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Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Position des Chefarztes einer chirurgischen Klinik keine Lebensstellung mehr. Während die Kündigung eines chirurgischen Chefarztes vor 20 Jahren nur sehr selten erfolgte, wird die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Chefärzten seither immer häufiger beobachtet. Das Kündigungsschutzgesetz sieht Kündigungen aus betriebsbedingten, menschlichen und personenbedingten Gründen vor. Der Gesetzgeber hat die Hürden für den Erfolg einer Kündigung allerdings recht hoch gelegt und in den vergangenen Jahrzehnten Kündigungen keinesfalls erleichtert. Daher stellt sich die Frage, warum die Position des Chefarztes sich innerhalb weniger Jahre von einer sicheren Lebensstellung zu einer Anstellung mit relevantem Kündigungsrisiko verändert hat?

Der Wandel der Amtsdauererwartung für Chefärzte und die zunehmende Inzidenz von Chefarztkündigungen in den vergangenen Jahrzehnten ist natürlich nicht auf veränderte Rechtsgrundlagen zurückzuführen. Vielmehr hat sich die Bereitschaft erhöht, Chefärzte vorzeitig zu kündigen, wenn dies den Interessen des Klinikbetreibers entspricht. Daran hat auch die Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts nichts geändert, in der festgelegt wurde, dass Chefärzte keine leitenden Angestellten sind (was Kündigungen erleichtern würde). Nachfolgend werden drei Chefarztkündigungen geschildert und die sich daraus ergebenden Verhaltenskonsequenzen dargelegt. Diese Berichte stehen stellvertretend für die Erfahrungen zahlreicher Chefarztkollegen, die in den letzten Jahren eine Kündigung erhielten.

Kasuistik 1: Der Chefarzt ist seit mehr als zehn Jahren bei einem großen kommunalen Betreiber beschäftigt und leitet eine Abteilung für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie in einem Krankenhaus der Maximalversorgung. In dieser Zeit hat er im Einklang mit der Geschäftsführung durch medizinische, organisatorische und personelle Entwicklungen wesentlich dazu beigetragen, die Thoraxchirurgie und die Gefäßchirurgie als erfolgreiche eigenständige Abteilungen aus seiner Abteilung auszugliedern. Danach erhält er eine betriebsbedingte Kündigung. Offizieller Kündigungsgrund ist, dass die verbliebene Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie nun keinen Bedarf mehr für eine derart hoch qualifizierte Führungsperson hat.

Kasuistik 2: Der Chefarzt ist seit mehr als fünf Jahren als Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie in einer Klinik der Maximalversorgung eines privaten Krankenhauskonzerns tätig. Zunächst erfolgt die Reduktion der Operationskapazitäten um 10 %, für das darauf folgende Jahr wird dann eine Steigerung der Bewertungsrelationen um 10 % erwartet. Als der Chefarzt erklärt, dass er diese Leistungssteigerung unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht versprechen kann, und die Leistungen um 5 % fallen, wird ihm die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mitgeteilt. Man wolle im Rahmen der Neubesetzung der Chefarztstelle Gastroenterologie auch die Viszeralchirurgie neu besetzen und so einen „Neustart“ in der Viszeralmedizin durchführen. Der chirurgische Nachfolger hat zu diesem Zeitpunkt bereits einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Der gekündigte Chefarzt wird aufgefordert sofort einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, da man ihm sonst kündigen werde. Nachdem der Chefarzt seine Unterschrift verweigert hat, erhält er einige Tage später eine Kündigung.

Kasuistik 3: Der Kollege ist seit einigen Jahren bei einem kommunalen Krankenhaus als Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie tätig. Dieses Krankenhaus ist nicht in ausreichendem Umfang im Landesbettenplan abgebildet. Der Chefarzt wird von einem großen kirchlichen Krankenhausbetreiber aktiv angesprochen und als Chefarzt für ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung abgeworben. Etwa ein Jahr nach Antritt der neuen Chefarztposition wird die – zuvor definitiv ausgeschlossene – Fusion des Krankenhauses mit einem anderen Klinikum durchgeführt. Dem Chefarzt wird mitgeteilt, dass für ihn in der neuen Klinik keine Position mehr besteht. Daraufhin bietet der Chefarzt an als Sektionsleiter Viszeralchirurgie in der chirurgischen Klinik des Fusionspartners unter der Leitung des dortigen Chefarztes tätig zu werden. Dieses Angebot wird von diesem Chefarzt abgelehnt. Die betriebsbedingte Kündigung folgt.

