01.02.2011 Safety Clip
Safety-Clip: Wird die Patientenversorgung sicherer?
Was bringen Initiativen zum klinischen Risikomanagement
Studien zum klinischen Risikomanagement
Richtungsweisend war sicher die Studie von Haynes et al. aus dem Jahr 2009 zur Einführung der Surgical Safety Checklist, mit der die Wirkung einer OP-Checkliste nachgewiesen werden konnte. Die Mortalitätsrate lag vor Einführung durchschnittlich bei 1,5 Prozent und danach bei 0,8 Prozent. Die Komplikationsrate konnte von 11 Prozent auf 7,0 Prozent reduziert werden. Die Drei-Phasen-Checkliste (OP-Vorbereitung/Team-Time-out/OP-Nachsorge) kommt im deutschsprachigen Bereich mittlerweile, häufig in einer bedarfsgerecht angepassten Version, in vielen OP-Sälen zum Einsatz.
Semel et al. führten 2010 eine Kosten-Wirksamkeitsanalyse der OP-Checkliste in der Chirurgie durch. Sie entwickelten ein entscheidungsanalytisches Modell und untersuchten damit die Kosten relativ zum Nutzen der Implementierung und des systematischen Einsatzes von Checklisten. Die Studie zeigt, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit auch erhebliche kostensparende Wirkungen haben können. Grundsätzlich sollte jedoch der gesellschaftliche Nutzen, insbesondere für die Patienten, bei der Entscheidung über die Einführung sicherheitsfördernder Maßnahmen im Vordergrund stehen.
Sax et al. untersuchten 2009 die Auswirkungen eines multidisziplinären, teamorientierten Crew Ressource Managements (CRM) in den USA über eine Zeitdauer von vier Jahren. Die Studie zeigt, dass durch CRM positive Veränderungen in drei Punkten erzielt werden konnten:
- bei der Häufigkeit der Nutzung einer perioperativen Checkliste;
- bei der Häufigkeit der Meldung von kritischen Ereignissen (critical incidents);
- bei der Steigerung des Empowerments der Mitarbeiter.
Im Jahr 2008 untersuchten Kline et al. 8.000 Krankenhausfälle in drei Spitälern und 40 Abteilungen. Sie verknüpften Datensätze von kritischen Ereignissen mit Patientendaten, Personalbefragungen zur Sicherheitskultur sowie mit Behandlungskosten und stellten dabei einen Zusammenhang zwischen der abteilungsspezifischen Sicherheitskultur und der Schwere der Patientenschädigungen fest. Je höher die Sicherheit, desto geringer waren die Patientenschädigungen ausgeprägt.
Fukuda et al. untersuchten 2009 den Zusammenhang zwischen organisatorischen Voraussetzungen und Strukturen in Lehrkrankenhäusern mit dem Niveau der Patientensicherheitsinitiativen. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis,
- dass die Aktivitäten deutlich in solchen Einrichtungen steigen (30 Prozent), die spezifisch verantwortliches Vollzeitpersonal beschäftigen,
- dass Einrichtungen, die profitabel arbeiten, mit höherer Durchdringung Patientensicherheitsprogramme etablieren,
- dass die finanzielle Last dieser Aktivitäten für kleine Krankenhäuser ungleich höher ist als für große
- und dass ein institutioneller Führungsmangel die Entwicklung von Patientensicherheitsaktivitäten negativ beeinflusst.
Wolff et al. verfolgten mit ihrer Untersuchung in Australien 2001 das Ziel, zu überprüfen, ob ein integriertes Programm zur Erkennung und Reduktion von adverse events zu einem spürbaren Rückgang dieser Ereignisse führen kann. Die Autoren untersuchten die Dokumentationssysteme und Incident Reports von 49.834 stationär und 2.005 ambulant behandelten (Notfall-)Patienten.
