01.03.2011 BDC|Spektrum
„Wir haben die Einheit der Chirurgie aus der Taufe gehoben“

In historischen Momenten fallen feierliche Worte. Und so bekannte bei der offiziellen Eröffnung im vollbesetzten Hauptvortragssaal BDC-Präsident Prof. Hans-Peter Bruch: „Für mich ist heute ein großer Tag, denn unsere drei Berufsverbände haben sich zusammengefunden, arbeiten zusammen und bemühen sich, immer stärker mit einer Stimme zu sprechen.“
Die Kooperation der drei Verbände sei ein wichtiges Signal an den chirurgischen Nachwuchs: „Wir haben hier die Einheit der Chirurgie aus der Taufe gehoben“, sagte Bruch. Immerhin stehe die Chirurgie vor großen Herausforderungen, die sich nur gemeinsam bewältigen ließen.
Bruch: Effiziente, verzahnte Versorgungsstrukturen
Bruch gab zu bedenken: „Auch in Zeiten des Wirtschaftswachstums muss unser Gesundheitssystem mit den Mitteln auskommen, die ihm zugewiesen werden.“ Mehr Finanzmittel seien nicht zu erwarten. Gleichzeitig nehme mit dem demographischen Wandel die Zahl der Menschen mit komplexen und kostspieligen Erkrankungen zu. Angesichts dieser unausweichlichen Entwicklung seien effiziente und verzahnte Versorgungsstrukturen umso dringlicher.
Neumann: Dem Ambulanten Operieren gehört die Zukunft
Auch BAO-Präsident Dr. Axel Neumann lobte den Schulterschluss der drei Verbände: „Wir alle haben das Gefühl, dass hier etwas Besonderes passiert!“ Etwa ein Drittel der Mitglieder des BAO seien Chirurgen, doch auch alle nicht-chirurgischen Mitglieder seien der Überzeugung, dass dem ambulanten Operieren die Zukunft gehöre. Alle drei Berufsverbände sollten nach Auffassung des BAO-Präsidenten die Bedeutung des Ambulanten Operierens stärker als bisher gegenüber der Öffentlichkeit kommunizieren.
Neumann mahnte: „Wir dürfen uns von Kassen oder Politik nicht diktieren lassen, was ambulant operiert wird und was nicht. Wenn wir uns in diesem Punkt das Heft aus der Hand nehmen lassen, dann sind wir selbst Schuld.“
Haack: Die Politik verweigert den Dialog mit uns Ärzten
Nach Einschätzung von BNC-präsident Dr. Dieter Haack hat die Politik der Ärzteschaft allerdings längst das Heft aus der Hand genommen: „Seit Jahren führt die Politik keinen Dialog mehr mit uns“, kritisierte Haack. Stattdessen habe sie immer neue Gremien und Institutionen geschaffen, deren einziger Zweck es sei, Ärzte zu gängeln und zu kontrollieren.
„Mittlerweile sind 20 verschiedene Formeln notwendig, um das Honorarvolumen einer Fachgruppe zu berechnen“, schimpfte Haack. Die Bürokratisierung lenke von den eigentlichen Problemen im Gesundheitswesen ab, „nämlich dem weiterhin unbegrenzten Leistungsversprechen trotz schwindender finanzieller Ressourcen“.
Mit Blick auf den demographischen Wandel machte Haack seinen Kollegen allerdings Mut: „Für Chirurgen gibt es auch künftig großen Bedarf – denn die Politik kann
Patienten nicht versorgen und erst recht nicht operieren…“

Was Politik und Kassen allerdings in der Regel problemlos gelingt, sind pauschale Anfeindungen gegenüber Leistungserbringern. Regelmäßig wird Ärzten vorgeworfen, ohne klare medizinische Indikation Mengen auszuweiten, nur um mehr Leistungen abrechnen zu können.
Zollmann: Mehr Operationen dank innovativer Techniken
Auch Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler war empfänglich für Einflüsterer aus den Reihen der Krankenkassen, als er im GKV-Finanzierungsgesetz eine Zuwachsgrenze für extrabudgetäre Leistungen wie das Ambulante Operieren einbauen ließ und dies mit der Beschränkung „medizinisch nicht indizierter Leistungen“ rechtfertigte.
