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Es gibt große Anwaltskanzleien, die Chefärzte unter anderem auch bei strittiger Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses beraten. Fragt man diese Anwälte nach Umfang und Umständen von Kündigungen, so ist die Antwort einheitlich, fast unisono. Die Zahl der strittigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aus einem Chefarztdienstvertrag nimmt erheblich, aber nicht dramatisch zu; der Stil aber, in dem diese Trennungen betrieben werden, habe sich dramatisch verschlechtert. Der Umgang mit dem Chefarzt, von dem man sich trennen möchte, sei zum Teil entwürdigend, gelegentlich juristisch fragwürdig und würde immer häufiger zu einer schwer ertragbaren Belastung für den betroffenen Chefarzt führen.

Die Kündigung eines Chefarztdienstvertrages durch den Träger hat naturgemäß regelhaft eine längere Vorgeschichte, wie immer auch die Begründung für eine Kündigung formuliert sein mag. Wir haben es uns daher zur Aufgabe gemacht, zu erfragen, wie Chefärzte die Zusammenarbeit mit ihrer Verwaltung bei noch bestehendem Arbeitsverhältnis empfinden, wie sie die Zukunft dieses Arbeitsverhältnisses sehen und wie sie die Auswirkungen auf ihre berufliche Tätigkeit für die Zukunft einschätzen. Wir wissen durch zahlreiche Mitteilungen von Chefärzten, dass es gelegentlich groteske Verhaltensweisen von Trägern Chefärzten gegenüber gibt. So gibt es die zuverlässig überlieferte Aussage des Geschäftsführers eines Klinikums seinem chirurgischen Chefarzt gegenüber: „Wenn ich möchte, dass meine Chefärzte grün aussehen, werde ich sie grün anmalen. Und übrigens: in einem Jahr sind Sie hier weg“. Tatsächlich war das Arbeitsverhältnis dann sehr bald beendet.

Wir haben daher im Herbst 2011 eine EDV-basierte Umfrage zu diesem Thema durchgeführt, bei der wir uns, um eine möglichst homogene Chefarztgruppe zu erfassen, auf Chefärzte der Facharztqualifikation Orthopädie/Unfallchirurgie konzentriert haben. Diese Umfrage wurde gemeinsam mit dem Verband der leitenden Orthopäden und Unfallchirurgen e.V. (VLOU) durchgeführt. Es wurden 608 zum Zeitpunkt der Umfrage noch aktive Chefärzte angeschrieben, der Rücklauf von 166 Antworten entspricht einem Prozentsatz von 27 %, einer bei solchen Umfragen üblichen Rücklaufquote. Neben der Antwort auf vorformulierte Fragen bestand jeweils die Möglichkeit, Ergänzungen in Freitextfeldern vorzunehmen.

Gefragt wurde zunächst nach der generellen beruflichen Zufriedenheit, noch nicht bezogen auf die Zufriedenheit über die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung (Abb. 1). Die generelle berufliche Zufriedenheit war überwiegend groß, lediglich 12 % der Befragten beurteilten das Maß ihrer Zufriedenheit mit ausreichend, schlecht oder sehr schlecht.

Die Antwort auf die Frage “Was belastet Ihre originäre ärztliche Tätigkeit am meisten?” (Abb. 2) ergab eine für uns doch überraschende Gewichtung.

Neben der bürokratischen Belastung, der Personalknappheit und den Folgen des Arbeitszeitgesetzes wurde bereits an vierter Stelle die Respektlosigkeit der Geschäftsleitung im Umgang mit dem Chefarzt angeführt. Andere, uns wichtig scheinende Belastungen, wie verminderte Patienten- oder Mitarbeiterkontakte waren dem bereits nachgeordnet. Das dokumentiert eindrucksvoll die Bedeutung der Respektlosigkeit der Geschäftsleitung für die Beeinträchtigung ärztlichen Handelns. Auf die Frage nach dem Verhältnis des Chefarztes zu seiner Geschäftsleitung (Abb. 3) ergab sich ein bedenkliches Ergebnis: Lediglich 73 % halten das Verhältnis zu ihrer Geschäftsleitung für sehr gut, gut oder befriedigend, 27 % waren durchaus anderer Meinung, 13 % beurteilten ihr Verhältnis zu ihrer Leitung als schlecht oder sehr schlecht.