Bei stationär untergebrachten Patienten sank die Risikoquote von 1,35 Prozent auf 0,74 Prozent und bei ambulanten Patienten konnte sie von 3,26 Prozent auf 0,48 Prozent reduziert werden. Die Autoren resümieren: „Adverse patient events can be detected, and their frequency reduced, using multiple detection methods and clinical improvement strategies as a part of an integrated clinical risk management program”.
Steyrer et al. erstellten im Jahre 2008 eine Stärken- und Schwächenanalyse der Sicherheitskultur in Krankenhausabteilungen. Mit dem Wiener Sicherheitskultur-Fragebogen wurden in neun Fachabteilungen Mitarbeiter zu Ihrer Einschätzung der Sicherheitskultur befragt.
Untersucht wurden sechs Abteilungen, in denen Risikomanagement-Audits durchgeführt wurden und ein Fehlermeldesystem (CIRS) eingeführt worden war, und drei Abteilungen, die ohne Audit und CIRS arbeiteten. Der Fragebogen wurde jeweils in einer Phase vor dem Risikoaudit und in einer definierten Phase nach dem Evaluationsaudit verteilt. Zur gleichen Zeit wurden die Fragen auch in den Non-CIRS-Abteilungen gestellt.
Die CIRS-Gruppe verbesserte sich deutlich in folgenden Kategorien:
- Kommunikation und Zusammenarbeit in puncto Patientensicherheit
- Einstellung gegenüber dem Fehlermanagement
- persönliche Übernahme von Verantwortung
- Bewertung der initiierten Sicherheitsbemühungen
- Kenntnis konkreter Problembereiche.
Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass die letztgenannte Gruppe besonders positive Befunde zeigt, dass also die Einführung von CIRS eine Verbesserung der Sicherheitskultur mit sich bringt.
Patientensicherheit weltweit ein innovatives Forschungsfeld
Der Querschnitt der exemplarisch dargestellten Untersuchungen zeigt, dass im Bereich der Patientensicherheit weltweit ein innovatives Forschungsfeld entsteht. Mit der Gründung des Instituts für Patientensicherheit (IfPS) in Bonn wurde auch in Deutschland ein institutioneller Rahmen geschaffen, der den Forschungsprozess in diesem wichtigen Feld hoffentlich fördern wird und der auch in Anspruch genommen wird.
Wir sind den Evidenznachweis von Patientensicherheitsaktivitäten den Patienten und nicht zuletzt den engagierten Mitarbeitern schuldig.
Literatur
Fukuda, H; Imanaka, Y; Hirose, M; Hayashida, K (2009). Factors associated with system-level activities for patient safety and infection control, Science Direct, Health policy, 89, S.26-36
Haynes, A, B et al. (2009). A Surgical Safety Checklist to reduce Morbidity and Mortality in a global Population, New England Journal of Medicine, 29. Januar 2009, 360:491-9
Kline, T, Willness, C, Ghali, W (2008). Determinants of adverse events in hospitals – the potential role of patient safety culture, Journal of Healthcare Quality, 30,2 008, 11-16
Sax, HC, Browne P, Mayewski RJ et al.(2009). Can aviation-based team training elicit sustainable behavioral change? Archives of Surgery; 144: 1133-1137
Semel ME, Resch S, Haynes AB et al. (2010). Adopting a surgical checklist could save money and improve the quality of care in U.S. hospitals, Health Affairs 2010; 29: 1593-1599
Steyrer, J.(2008). Stärken-/Schwächenanalyse der Sicherheitskultur im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV); in Beitrag zur Optimierung der Patientensicherheit, Forschungsinstitut für Gesundheitsmanagement und Gesundheitsökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien
Wolff, A, Bourke, J, Campbell, I, Leembruggen, D (2001). Detecting and reducing hospital adverse events: outcomes of the Wimmera clinical risk management program, MJA 2001; 174, S. 621-625
Gausmann P. Wird die Patientenversorgung sicherer? Passion Chirurgie. 2011 Feb; 1 (2): Artikel 03_03.
Autor des Artikels
Dr. Peter Gausmann
GeschäftsführerGRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHEcclesiastraße 1-432758Detmold kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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