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IT-gestütztes Teamlernen in der Chirurgie – der Weg vom kurzfristigen ‘Change’ zum dauerhaften ‘Improve’

Aktuelle Herausforderungen

Die wirtschaftliche Lage vieler Kliniken wird von der deutschen Krankenhausgesellschaft als „äußerst kritisch“ beschrieben [1]. Zertifizierungen nehmen zu und dennoch ist „Made in Germany“ längst kein allgemeingültiges Qualitätssiegel für Krankenhäuser mehr [2]. Überlastete Mitarbeiter, Fachkräftemangel und gleichzeitig ungenutzte Wirtschaftlichkeitsreserven, sowie die kontinuierliche Anforderung nach Qualitätsverbesserung sind aktuelle Herausforderungen in der stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung.

Bisherige Herangehensweise

Um diesem Dilemma zu entkommen, suchen immer mehr Kliniken Hilfe bei Beratungsunternehmen. Nicht immer sind Branchenkenntnis und eine erfolgversprechende Methodik der Beratung garantiert. Bei der bisher weit verbreiteten Vorgehensweise werden von externen Beratern Unternehmensdaten des herkömmlichen Berichtswesens analysiert, Interviews mit Mitarbeitern durchgeführt und vor Ort der klinische Alltag beobachtet. Aus diesen Informationen werden Optimierungsszenarien abgeleitet und den übergeordneten Entscheidungsträgern der Klinik präsentiert. Die analysierten Abteilungen erhalten anschließend in der Regel den Auftrag, diese von extern festgelegten Maßnahmen umzusetzen.

Die Mitarbeiter am Krankenbett und in den Funktionsabteilungen fühlen sich dabei oft weder bei der Zielfindung und Schwachstellenanalyse noch beim Festlegen der Soll-Abläufe integriert. Sie fühlen sich zur Informationsquelle degradiert und mit ihren Ängsten allein gelassen.

Eine Einbeziehung der Beteiligten für ein gemeinsames Ziel und damit eine emotionale Bindung an das Projekt wird nicht gefördert, so dass klinikintern vorhandene Potentiale zur Problemlösung brach liegen. Auch bei der Umsetzung des Maßnahmenkatalogs werden die Mitarbeiter häufig allein gelassen und entsprechende Arbeitsgruppen aus dem „eh-da Personal“ zusammengewürfelt, statt diese gezielt nach den geforderten Fach- und Sozialkompetenzen zusammen zu stellen. Darüber hinaus mangelt es an Feedbackmechanismen für die Leistungsbestätigung, begleitende Teamsupervisionen oder gar Teamentwicklungsmaßnahmen. Dass sich die Mitarbeiter dieser Vorgehensweise gegenüber defensiv und abwehrend verhalten, ist nicht verwunderlich und entspricht vielmehr der menschlichen Natur [3]. Diese von extern initiierten Veränderungen lösen Befürchtungen aus, bedrohen Partikularinteressen und greifen in die Handlungsfreiheit der Mitarbeiter ein. Daher werden sie vor allem auf ihre Bedrohlichkeit überprüft, bevor die Chancen erkannt werden. Als logische Konsequenz erfolgt bestenfalls eine Konzentration auf kurzfristig erreichbare Ziele, langfristige Planungen werden hinten angestellt. Zusätzlich fokussieren sich die Mitarbeiter eher auf sich selbst als auf das Kollektiv [4]. So bleibt es häufig bei einem kurzen „Change“. Meist schon nach wenigen Wochen werden die ursprünglichen Verhaltens- und Arbeitsweisen wieder aufgenommen und signifikante Verbesserungen von Qualität und Wirtschaftlichkeit in den Behandlungsprozessen bleiben aus.

Der neue Weg

Wie kann man diesem Problem begegnen? Im Gesundheitswesen beeinflussen sich bei Prozessverbesserungen die wichtigsten Parameter Qualität, Kosten, Zeit, Patienten und Mitarbeiterzufriedenheit wechselseitig. Zwischen ihnen muss ein optimales Verhältnis hergestellt werden und daher können sie nicht isoliert betrachtet und verbessert werden.

