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Prozessmanagement im Krankenhaus ist nicht erst seit Einführung der DRGs in aller Munde. Dennoch wirken viele Veröffentlichungen über Erfolge bemüht, insbesondere die Zufriedenheit der klinischen Mitarbeiter ist begrenzt.

Dies liegt nicht nur am Autonomieverlust für die klinischen Mitarbeiter, der zwangsläufig mit einer Strukturierung von Prozessen einher geht. Bisher wurde zu wenig darauf geachtet, an welchen Punkten das klinische Personal entlastet werden kann und warum es bei allen Bemühungen zur Prozessstrukturierung nach wie vor zu hohem Abstimmungsaufwand und Planungsunsicherheit kommt.

Der Ärztemangel rückt nun ein weiteres Thema, das als neue Ebene des Prozessmanagements verstanden werden muss, in den Fokus:

Das Informationsmanagement, und dabei insbesondere die Informationslogistik.

Das medizinische Arbeitsumfeld ist gekennzeichnet durch eine papiergebundene und digitale Informationsüberflutung einerseits und eine qualitative Informationsunterversorgung andererseits“ so markant beginnen bereits 2005 Koch und Kaltenborn ihren Artikel zum Thema „Informationslogistik am Arbeitsplatz“ im Ärzteblatt. [1]

Der Begriff Informationslogistik ist nicht klar definiert:

„Als Informationslogistik wird die Planung, Steuerung, Durchführung und Kontrolle der Gesamtheit der Datenflüsse verstanden, die über eine Betrachtungseinheit hinausgehen, sowie die Speicherung und Aufbereitung dieser Daten. Dabei werden nur solche Datenflüsse zur Informationslogistik gezählt, die der Unterstützung von Entscheidungen dienen.“ So definiert Robert Winter Informationslogistik als Basis des St. Galler Konzepts zu diesem Thema. [2]

In der Gesundheitswirtschaft wird nach wie vor ein Großteil der Informationen mündlich oder handschriftlich übertragen. Somit greift Winters Definition für deutsche Krankenhäuser zu kurz.

Die auf Wikipedia am 01.10.2011 verfügbare Definition berücksichtigt schon eher die Alltagsrealität in der stationären Versorgung:

Informationslogistik analysiert den Fluss von Informationen innerhalb einer Organisationseinheit. Ziel ist die Optimierung der Verfügbarkeit und der Durchlaufzeiten von Information. Aufgabe der Informationslogistik ist daher die Verfügbarkeit der richtigen Information am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt und zu richtigen Kosten [3].

Pragmatisch formuliert beschäftigt sich Informationslogistik also mit: Wer weiß wann was woher und wofür?

Bedeutung

Die wissenschaftliche Literatur bestätigt, dass Ärzte in Deutschland einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit Tätigkeiten verbringen, die nur indirekt mit dem Patienten zu tun haben. Clustert man Aktivitäten wie Organisationen, Dokumentation, Abstimmung mit anderen Kollegen, etc. , so ergeben sich Werte von bis zu 70 % der ärztlichen Arbeitszeit, die mit Informationsmanagement verbracht werden. [4]

Ohne Zweifel ein zu hoher Wert, bedenkt man die Kosten einer Arztstelle und die knappe Ressource „Arzt“. In Zeiten der Zuwanderung von Ärzten, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist, steht zudem zu befürchten, dass entweder dieser Zeitanteil weiter steigt oder aber die Patientensicherheit leidet. Somit verdient dieser Aspekt mehr Aufmerksamkeit als ihm derzeit zuteil wird.

Die Arbeit am Patienten erfordert eine harmonisierte Interaktion vieler Berufsgruppen, von den Aufnahmekräften, über die Pflegekräfte und Ärzte, bis hin zu den Sachbearbeitern in Abrechnung und im MDK Management. Deshalb sind Validität und Qualität der Informationen von entscheidender Relevanz. Prozesse können nur dann harmonisiert laufen, wenn Trigger für Entscheidungen oder die nächste Aktivität zur richtigen Zeit am richtigen Ort beim verantwortlichen Mitarbeiter in verständlicher Form ankommen.

Das klingt trivial. Zur Verdeutlichung der Komplexität sei auf ein weit verbreitetes Zitat von Konrad Lorenz verwiesen:

„Gedacht ist noch nicht gesagt,
gesagt ist noch nicht gehört,
gehört ist noch nicht verstanden,
verstanden ist noch nicht einverstanden,
einverstanden ist noch nicht angewendet,
und angewendet ist noch nicht beibehalten.“

In diesen wenigen Zeilen verbergen sich die wichtigsten Gründe für zum Beispiel das Scheitern einer einzelnen OP-Planung bis hin zu ganzen Projekten im Prozessmanagement. Bei diesen wird die Klärung und konsequente Einhaltung von Verantwortlichkeiten häufig als Ziel beschrieben. Damit wird jedoch nur die Spitze des Eisbergs berührt.

