Zurück zur Übersicht

Noch vor zehn Jahren waren Operationskurse zu lebensbedrohlichen, penetrierenden Stamm- und Extremitäten-Verletzungen eine Nische für interessierte Chirurginnen und Chirurgen aus großen Traumazentren, mit militärischem Hintergrund und vor einem humanitären Einsatz in Krisengebieten. Mit der Zunahme terroristischer Anschläge in Zentraleuropa bekam das Thema spätestens nach dem verheerenden Anschlag 2015 auf das Bataclan-Veranstaltungszentrum in Paris auch in Deutschland eine hohe Priorität. Der Bedarf an entsprechenden Fortbildungsangeboten wuchs und die verantwortlichen Arbeitsgemeinschaften der chirurgischen Fachgesellschaften, wie z. B. die AG Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie (EKTC) der DGU, die Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie (CAMIN) der Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie und die Kommission Katastrophenmedizin und Gefäßtraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin entwickelten ihre eigenen, individuellen und teilweise schon lange bestehenden Fortbildungsformate weiter.

Von Seiten der DGU war schon 2008 das Format DSTC (Definitive Surgical Trauma Care) über die Internationale Fachgesellschaft IATSIC (International Association for Trauma Surgery and Intensive Care) für Deutschland lizensiert und etabliert worden. Nach ersten Kursen in Essen und Berlin wird dieses Format seit 2010 mindestens einmal jährlich in Homburg in Zusammenarbeit mit der AUC angeboten. Die DSTC-Kurse zeichnen sich durch eine hohe Praxisnähe mit realitätsnahen Übungen und hohem emotionalem Stress aus. Schwerpunkte sind dabei die Vermittlung praktischer akut lebensrettender, chirurgischer Fertigkeiten, die durch erfahrene nationale Instruktoren gemeinsam mit international ausgewiesene Experten aus Südafrika, Israel, den USA und anderen Ländern mit einem hohen Aufkommen penetrierender Verletzungen begleitet werden. Ziel ist es, die „Höhlenkompetenz“ der vorwiegend in der Behandlung von stumpfem Trauma geübten Unfallchirurginnen und -chirurgen aufrechtzuerhalten.

Da in den Fällen eines Massenanfalls von Verletzungen auch taktische Maßnahmen zum sinnvollen Einsatz der beschränkten Ressourcen eines Krankenhauses, besonders im Hinblick auf die zeitnahe Verfügbarkeit lebensrettender Sofortoperationen (Kenntnisse, Personal und Rahmenbedingungen) für den einzelnen Patienten lebensrettend sein können, muss auch dieser Aspekt speziell geschult werden. Da nach der Wiedervereinigung Deutschlands viele Aspekte des Zivilschutzes ersatzlos abgebaut wurden, wurde in Deutschland über viele Jahre der Notwendigkeit regelmäßiger Krankenhausalarmübungen nur eine geringe Priorität eingeräumt. Auch in der Aktualität der an sich flächendeckend geforderten Krankenhausalarmpläne gibt es regional unterschiedlich teilweise erhebliche Defizite. Da dieser Aspekt, im Gegensatz zu anderen Ländern, beispielsweise Frankreich, in Deutschland hoheitlich im Landesrecht verankert ist, entsteht ein heterogenes Bild mit teilweise erheblichen Unterschieden in der Durchsetzung entsprechender Vorschriften. Beispielweise sind in Berlin und Hamburg regelmäßige Realübungen für alle Häuser obligatorisch und Realität, während in anderen Regionen Deutschlands teilweise seit Jahren keinerlei Übungsaktivität zu verzeichnen ist.

Abb. 1: Inaugurationsbesuch STS Kollig anlässlich des ersten durch das saarländische Sozialministerium geförderten Kombikurses TDSC/DTSC in Homburg

In dieser Situation erarbeitet die Gruppe um Benedikt Friemert aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm mit dem TDSC Kurs (Terror and Disaster Surgical Care) ein sehr effektives Kursformat, in dem auf Basis einer „Stabsübung“ realitätsnah Planung und Umsetzung eines „Terror MANV“ interdisziplinär geübt werden kann. Beratungsangebote der AUC zur Krankenhausalarmplanung individueller Krankenhäuser und ganzer Traumanetzwerke vervollständigen das Angebot der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie.