Beachtet man die beschriebenen Schwierigkeiten bisheriger Change-Prozesse wird deutlich, dass vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsberufe mit ihrer hohen fachlichen Qualifikation und großen Praxiserfahrung trotz der zunehmenden Technisierung nach wie vor die wesentlichen Erfolgsfaktoren für Verbesserungsprozesse sind. Nur mit ihrer Expertise, ihrer wertschätzenden Integration und gelebter interdisziplinärer Teamarbeit können Verbesserungsmaßnahmen erfolgreich und dauerhaft verbessert werden.

Aussichtsreicher ist es also, die Mitarbeiter von Anfang an in die Verbesserungsarbeit zu integrieren. Angefangen von der gemeinsamen und verständlichen Zielformulierung über die Prozessanalyse und die gemeinsame Entwicklung von Soll-Prozessen bis hin zur Umsetzung derer in den klinischen Alltag [5]. Wichtig dabei ist, die Mitarbeiter mit dem „Basis-know-how“ der Prozessoptimierung auszustatten, ihnen ein objektives und zeitnahes Feedback über die gemachten Fortschritte zur Verfügung zu stellen und die Voraussetzungen für eine gelebte Teamarbeit zu schaffen. Dies ermöglicht ihnen ein kontinuierliches Lernen im Team und dadurch eine Weiterentwicklung ihrer persönlichen Verhaltens- und Leistungsformen. Die verschiedenen Phasen der Optimierung werden so zu Lernphasen, bei denen Irrtümer und Störungen in den Behandlungsprozessen durch die ständige Integration neuer Informationen verringert werden und die kollektiven Lernprozesse eine dauerhafte Veränderung zum Besseren ermöglichen.

  • Prozesstransparenz mit kontinuierlichem und für die Mitarbeiter verständlichem „real time feedback“ relevanter Prozess- und Qualitätskennzahlen,
  • das „Basis know how“ der klassischen Prozessoptimierung und
  • Teamentwicklungsmaßnahmen sind das Fundament für dauerhaft erfolgreiche Verbesserungen von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsversorgung.

IT-gestütztes Feedback

Ausgangspunkt für das „real time feedback“ bilden die automatisierte Kalkulation und für Mitarbeiter der Gesundheitsberufe anschaulich abgebildete Prozessparameter aus dem Klinkinformationssystem bzw. den verwendeten Subsystemen. Das klassische Berichtswesen ist dafür ungeeignet, da die Auswertungen meist zeitaufwändig, oft deutlich retrospektiv und häufig senderorientiert erstellt werden. Erfolgsversprechend sind hingegen automatisierte, computergestützte Analysen wie sie mit flexiblen Business Intelligence| (BI)- Lösungen möglich sind. Wichtig bei der Einführung eines solchen Systems sind die

  • gute Integration in die vorhandene IT-Landschaft und vor allem eine
  • anwender- bzw. empfängerfreundliche Benutzeroberfläche für die Mitarbeiter der Gesundheitsberufe sowie eine
  • einfache Bedienbarkeit für ein „real time feedback“ direkt in die medizinischen Fach- oder Funktionsbereiche.

Gemeinsam mit und für die Mitarbeiter können entsprechende „Kennzahlen Cockpits“ mit einer übersichtlichen Anzahl an Qualitäts- und Prozesskennzahlen erstellt werden.

Automatisierte Updates und computergestützte Analysen dieser Kennzahlen ermöglichen ein kontinuierliches Feedback (u.a. über Wechselzeiten, tägliche Saalbeginn- und Überzeihungszeiten, Dokumentationsqualität, Stationsbelegung mit Zu- und Abgängen, Wiederaufnahmeraten, LEP-Aufwand, etc.) und damit eine schnelle Identifikation von Stärken und Schwächen in den Behandlungsabläufen. Mit dem Feedback werden in regelmäßigen Workshops mit den Teams (z.B. OP-Team, Stations-Team) konkrete Ziele definiert und Verbesserungsmaßnahmen zur Umsetzung erarbeitet.

Mögliche Kennzahlen und deren automatisierte Updates reichen inzwischen weit über den OP-Bereich hinaus und können an die jeweiligen Bedürfnisse der Funktionsbereiche angepasst werden.

Diese Vorgehensweise gibt den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich mit den Veränderungen zu identifizieren. Prozessverbesserungen werden damit für die Teams zu Lernprozessen mit unterschiedlichem Ausmaß. Motivierend für die Mitarbeiter wirken dabei vor allem die Eigenverantwortung mit dem Erkennen von Schwachstellen, der selbstständigen Entwicklung von Verbesserungsideen und deren Umsetzung sowie die Leistungsbestätigung durch das regelmäßige Feedback motivierend für die Mitarbeiter [6].