91 % der Befragten war noch in der ersten Chefarztposition angestellt, 9 % hatten bereits einen Chefarztwechsel erlebt (Abb. 4), jeder zehnte Chefarzt fühlt sich von seiner Geschäftsleitung gemobbt.

Ebenfalls fast jeder Zehnte ist der Meinung, dass der Träger nur auf eine Gelegenheit wartet, um sich kostengünstig von ihm zu trennen (Abb. 5).

Im Zusammenhang mit der Frage, was denn die originäre ärztliche Tätigkeit am meisten belastet, stellten wir die Frage: „Begegnet man Ihnen mit der nötigen Wertschätzung?“.

Über ein Drittel der Befragten (Abb. 6) beklagte sich über einen erkennbaren Mangel an persönlicher Wertschätzung und die Antwort auf die Frage: „Würden Sie sich von diesen Träger noch einmal zum Chefarzt wählen lassen?“ fiel ebenfalls mit einer Verneinung von 22 % äußerst negativ aus (Abb. 7). Bezogen auf die Chefärzte nur bei privaten Krankenhausketten war die Quote mit 18 % Negativaussagen etwas, aber nicht sehr viel besser.

Von großer Bedeutung erscheint uns die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Geschäftsleitung durch den Chefarzt. Unsere Frage war daher: “Ist die Qualität Ihrer Verwaltungsorgane geeignet, Ihre Klinik dauerhaft erfolgreich im Wettbewerb zu positionieren?” Die Auswertung der Antworten ergibt ein verheerendes Bild. Fast die Hälfte der Befragten hält ihre Verwaltung für ungeeignet, ihrer originären Aufgabe nachzukommen (Abb. 8). Wertet man die Antworten bei den privaten Klinikketten separat aus, so kommt man mit „nur“ 26 % auf einen deutlich besseren Wert bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung.

Immer wieder wird berichtet, dass die Folgen offensichtlicher Fehler, insbesondere Managementfehler der Verwaltung, dem Chefarzt angelastet werden. Wir fragten daher: “Werden Folgen offensichtlicher Verwaltungsmanagementfehler Ihnen vorgeworfen?” Das „Schwarzer-Peter-Spiel“ ist offensichtlich sehr weit verbreitet: nahezu ein Drittel der Befragten (Abb. 9) berichtet, dass sie für Fehlentwicklungen in Anspruch genommen werden, für Entwicklungen, die sie selber gar nicht verursacht hatten oder verursachen konnten.

In eine ähnliche Richtung weisen die Antworten auf die Frage: “Werden nur wirtschaftlich schlechte Ergebnisse mitgeteilt?” Etwa ein Drittel der Befragten sind der Meinung, dass positive Ergebnisse zurückgehalten werden und sie lediglich mit negativen Ergebnissen konfrontiert werden.

Es ist inzwischen unübersehbar, dass die Schere zwischen den zur Verfügung gestellten personellen und sachlichen Ressourcen einerseits und Leistungsanforderungen durch die Geschäftsleitung andererseits immer weiter auseinander klafft, die geforderten Leistungszahlen mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mehr zu erbringen sind. Dieser Eindruck wird durch die Antworten auf die folgende Frage durchaus bestätigt: “Trifft es für Sie zu, dass bei eingeschränkter Personaldecke die Leistungsanforderungen durch die Geschäftsleitung erhöht werden?” Zwei Drittel der Befragten (Abb. 10) beklagten diese Tatsache, bei privaten Klinikträgern ist dieser Anteil mit 74 % sogar noch einmal deutlich höher.

Es ist naheliegend, dass wir in Anbetracht dieser bedrückend negativen Antworten gefragt haben: „Würden Sie, wenn es wirtschaftlich möglich und sinnvoll wäre, am liebsten Ihre Position als Chefarzt aufgeben?“ Die Antwort ist von großer Brisanz und hat möglicherweise Auswirkung auf zukünftige Bewerbungen um eine Chefarztposition, 36 % der Befragten (Abb. 11) bleiben nur noch oder überwiegend aus wirtschaftlichen Zwängen in ihrer Stellung.