Diese Erfahrungsberichte von gekündigten Chefärzten der Allgemein- und Viszeralchirurgie sind in mehrfacher Hinsicht symptomatisch für die veränderte Amtsdauererwartung von Chefärzten in Deutschland:

  • Vorzeitige Kündigungen des Arbeitsverhältnisses sind heute bei kommunalen, konfessionellen und privaten Krankenhausbetreibern ein probates Mittel der „Weiterentwicklung“ chirurgischer Kliniken. Diesbezüglich werden Chefärzte „gleichberechtigt“ mit Klinikgeschäftsführern behandelt, obwohl sie keine leitenden Angestellten sind.
  • Verträge und Absprachen sind kein wirksamer Kündigungsschutz. Derartige Personalentscheidungen werden auch entgegen bestehender Vereinbarungen durchgeführt. Dabei spekuliert der Arbeitgeber darauf, dass mehr als 90 % aller Kündigungsschutzklagen nicht mit einer Wiedereinstellung, sondern mit einem Vergleich enden!
  • Fachliche Reputation, berufspolitische Aktivitäten oder langjährige vom Betreiber ausdrücklich erwünschte Beratertätigkeit in Strukturen des Krankenhausträgers schützen natürlich nicht vor Kündigung.
  • Unter Chefärzten für Chirurgie haftet der Kündigung auch heute noch der Makel des vermeintlichen fachlichen oder menschlichen Versagens an. Es finden sich immer Kollegen, die das ja „haben kommen sehen“ oder die in der Kaffeepause auf Kongressen gerne „absolut vertrauliche“ Informationen zur Kündigung eines anderen Chefarztes in Umlauf bringen. Tatsächlich sagen diese Äußerungen mehr über die Kollegen als über den betroffenen Chefarzt aus.
  • Leistungssteigerungen sind keine Garantie für den Stellenerhalt! Nach einer Kündigung werden oft vermeintliche Leistungsverluste als tatsächlicher Kündigungsgrund kolportiert. Die geschilderten Fälle zeigen, dass der Ausbau von Leistungen nicht vor einer Kündigung schützt und dass Leistungsveränderungen durch strukturelle Entscheidungen auch bewusst herbeigeführt werden können. Nebenbei bemerkt könnten fehlende Leistungen nur dann ein arbeitsrechtlich relevanter Kündigungsgrund sein, wenn diese Leistungen explizit im Arbeitsvertrag aufgelistet werden.
  • Solidarität unter Chefärzten (und solchen die es werden wollen) gibt es nicht. Für Stellen in attraktiven Regionen werden sich immer „Kollegen“ finden, die bereit sind, Arbeitsverträge auch bei noch ungekündigtem Stelleninhaber zu unterzeichnen. Die üblichen Begründungen dieser Chirurgen lauten dann: „wenn ich es nicht getan hätte, hätte ein anderer unterschrieben“ oder „wenn ich den Stelleninhaber angerufen hätte, hätte das ja auch nichts geändert.“
  • Im Kündigungsfall kann man Chefarztkollegen nicht vertrauen. Chefärzte benachbarter Abteilungen im Krankenhaus bieten sich nach freundschaftlich kollegialer Zusammenarbeit im Falle einer Kündigung gerne als Ratgeber an. Es soll dabei aber auch Kollegen geben, die sich vor allem das Anliegen der Geschäftsführung zu eigen machen. Die sogenannten Ratschläge dienen dabei vor allem dem Erhalt (oder der Ausweitung) der Position des „befreundeten Kollegen“. Spätestens nach einem „vertrauensvollen Einzelgespräch“ mit der Geschäftsführung werden die Chefärzte der Nachbarabteilungen ihre Position zur Kündigung des Kollegen überdenken.
  • Der Geschäftsführer ist kein guter Ratgeber! Vor allem nach langjähriger Zusammenarbeit geben Geschäftsführer gerne an, dass Sie selber die Entscheidung bedauern, die Abwicklung einer Chefarztkündigung aber leider auch zu ihren Aufgaben gehöre. Danach folgen dann „gut gemeinte Ratschläge von Mensch zu Mensch“, wie zum Beispiel einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben um weiteren Ärger zu vermeiden. Der Geschäftsführer ist bei einer Kündigungsschutzklage übrigens häufig auch nicht Partei (also Kläger oder Beklagter) sondern Zeuge. Seine Aussagen werden daher anders gewichtet, als die des Chefarztes (also des ­Klägers).
  • Mitarbeiter sollten nicht in den Konflikt mit der Geschäftsführung involviert werden. Solidaritätsbekundungen von Mitarbeitern der eigenen und benachbarten Abteilungen sind Balsam für die Seele des betroffenen Chefarztes. Solidaritätsbekundung, wie z. B. Streik oder Dienst nach Vorschrift können als Störung des Betriebsfriedens einen weiteren Kündigungsgrund für den Chefarzt darstellen. Langjährig tätige Mitarbeiter der Abteilung sind auf längere Sicht verständlicherweise vor allem darum bemüht, ihre eigene Position zu sichern. Der Chefarztwechsel macht diese Mitarbeiter betroffen und wird von diesen als ungerecht empfunden, aber schließlich als unvermeidlich akzeptiert.
  • Der Betriebsrat vertritt auch Chefärzte! Betriebsräte werden von Chefärzten im klinischen Alltag eher aus dem Blickwinkel der Geschäftsführung und nicht aus der Perspektive eines Angestellten wahrgenommen. Der Betriebsrat muss zur Kündigung befragt werden. Er kann der Kündigung zustimmen, sie ablehnen oder sich neutral verhalten. Bei gerichtlichen oder außergerichtlichen Einigungen hat die Stellungnahme des Betriebsrates erhebliche Bedeutung, denn sie enthält manchmal Wahrheiten, die in den anderen Schriftstücken nicht auftauchen (z. B. „Der Chefarzt wurde als störend empfunden, da er nicht bereit war rein ökonomisch getriebene Entscheidungen mit zu vertreten.“).
  • In dieser Situation ist der wichtigste Ratgeber ein kompetenter Rechtsanwalt für Arbeits- und/oder Medizinrecht! Vor allem in den ersten Tagen nach Ankündigung oder Aussprache der Kündigung befinden sich die Betroffenen in einem emotionalen Schockzustand, dadurch drohen arbeitsrechtlich irreversible Fehler. Gerade wenn die juristische Position der Gegenseite schwach ist, gehört es zu ihrer Strategie, psychologischen Druck aufzubauen um Fehler zu provozieren. Ein erfahrener Rechtsanwalt ist jetzt gemeinsam mit dem unmittelbaren persönlichen Umfeld (Partner, Familie) der wichtigste Ratgeber des Chefarztes.