Abb. 1: typisches OP-Kennzahlen Cockpit für: tgl. erstes Saal_Ein und tgl. erster Schnitt. Säle und Auswertungszeiträume werden einfach per Mausklick ausgewählt. Zusätzlich integriert wurden in das Cockpit vereinbarte Ziele und ein automatisiertes Feedback über den Zielerreichungsgrad.

Die Möglichkeit zur bewussten Reflexion der Behandlungsabläufe ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Lernprozessen in und von berufsgruppenübergreifenden Teams. Das zeitnahe Feedback fungiert dabei als Motor, der Möglichkeiten aufzeigt, zu lernen, sich zu entwickeln und die bisherigen Verhaltens- und Leistungsformen zu verbessern.

Basis-Know-how der Prozessoptimierung und Teamlernen

Prozessverbesserungen sind immer Veränderungen mit unterschiedlichem Ausmaß. Typische Widerstände und Barrieren werden am schnellsten überwunden, wenn alle Beteiligten von Anfang an in das Vorhaben integriert werden. Darüber hinaus gelingt es nur so, gelebtes Engagement der Mitarbeiter für den Verbesserungsprozess zu gewinnen.

Wenige Stunden standardisierter Trainings für die Mitarbeiter reichen für die Vermittlung der Grundprinzipien der Prozessoptimierung sowie der Handhabung des jeweiligen automatisierten Controllingmoduls. Diese Trainings ergänzt um Teamentwicklungsmaßnahmen, versetzen die Mitarbeiter in die Lage, trotz knapper Liquidität und Zeit den Strukturwandel aus eigener Kraft zu gestalten. Teamsupervisionen helfen bei den häufig noch hierarchischen Strukturen in Krankenhäusern, neben dem IT-gestütztem Feedback weitere Grundlagen für das Teamlernen zu implementieren. Erwähnt werden sollen hier vor allem die partnerschaftliche Aufgabenverteilung, das Akzeptieren differenter Meinungen, die Delegation von Machtbefugnissen und die Mitverantwortung für die Ergebnisse anderer Teammitglieder [7]. Unter diesen Voraussetzungen ermöglichen regelmäßige Workshops das Teamlernen durch die kontinuierliche intra-individuelle und interaktionale Auseinandersetzung der Mitarbeiter mit den Behandlungsabläufen. Dieser beruflich-soziale Lernprozess schafft längerfristige Veränderungen im Verhalten und somit eine dauerhafte Veränderung für eine Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit.

Klinikinterne und/oder externe Begleitung?

Ist klinikintern entsprechendes „Know-how“ für die Implementierung der BI-Lösungen oder die Ressourcen für eine aktive Begleitung der Verbesserungsprozesse nicht vorhanden, ist eine Unterstützung von Extern zu erwägen. Der externe Blick mit entsprechender Fach- bzw. Branchenkenntnis kann das Team bei der Schwachstellenanalyse und beim Erarbeiten der Soll-Prozesse unterstützen und hilfreich sein, die intern vorgebrachten Ideen aus neutraler Perspektive für das Team zu reflektieren. Vor allem Teamsupervisionen helfen, die hierarchisch geprägten Strukturen zu durchbrechen und Grundlagen für eine erfolgreiche Teamarbeit zu schaffen. Dies wiederum fördert die interne Innovationskompetenz. Sofern das „know-how“ für Teamentwicklungsmaßnahmen intern nicht vorhanden ist, kann auch hier eine Unterstützung von Extern hilfreich sein. Grundsätzlich wichtig bei einer externen Begleitung ist der Fokus auf die „Hilfe zur Selbsthilfe“ für die Teams zum Umgang mit den dauerhaften Veränderungen im Klinikalltag.

