01.10.2018 Politik
Editorial: Wer die Zeche prellt …

Gelegentlich ist eine Recherche bei Wikipedia nicht nur lehrreich, sondern nachgerade amüsant. Unter dem Begriff „Zechprellerei“ findet man unter „Zeche“ den Herkunftsnachweis „Beitrag zum gemeinsamen Gelage einer Gesellschaft“ und „bei dem Begriff des „Prellens“ einen Jagdbrauch des 17. und 18. Jahrhunderts, bei dem ein Fuchs zur „Belustigung von Jagdgesellschaften“ auf einem straff gespannten Tuch wiederholt hochgeschleudert und so um seine Freiheit geprellt wurde. Dieses wiederum leite sich aus dem Prellen von Menschen (zur Strafe oder zum Scherz) ab, die man „auf einem straff gespannten Tuch in die Höhe“ warf. Vermutlich ließ man dann das Tuch locker, sodass er dann auf den Boden aufschlug. Dies konnte man sogar bis zum Tode des Delinquenten durchführen.“
Interessanterweise ist die Zechprellerei in Deutschland im Gegensatz zu europäischen Nachbarländern zunächst nicht strafbar, jedenfalls dann nicht, wenn der Zechpreller davon ausgegangen ist, dass er zahlungsfähig sei, aber dummerweise dann doch kein Geld hatte. Es bedarf eines Vorsatzes, bzw. der Absicht von vornherein nicht zahlen zu wollen.
Offenbar haben die Akteure im Gesundheitswesen das auch gelesen. Jedenfalls verhalten sie sich genauso. Die Kassen sitzen auf einem Milliardenberg von Beitragseinnahmen und verweigern dennoch die Vergütung erbrachter ärztlicher Leistungen. Jeder Versuch, die stringenten Budgetierungen in der ambulanten Versorgung und die rigiden Kürzungen stationärer Leistungen einzudämmen, scheitert an einem unnachgiebigen „Njet“. Dabei wäre das sogar als vorsätzliche Zechprellerei strafbar, denn das Geld für die Rechnung wäre ja vorhanden. Die Kassen können sich nicht damit herausreden, dass sie ja hätten zahlen wollen, aber leider dann noch nicht die bestellte Leistung hätten vergüten können.
Dummerweise können wir Ärzte das Ganze nicht wirklich als „Belustigung einer Jagdgesellschaft“ sehen. Für uns führt das im Einzelfall zum „Tode des Delinquenten“. Da mag man sich auch nicht mehr mit großer Begeisterung als Partner beim „gemeinsamen Gelage einer Gesellschaft“ sehen.
Nicht viel besser verhält sich der Gesetzgeber, von dem wir ja sowieso nichts Gutes mehr erwarten. Mit dem Entwurf des Pflegegesetzes und des Gesetzes zur Terminvergabe wird wieder einmal bestellt ohne zu zahlen. Es soll (durchaus lobenswert und auch notwendig) ein verbindlicher Personalschlüssel für die Pflege gesetzlich fixiert werden. Allerdings ist nicht klar, woher die zusätzlichen Pflegekräfte kommen sollen. Vielleicht so wie in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts aus Korea? Polen ist ja schon hinreichend ausgeplündert worden. Vor allem wird so gut wie keine zusätzliche Finanzierung garantiert. Die Kliniken müssen das aus den DRG-Erlösen bezahlen und die Kassen (s. o.) lehnen sich zurück.
Noch dreister geht es zu in der ambulanten Versorgung. Hier werden die Vertragsärzte genötigt, zusätzlich fünf weitere Sprechstunden anzubieten ohne finanziellen Ausgleich. Außerdem sollen Zeiten für Neu-Patienten freigehalten werden, ohne die Fallzahlbegrenzung zu lockern, die das zentrale Hindernis für die Annahme zusätzlicher Fälle darstellt.
Nun kann man sagen, dass eine Erhöhung von 20 auf 25 Stunden Präsenzpflicht angesichts einer durchschnittlichen Arbeitszeit von mehr als 50 Stunden nicht wirklich eine Bedrohung darstellt, aber es geht hier um einen gravierenden Eingriff in die Hoheitsrechte der Selbstverwaltung, die bislang diese vertragsärztlichen Pflichten geregelt hat, und vor allem in die Freiheitsrechte eines Unternehmers. Angesichts dieser groben Eingriffe in Richtung staatlicher Regulation spielt es fast schon keine Rolle mehr, dass 25 Prozent geforderte Mehrarbeit mit 0 Prozent Vergütung einhergeht.
