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Was ist eigentlich Branding?

Allgemein gilt Branding als Form der Gestaltung, als ein Prozess, dem die Annahme zugrunde liegt, dass gelungene Formen des Ästhetischen Werte vermitteln und so Wertschätzung und gesellschaftliche Legitimation erzeugen können.

Die Frage ist: brauchen die Chirurgen nicht auch stärker als bisher ein Branding? Sollen sie sich gar als Marke verstehen?

Die erste Frage kann ich bejahen, die zweite hingegen möchte ich verneinen. Es wurde in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu einer Mode, alles und jedes zur Marke zu erklären oder in eine solche zu verwandeln. Das hatte mit dem damaligen Börsen-Boom zu tun, ja mit der gestiegenen Faszination von Marktwirtschaft und Kapitalismus – nach dem Ende des Kalten Krieges. Die Wirtschaft erlebte einen Statusaufstieg – Begriffe aus der Wirtschaft wurden metaphorisch auf alles mögliche andere angewendet, was jedoch teilweise auch institutionelle und strukturelle Folgen zeitigte. Zum Beispiel begann man, Universitäten wie Unternehmen zu betrachten.

Analog zu AGs bekamen sie einen Aufsichtsrat, den Hochschulrat, an den meisten Orten jedoch mit Managern aus der Wirtschaft besetzt (LMU = Dax 30) und als Unternehmen mussten die Universitäten zugleich Marken werden, d.h. sich um Alleinstellungsmerkmale kümmern. Jede Hochschule führte eigene Studiengänge ein – mit der Folge, dass Wechsel zwischen Hochschulen viel schwieriger wurden und die Mobilität abnahm.

Der Marken-Hype ist mittlerweile abgekühlt – doch nicht nur deshalb ist den Chirurgen nicht zu raten, nun noch auf dieses Pferd zu setzen. Vor allem würden gerade Chirurgen damit ein falsches oder zumindest missverständliches Zeichen geben. Insofern der Markenbegriff eindeutig ökonomisch codiert ist, würde den Chirurgen der Vorwurf gemacht werden, ihren Beruf nur noch unter Gesichtspunkten von Markt und Gewinnaussichten zu betrachten. Die Unterstellung, viele würden vor allem wegen der guten Verdienstmöglichkeiten zu Ärzten, bekäme neue Nahrung – sich dagegen zu wehren, wäre kaum möglich.

Gerade in Zeiten, in denen man gegen Transplantationsskandale anzukämpfen hat, wäre der Versuch, zu einer Marke zu werden, höchst problematisch.

Dennoch, wie schon angedeutet: ein stärkeres Branding, ja eine bessere, engagiertere Imagepolitik wäre für die Chirurgen nötig, vor allem auch zur Rekrutierung von genügend viel und möglichst gutem Nachwuchs.

Man muss immer unterscheiden, ob, wann und wie man durch einen Branding-Prozess eher nach außen wirken, also z. B. neue Kundenkreise erreichen will, oder ob, wann und wie man eher interne Auswirkungen anstrebt, also z. B. eine stärkere Identifikation der Gruppenzugehörigen mit ihrem Metier oder eine höhere Attraktivität für die nachwachsende Generation.

Wenn ich es richtig sehe, droht den Chirurgen (zumindest hier in Deutschland) vor allem ein Nachwuchsproblem:

Laut dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen werden in den kommenden zehn Jahren die Hälfte der niedergelassenen und ein Drittel der Krankenhauschirurgen in den Ruhestand gehen. Fast 10.000 Stellen müssten neu besetzt werden, jedes Jahr müssten sich zehn bis zwölf Prozent der Medizinabsolventen für die Chirurgie entscheiden. Zurzeit gibt es pro Jahr aber nur 500 Berufseinsteiger.

Wie aber bekommt man wieder mehr Interessenten für den Beruf – und vor allem wirklich engagierte, begabte, gute Absolventen?

Damit das gelingt, muss ein Beruf mehr als nur materielle Sicherheit versprechen. Wichtig ist, dass der Eindruck entsteht, ein Beruf biete Herausforderungen, verlange also besonderen Ehrgeiz, besondere Begabungen – biete zugleich aber auch die Chance auf besondere Anerkennung, ja auf Ruhm. Gerade überdurchschnittlich Begabte wollen das Gefühl haben, in ihrem Beruf auch etwas Neues entwickeln zu können, ihre Fähigkeiten ausleben zu dürfen, kreativ sein zu können – und damit an einem Fortschritt teilhaben, ja selbst innovativ wirken zu können. Daher ist der Beruf des Künstlers so begehrt, aber auch Felder der Naturwissenschaft ziehen heutzutage viele Begabte an – hier gibt es mutmaßlich am meisten zu entdecken! – das verspricht Spannung, aber auch Potenziale, was Erfolg und Nachruhm anbelangt.