Effizienz und Realisierbarkeit

Mit der Methodik des Teamlernens wurden Innovationen wie der Patientenabruf via Funksystem statt personalbindender Telefonate, ein neuartiges Materialvorhaltesystem für Operationsinstrumente und Verbrauchsmaterialen eines ganzen Operationstages von den Mitarbeitern angeregt und umgesetzt. Insgesamt führten diese und weitere von den Mitarbeitern entwickelten und umgesetzten Maßnahmen z. B. bei elektiven Tonsillektomien zu einer Reduktion der Wechselzeiten von 40 %, sowie der Anästhesiezeiten von 25 %. In weiteren Projekten wurden Checklisten entwickelt, interdisziplinäre Schulungen angeregt und durchgeführt, neue Pausenregelungen implementiert, die berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit verbessert und ähnlich signifikante Erfolge erzielt. Dies sind nur einige Beispiele die von den Projektteams selbständig angeregt und umgesetzt wurden. Die Identifikation der Mitarbeiter mit den Verbesserungen und das regelmäßige Feedback über den Erfolg sind dabei der Schlüssel für ein dauerhaftes ‚Improve’ von Qualität und Wirtschaftlichkeit, Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit in der Chirurgie.

Literatur

[1] http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/43769/

[2] Geisler A., Olfen I., (2010): Risiko Krankenhaus – Krisengebiet Krankenhaus, Stern, Nr. 36

[3] Fullan M. (2008): The six secrets of change

[4] Pfeffer J., Sutton RI. (2000): The Knowing-Doing Gap: How Smart Companies Turn Knowledge into Action, Harvard Business school press

[5] Staehle WH. (1991): Management – Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive

[6] Landy FJ. et al. (1982): Utility Concepts in Performace Measurement: Organizational Behavior and Human Performance

[7] Doppler K., Lauterburg C. (1995): Change Managment: Den Unternehmenswandel gestalten

Holderried M. IT-gestütztes Teamlernen in der Chirurgie. Passion Chirurgie. 2011 Oktober; 1(10): Artikel 02_05.

Health 2.0 als Klinik- und Praxismagnet: online Arzt-Patienten-Kommunikation und Terminmanagment

Das Internet hat in unserem beruflichen und privaten Alltag längst einen festen Stellenwert und ist nicht mehr wegzudenken. Daten der Forschungsgruppe Wahlen zeigen, dass junge Menschen zunahezu 100 % Onliner sind [1]. Bei der Altersgruppe von 34 bis 59 Jahren sind es bei den Männern immer noch 81 % und bei den Frauen 59 %. Bei den über 60-Jährigen liegt der Nutzungsgrad bei den Männern bei knapp 50 % und bei den Frauen bei 33 %.

Vom Web 2.0 zum Health 2.0

Auch im Gesundheitswesen ist die Internetnutzung in den letzten Jahren stark gestiegen. Mehr als 141 Millionen deutschsprachige Treffer in 0,12 Sekunden findet man über Google bei der Suche nach „Gesundheit“. Health 2.0 und der häufig synonym verwendete Begriff Medicine 2.0 beschreiben dabei nichts anderes als die Übertragung der Möglichkeiten des Web 2.0 auf das Gesundheitswesen [2]. Insgesamt werden Health 2.0 und Medicine 2.0 unter dem Begriff „eHealth“ eingeordnet. Darunter werden die modernen Verfahren der Informations- und Kommunikationtechnologie im Gesundheitswesen subsumiert. Der Begriff „eHealth“ wurde bereits Anfang dieses Jahrhunderts durch die Telemedizinanwendungen geprägt [3].

Merkmale von Health 2.0 Anwendungen:

  • webbasierte Software mit Gesundheitsbezug, die nicht auf lokalen Rechnern ausgeführt wird,
  • Endgeräteunabhängige Nutzung der Webdienste,
  • leistungsstarke und benutzerfreundliche Oberflächen,
  • Vernetzung von Patienten, Ärzten und anderen Dienstleistern im Gesundheitswesen,
  • Verwendung von einfachen Web Service Komponenten, die bei Bedarf neu verbunden werden können.

Unterscheiden kann man die Health 2.0 Technologien nach ihren Anwendungsschwerpunkten. Diese reichen von Social Media mit Gesundheitsthemen (z. B. www.mbcnetwork.org, www.bcaction.de) über Such- und Bewertungsportale für Ärzte und Kliniken (z. B. www.weisse-liste.de, www.docinsider.de) bis hin zum Daten- und Informationsaustausch von Patienten mit Ärzten und anderen Gesundheitsdienstleistern (z. B. www.fallakte.de, www.samedi.de).