Die Kursangebote der Arbeitsgruppe CAMIN der DGAV spricht besonders die Gruppe der erfahrenen Abdominal- und Viszeralchirurgen an. Hier geht es zunächst im Wesentlichen darum, an sich in den chirurgischen Fertigkeiten am Körperstamm geübten Allgemeinchirurginnen und -chirurgen das für die Behandlung des penetrierenden Stamm-Traumas notwendige, geänderte „Mindset“ zu vermitteln. Die Chirurgie heutzutage ist extrem weit entwickelt und definiert einen Großteil ihrer operativen Erfolge durch einen hohen Spezialisierungsgrad, der sich vorwiegend durch minimale Invasivität, umfassende OP-Planung und Elektivität des Eingriffs definiert. Im Gegensatz dazu sind penetrierende Stammverletzungen absolute Akutfälle, die schnelles Handeln trotz minimaler Diagnostikmöglichkeit und unter Zeitdruck erfordern. Eine sichere, unmittelbare Indikationsstellung ist für den Patienten vielfach lebensentscheidend. Das durch die CAMIN erarbeitete Tagesseminar zu diesem Thema vermittelt Grundlagen zur Entstehung penetrierender Verletzungen und behandelt allgemeine Grundregeln der chirurgischen Behandlung und Selbstorganisation in Terrorlagen. Zusätzlich wird fachspezifisch das der Akutlage angepasste chirurgische Vorgehen in den Körperhöhlen diskutiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass alle notwendigen chirurgisch-technischen Fertigkeiten an sich ja vorhanden sind.

Zur Vermittlung spezieller operativer Techniken wurde unter Akkreditierung des American College of Surgeons (ACT) durch die DGAV zusätzlich das ASSET-Format (Advanced Surgical Skills for Exposure in Trauma) etabliert. Eine große Auswahl von lebensrettenden Notfalloperationen wird unter Anleitung versierter nationaler und internationaler Instruktionen theoretisch und in anatomischen Präparationsübungen vermittelt.

Weitere fachgebietsgebundene Spezialangebote werden durch die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGC), die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie) im Rahmen von Seminaren und Kursen angeboten.

Ende 2015 stieg der Druck, die Vorbereitungen für die Bewältigung terrorassoziierter Verletzungen zu intensivieren. Die Entscheidung einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen DGU und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr war eine erste Grundlage, eine entsprechende Absichtserklärung wurde zum DGCH-Jahreskongress 2017 in München unterzeichnet. In den folgenden „Notfallkonferenzen“ wurden bundesweit und regional notwendige Strategien zur Umsetzung erweiterter Vorbereitungen auf Basis der Traumanetzwerke-DGU diskutiert und vorbereitet.

Im Saarland gelang es dem Autor in intensiven Gesprächen auf politischer Landesebene, die in Deutschland bestehende grundlegende Problematik der unterschiedlichen ministerialen Zuständigkeiten in terrorassoziierten medizinischen Lagen zu artikulieren und bewusst zu machen. Der präklinische Rettungsdienst untersteht den Innenministerien. Unter dem Eindruck der zunehmenden Terroranschläge wurden angepasste Verfahrensanweisungen zur schnellen Verteilung der verletzten Patienten in alle verfügbaren Krankenhäuser recht schnell erstellt. Eine Koordination mit den Krankenhäusern und besonders die Auswahl und Ertüchtigung geeigneter Krankenhäuser war in diesem Zug aber nicht möglich, da die Krankenhäuser in den Zuständigkeitsbereich der Sozialministerien fallen. Ein erfolgreiches Gesamtkonzept muss aber in diesen speziellen Lagen immer auf entsprechende und direkt verfügbare notfallchirurgische Fähigkeiten zurückgreifen können, um eine sofortige, kompetente Versorgung zu ermöglichen. Unter Führung des Innenministeriums des Saarlandes (STS Christian Seel) und Steuerung des Traumanetzwerkes Saar-Lor-Lux-Westpfalz wurde eine „Task-Force Terror Saar“ etabliert, die Vertreter der Ministerien und aller Behörden und Organisationen mit Sicherungsaufgaben (BOS) des Landes und angrenzender Regionen umfasste. Neben der systematischen Auswahl geeigneter Krankenhäuser des Traumanetzwerks wurde eine systematische Schulung des chirurgischen Personals nach Kriterien der taktischen Vorbereitung und chirurgischer Fähigkeiten vereinbart. Eine jährliche finanzielle Zuwendung von 50.000 Euro des Sozialministeriums ermöglichte die schnelle Umsetzung.