Der Beruf des Chirurgen bot einmal mehr als heute solche Potenziale, ja man hatte als Berufsstand mehr Renommee, d. h. die Chirurgie tat sich nicht schwer damit, die Begabtesten einer Generation anzusprechen. So herrschte der Eindruck vor, hier sei viel zu entdecken, weiterzuentwickeln, man könne als Einzelner mit Begabung, Fleiß und Ehrgeiz sehr weit kommen, ja größtes gesellschaftliches Ansehen erwerben – regelrecht zum Star werden. Man denke z. B. an den Starkult, der um einen Chirurgen wie Ferdinand Sauerbruch getrieben wurde.

Zwar wurde da, gerade auch von ihm selbst, wie man längst weiß, vieles geschönt, aber immerhin gelang es, einer breiteren Öffentlichkeit ein sehr positives und spannendes Bild von der Chirurgie zu vermitteln – vor allem aber jüngeren Leuten klar zu machen, dass der Beruf des Chirurgen wie der eines Künstlers, eines Schauspielers oder eines Sportlers zu einer herausgehobenen Stellung führen kann.

Heute hingegen gibt es zwar Star-Köche und sogar Star-Friseure – aber Starchirurgen, die weit über ihr eigenes Metier hinaus bekannt wären, eigentlich nicht mehr.

Es wirkt natürlich nicht gerade motivierend auf den Nachwuchs, dass man mit einem Handwerksberuf eher zum Star (und Millionär) werden kann als mit einem akademischen Studium. Wäre das nicht zu ändern?

Selbstverständlich kann ein Chirurg heute nicht mehr so frei arbeiten wie zu Zeiten von Sauerbruch, vor allem bürokratische Vorgaben wirken sich beeinträchtigend aus. Und – ebenfalls zu bedenken: Starkult kann schnell zu Misstrauen führen, denn auch hier steht der Verdacht im Raum, jemand wolle nur möglichst viel Geld verdienen. So bedeutet Starkult heute (anders als zu Zeiten von Sauerbruch) auch fast immer: Merchandising, eigene Produktlinien, also eine enge Verknüpfung mit dem Konsumismus.

Themen wie die großen Fortschritte in der Medizin

Dennoch: es wäre alles andere als unmöglich, der Chirurgie wieder mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu bereiten.

Dazu müsste etwa stärker zum Thema werden, welch große Fortschritte in der Medizin in den letzten Jahren und Jahrzehnten stattgefunden haben. Wer nur relativ selten in der Rolle eines Patienten ist, staunt jedes Mal, was sich seit dem letzten Arztbesuch alles geändert hat – eine so große Entwicklungsdynamik gibt es sonst nur in wenigen anderen Bereichen. Und vieles bekommt man als Patient überhaupt nicht mit (nur das, was sich auf den Komfort oder die Effizienz einer Behandlung bezieht).

So wie Anzeigen z. B. über Fortschritte und für das Image der Windenergie geschaltet werden, ließe sich Vergleichbares auch für die Chirurgie denken. Dabei könnte man auch personalisieren, indem man:

a) die Fortschritte am Beispiel einzelner Chirurgen darstellt, die von ihrer Arbeit erzählen – davon, was sie entwickelt oder verändert haben

b) Promis anderer Bereiche als Testimonials nimmt, die davon berichten, was für gute Erfahrungen sie als Patienten gemacht haben – dabei wäre vielleicht insbesondere an Promis aus dem Ausland zu denken, durch die zugleich deutlich würde, dass gerade die Medizin und Chirurgie in Deutschland innovativ und führend ist, auf diese Weise ließe sich das Abwandern des Nachwuchses in andere Länder ein wenig eindämmen.

So wie BMW seit vielen Jahren das Motto „Vorsprung durch Technik“ hat, könnten sich auch die Chirurgen entsprechend darstellen. Vielleicht gelänge es auch, noch auf andere Weise – nicht nur durch offensichtliche Werbung – ein besseres Image zu bekommen. Warum sollte man nicht durch PR erreichen, dass eine Arzt-Serie für das Fernsehen produziert wird, die ausnahmsweise mal nicht so sehr die psychosozialen Aspekte des Kliniklebens in das Zentrum stellt, sondern Einblicke in die technischen Seiten und die Forschungs- und Entwicklungsdimensionen des Chirurgenberufs gewährt?

Tatsächlich haben Serien wie CSI (Crime Scene Investigation = Spurensicherung) dazu geführt, dass naturwissenschaftliche Berufe an Image und Beliebtheit dazugewonnen haben, wird hier doch in jeder Folge zelebriert, was für Beiträge die Chemie oder Biologie, die Anatomie oder Meteorologie bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen leisten können.

Allerdings: Man muss auch aufpassen, die Chirurgie allein über die Faszination am technischen Fortschritt zu promoten – sonst steht nur der Vorwurf einer kalten Apparatemedizin vor einer neuen Konjunktur. Es ist in jedem Fall wichtig, das Fortschritts-Thema am Beispiel einzelner Persönlichkeiten – Chirurgen selbst oder Testimonials – zu inszenieren – das Spannende, Spektakuläre, Heldenhafte, Herausfordernde dieses Berufs (also gerade die menschlichen Aspekte) in den Mittelpunkt zu stellen.