Aus den Erfahrungen betroffener Chefarztkollegen lassen sich für die unmittelbaren Stunden und Tage nach der Androhung oder dem Ausspruch einer Kündigung folgende einfache Regeln formulieren:

  1. Entscheiden Sie in der akuten Situation nichts (außer siehe 5.).
  2. Unterschreiben Sie in der akuten Situation nichts (außer der Quittung, dass Sie die Kündigung erhalten haben).
  3. Wenn in einem Gespräch Druck ausgeübt wird, entziehen Sie sich der Situation, indem Sie das Gespräch beenden (z. B. mit dem Hinweis, dass Ihnen schlecht ist, weil Sie etwas Falsches gegessen haben).
  4. Lehnen Sie, falls Sie sich dazu in der Lage fühlen, das vermeintlich großzügige Angebot „heute doch schon mal nach Hause gehen zu können, wenn es Ihnen nicht gut geht“ ab. Weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie sich in der Lage fühlen ihren Dienstaufgaben weiter nachzukommen (es sei denn, es geht wirklich nicht).
  5. Kontaktieren Sie sofort über Ihr privates Handy den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens.
  6. Reden Sie zunächst mit niemandem außer dem Anwalt!
  7. Sichern Sie die Daten Ihres Rechners und kennzeichnen Sie die entsprechende Festplatte mit der Aufschrift „Privat“.
  8. Schließen Sie private Laptops, Tablets, Handys und Datenträger in einen Schrank oder eine Schublade und versehen Sie diese mit der Aufschrift „Privat“.
  9. Wenn eine Freistellung von den Dienstaufgaben droht, nehmen Sie alle persönlichen Gegenstände (z. B. Fotos, Bilder, Andenken, Urkunden) mit nach Hause. Bei Freistellung stehen Ihnen dazu eventuell nur 30 bis 60 Minuten zur Verfügung.
  10. Verwenden Sie weder dienstliche E-Mail-Adresse noch Dienst-Handy für die Kommunikation zum Thema Kündigung.
  11. Zwingen Sie sich dazu, sachlich zu sein und keinesfalls emotional zu reagieren. Bedanken Sie sich und seien Sie höflich zu den Gesprächspartnern, egal wie unangenehm das Gespräch auch ist.

Ein erfahrener Rechtsanwalt steht in der akuten Situation tatsächlich Tag und Nacht zur Verfügung und wird Sie optimal beraten. Zunächst geht es nur um taktische Maßnahmen, später folgt dann ein ausführliches persönliches Gespräch zur Verfahrensstrategie.

Die erwähnten Chefärzte haben in zwei Fällen Kündigungsschutzklage eingereicht. In einem Fall ist das Arbeitsgerichtsverfahren nach fast zwei Jahren weiter anhängig, eine Einigung steht aus. Ein Chefarzt hat nach mehr als einem Jahr Verfahrensdauer unmittelbar vor dem öffentlichen Arbeitsgerichtstermin ein außergerichtliches Schlichtungsangebot des Arbeitgebers akzeptiert. Der dritte Kollege hat ohne Kündigungsschutzklage eine außergerichtliche Einigung mit dem Klinikbetreiber geschlossen.

Die Position des Chefarztes in einer Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie wird von allen Betroffenen als eine anspruchsvolle, verantwortungsreiche und ungemein erfüllende Tätigkeit empfunden. Keiner der oben erwähnten Chefärzte zweifelt im Geringsten daran, die richtige Berufswahl getroffen zu haben. Für alle ist chirurgischer Chefarzt nach wie vor ein Traumberuf – allerdings nicht mit der früher üblichen lebenslänglichen Arbeitszeiterwartung!

Anonymus. Vorzeitiges Ende der Chefarzttätigkeit durch Kündigung – aus der Sicht des Betroffenen. Passion Chirurgie. 2017 Februar, 7(02): Artikel 04_07.

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