Kein Wunder also, dass bei der Podiumsdiskussion mit der Fragestellung „Wird in Deutschland zu viel operiert?“ heiß diskutiert wurde. Die Antwort des BNC brachte Verbands-Vize Dr. Philipp Zollmann auf den Punkt: „In Deutschland wird nicht zu viel operiert, wir brauchen im Gegenteil mehr Operationen und interventionelle Eingriffe, damit unser Gesundheitswesen international wettbewerbsfähig bleibt.“
Bruch: Chirurgen beherzigen den hippokratischen Eid
Angesichts des demographischen Wandels gebe es mehr Bedarf für Operationen, gleichzeitig sei es dank schonender neuer Techniken möglich, das auch ältere Patienten sicher operiert werden können, erinnerte Zollmann.
Auch BDC-Präsident Prof. Hans-Peter Bruch konnte keine Anzeichen dafür erkennen, dass hierzulande aus rein wirtschaftlicher Motivation und ohne medizinische Indikaton operiert werde: „Wenn es nach den kaufmännischen Direktoren in den Kliniken ginge, müssten wir Jahr für Jahr unsere Fallzahlen um drei bis sieben Prozent steigern.“
Eine solche explosionsartige Leistungsausweitung sei allerdings in keiner Statistik zu verzeichnen. „Es ist also nicht zu belegen, dass wir Chirurgen uns weit von unserem hippokratischen Eid entfernt haben“, meinte Bruch.
GKV-Spitzenverband: Wo bleibt die Evidenz?
Mit einem klaren „Nein“ beantwortete auch BAO-Präsident Dr. Axel Neumann die Eingangsfrage: „Man setzt uns wirtschaftlichen Zwängen aus, ohne das Behandlungsziel zu definieren!“ Der medizinische Fortschritt habe dazu geführt, dass Chirurgen selbst einer 80-jährigen Seniorin noch eine Endoprothese implantieren können, und zwar bei einer Letalitätsrate von unter fünf Prozent. „Wenn deshalb dann mehr operiert wird, darf man das uns nicht vorwerfen“, meinte Neumann.
Eine etwas andere Meinung vertrat in diesem Punkt Hans-Werner Pfeifer vom GKV-Spitzenverband. Er verwies auf Zahlen aus der Gynäkologie, wonach bis vor einigen Jahren nur jede 13. Entbindung eine Sectio cesario war. „Heute ist jede vierte Geburt ein Kaiserschnitt. Ist das tatsächlich medizinisch indiziert? Wo bleibt die Evidenz?“, fragte Pfeifer.

Bauer: Versorgungsforschung beseitigt Pauschalurteile
Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) Professor Hartwig Bauer wiederum gab zu bedenken, dass es bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Operation nicht nur arztbezogene Faktoren wie die Indikation oder die Qualifikation gebe, sondern auch versorgungsbezogene Faktoren wie die Nachfrage durch die Patienten oder die Versorgungsdichte. „Hier brauchen wir die Versorgungsforschung, damit wir von den pauschalen Verurteilungen wegkommen“, forderte Bauer.
Von der Versorgungsforschung ist es nicht mehr weit zur Bedarfsplanung. Und so stand der politische Vormittag am zweiten Kongresstag ganz im Zeichen des Ärztemangels und des gleichzeitig steigenden Versorgungsbedarfs.
Dittrich: Bedarfsplanung kaschiert den Mangel
Einleitend fasste Dr. Stephan Dittrich (BNC) die Herausforderungen zusammen: „Im ambulanten Sektor kaschiert die Bedarfsplanung den Mangel, der durch Überalterung und fehlenden Nachwuchs entsteht.“ Die stationäre Versorgung wiederum müsse mit schwindenden ärztlichen Ressourcen den Pflegekräftemangel und das EU-Arbeitszeitgesetz bewältigen.
Um die Versorgungsplanung auf sichere Füße zu stellen, müsse man zunächst die Struktur klar definieren, sagte Dittrich: „Wer behandelt wen wie wann und wo?“.