Noch komplexer wird die Aufgabe harmonisierter Informationsprozesse, wenn man über die Grenzen des Krankenhauses hinaus denkt. Patienteninformationen liegen vor Einweisung am differenziertesten beim Hausarzt oder beim niedergelassenen Facharzt vor. Auch nach Entlassung sind klinische Informationen, wie zum Beispiel die Dokumentation in der Patientenakte, Begründungen im Arztbrief, bis hin zum Gutachten durch den behandelnden Arzt relevant. Die Informationen müssen so übermittelbar sein, dass sie auch für verschiedene Zielgruppen, so z.B. den Medizinischen Dienste der Krankenkassen, aber auch Juristen im Fall eines Rechtsstreits eindeutig und verständlich sind.

Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem vorwiegend intuitiven Umgang mit Informationen all diese Ansprüche gesättigt werden können, ist gering. Die obigen Beispiele zeigen, dass der bewusste Umgang mit Informationen eine Notwendigkeit im Interesse des einzelnen Patienten aber auch im Interesse der wirtschaftlichen Sicherung der Patientenversorgung ist.

Eine relevante Information muss als solche erkannt, dokumentiert und so zur Verfügung gestellt werden, dass sie für jene verwertbar ist, die sie für die Weiterbehandlung des Patienten benötigen.

Das Differenzierungsvermögen, was eine relevante Information ist, schärft sich mit der klinischen Erfahrung. Es ist auch eine Führungsaufgabe im Rahmen der ärztlichen Ausbildung, zu vermitteln, welche Informationen relevant und welche überflüssig sind.

Der Mehrwert für den aktuellen und zukünftigen Patienten ist das entscheidende Kriterium, das über die Relevanz von Informationen entscheidet. Es gilt, den „Lärm“ im klinischen Informationssaustausch abzustellen, damit wichtige Information gehört werden können. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass im klinischen Alltag relevante Informationen ad hoc in einer verwertbaren Form zugänglich sind.

Die Informationslogistik ist der Schlüssel dazu, dass auch unter weiterhin knapper werdenden Ressourcen eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung realisiert werden kann. Gleichzeitig bietet sie zahlreiche Wege, den Arbeitsalltag der Ärzte zu entlasten und ihnen Freiraum und Freude für die Patientenversorgung zurückzugeben. Das Management von Prozessen hat eine neue Stufe erreicht, auf dem es nun endlich auch den Bedürfnissen der klinischen Mitarbeiter entgegenkommt.

Der Anfang muss auf der Führungsebene gemacht werden

Prof. Dr. Hans-Peter Bruch macht in seinem Artikel „Vom Leid der vom Zinseszins Geplagten“ die Gefahr deutlich, die in Zeiten knapper Ressourcen und industrialisierungsähnlicher Veränderungen für die Patientenversorgung besteht, wenn Kommunikation und Informationspolitik zwischen Führungsebenen nicht harmonisiert sind. Er postuliert die Notwendigkeit, dass die notwendigen Veränderungen das „Ergebnis eines vernünftigen, zielgerichteten und vertrauensvollen Dialoges zwischen den Leistungsträgern und den Ökonomen widerspiegeln“ sollten. Aus diesem Grund wirbt er dafür, an der „Umfrage zum Schnittstellenmanagement und dem Umgang zwischen chirurgischen Chefärzten und der Krankenhaus-Geschäftsleitung“ auf www.bdc.de teilzunehmen.

Die weiteren Teile der vorliegenden Ausgabe von „Passion Chirurgie“ behandeln die Informationslogistik mit Fokus auf die verschiedenen Prozessabschnitte im Rahmen der Patientenversorgung. Es soll Anregung sein zu hinterfragen, welche Reife die Informationslogistik im Umfeld des Lesers hat.

So beschreibt Dr. M. Holderried in seinem Artikel „Health2.0 als Klinik- und Praxismagnet: online Arzt-Patienten-Kommunikation und Terminmanagement“, wie die Interaktion des Krankenhauses mit dem Zuweiser optimiert werden kann. Onlineterminvergabe bedeutet nicht nur eine Verschlankung der terminlichen Abstimmungsprozesse, sie ermöglicht, das Risiko von unnötigen Missverständnissen bei der Übergabe von Patienteninformationen ein Schritt über die Sektorengrenze zu minimieren. Auch wenn dem aufnehmenden Arzt die Verpflichtung bleibt, die übermittelten Informationen zu validieren: Durch das frühzeitige Wissen zu Patientendetails ergibt sich die Chance, den stationären Patientenprozess besser zu planen und somit die Versorgungsqualität für den Patienten und zugleich die Planungssicherheit im Hause zu steigern.

