamenten und Gerinnungsstörungen gehören vor Schilddrüsenoperationen immer auch die Frage nach Problemen bei der Reklination der Halswirbelsäule sowie die Laryngoskopie zum Ausschluss einer präoperativ bereits bestehenden (asymptomatischen) Fehlfunktion der Stimmlippen [10]. Laborchemisch sollte eine Calciumbestimmung und wenn nicht bereits vorliegend Calcitonin mit abgenommen werden [11]. Im eigenen Patientenkollektiv bestimmen wir zusätzlich Parathormon mit, um eine adäquate Abschätzung des Nebenschilddrüsenstoffwechsels präoperativ vornehmen zu können. Des Weiteren stellt die Sonographie der Schilddrüse und der Halslymphknoten eine unverzichtbare präoperative Untersuchung zur Planung des Resektionsausmaßes und zur Erkennung extrathyreoidealer Prozesse wie Lymphknotenvergrößerungen dar [12-14].

Was muss bei der Operation besonders beachtet werden?

Der klassische Zugang zur Operation ist der Kocher’sche Kragenschnitt. Nach entsprechender Schaffung eines Zugangs in die Schilddrüsenloge und Präparation in das Spatium chirurgicum ist es empfehlenswert als nächsten Schritt den Nervus vagus aufzusuchen, um zu testen, ob das Neuromonitoring, das heutzutage in den meisten Kliniken eingesetzt wird, technisch funktioniert und ob die Lage des Stimulationstubus adäquat ist [15] (Tab. 2). Erst wenn hier ein adäquates EMG-Signal abgeleitet werden kann, sollte die Präparation fortgesetzt werden. Entsprechend erfolgt die Dokumentation als „V1“-Ableitung mit Kennzeichnung der jeweiligen Seite. In Bezug auf das Neuromonitoring erfolgen im Verlauf der Operation weitere Ableitungen der EMG-Signale bei erster Visualisierung des Nervus laryngeus recurrens (R1) sowie nach Resektion die entsprechende Kontrolle eines weiterhin intakten EMG-Signals über dem Nervus laryngeus recurrens (R2) und dem Nervus vagus (V2). Nur wenn letzteres zweifelsfrei intakt ist, darf eine Fortsetzung der Operation auf der Gegenseite erfolgen. Die Anzahl an bilateralen Recurrensparesen konnte mit diesem Vorgehen signifikant reduziert werden [15].

Tab. 2: Algorithmus EMG-Ableitung Neuromonitoring intraoperativ, Darstellung des empfohlenen Algorithmus bei der Verwendung des intermittierenden Neuromonitorings in der Schilddrüsenchirurgie.

V1-Ableitung: Ableitung Nervus vagus bei Beginn der Operation; Mindestziel 300 µV

R1-Ableitung: Ableitung Nervus laryngeus recurrens bei erster Visualisierung

R2-Ableitung: Ableitung Nervus laryngeus recurrens nach Resektion

V2-Ableitung: Ableitung Nervus vagus nach Resektion

In Bezug auf den Nervus laryngeus recurrens sind eine eindeutige Visualisierung und die Dokumentation dieser Visualisierung essenziell. Hierbei ist auf eine durchblutungsschonende, nicht-skelettierende Präparation zu achten [2]. Wichtig ist, dass die Ableitung eines EMG-Signals nicht die visualisierende Darstellung des Nerven ersetzt. Es ist selbsterklärend, dass bei der Präparation des Nervens darauf geachtet wird Zugschäden oder thermische Schäden durch bipolare Koagulation in der Nähe des Nervens zu vermeiden.