Abb. 2: Übungssituation TDSC Kurs Homburg 2016

In einem Auftaktkurs wurden 2017 zunächst 20 ausgewählte Teilnehmer spezifischer TNW-Kliniken in einem TDSC-Kurs taktisch und direkt anschließend in einem DASTC-Kurs in den spezifischen chirurgischen Fähigkeiten geschult. Zusätzlich erfolgte über das DGAV-Seminar eine ergänzende landesweite Unterweisung weiterer allgemeinchirurgisch tätiger Kolleginnen und Kollegen. In den allgemeinen Teil der Veranstaltung wurden zuständige Politiker und Verantwortliche der betroffenen Katastrophenbehörden eingeladen.

Es war damit möglich, sehr schnell einen landesweit konstanten Stamm von etwa 60 Chirurginnen und Chirurgen in den Kliniken des Traumanetzwerks zu schulen und in der Folge bis jetzt ausfallsicher und nachhaltig vorzuhalten.

Diese Aktivitäten wurden im November 2018 im Rahmen einer landesweiten Real-Übung zusammengeführt. Erstmalig wurde in Zusammenarbeit von Polizeikräften, Rettungsdienst und vier ausgewählten Krankenhäusern des Traumanetzwerks die Fähigkeiten zur übergreifenden Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten aus einer angenommenen „Terrorlage“ (terroristische Geiselnahmen in einem Schulgebäude) geübt und überprüft. Danach wurden regelmäßige weitere Krankenhausübungen durchgeführt, wobei die Aufgabe der Beobachter und Schiedsrichter den Kollegen der nicht beteiligten Krankenhäuser des Traumanetzwerks zukommt, um Erkenntnisse möglichst schnell in der Fläche in allen Häusern umsetzen zu können. Es war damit erstmalig gelungen, eine Fachgesellschaft in Form des Traumanetzwerks als offiziellen Ansprechpartner in hoheitlichen Aufgaben zu positionieren.

Weitere Aktivitäten im Saarland umfassten die Etablierung einer institutionellen Ansprechbarkeit über (??) durch die Rettungsleitstelle. Zentral gesteuerte SMS-Meldungen alarmieren im Bedarfsfall erfahrene Protagonisten des Netzwerks, um akut die koordinierende chirurgische Beratung in einem erweiterten landesweiten Krisenstab übernehmen zu können und den Kontakt zu weiteren Trauma-Netzwerken aufrechtzuhalten. Diese Aktivitäten waren letztendlich die Grundlage, um im Februar 2022 schnell eine bundesweite Vernetzung aller 54 Traumanetzwerke, der Bundeslandsprecher und aller eingeschlossenen Traumanetzwerk-Kliniken unter Koordination der DGU zu realisieren.

Abb. 3: Detailansicht Übungsmaterial

Basierend auf den Erfahrungen mit diesem „Pilotprojekt“ im Saarland war es sinnvoll, die etwas divergenten Schulungsmaßnahmen der einzelnen Fachgesellschaften zu harmonisieren, um sie in einem einheitlichen Konzept den zuständigen Behörden der verschiedenen Bundesländer anbieten zu können und damit eine sachlich unbegründete und in der Sache kontraproduktive Konkurrenzsituation zu vermeiden. Im Januar 2020 erfolgte daher unter dem Dach der DGCH die Harmonisierung der Kursangebote der chirurgischen Fachgesellschaften zusammen mit der DGAI.

Mit der Umsetzung und Realisierung dieser Konzepte wurde im Konsens die Akademie der Unfallchirurgie (AUC) beauftragt, da langjährige, spezifische Erfahrungen vorhanden sind. Die angebotenen Kurse werden unter organisatorischer Verantwortung der AUC im Namen der beteiligten Fachgesellschaften durchgeführt. Trotz der lähmenden Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie gelang es, in enger Absprache ein gemeinsames Curriculum der praktisch orientierten Kurse DSTC, ASSET zusammen mit dem anästhesiologischen Pendant DATC zu erarbeiten und im Frühjahr 2021 in einem Pilotkurs in Homburg erfolgreich auf den Weg zu bringen. Als Besonderheit können damit weltweit einmalig in einem Kursbesuch die international anerkannten Zertifikate der IATSIC und des American College of Surgeons erlangt werden. Im Frühjahr 2022 wurde ein erster vollständiger Kurs erfolgreich in Homburg abgehalten, ein weiterer Kurs in Berlin folgte im Herbst 2022 mit dem Schwerpunkt der Fortbildung der durch das Land Thüringen finanziell unterstützten Kolleginnen und Kollegen der dortigen Traumanetzwerke. In Homburg werden ab Frühjahr 2023 wieder regelmäßig zwei Kurse jährlich geplant.