Frau Dr. Hagl stellt in ihrem Artikel „Chirurgische Weiterbildung zwischen Effizienz und Ökonomie“ klar, dass der Schlüssel zur langfristigen Bindung junger Ärzte der Generation Y die Exzellenz der Ausbildung ist. Deren Finanzierung sieht sie nur dann gesichert, wenn die Prozessgestaltung einer klaren Mehrwertorientierung unterworfen wird. Als Beispiele dafür nennt sie die Verlagerung des Wissenstransfers vor den Flaschenhals OP, sowie den bewussten Umgang mit Besprechungen und z.B. der IT-gestützten Behandlungskoordination. Somit wird ein Umdenken in der Gestaltung der stationären Informationsprozesse notwendig.

Die Bedeutung des Informationsmanagements für die erfolgreiche Umsetzung auch solcher Veränderungen behandelt wiederum Herr Dr. M. Holderried in seinem Artikel „IT-gestütztes Teamlernen in der Chirurgie – der Weg vom kurzfristigen ‚Change’ zum dauerhaften ‚Improve’“.

Holderried zeigt an konkreten Projekten, wie IT Lösungen gestaltet sein und implementiert werden müssen, damit durch die Identifikation der Mitarbeiter und regelmäßiges Feedback über deren Erfolg eine dauerhafte Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsversorgung möglich wird.

Prof. Dr. Schmidt analysiert die Möglichkeiten zur Teilautomatisierung des OP Managements. Dabei kommt er zum Schluss, dass die Voraussetzung für jegliche Form der automatisierten Planung ist die Aufmerksamkeit gegenüber der Information an sich ist. Als Vorteile eines solchen Strukturgewinns sieht er nicht nur einen Gewinn an Qualität und Sicherheit im OP, sondern auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Verbindlichkeit der Planung.

Hansen zeigt auf, welche Effekte z.B. digitale Whiteboards auf die Prozesse im OP haben können. Er beschreibt eine dänische Lösung zur Informationslogistik, die neben anderen Effekten nachweisbar die Produktivität, Effizienz und Qualität der Patientenversorgung positiv beeinflussen. Er beschreibt vor dem Hintergrund der speziellen Herausforderungen operativer Abteilungen, wie die integrierte Nutzung von großen interaktiven Bildschirmen, Tracking Systemen und mobilen Endgeräten in Abstimmungsbedarf „dramatisch“ senken können. Obwohl auf Englisch lohnt sich das Studium dieses Artikels, weil er zeigt, in welchem Umfang die Nutzung der technischen Möglichkeiten, die für uns alle im privaten Alltag bereits Gewohnheit sind, den klinischen Arbeitsalltag erleichtern können. Im Anschluss an den Artikel finden Sie eine kurze deutsche Zusammenfassung des Inhalts.

Dr. Burgdorf kommt zum Punkt: ob IT überhaupt in der Lage ist, die Ärzte zu entlasten, ist auch eine Frage des organisatorischen Reifegrads. In ihrem Beitrag „Delegation ärztlicher Tätigkeiten an die IT-Eine Frage der Reife von Organisation und System“ zeigt sie am Beispiel der Arztbriefschreibung, wie der Reifegrad von IT und Organisationen gemessen werden kann, um einen priorisierten Maßnahmenplan zu erhalten.

Kleibrink und Heinemeier wagen schließlich den Brückenschlag „Von der Leistung zum Erlös“. Sie zeigen auf, an welchen Details die Übersetzung der klinischen Arbeit in Geld scheitern kann. Zusätzlich stellen sie einen Idealprozess und eine Checkliste vor, um diese Fehlerquellen zu umgehen. Auch sie bestätigen, dass erst der Rückfluss der Informationen, also das Feedback, die Basis einer dauerhaften Verbesserung auf dieser Ebene ist.

In den folgenden Beiträgen findet sich also eine Fülle an Informationen über einen besseren Umgang mit: Wer weiß wann was woher und wofür? Wie immer ist es Aufgabe des Lesers, zu selektieren, was für ihn relevant ist. Diesmal ist die ganz egoistische Frage: „Was hilft mir das?“ nicht nur erlaubt, sondern empfohlen. Denn: weniger ist mehr. Zu viel Information blockiert jene Handlung, die Sie entlasten soll.

 

 

Literatur

[1] O.Koch; Mehr Zeit für Patienten durch bessere Information; Dtsch Arztebl 2005; 102:A 2008–2011 [Heft 28–29]

[2] R.Winter et al.; Das St Galler Konzept der Informationslogistik in: Integrierte Informationslogistik; 2008; S1ff.

[3] Schlanke Informationslogistik: Wie die Prinzipien des Lean Managements helfen können, den Umgang mit Informationen und Wissen zu verbessern. In: UdZ – Unternehmen der Zukunft, FIR-Zeitschrift für Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung. 11. Jg., Heft 3/2010, ISSN 1439-2585, S. 57-60

[4] Mache,Stefanie; General and visceral surgery practice in German hospitals: a real-time

work analysis on surgeons’ work flow; Langenbecks Arch Surg; 2010;395; 81–87b

Falge C. Wer weiß wann was? Informationslogistik als Grundlage dynamischer Abläufe. Passion Chirurgie. 2011 Oktober; 1 (10): Artikel 01_01.

Autor des Artikels

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Dr. Corinna Falge

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