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Das Karpaltunnelsyndrom KTS ist das häufigste Nervenkompressionssyndrom überhaupt. Ca. 4 bis 5 % der Weltbevölkerung leiden daran [1]. Jüngere Untersuchungen ergaben, dass Faktoren wie handwerkliche Tätigkeit oder monotone Bewegungen bei der Arbeit, Haushalttätigkeiten sowie das Vorhandensein eines KTS oder eines schnappenden Fingers an der kontralateralen Seite das Risiko für ein OP-bedürftiges KTS erhöhen. Körpergrößen bei Frauen von > 165 cm bzw. > 175 cm bei Männern scheinen hingegen mit einem geringeren Risiko einherzugehen [2]. Dazu mehren sich die Studien und Erkenntnisse, die insbesondere das bilaterale KTS als Frühzeichen der kardialen Amyloidose identifizierten [3]. Speziell bei der Transthyretin-Amyloidosis ATTR und deren Wildtyp-Variante tritt das bilaterale KTS (bKTS) bei bis zu 60 % der Patienten fünf bis zehn Jahre vor den ersten kardialen Symptomen auf [4]. Somit wird das bKTS als Frühwarnzeichen gewertet mit der Empfehlung einer weiterführenden kardiologischen Abklärung.

In der Diagnostik ist die Ultraschalldiagnostik mittlerweile nicht nur als ergänzend zur Elektrophysiologie anzusehen, sondern erweitert die Palette der Untersuchungsmodalitäten signifikant [5, 6]. Als nahezu ubiquitär verfügbare Bildgebung und wenig aufwändige Methode empfiehlt es sich, den Ultraschall in die diagnostische Routine einzubauen. Neben dem eigentlichen KTS können präoperativ anatomische Varianten des N. medianus oder zusätzliche Pathologien wie Lipome/Ganglien etc. visualisiert werden [7].

Wie in anderen Bereichen hält auch die künstliche Intelligenz Einzug in das Thema KTS. So sind erste Berichte publiziert worden, nach denen die maschinenunterstützte Auswertung insbesondere der Bildgebung eine Verbesserung der diagnostischen Sicherheit [8] und sogar eine verbesserte Auswahl der zu operierenden Betroffenen [9] bieten könnte.

Die Therapie reicht von Prävention über konservative Maßnahmen bis hin zu unterschiedlichen Operationsmethoden.

Die Rolle der konservativen Therapie wurde in verschiedenen Meta-Analysen beleuchtet. Zu den gängigen Therapieformen gehören u. a. Orthesen, Gukokortikoidinjektionen in den Karpaltunnel, orale Glukokortikoide, Handtherapie, therapeutischer Ultraschall. In Tabelle 1 sind die Empfehlungen zusammengefasst [10]. Die Verwendung von Orthesen scheint hier die größte Rolle zu spielen, obwohl keine der aufgeführten Methoden eine signifikante Überlegenheit erreichen konnte, weder einzeln noch in Kombination mit anderen konservativen Verfahren [11]. Dazu kommt, dass keine belastbaren Daten bezüglich des Langzeiteffekts der konservativen Methoden vorliegen. Der Tenor der meisten Studien ist, dass zwar die Beschwerden gelindert werden, bei persistierenden oder schweren Ausfällen jedoch selten eine Ausheilung des KTS erreicht werden kann [12].

Somit läuft die Therapie in diesen Fällen auf ein operatives Verfahren hinaus. Neben den etablierten offenen und diversen endoskopischen Techniken mit ähnlichem Outcome haben in den letzten Jahren ultraschallgestützte Methoden (USGM) Aufmerksamkeit erregt. Hierbei wird unter Ultraschallsicht nach Punktion mithilfe von Hohlnadeln das Retinaculum flexorum mit einem Draht durchtrennt. Die Machbarkeit und Sicherheit der Methode konnten bereits gezeigt werden [13]. Allerdings liegen kaum vergleichende Studien mit den bisherigen OP-Methoden vor. Ein Trend zu einer rascheren Rückkehr zur Arbeit nach der USGM im Unterschied zur endoskopischen Technik scheint sich abzuzeichnen [14]. Insofern bleibt abzuwarten, was die Langzeitergebnisse von idealerweise prospektiv randomisierten Studien unter Beteiligung aller Behandlungsformen ergeben werden.

Tab. 1: Empfehlungen der gängigen Therapieformen

Empfehlungsstärke

Orthese („Medianusschiene“)

Handgelenksstabilisierende Orthese

Hoch, verbessert das Gesamtoutcome

Kortikoidinjektion in den Karpaltunnel

Einzelgabe, idealerweise unter Ultraschallkontrolle

Hoch, verbessert das Gesamtoutcome

Orale Medikation

NSAR/Diuretika/Gabapentine o.ä.

