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Der geplante Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin wird als Transition bezeichnet und findet üblicherweise im Alter von 16 bis 18 Jahren statt. Vielen chronisch kranken Jugendlichen gelingt es selbst nicht, einen erfolgreichen Übergang in die Erwachsenenmedizin zu organisieren. Sie verlieren den Kontakt zur notwendigen Spezialbetreuung und stellen sich oft erst dann wieder vor, wenn – möglicherweise vermeidbare – Komplikationen aufgetreten sind. Langjährige Bemühungen zur Vermeidung von Krankheitsfolgen können so in kurzer Zeit zunichte gemacht werden. Patienten mit chronischen Erkrankungen werden in der Regel bis zum 18ten Lebensjahr in Spezialeinrichtungen betreut (Spezialambulanzen, SPZ), die man in dieser Form in der ­Erwachsenenmedizin nicht findet. Die Erwachsenenmediziner sind zudem zumeist weniger mit dem erforderlichen Spezialwissen für die Therapie von seltenen chronischen Erkrankungen vertraut. Ohne einen strukturierten Ablauf in der Zeit des Übergangs gehen häufig wichtige ­Informationen und langfristig erarbeitete Therapieansätze verloren. Notwendige Hilfsangebote finden keine Fortsetzung.

Mit der Volljährigkeit fordern die Kostenträger die Weiterbehandlung durch die Erwachsenenmediziner

Dank der hohen Spezialisierung sowohl der kinderchirurgischen Abteilungen als auch der Abteilungen für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin überleben heutzutage die meisten Kinder mit angeborenen Fehlbildungen, mit schweren Entwicklungsstörungen oder Verletzungen nach Verkehrs- oder Verbrennungsunfällen. Diese Kinder werden von Kinderchirurgen und Pädiatern bis ins Jugend- und junge Erwachsenenalter begleitet und medizinisch betreut. Die Transition dieser Jugendlichen von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin ist dann ein letzter, jedoch elementarer Bestandteil der langjährigen Verantwortung gegenüber diesen Patienten. Mit der Volljährigkeit fordern die Kostenträger die Weiterbehandlung durch die Erwachsenenmediziner. Wenn der geplante Übergang von der Jugend- in die Erwachsenenmedizin misslingt, kann dies sowohl unter individuellen als auch unter sozialökonomischen Aspekten zu weitreichenden Konsequenzen führen: Kommen die jungen Erwachsenen – nach dem letzten Besuch beim Kinderarzt oder Kinderchirurgen – erst nach Jahren in eine Erwachsenenpraxis oder -ambulanz, sind die gesundheitlichen Probleme oft weit fortgeschritten. Das bedeutet für das Individuum eine verminderte Lebensqualität und letztendlich im Verlauf oft einen erhöhten Behandlungsmehraufwand. Und es hat für die Gesellschaft vor allem auch durch erhöhte Behandlungskosten eine ökonomische und gesundheitspolitische Relevanz.

Beim Wechsel von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin verlieren etwa 40 Prozent der Jugendlichen den Kontakt zur Spezialversorgung

Etwa 14 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs in Deutschland leiden an einer chronischen Krankheit, die eine lebenslange ärztliche Behandlung erfordert [1]. Es muss davon ausgegangen werden, dass beim Wechsel von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin 40 Prozent der Jugendlichen mit besonderem Versorgungsbedarf den Kontakt zur Spezialversorgung verlieren [2]. Dies hat möglicherweise Auswirkungen auf die Therapie und Compliance. Es kann zu erhöhten direkten und indirekten Krankheitskosten kommen. Direkte Krankheitskosten erhöhen sich durch Entgleisungen, Notfälle und Folgeerkrankungen, indirekte Krankheitskosten durch geringere Produktivität im Beruf, Behinderung oder erhöhte Mortalität. Transitionsprogramme, die als zentrales, aber nicht alleiniges Element ein prozessorientiertes Fallmanagement haben, können diese Rate von 40 auf zehn Prozent reduzieren [2]. Es mangelt allerdings vielerorts nicht nur an der praktischen Umsetzung der Erkenntnisse, sondern auch an ihrer Operationalisierung und Integration in die Gesundheitssysteme. Die Relevanz der Transitions-Problematik wird inzwischen auch in Deutschland nicht nur anerkannt, sondern als vordringlich zu lösende Aufgabe im Rahmen der Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung hervorgehoben. So hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Sondergutachten bereits 2009 der Transition ein eigenes Kapitel gewidmet [3]. In seinen Empfehlungen fordert der Rat explizit die verstärkte Förderung von Modellversuchen zur Transition und die Aufnahme der multidisziplinären Versorgung von Jugendlichen in der Transitionsphase in den Katalog hochspezialisierter Leistungen.