Herausforderungen der sektorenübergreifenden Arzt-Patienten-Kommunikation

Die telefonische Erreichbarkeit und Terminvereinbarung ist in vielen Kliniken eine alltägliche Herausforderung. Meist ist sie für planbare Termine auf wenige Sunden pro Tag limitiert und aufgrund einer eingeschränkten Nutzbarkeit des Terminmanagements so mancher KIS-Systeme sehr personengebunden [4]. Daher dominiert auch heute noch vielerorts der Papierkalender. Eine „echte“ Ressourcenplanung mit Integration von Personal, Räumen und Geräten entsprechend des Behandlungspfades findet dabei meist weder auf Papier noch in vielen KIS-Systemen statt. Auch automatisierte Terminerinnerungen via E-Mail oder SMS sind nicht möglich. Nicht aufeinander abgestimmte Ambulanzbesuche und lange Wartezeiten in der Diagnostik für die Patienten sind die alltägliche Folge.

Auch bei der OP-Terminierung werden selbst bei gut planbaren Interventionen längst nicht alle Ressourcen berücksichtigt. Warte- und Leerzeiten für Patienten, Personal und ungenutzte teure Raum- und Geräteressourcen sind auch hier keine Seltenheit.

Der allgemeine Informationsaustausch mit den Patienten und den am Behandlungsprozess beteiligten Ärzten ist im Zeitalter von Web 2.0 ebenfalls im Wesentlichen papiergebunden. Arztbriefe und allgemeine Informationen werden meist zeit- und kostenaufwändig per Post oder via Fax zwischen den Gesundheitsdienstleistern und den Patienten ausgetauscht, um inzwischen anschließend wieder als pdf in die KIS-Systeme eingescannt zu werden.

Folgende Herausforderungen der analogen Kommunikation im Gesundheitswesen lassen sich zusammenfassen:

  • zeit- und kostenaufwändige Bürokratie,
  • fehlende integrierte Ressourcenplanung (u.a. Arzt, Pflege, Räume und Geräte),
  • Informationen sind häufig personengebunden, unvollständig und nicht an mehreren Orten zeitgleich verfügbar,
  • eingeschränkte Erreichbarkeit und Servicequalität,
  • keine automatisierten Terminerinnerungen,
  • kein automatisierter Versand von allgemeinen Informationen,
  • kein integriertes Case-Management.

Integration von Health 2.0 in den Klinikalltag

In einer Umfrage von Deloitte® in Deutschland befürworteten 42 % der Befragten einen Online-Überweisungsservice mit Informationen über Diagnosen, Behandlungskosten, Behandlungsqualität und geographischer Lage der Gesundheitsdienstleister. 38 % wünschen sich die Möglichkeit Arzttermine online zu buchen und einen sicheren Online-Zugang zu ihrer Krankenakte [5].

Die Chancen von Health 2.0 für die Integration in den Klinikalltag liegen damit in der sektorenübergreifenden Kommunikation mit integrierter Termin- und Ressourcenplanung und der elektronischen Krankenakte (rein technisch künftig auch Zugang für Patienten möglich). Darüber hinaus bedeutend ist die automatisierte Terminerinnerung, deren Einfluss auf die Verbesserung der Behandlungsqualität bereits in mehreren Veröffentlichungen beschrieben wurde [6].

Wie bei „google“ und „apple“ wird die Leistungsstärke und Einfachheit der Bedienung eines solchen Systems über den Erfolg entscheiden und von den Nutzern bestimmt werden. Datensicherheit und -verfügbarkeit sind im Gesundheitswesen ebenfalls wesentliche Aspekte. Darauf ist bei der Implementierung von Health 2.0 Anwendungen für die sektorenübergreifende Kommunikation besonders zu achten. Je nach Integrationstiefe einer Health 2.0 Anwendung in die Behandlungsaktivitäten, das KIS-System oder die Praxissoftware nehmen dabei die Potentiale für die Steigerung von Qualität und Effizienz und gleichzeitig die Anforderungen an Datensicherheit und -verfügbarkeit zu.