Auch die Verpflichtung zur Annahme neuer Patienten im Rahmen einer „offenen Sprechstunde“ geht in die gleiche Richtung. Für uns Chirurgen ist die Annahme von Notfällen sowieso tägliche Praxis, aber es macht einen Unterschied, ob wir das aus medizinischer Verantwortung freiwillig machen oder in Erfüllung gesetzlicher Vorgaben zwangsweise.
Der Gesetzgeber hat übrigens eine marginale Zusatzvergütung in Aussicht gestellt, die Kassen haben das aber, wie zu erwarten, postwendend abgelehnt. Wohlmeinende könnten jetzt argumentieren, dass der Gesetzgeber ja habe zahlen wollen, aber feststellen musste, dass er es nicht kann, also im eigentlichen Sinne keine strafbare vorsätzliche Zechprellerei begangen habe. Wer aber etwas bestellt und die Rechnung dafür einem Dritten aufbürdet, darf sich nicht wundern, wenn dieser Dritte (hier die Kassen) sich weigert zu zahlen.
Offenbar ist Zechprellerei inzwischen im Gesundheitswesen salonfähig geworden und findet den Beifall der Gesellschaft. Vielleicht sollten wir einmal anfangen, die Suppe zu versalzen, wenn sie schon nicht bezahlt wird. Es reicht einfach nicht, wenn Widerstand immer nur von den üblichen Verdächtigen geleistet wird.
Rüggeberg JA: Wer die Zeche prellt. Passion Chirurgie. 2018 Oktober; 8(10): Artikel 01.
Autor des Artikels

Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg
Vizepräsident des BDCReferat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/Zuständigkeit PASSION CHIRURGIEPraxisverbund Chirurgie/Orthopädie/Unfallchirurgie Dres. Rüggeberg, Grellmann, HenkeZermatter Str. 21/2328325Bremen kontaktierenWeitere aktuelle Artikel
26.02.2018 Pressemitteilungen
Patientensicherheit durch bessere intersektorale Zusammenarbeit
Patientensicherheit, Hygiene, Qualitätsindikatoren und Fehlermanagement standen beim 20. Bundeskongress Chirurgie in Nürnberg im Vordergrund der Diskussionen und Fortbildungen. „Die Ansätze aus dem Koalitionsvertrag zur sektorenübergreifenden Versorgung müssen jetzt im Sinne der Patientensicherheit in die Tat umgesetzt werden“, fordert Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC). „Chirurginnen und Chirurgen in Deutschland brauchen genau wie alle anderen Fachärzte vernünftige Rahmenbedingungen, v.a. bei der Honorierung, um die Sektorengrenzen zu überwinden und die Qualität der Versorgung weiter zu verbessern.“
21.02.2018 Politik
Niedergelassene Ärztin setzt Löschung auf jameda.de durch
Eine Kölner Ärztin hat sich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) mit Ihrer Klage auf Löschung vom Ärztebewertungsportal jameda.de durchgesetzt. Die Speicherung personenbezogener Arztdaten mit Bewertungen von Patienten ist durch Internetportale laut BGH nur dann zulässig, wenn diese als "neutrale Informationsmittler" auftreten. Durch die Ausgestaltung des Werbeangebots trete diese Eigenschaft bei jameda.de allerdings soweit zurück, dass das Recht auf informelle Selbstbestimmung der Ärztin überwiege. Das Portal hat bereits Konsequenzen gezogen.
15.02.2018 Politik
Gesundheitsausgaben pro Tag überschreiten Milliardengrenze
Die Gesundheitsausgaben in Deutschland haben im Jahr 2017 erstmals die Marke von 1 Milliarde Euro pro Tag überschritten. Für 2017 prognostiziert das Statistische Bundesamt (Destatis) einen Anstieg der Gesundheitsausgaben gegenüber 2016 um 4,9 Prozent auf 374,2 Milliarden Euro.
07.02.2018 Politik
Koalitionsvertrag: Durchaus richtige Akzente gesetzt
Der Koalitionsvertrag setzt beim Thema Gesundheit an vielen Stellen durchaus richtige Akzente. Nur beispielhaft genannt seien hier die vorgesehenen Maßnahmen gegen den Ärztemangel, wie die Förderungen von Landärzten und der Ausbau der Strukturfonds.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.