Neubauer: Zu viele Betten und zu hohe Verweildauer
Professor Günter Neubauer vom Münchener Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) bezeichnete es als vorrangiges Ziel, die starre sektorale Trennung in Deutschland zu beseitigen (siehe auch Interview Seite ##). „Der Vergleich mit anderen Staaten der OECD zeigt, dass hierzulande noch viel mehr Leistungen in den ambulanten Bereich verlagert werden könnten.“
Nach wie vor gebe es in Deutschland 60 Prozent mehr Krankenhausbetten als in anderen Industrienationen, und auch die Verweildauer sei mit durchschnittlich 8,3 Tagen in Deutschland immer noch signifikant höher als der OECD-Schnitt von 6,3 Tagen.
Mit Blick auf den drohenden Ärztemangel riet Neubauer zu einem undogmatischen Umgang mit der Delegation ärztlicher Leistungen: „Wichtig ist doch vor allem, dass die Erstversorgung möglichst hochqualifiziert erfolgt.“ Die Anschlussbehandlung könnten gegebenenfalls auch qualifizierte Hilfsberufe übernehmen.
Eine pragmatische Haltung zur Delegation ärztlicher Leistungen vertrat auch Rainer Striebel von der AOK Sachsen-Anhalt und Thüringen. Chirurgen müssten heute immer mehr multimorbide und damit zeitintensive Fälle behandeln. „Gleichzeitig benötigen sie täglich über zwei Stunden für Dokumentations- und Verwaltungsarbeiten“, sagte Striebel.
AOK-Vertreter: OTA, CTA und ATA können Ärzte entlasten
Die neuen Assistenzberufe wie den Operationstechnischen Assistenten (OTA), die Chirurgisch-Technische Assistentin (CTA) oder die Anästhesiologisch-Technische Assistentin (ATA) könnten Ärzte insbesondere bei diesen administrativen Aufgaben entlasten und personelle Engpässe auffangen, meinte Striebel.
Windhorst: Arzt bleibt Arzt und trägt die Verantwortung
Genau diese Entwicklung bezeichnete Dr. Theodor Windhorst von der Landesärztekammer Westfalen-Lippe als unerträglich: „Ein Arzt ist ein Arzt. Andere können die ärztliche Leistung und damit auch die ganzheitliche diagnostische und therapeutische Verantwortung nicht übernehmen.“
Windhorst kritisierte, die Politik wolle mit der aktuellen Debatte lediglich verhindern, dass Ärzte ärztlich arbeiten und auch ärztlich verdienen könnten: „Dieser Dolch, den Ulla Schmidt unserem Gesundheitssystem gesetzt hat, ist noch nicht gezogen.Hier werden immer neue Versorgungsebenen geschaffen – der ärztliche Beruf wird immer weiter ausgefranst!“
Ansorg: Delegation ist in Arztpraxen längst Realität
Der BDC-Geschäftsführer Dr. Jörg Ansorg erinnerte daran, dass die Delegation ärztlicher Leistungen im ambulanten Bereich längst an der Tagesordnung ist. Die Kliniken könnten hier einiges von ihren niedergelassenen Kollegen und von Belegpraxen lernen, um personelle Lücken zu füllen. „Bereits heute gibt es in 35 Prozent der Kliniken unbesetzte Facharztstellen“, berichtete Ansorg.
Diese fachärztlichen Lücken ließen sich mit qualifizierten Honorarärzten füllen. Bei den Assistenzarztstellen sei sogar in jeder zweiten Klinik mindestens eine Stelle vakant, warnte Ansorg. Diese Engpässe könnten nur durch Mehrarbeit und qualifiziertes Assistenzpersonal ausgeglichen werden.

Speziell für diesen Bereich habe der BDC derzeit zusammen mit dem Berufsverband Deutscher Internisten einen neuen modularen Weiterbildungsgang zur Chirurgisch Administrativen Assistentin (CAA) erarbeitet. „Der Fokus für dieses neue Berufsbild wird auf der administrativen und medizinischen Stationsarbeit liegen“, erklärte Ansorg.
Der Gesundheitsökonom Professor Günter Neubauer ergänzte hierzu: „Sie als Ärzte müssen nicht alles tun, was Sie können, sondern Sie sollten sich auf das konzentrieren, was Sie am besten können.“ Der Ärztemangel und die damit schwindende Konkurrenz verhelfe Ärzten eigentlich zu einer sehr komfortablen Verhandlungsposition.
Soleimanian, A. Wir haben die Einheit der Chirurgie aus der Taufe gehoben. Passion Chirurgie. 2011 März; 1 (3): Artikel 03_01.
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