Abb. 4: Impression der landesweit ersten integrierten Realübung „terrorassoziierte Geiselnahme in einer Schule“ im Saarland, November 2018

Als regionale Besonderheit besteht in Homburg zusätzlich eine seit Jahrzehnten aufrechterhaltene enge Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Landstuhl Regional Medical Center (LRMC). Ergänzende Kursangebote mit militärischem Fokus werden daher ergänzend ab Februar 2023 im dortigen Trainingszentrum in internationaler Zusammenarbeit angeboten.

Mit dem 24. Februar 2022 änderte sich die allgemeine politische Situation nochmals dramatisch. Die Notwendigkeit einer erweiterten zivil-militärischen Zusammenarbeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und der chirurgischen Fachgesellschaften bestätigte sich schlagartig. Entsprechende Absichtserklärungen waren ja schon 2017 mit der DGU und 2021 mit der DGCH auf den Weg gebracht worden. Besonders der hohe Organisationsgrad und die gute Vernetzung der in 54 regionalen Traumanetzwerken verbundenen über 650 unfallchirurgischen Akutabteilungen ist dabei eine wichtige Komponente, um flexibel und regional unabhängig auf ggf. zu erwartende Bedrohungslagen reagieren zu können.

Durch die Beteiligung der Experten der Fachgesellschaften und der Bundeswehr gelang es, die Verteilung der aus der Ukraine zugeführten kriegsverletzten Patienten in dem während der Corona-Pandemie etablierten System der bundesweiten „Kleeblätter“ sehr effektiv und zielgerichtet zu gestalten.

2023 wird daher für die chirurgischen Fachgesellschaften weitere Aufgaben mit sich bringen. Neben dem traditionellen Zweck der Gestaltung des medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritts werden organisatorische Aufgaben, auch in der zivil-militärischen Zusammenarbeit, dazukommen. Nur in einer gemeinsamen Anstrengung wird es gelingen, die derzeit noch bestehenden Defizite in den chirurgischen und taktischen Fähigkeiten der beteiligten Kliniken auszugleichen und notwendige Vorbereitungen auf einen Massenanfall von Verletzten flächendeckend zu aktualisieren. In der sich für 2023 abzeichnenden prekären Finanzierungslage der deutschen Krankenhauslandschaft ist das sicherlich eine sehr herausfordernde Aufgabe!

Da diese Aufgaben der „Vorhaltung“ zusätzlich von den beteiligten Kliniken geleistet werden müssen, ist es an der Zeit, schnell und ernsthaft über alternative Finanzierungswege zu diskutieren. Es wäre sinnvoll, derartige Aufgaben und Fähigkeiten in den Aufgabenbereich des Bevölkerungsschutzes und der Zivilverteidigung zu verorten. Sich dabei in diesem Themenbereich auf die langjährige Erfahrung der chirurgischen Fachgesellschaften zu stützen, wäre ein politisch ungewöhnlicher, aber rational sicher sinnvoller Ansatz!

Pohlemann, T: Aus der Nische für Spezialisten zur realen Bedrohung – penetrierendes Trauma und Kriegsverletzungen. Passion Chirurgie. 2023 Januar/Februar; 13(01/02): Artikel 03_02.

Autor des Artikels

Profilbild von Tim Pohlemann

Prof. Dr. med. Tim Pohlemann

Sprecher des Wehrmedizinischen BeiratsKlinik für Unfall-, Hand- und WiederherstellungschirurgieUKS – Universitätsklinikum des SaarlandesHomburg kontaktieren

Weitere Artikel zum Thema

PASSION CHIRURGIE

Passion Chirurgie: Chirurgische Versorgung in Kriegs-, Terror- und Katastrophensituationen

Diese Ausgabe befasst sich mit dem Thema „Chirurgische Versorgung in

Passion Chirurgie

Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!

Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.