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Wir beschäftigen uns seit spätestens 2010 als interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Ärzten, Pädagogen und Psychologen, Technikwissenschaftlern und Designern unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Modernisierung und Verbesserung der chirurgischen Ausbildung. Den Anstoß dazu gab ein vom BMBF gefördertes Projekt zur Entwicklung eines innovativen Simulationssystems für das chirurgische Training im Bereich Wirbelsäulenchirurgie, hier konkret für die Standard-OP einer lumbalen Diskektomie. Neben dem technologischen Ziel der Entwicklung eines Simulationsgeräts war von Anfang an die Konzeption eines adäquaten Trainingsentwurfs geplant, der den Kompetenzerwerb effektiv leiten und unterstützen sollte. Eine Haupterkenntnis aus unserer ersten qualitativ ausgerichteten Feldforschung war: Zur kompetenten Abwicklung einer Diskektomie gehört mehr als die Beherrschung rein technischer Skills [1].

Auch wenn die genannten non-technical skills am OP-Tisch nicht stetig und vordergründig in Erscheinung treten, sind sie nach Meinung der von uns interviewten Neurochirurgen doch von wesentlicher Bedeutung für das perioperative Management des Gesamtprozederes. Sie sollten deshalb unbedingt und „irgendwie“ bei der Trainingsgestaltung berücksichtigt werden. Dies führte uns notwendig zu unserer nächsten Forschungsfrage: Wie halten es die Chirurgen eigentlich mit der Lehre?

Als bis heute die chirurgische Ausbildung bestimmende Elemente identifizierten wir das „Meister-Schüler-Prinzip“ und das „See one-do one-teach one“-Prinzip. Beide spiegeln die besondere Bedeutung von Demonstration sowie Beobachtung und Imitation in der chirurgischen Lehre. Als konstituierende Lehr-Lern-Techniken werden sie mit Sicherheit einen wichtigen Platz auch in der Zukunft behalten. Fraglich und weithin skeptisch diskutiert ist allerdings, ob die traditionelle „Meister-Schüler-Didaktik“ alle Anforderungen an eine moderne Ausbildung abdecken kann, ob die mit ihr verbundenen kulturellen Umgangsformen zwischen den Beteiligten noch zeitgemäß sind und wie die Grundprinzipien einer modernen Weiterbildungsdidaktik letztlich aussehen könnten [2].

Abb. 1: Antworten auf die Frage nach Kompetenz(bestandteil)en, die im pädagogischen Konzept für ein Simulationstraining der Diskektomie berücksichtigt werden sollten (Quelle: Interviewstudie ForMaT/ISTT, 2010).

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Strukturierung

Die ökonomisch-organisatorischen Rahmenbedingungen der Weiterbildung haben sich in den letzten Dekaden rapide gewandelt [3]. Eine Meister-Schüler-Kontinuität, im Sinne eines regelmäßigen täglichen Umgangs aller Akteure, ist längst nicht mehr gegeben. Viele Fachärzte treffen heute auf viele und wechselnde Assistenzärzte, ohne dass es zu langfristigen Lehrer-Lerner-Arrangements kommt. Damit kann notwendig ein Ausbildungssystem, das allein auf den traditionellen Grundprinzipien beruht, nicht mehr funktionieren. Die moderne Medizinpädagogik stellt ein ganzes Portfolio makro- und mikrodidaktischer Strategien und Methoden bereit, die für die Weiterbildung adaptiert werden können [4]. Wir haben vielfach beobachtet, dass Kliniken bereits erste Schritte in diese Richtung tun und zum Beispiel interne Curricula erstellen, die durch die Definition konkreter mittel- und langfristiger Lernziele eine Strukturierung der Weiterbildung sichern und diese für alle Beteiligten zu jedem Zeitpunkt transparent machen. Der Einsatz von validierten Assessmentinstrumenten, anhand derer die individuelle Leistungsentwicklung resp. die Lernkurve der Weiterbildungsassistenten verfolgt und dargestellt werden könnte, würde diese Strukturen sinnvoll ergänzen. Hier seien vor allem die Instrumente des Workplace based und Procedere based Assessment angeführt, die international bereits erfolgreich eingesetzt werden. Eine umfangreiche Sammlung von Assessmentinstrumenten, u. a. für die wichtigsten chirurgischen Prozeduren der einzelnen Fachgebiete, findet sich auf dem Webportal zur gemeinschaftlichen Curriculumsentwicklung und -realisierung des Royal College of Surgeons of England [5]. Der (zumindest klinikintern) standardisierte Gebrauch solcher Instrumente würde eine objektive Bewertung der Leistungen und die Gewährung eines, von den Assistenzärzten vielfach eingeforderten, qualitativen Feedbacks garantieren.