Doch könnte man auch noch etwas weiterdenken, wenn es darum geht, das Image der Chirurgie aufzuwerten und dem Beruf des Chirurgen eine neue Attraktivität zu verleihen. Dann ginge es auch nicht nur darum, durch einen Branding-Prozess nach innen zu wirken, sondern ebenso nach außen. Ich glaube, früher oder später wird man sich ohnehin nicht mehr der Debatte entziehen können, wie sich die Medizin – und gerade auch die Chirurgie – in einer Wohlstandsgesellschaft verhalten soll und verändern kann. Was längst stattfindet, lässt sich auf Dauer nicht mehr als Tabuthema verschweigen…

Zweiklassen-Medizin als Normalität darstellen

So gibt es etwas wie eine Zweiklassenmedizin, also neben der medizinischen Grundversorgung der Patienten medizinische Zusatzdienstleistungen, die sich einkaufen kann, wer über die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten verfügt

So sehr das Bestreben nachvollziehbar sein mag, so viel wie möglich zum Nötigen zu erklären, für das die Kassen aufzukommen haben, um deeskalierend auf die Debatte über eine Zweiklassenmedizin zu wirken, so schwer wird es sein, dauerhaft auf diese Weise zu verfahren, drohen sonst doch die Kosten im Gesundheitssystem endgültig zu explodieren. Sollte man also nicht ehrlich sein und künftig dazu stehen, dass es eine Zweiklassenmedizin gibt? Vor allem aber deutlich machen, dass das keineswegs etwas Schlimmes oder moralisch Verwerfliches ist?

Hierzu kann es doch gerade nützlich sein, die Medizin in Analogie zu anderen Bereichen des Konsums zu betrachten. Auch da gibt es überall Angebote für Wohlhabende, die aber keineswegs die Produkte diskreditieren, die eine Mehrheit kauft. Wer in der zweiten Klasse mit dem Zug fährt, kommt nicht langsamer ans Ziel als ein Kunde der ersten Klasse. Und wer ein teureres Auto kauft, ist zwar vielleicht schneller als der Käufer eines billigeren Modells, doch auch dieser kommt sicher ans Ziel.

Wer mehr zahlt, erwirbt im allgemeinen mehr Komfort, mehr Schönheit, daher auch mehr Status – aber das bedeutet eben umgekehrt nicht, dass alle anderen Schaden nehmen oder grundlegend eingeschränkt sind in ihren Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten. Im Gegenteil: dank der Luxuskonsumenten werden sogar erst Innovationen entwickelt, die nach und nach eben doch allen zugute kommen. Das ist in der Medizin nicht anders als in der Auto- oder der Telekommunikationsindustrie.

Und daher sollte man auch offensiv damit umgehen, dass man noch mehr kann und können will als das, was ohnehin erwartet wird. Dann entstünden zugleich weitere Chancen, speziell auch zusätzliche Neugier gegenüber der Chirurgie zu wecken.

Da die Zusatzleistungen oft auf dem Feld des Ästhetischen angesiedelt sind, kommt es dann zu einer Annäherung zwischen dem Chirurgen und einem Designer (in Kunstzeitschriften wird durchaus bereits über plastische Chirurgen berichtet!)

Nur dass man Designer eher mit ‚schwarz‘, Chirurgen eher mit ‚weiß‘ assoziiert – doch bekanntlich vertragen sich die Gegensätze ja sehr gut.

Damit aber erscheint der Beruf des Chirurgen auch wieder als kreativ, originell, innovativ, ja er ist besser disponiert dazu, Ruhm zu bieten, ja gar Stars zu erzeugen.

Chirurgen sind schon jetzt nicht unwesentlich verantwortlich für den Lifestyle einer gehobenen Gesellschaftsschicht. Je begehrter der Beruf des Chirurgen an sich wird, desto härter wird die Konkurrenz um die statusträchtigsten Bereiche – und desto mehr ebenfalls Hochqualifizierte bleiben, die doch nur in angestammten Feldern eine Chance haben.

Vermutlich ist die Medizin bereits stärker von konsumistischen Prinzipien geprägt, als man glaubt oder als viele zugeben wollen. Solange es eine Wohlstandsgesellschaft gibt, wird sich dieser Trend gewiss verstärken. Je mehr sich die Medizin jedoch anderen Bereichen des Konsums annähert, desto mehr eröffnen sich auch Branding- und Marketingchancen, die jetzt noch kaum reflektiert sind. Doch zuerst steht die Entscheidung innerhalb der Ärzteschaft an, ob man das eigene Selbstverständnis erweitert und sich nicht nur als Therapeut, sondern auch als Designer begreifen will.

Ullrich W. Wie viel Image braucht die Chirurgie? Passion Chirurgie. 2013 Juni, 3(06): Artikel 02_02.

Autor des Artikels

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Prof. Dr. phil. Wolfgang Ullrich

Professor für Kunstwissenschaft und MedienphilosophieStaatliche Hochschule für Gestaltung KarlsruheLorenzstr. 1576135Karlsruhe kontaktieren

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