Orale Glukokortikoide

Mittel, lt. Evidenz keine eindeutige Verbesserung des Gesamtoutcomes

Mittel, lt. Evidenz mögliche Verbesserung des Gesamtoutcomes

Handtherapie

Keine Evidenz

Ultraschalltherapie

Gepulste Anwendung von 1-2 MHz am Karpaltunnel

Bedingte Evidenz

Akupunktur

Keine Evidenz

* Adaptiert nach: „Strengh of Recommendations of American Academy of Orthopaedic Surgeons. Management of Carpal Tunnel Syndrome Evidence-Based Clinical Practice Guideline, 29 Feb 2016“

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Sicht neue Ansätze gibt, die bisher gültigen Verfahren jedoch nach wie vor der Behandlungsstandard bleiben.

Die 2022 aktualisierte interdisziplinäre Leitlinie der AWMF zur Therapie des KTS fasst dies treffend zusammen und gibt folgende Empfehlung: „Bei anhaltenden sensiblen und/oder motorischen Ausfallerscheinungen wie Beeinträchtigung der Stereoästhesie und Nachlassen der Abduktions- und Oppositionskraft dΝes Daumens bzw. Thenaratrophie sowie bei relevanten den Patienten beeinträchtigenden oder durch konservative Therapie nicht gebesserten insbesondere schmerzhaften Parästhesien soll eine Operation erfolgen (Empfehlung 11.2.1).“ Die offene und die endoskopischen Techniken werden hierbei in gleicher Weise empfohlen; die Wahl obliegt den Behandelnden und richtet sich nach den persönlichen Erfahrungen und Vorlieben [15].

Literatur

[1]   Omole, A. E. et al. An Integrated Review of Carpal Tunnel Syndrome: New Insights to an Old Problem. Cureus 15, e40145 (2023).
[2]   Mattioli, S. et al. Risk factors for operated carpal tunnel syndrome: a multicenter population-based case-control study. BMC Public Heal. 9, 343 (2009).
[3]   Grogan, M. & Dispenzieri, A. Carpal Tunnel Syndrome and Cardiac Amyloidosis When Are Numb Hands a Window to the Heart? *. J. Am. Coll. Cardiol. 80, 978–981 (2022).
[4]   Milandri, A. et al. Carpal tunnel syndrome in cardiac amyloidosis: implications for early diagnosis and prognostic role across the spectrum of aetiologies. Eur. J. Hear. Fail. 22, 507–515 (2020).
[5]   Yoshii, Y., Zhao, C. & Amadio, P. C. Recent Advances in Ultrasound Diagnosis of Carpal Tunnel Syndrome. Diagnostics 10, 596 (2020).
[6]   Gonzalez-Suarez, C. B. et al. Diagnostic Accuracy of Ultrasound Parameters in Carpal Tunnel Syndrome: Additional Criteria for Diagnosis. J. Ultrasound Med. 38, 3043–3052 (2019).
[7]   Padua, L. et al. Carpal tunnel syndrome: updated evidence and new questions. Lancet Neurol. 22, 255–267 (2023).
[8]   Kim, S. W. et al. Feasibility of artificial intelligence assisted quantitative muscle ultrasound in carpal tunnel syndrome. BMC Musculoskelet. Disord. 24, 524 (2023).
[9]   Elseddik, M. et al. Predicting CTS Diagnosis and Prognosis Based on Machine Learning Techniques. Diagnostics 13, 492 (2023).
[10] Ostergaard, P. J., Meyer, M. A. & Earp, B. E. Non-operative Treatment of Carpal Tunnel Syndrome. Curr. Rev. Musculoskelet. Med. 13, 141–147 (2020).
[11] Karjalanen, T., Raatikainen, S., Jaatinen, K. & Lusa, V. Update on Efficacy of Conservative Treatments for Carpal Tunnel Syndrome. J. Clin. Med. 11, 950 (2022).
[12] Hernández-Secorún, M. et al. Effectiveness of Conservative Treatment According to Severity and Systemic Disease in Carpal Tunnel Syndrome: A Systematic Review. Int. J. Environ. Res. Public Heal. 18, 2365 (2021).
[13] Lam, K. H. S. et al. Ultrasound-Guided Interventions for Carpal Tunnel Syndrome: A Systematic Review and Meta-Analyses. Diagnostics 13, 1138 (2023).
[14] Asserson, D. B. et al. Return to work following ultrasound guided thread carpal tunnel release versus open carpal tunnel release: a comparative study. J. Hand Surg. (Eur. Vol.) 47, 359–363 (2021).
[15] https://register.awmf.org/assets/guidelines/005-003l_S3_Diagnostik-Therapie-Karpaltunnelsyndrom-KTS_2022-04_01.pdf, Stand 31.10.23 10:01 Uhr.

Heinen C PG: UpDate Karpaltunnelsyndrom. Passion Chirurgie. 2023 November; 13(11): Artikel 03_02.

Autor des Artikels

Profilbild von Christian Heinen

Dr. med. Christian Heinen

Section Chair „Peripheral Nerve Surgery“ European Association of Neurosurgical Societies EANSStellv. Sprecher der Sektion „Periphere Nerven“ der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie DGNCVorstand interdisziplinäre Studiengruppe „Periphere Nerven“, NervClubMitglied der Neurochirurgischen Akademie NCA der DGNC und BDNCChristliches Krankenhaus Quakenbrück GmbH kontaktieren

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