Lehr-Lern-Kultur

Ein Grundsatz der Pädagogik besagt, dass Lernen mit Erwachsenen keine Erziehung ist; vielmehr haben wir es hier mit selbstgesteuerten und selbstverantwortlichen Individuen zu tun, die sich in der Regel freiwillig für eine Ausbildung, Weiterbildung, Fortbildung entschieden haben. Der Umgang miteinander sollte von gegenseitigem Respekt geprägt sein. Dementsprechend ist autoritäres Verhalten von Lehrpersonen, das auf Abhängigkeiten baut und einen prinzipiell unbedingten Gehorsam einfordert, nicht hinnehmbar und dürfte ohnehin endgültig der Vergangenheit angehören. Erfahrungen belegen, dass es nicht nur möglich, sondern sogar sehr wirkungsvoll ist, Assistenzärzte in die Mitverantwortung für das Management ihrer Ausbildung einzubinden. Das britische System zum Beispiel garantiert den Trainee Doctors das Recht auf regelmäßige Beurteilung ihrer Leistungen durch Kollegen und Vorgesetzte [6]. Für die Einholung dieses Feedbacks jedoch – unter terminlichen und organisatorischen Gesichtspunkten – sind sie selbst zuständig, ebenso wie für die rechtzeitige Zusammenstellung aller weiteren erforderlichen Dokumente in den einzelnen Etappen ihrer Ausbildungsgänge. Der Erfolg dieses Modells taugt vielleicht auch dazu, Befürchtungen zu zerstreuen, eine Modernisierung der Weiterbildung in Deutschland müsse stark verschulte Strukturen annehmen, die mit einer übermäßigen Mehrbelastung für die lehrenden Fachärzte einhergehen.

Methodenkompetenz

In unseren Forschungen zur Ausprägung von Lehrkompetenzen bei Fachärzten haben wir festgestellt, dass eine ganze Reihe der sich bietenden Lehr-Lern-Gelegenheiten im klinischen Alltag instinktiv wahrgenommen werden, auch ohne dass dies beständig als absichtsvolles didaktisches Handeln im Bewusstsein aller Beteiligten läge. Andererseits bleiben viele solcher Gelegenheiten – im täglichen Lehren und Lernen in der Niederlassung oder Ambulanz, auf Station oder im OP – noch ungenutzt. Es kommt u. E. jetzt vor allem darauf an, den Akteuren der Weiterbildung das vorhandene Potenzial bewusst zu machen, existierende didaktische Fähigkeiten zu vertiefen und weiter zu entwickeln [7], mit dem Ziel, ein systematisches, kompetenzbasiertes und für beide Seiten noch befriedigenderes Lehren und Lernen zu ermöglichen.

Ähnlich wie andere Aktive im Erneuerungsprozess der chirurgischen Weiterbildung haben wir aus diesem Grund einen Basiskurs „Train-the-Trainer“ entwickelt, den wir interessierten Klinikern seit 2013 anbieten. Schwerpunkte des Kurses bilden knapp gehaltene Verständigungen über die Strukturierungsmöglichkeiten des Lehrens und Lernens, eine intensive Beschäftigung mit Assessment und Feedback, sowie der Austausch über mikrodidaktische Methoden und Techniken für den klinischen Lehralltag.

Szenariobasiertes Training

Zurück zum Ausgangspunkt unseres Engagements und zu einer speziellen Trainingsmethode: Für das Lernen am und mit dem von unserer Arbeitsgruppe entwickelten Simulator haben wir schließlich ein szenariobasiertes Training entwickelt, das den oben erörterten Anforderungen entgegen kommt. Szenariobasiert heißt hier: Ein realer klinischer Fall wird nachgestellt (bei Übereinstimmung von Simulator und Patientendokumentation, einer authentischen OP-Umgebung und Equipment) und dessen perioperatives Management trainiert. Die Trainees arbeiten sich in vorhandene Patientenunterlagen ein, untersuchen den (Schauspiel-)Patienten und führen ein OP-Aufklärungsgespräch durch. Danach hat jeder Trainingsteilnehmer die Gelegenheit, eine Diskektomie unter Nutzung des OP-Mikroskops selbständig und vollständig an unserem Kunststoffmodell durchzuführen. Assistiert wird ihm dabei von einem anderen Teilnehmer. Den Abschluss bildet ein ausführliches, ca. 15 bis 20-minütiges Feedback für jeden Nachwuchschirurgen durch den betreuenden chirurgischen Trainer – einem erfahrenen Facharzt der Neurochirurgie oder Orthopädie/Unfallchirurgie. Die genutzten Vorlagen des Procedere based Assessment werden den Trainees am Ende ausgehändigt. Sowohl Teilnehmer als auch Trainer der bisherigen Kurse zeigten sich begeistert von Konzeption und Durchführung der Trainings. Alle teilnehmenden Assistenzärzte erreichten ihre selbstformulierten Lernziele und wünschten sich für sämtliche zu erlernenden chirurgischen SOP ein ähnlich gestaltetes Training.