Die finanzielle Abbildung des erheblichen personellen Aufwandes wäre zum Beispiel im Rahmen einer Hochschulambulanz gewährleistet. Die Finanzierung der Leistungen durch die gesetzlichen Krankenversicherungen ist bis dato jedoch nicht gegeben. Als mögliches Finanzierungskonzept käme grundsätzlich die „integrierte Versorgung nach §140 SGB V oder als „Fachambulanz für seltene Erkrankungen“ nach §116b SGB V in Frage.

In der Kinderchirurgie etablieren sich standortgebundene individuelle Transitionsprogramme

Da die Gruppe der Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen aufgrund der verschiedenen Krankheitsätiologien sehr inhomogen ist, gibt es in Deutschland nach wie vor keine standardisierten Transitionsprozesse, die alle benötigten Fachdisziplinen einbeziehen und die von den Kostenträgern vergütet werden. Bestenfalls gibt es individuelle, sonderfinanzierte Transitionsprogramme, die überwiegend Patienten aus der Kinder- und Jugendmedizin betreffen [4]. Auch die kinderchirurgischen Patienten, die in die Erwachsenenmedizin übergeleitet werden müssen, bilden eine sehr heterogene Gruppe mit jeweils eher kleinen Fallzahlen, was die Möglichkeit einer Spezialisierung der weiterbehandelnden Erwachsenenmediziner zusätzlich erschwert. Hier etablieren sich standortgebundene individuelle Transitionsprogramme, beispielsweise in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) für die Transition von Patienten mit Ösophagusatresie oder anorektaler Malformation und im Kinder- und Jugendkrankenhaus „Auf der Bult“, gemeinsam mit der MHH für die Transition brandverletzter Jugendlicher. Beide Programme basieren auf wiederholten gemeinsamen Transitionssprechstunden mit Kinderchirurgen als Primärbehandler und Erwachsenenspezialisten als Mitbehandler. Nach erfolgter Überleitung in die Erwachsenenmedizin wechselt der Erwachsenenspezialist in die Rolle des Primärbehandlers, der Kinderchirurg bleibt beratender und begleitender Mitbehandler. Hinzu kommen Teilnahmen an einem transitionsspezifischen Schulungsprogramm (ModuS) aus dem Programm des Kompetenznetzwerkes Patientenschulung (KomPaS) [5].

Literatur

[1] Scheidt-Nave C, Ellert U, Thyen U, et al (2008) Versorgungsbedarf chronisch kranker Kinder und Jugendlicher. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 51: 592–601

[2] Van Walleghem N, MacDonald CA, Dean HJ (2011) The maestro project: a patient navigator for the transition of care for youth with type 1 diabetes. Diabetes Spect 24: 9–13

[3] Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Spezielle Versorgungsanforderungen im Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter (transitional care). In: Koordination und Integration − Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. Sondergutachten 2009 Kurzfassung. http://www.svrgesundheit.de/fileadmin/user_upload/Gutachten/2009/Kurzfassung-2009.pdf; 73-79 (abgerufen 7. Febr. 2014)

[4] Müther S, Rodeck B, Wurst C, et al (2014) Monatsschr Kinderheilkd 162: 711

[5] Development and evaluation of a genetic education program for chronic diseases in childhood. Ernst G, Menrath I, Lange K, et al (2017) ModuS Study Group. Patient Educ Couns pii: S0738-3991(17)30001-0. doi: 10.1016/j.pec.2017.01.001 [Epub ahead of print]

Sinnig M., Dingemann J. Transition kinderchirurgischer Patienten in die Erwachsenenmedizin – eine interdisziplinäre Herausforderung. Passion Chirurgie. 2017 Mai, 7(05): Artikel 03_01.

Quelle: Nachdruck aus der Kongresszeitung des 134. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Ausgabe vom 24. März 2017, Seite 12

Autoren des Artikels

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Dr. med. Mechthild Sinnig

Kinderchirurgie/KinderurologieAuf der Bult – Kinder- und JugendkrankenhausTräger: Stiftung Hannoversche KinderheilanstaltJanusz-Korczak-Allee 1230173Hannover kontaktieren
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Priv.-Doz. Dr. med. Jens Dingemann

Medizinische Hochschule Hannover und Kinderkrankenhaus auf der Bult HannoverZentrum Kinderchirurgie HannoverCarl-Neuberg-Str. 130625Hannover kontaktieren

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