Die Problematik des postoperativen Hypoparathyreoidismus wird häufig unterschätzt, obwohl sie die häufigste Komplikation nach Schilddrüsenoperationen darstellt [16]. Es ist daher unbedingt darauf zu achten, dass die Nebenschilddrüsen vaskularisiert erhalten werden und dass auch hierüber im Operationsbericht eine entsprechende Dokumentation erfolgt [2]; (Abb. 1). Es gilt hier genau wie für die Nervenpräparation und für die Versorgung der Gefäße, dass ein kapselnahes Präparieren an der Schilddrüse zu empfehlen ist. Zur Auffindung der Nebenschilddrüsen gilt die bekannte Faustregel, dass die obere Nebenschilddrüse dorsal des Nervus laryngeus recurrens und oberhalb der Arteria thyreoidea inferior zu finden ist. Die untere Nebenschilddrüse ist unterhalb der Arteria thyreoidea inferior und ventral des Nervus laryngeus recurrens zu finden. Die genaue Lage kann erheblichen Variationen unterlegen sein und ist daher individuell sehr unterschiedlich [9]. Die Einlage von Drainagen sollte generell vermieden werden, da sie insgesamt nicht zu einer Reduktion von Nachblutungen führen und sowohl die Rate an Wundinfektionen und die Krankenhausverweildauer signifikant erhöhen [17].

Abb. 1: Beispiel Abschlusssitus nach Hemithyreoidektomie links: Es wird exemplarisch der Abschlusssitus während der „R2-Ableitung“ des Nervus laryngeus recurrens gezeigt. Der Nerv ist langstreckig bis zum Eintritt in den Kehlkopf dargestellt. In typischer Lage sind beide Nebenschilddrüsen erhalten. Im Bereich der Absetzungsstelle des Berry-Ligaments ist eine Durchstichligatur gesetzt.

Postoperative Überwachung

Die Gefahr von Nachblutung ist in der ersten postoperativen Phase d. h. innerhalb der ersten acht Stunden am größten und nimmt danach deutlich ab. Die meisten Nachblutungen (d. h. etwa 80 bis 85 Prozent) finden in den ersten 24 Stunden postoperativ statt [18]. Aus diesem Grund ist in den ersten postoperativen Stunden eine intensivierte Überwachung zu empfehlen. Eine frühe Entlassung von Patienten in dieser frühen postoperativen Phase ist aufgrund der möglichen raschen vitalen Folgen einer Nachblutung in Deutschland nicht empfohlen [2].

Postoperativ sollte nach den aktuellen Leitlinien am ersten und zweiten postoperativen Tag eine Calciumkontrolle erfolgen, um einen postoperativen Hypoparathyreoidismus rechtzeitig zu erkennen [2]. In den letzten Jahren verbreitet sich auch die postoperative Bestimmung von Parathormon. Der genaue Zeitpunkt der Bestimmung und die potenzielle Aussagekraft zur potenziellen Entwicklung eines postoperativen Hypoparathyreoidismus sind Gegenstand aktueller Studien und Diskussion [19].

Unstrittig ist die Notwendigkeit der postoperativen Durchführung und Dokumentation einer Laryngoskopie zum sicheren Ausschluss einer Recurrensparese [2]. Zur Qualitätssicherung sollte diese Untersuchung für jeden operierten Patienten in dessen Akten dokumentiert werden und im Falle einer Recurrensparese eine logopädische Behandlung initiiert werden. Hier hat der Chirurg durch regelmäßige Nachkontrollen die notwendige Sorgfaltspflicht zu erfüllen. Allgemein ist in diesem Zusammenhang das Einbringen der Patienten in ein entsprechendes Register (z. B. StuDoQ der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie oder Eurocrine) sinnvoll und empfehlenswert.

Zusammenfassend muss Schilddrüsenchirurgie differenziert durchgeführt werden. Das umfasst eine kritische Indikationsstellung, sorgfältige Vorbereitung, die Beachtung wichtiger intraoperativer Schritte und die optimale perioperative Betreuung. Der vorliegende Artikel soll mit dieser kurzen Übersicht eine Anregung zur Vertiefung der einzelnen hier aufgeführten Aspekte geben. Nur mit einer differenzierten und tiefgehenden Auseinandersetzung können für den Patienten optimale Behandlungsergebnisse erzielt werden, was das Ziel jeder ärztlichen Behandlung ist.

Die Literaturliste erhalten Sie über [email protected].

Schlegel N: Wichtigste Aspekte der Indikationsstellung, Vorbereitung und Durchführung von Operationen an der Schilddrüse. Passion Chirurgie. 2018 August, 8(08): Artikel 03_01.