Abb. 2: Simulation – Authentizität ist Trainingsprinzip.OEBPS/images/02_07_A_08_2015_Korb_image_02.jpg

Profil des chirurgischen Trainers

Zu den sich verändernden Rahmenbedingungen der Weiterbildung gehören zunehmend auch internationale Migrationsbewegungen von ausgebildeten und in Ausbildung befindlichen Ärzten, was die Problematik einer objektiven Bewertung und Vergleichbarkeit von chirurgischen Leistungen aktuell auf eine neue Stufe stellt. Als Antwort darauf streben viele Fachgesellschaften bereits eine standardisierte europäische Facharztprüfung an, die freiwillig und zusätzlich zu den nationalen Prüfungen abgelegt werden kann. Einer der nächsten logischen Schritte wäre aus unserer Sicht, auch die Ausbildung und die Anforderungen an die Ausbilder zu standardisieren. Aus diesem Grund realisieren wir, gemeinsam mit chirurgischen Trainingsinstituten aus Spanien, Ungarn und Rumänien, seit Anfang 2015 ein EU-gefördertes Projekt zur Feststellung eines „Europäischen Profils chirurgischer ­Trainer“. Wir werden in einem ersten Schritt eine Vergleichsstudie zu den nationalen Rahmenbedingungen der Weiterbildung und den Anforderungen an chirurgische Lehrer durchführen, um auf deren Basis dann später ein Curriculum für eine gemeinsame Train-the-Trainer-Ausbildung entwickeln und testen zu können.

Ungeachtet der notwendigen Novellierung der zentralen Musterweiterbildungsordnung haben uns die Auswertung vieler Initiativen weiterbildender Einrichtungen und die positive Resonanz auf unsere eigenen Trainingsangebote in der Annahme bestätigt, dass die dringend eingeforderte Verbesserung des Weiterbildungssystems ihren Anfang an der Basis nehmen kann. Weiterhin viel Erfolg dabei!

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Train-the-Trainer-Curricula (SurgTTT)

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Surgical Simulation Training System

Literatur

[1] Adermann J, Geißler N, Bernal LE, Kotzsch S, Korb W: Development and validation of an artificial wetlab training system for the lumbar discectomy. Eur Spine J. 2014; 23(9):1978–83

[2] Krüger M: Ist die chirurgische Weiterbildung noch zeitgemäß? Gedanken eines Betroffenen zur Zukunftsfähigkeit der chirurgischen Weiterbildung. BDC-Online 01.04.2009; Download am 21.12.2011

[3] Adili F, Kadmon M, König S, Walcher F: Professionalisierung der Lehre im chirurgischen Alltag. Der Chirurg-Online 11.09.2013; Download am 13.05.2014

[4] David DM et al.: Die Zukunft der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland – Positionspapier des Ausschusses Weiterbildung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). GMS Z Med Ausbild. 2013; 30(2):Doc26.

[5] https://www.iscp.ac.uk

[6] The Trainee Doctor. General Medical Council 2011. www.gmc-uk.org/Trainee_Doctor.pdf_39274940.pdf

[7] Hesketh EA: A framework for developing excellence as a clinical educator. Med Educ 2001; 35:555–564

[8] BDC/BDI: Keine Zeit für Weiterbildung? Mastertrainer! Passion Chirurgie. 2015; 5(04): Artikel 03

Korb W. / Kotzsch S. Weiterentwicklung der chirurgischen Lehre – Notizen aus dem Trainingssektor. Passion Chirurgie. 2015 August, 5(08): Artikel 02_07.

Autor des Artikels

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Prof. Dr. Werner Korb

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Passion Chirurgie 08/2015

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