Daraus ergibt sich folgerichtig die nächste Frage: „Was würden Sie nach einer strittigen Trennung machen?“ Die Antworten müssen uns nachdenklich stimmen.

Nur 42 % der Befragten (Abb. 12) würden noch einmal und neu die ursprünglich angestrebten Position eines chirurgischen Chefarztes annehmen, die übrigen würden eine Beschäftigung zum Beispiel als Honorararzt anstreben, sich in die Niederlassung begeben oder versuchen, andere Zukunftsperspektiven zu realisieren. Das Spektrum der Betätigungen, die 15 % der Befragten als Zukunft nach einer Trennung von ihrem derzeitigen Arbeitgeber nennen, ist breit und dokumentiert Enttäuschung und Resignation, aber auch Phantasie und Gestaltungswillen (Abb. 13).

Fazit

Aus den Antworten auf unsere Fragen ist eine hohe Unzufriedenheit mit der Tätigkeit der ärztlichen Leitung einer chirurgischen Abteilung/Klinik zu erkennen, das macht partiell den Eindruck einer bereits eingetretenen Resignation. Die Enttäuschung über das schwierige Verhältnis zur Geschäftsleitung ist offensichtlich riesengroß. Die Beeinträchtigung ärztlichen Handelns durch eine unwillige und/oder unfähige Geschäftsleitung ist örtlich verschieden stark ausgeprägt, aber insgesamt offensichtlich. Sie erschwert dem Chefarzt in beträchtlichem Maße verantwortungsvolles ärztliches Handeln, sie macht es ihm in zunehmendem Umfang immer schwieriger, seine eigentliche ärztlichen Aufgabe wahr zu nehmen, nämlich dem Wohle des Patienten zu dienen. Er empfindet sich immer mehr als ärztlicher Erfüllungsgehilfe in der Wertschöpfungskette des Trägers.

Es ist allerhöchste Zeit, dass von allen Beteiligten erkannt wird, dass das oberste Ziel ärztlichen Handelns das Wohl des Patienten ist. Wirtschaftlicher Erfolg einer Klinik kann immer nur das Mittel für eine finanzierbare ärztliche und pflegerische Versorgung sein. Wirtschaftlicher Erfolg der Klinik ist nicht das Ziel sondern ein – zweifelsfrei notwendiges – Mittel.

Wir arbeiten nicht in Instituten zur Mehrwertschöpfung, sondern in Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Es ist ganz offensichtlich aus dem Fokus vieler Krankenhausverwaltungen verschwunden, dass Patienten dasjenige Krankenhaus aufsuchen, von dessen ärztlicher und pflegerischer Zuwendung und Leistung sie überzeugt sind. Noch nie hat ein Patient für seine Behandlung ein Krankenhaus ausgewählt, weil dort die Geschäftsleitung gut sei. Er hat allenfalls realisiert, dass die Geschäftsleitung kompetent genug ist, um eine angemessene ärztliche und pflegerische Versorgung sicherzustellen.

Dem Ziel „prima lex salus aegroti“ sind alle an der Gesundheitsversorgung beteiligten Partner verpflichtet; mancher Ökonom hat ganz offensichtlich andere, für uns Ärzte nicht erträgliche Zielvorstellungen. Dem müssen wir wegen des „salus aegroti“ widerstehen und diesen Widerstand auch offen und öffentlich vortragen. Die Kranken und Verletzten, die Hilfsbedürftigen also, werden auf unserer Seite sein.

Und deren Zahl wird – schon aus Gründen der Demographie – dramatisch zunehmen!

Mischkowsky T. Spannungsverhältnis Chefarzt – Geschäftsleitung. Passion Chirurgie. 2012 März; 2(03): Artikel 02_02.

Autor des Artikels

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Prof. Dr. med. Tilman Mischkowsky

BDC-Vertreter in der Projektgruppe „Ökonomie und Ethik“ehem. vizepräsident des BDCMitglied der AOTrauma DeutschlandDüwellstr. 1787435Kempten kontaktieren

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