Abb. 1: Health2.0-Anwendungen mit ihrer Anforderung an Datensicherheit und Verfügbarkeit, sowie die Qualitäts- und Effizienzpotentiale

Health 2.0 am Comprehensive Cochlear Implant Center (CCIC) Tübingen

Nicht nur, aber ganz besonders auch für schwerhörige und gehörlose Patienten eignet sich die internetbasierte Kommunikation, um mit niedergelassenen Patienten, Ärzten und Kliniken zu kommunizieren. Online-Überweisungen, Terminbuchungen und -erinnerungen, ein Ressourcenplanungssystem sowie der Austausch von Informationen von der Anfahrtsbeschreibung bis hin zum Anamnesebogen leisten hier einen enormen Beitrag zu Verbesserung der Servicequalität und der Behandlungsabläufe in der Klinik. Bei Einführung der Health 2.0 Anwendung (Samedi®) wurden zu Beginn die Behandlungsabläufe mit den benötigten Ressourcen und die Sprechstundenzeiten in das einfach bedienbare Konfigurationsmenü eingegeben. Entsprechend der Verknüpfung der einzelnen Ressourcen mit ihren zeitlichen Erfordernissen kalkuliert die Anwendung automatisch verfügbare Sprechstundenslots und Diagnostikslots für die Patienten.

Abb. 2: Konfigurationsmenü zur Eingabe der Ressourcen und Behandlungsabläufe am CCIC Tübingen

Die Terminhoheit über die Sprechstundenzeiten bleibt damit weiterhin in der Klinik. Patienten und Zuweiser buchen lediglich selbstständig freie Slots ohne dass zeitaufwändige Telefonate anfallen. Ebenfalls einmalig definiert wurden automatisierte SMS-Erinnerungen und der Versand von allgemeinen Informationen (u.a. Anfahrtsbeschreibung, Hinweis auf evtl. erforderliche Unterlagen/Vorbefunde für die jeweilige Sprechstunde, etc.) via E-Mail für die jeweiligen Sprechstunden.

Allgemeine Fragen und Termine können von Patienten und niedergelassenen Ärzten nun selbstständig zu jeder Tages- und Nachtzeit online getätigt werden. Für alle buchbaren Sprechstunden sind die dazugehörigen Behandlungsabläufe hinterlegt. Damit werden je nach gebuchtem Termin die klinikinternen Ressourcen (Arzt, Raum, Audiologie etc.) für die jeweiligen Zeitfenster belegt und die entsprechenden Informationen automatisiert versandt. Vor allem die Terminerinnerung wenige Tage vor dem geplanten Besuch findet bei den Patienten großen Anklang.

Abb. 3: Online-Terminbuchung für die Patienten

Kommt es zu einem ungeplanten Ressourcenausfall, können die medizinischen Fachangestellten der Klinik im Kalender den Termin per Drag&Drop verschieben und auch darüber erhält der Patient just-in-time die Information via SMS zugesandt. Bereits nach sechs Monaten wurden im Cochlear Implant Centrum Tübingen ohne Werbemaßnahmen und trotz des in der Regel höheren Alters der Patienten mit Schwerhörigkeit über 10 % der Termine online gebucht. Entscheidend dabei ist, dass die online vergebenen Termine verbindlich gebucht werden, so dass von Seiten der Klinik kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand entsteht. Die Online-Arzt-Patientenkommunikation steigert damit nicht nur die Servicequalität, sondern erleichtert den klinikinternen Organisationsprozess, vereinfacht die Ressourcenplanung und unterstützt die Effizienzsteigerung. Weitere Vorteile liegen in der Stabilität des Systems und der hohen Datensicherheit, die mit verschlüsselten Datenbanken und Festplatten die Anforderungen des Online-Bankings übertrifft.

Für die weitere Unterstützung des klinikinternen Organisationsprozesses wird derzeit die Erweiterung der Health 2.0 Anwendung auf komplette Behandlungspfade vorbereitet. Die Integration sämtlicher benötigter Ressourcen von der OP-Vorbereitung durch die Chirurgie und Anästhesie, der präoperativen Diagnostik über die OP-Ressourcen bis zur postoperativen Nachsorge auf Station und in den Sprechstunden soll künftig eine wesentliche Unterstützung von Case- und Belegungsmanagement ermöglichen.

Health 2.0 in der Gynäkologie

Vorreiter ist hier die Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf. In der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe entbinden jährlich rund 1600 Mütter. Mit Hilfe der Health 2.0 Anwendung können die werdenden Mütter Termine z. B. für eine CTG-Kontrolle, eine geburtsvorbereitende Akupunktur, den Dopplerultraschall etc. selbstständig von zu Hause übers Internet oder von unterwegs per iPhone-App buchen. Bereits nach vier Monaten konnte hier eine online Buchungsquote von 30 % erreicht werden. Hinzu kommen die Vorteile der 24h/7d Verfügbarkeit, der automatisierte Versand von Terminerinnerungen und allgemeinen Informationen ohne zusätzlichen Personalaufwand für die Klinik. Überzeugt haben Dr. Göring und die leitende Hebamme Fr. Wendel das positive Feedback der Patientinnen und die wesentliche Erleichterung bei der Terminkoordination. Der Telefondienst konnte um fast ein Drittel reduziert und gleichzeitig durch die Selbsteingabe der Patientinnen die Qualität und Vollständigkeit der Daten deutlich erhöht werden.

Health 2.0 in ambulanten Operationszentren

Die Interaktive OP-Planung erleichtert auch im ambulanten Sektor die Zusammenarbeit in Anästhesie- bzw. OP-Zentren. Statt unidirektionaler Abstimmung zwischen den Operateuren, Anästhesisten und dem Assistenzpersonal ermöglicht Health 2.0 eine interaktive Ressourcenplanung mit automatisierter Terminbestätigung an alle Beteiligten. Bereits sehr tief in die Behandlungsabläufe integriert ist eine Health 2.0 Anwendung im OP-Zentrum Oldenburg. Dort gelang es Dr. Auerbach und seinem Team nicht nur, den Aufwand für die Terminabstimmung deutlich zu reduzieren, sondern auch die Planungssicherheit und OP-Auslastung mit geplanten Interventionen signifikant zu steigern. Von knapp 2300 terminierten Eingriffen im Jahr 2009 stieg diese Zahl auf über 4400 im Jahr 2010 bei einer gleichzeitigen Reduktion der „organisatorischen Notfälle“.

Ausblick

Ständig steigende Nutzerzahlen bestätigen die zunehmende Akzeptanz von Health 2.0 Anwendungen. Sie ermöglichen eine stärkere Einbindung der Patienten in den ärztlichen und pflegerischen Behandlungsprozess und bieten enorme Potentiale für eine Verbesserung der sektorenübergreifenden Kommunikation und Versorgungskontinuität im Gesundheitswesen. Datenschutz und Datenverfügbarkeit müssen dabei sorgfältig evaluiert und sichergestellt werden. Mögliche Zukunftsszenarien sind nicht nur die Ausdehnung von Health 2.0 Anwendungen für die virtuelle Nachsorge nach Operationen via Online-Sprechstunden, Wundkontrollen mittels Smartphone-Kamera, sondern auch intersektorale online Tumorkonferenzen und die Online-Beratung von Patienten und Angehörigen in themenspezifischen Online-Expertengruppen und anderen Foren.

Dafür müssen die Chancen der Health 2.0 Anwendungen von den IT-Abteilungen der Kliniken vermehrt erkannt werden, um sich künftig intensiver mit deren Integration in die bestehende IT-Landschaft zu befassen. Darüber hinaus wird die Einbindung von Health 2.0 in die Aus- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe erforderlich sein. Nur so können künftig die Potentiale der sich rasant weiterentwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen für die Sicherung der Versorgungsqualität ausgeschöpft werden.

Literatur:

[1] Forschungsgruppe Wahlen 1/2011; n= 4006 deutsche Erwachsene

[2] Van De Belt, T.H. et al. Definition of Health2.0 and Medicine2.0: A Systematic Review. J Med Internet Res, 2010.12(2):p.e18

[3]Mitchell, J. Increasing the cost-effectiveness of telemedicine by embracing e-health. Journal of telemedicine and telecare, 2000.16(1):p. 16-19

[4] Persönliche Informationen aus Fokusinterviews mit Personal des Terminmanagements verschiedener Kliniken

[5] Deloitte Center for Health Solutions. 2010 Survey of Health Care Consumers in Germany. (n= 1000)

[6] Hogan AM. et al. Potential impact of text message reminders on non-attendance at outpatient clinics. Ir J Med Sci (2008) 177:255-358

Holderried M. Health 2.0 als Klinik- und Praxismagnet. Passion Chirurgie. 2011 Oktober; 1(10): Artikel 02_02.