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Welttag Patientensicherheit: Motto „Medication without harm“

In diesem Jahr widmet die Weltgesundheitsorganisation WHO den Welttag zur Patientensicherheit dem Thema „Medikation ohne Schaden“ – „Medication without harm“. Unter der Überschrift „Mach Dich stark für Patientensicherheit: Sichere Medikation“ richtet das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) den Fokus auf den hochkomplexen Prozess der Arzneimitteltherapie.

In der Pressekonferenz zum Welttag der Patientensicherheit, der jährlich am 17. September stattfindet, gingen die Vorstandsmitglieder des APS (Dr. Ruth Hecker, Constantin Grosch und Dr. Peter Gausmann) sowie Birgit Vogt, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Referentin Arzneimitteltherapiesicherheit im Bereich Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft der Bundesärztekammer gezielt auf die folgenden Aspekte ein:

  • Wie sicher ist die Arzneimitteltherapie?
  • Wie können Patientinnen und Patienten selbst zu ihrer sicheren Versorgung mit Arzneien beitragen – Patient Empowerment?
  • Wie kann Digitalisierung zu mehr Sicherheit im Umgang mit Medikamenten beitragen?
  • Wie trägt Teamarbeit zu einer erhöhten Arzneimitteltherapiesicherheit bei?

Die genannte Zahl von 250.000 Krankenhauseinweisungen aufgrund von Medikationsfehlern zeigt, dass ein Handlungsbedarf für mehr Sicherheit im Umgang mit Medikamenten besteht – auch zu Hause. Fehleinnahmen – wie zum Beispiel Vergessen der Einnahme, falscher Einnahmezeitpunkt oder falsches (verwechseltes) Medikament – führen zu dieser hohen Anzahl an Vorkommnissen. Dr. Ruth Hecker verwies auf eine norwegische Studie, die belege, dass 18,2 Todesfälle im Krankenhaus auf Medikamentenfehler, Schlagwort „Polypharmazie“, zurückzuführen seien. Wenn Patientinnen und Patienten dauerhaft viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen, spricht man von „Polypharmazie“. Dabei steigt das Risiko für arzneimittelbezogene Probleme wie unerwünschte Arzneimittelwirkungen stark an.

Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, stellt in einer Pressemitteilung vom 2. März 2021 heraus: „Wir haben bei polymedikamentierten Patientinnen und Patienten echte Versorgungslücken. Teilweise bleiben Wechselwirkungen zwischen ihren Medikamenten unentdeckt, auch weil längst nicht alle einen Medikationsplan haben. Und wenn sie einen haben, ist er oft weder vollständig noch korrekt. Vielfach stimmt der Plan nicht mit dem überein, was der Patient aktuell einnimmt. Es ist höchste Zeit, dass das Problem angegangen wird.“

Auch ein Jahr später wird auf diesen Aspekt des „unzureichenden Medikationsplans“ im Rahmen der Pressekonferenz des APS in Berlin eingegangen. Folglich sind Verbesserungen noch nicht zufriedenstellend erreicht worden.

Der vorliegende Artikel richtet sich im Weiteren auf die Wichtigkeit des Prozesses „Arzneimitteltherapie in der klinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten“, um aktiv Patientenschäden zu vermeiden. Welche Möglichkeiten der Prozessoptimierung gibt es? Erfahrungen aus Schadendaten, Erkenntnisse aus Audits in Krankenhäusern sowie Handlungsempfehlungen aus nationalen und internationalen Empfehlungen dienen als Grundlage, um effektive Präventionsmaßnamen zur Arzneimitteltherapiesicherheit aufzuzeigen. Im Folgenden werden einige vorbeugende Maßnahmen exemplarisch dargelegt, die eine Anregung für die Etablierung in der Krankenhauspraxis darstellen solle. Sie reichen von der Anamnese über Anordnung, Vorbereitung, Verteilung und Verabreichung bis hin zur Entlassung der Patientin oder des Patienten. Die Anregungen berücksichtigen auch Aspekte, die in der Pressekonferenz des APS zum Welttag der Patientensicherheit „sichere Medikation”, diskutiert wurden.

Beispiele für effektive Prävention

Anamnese und Kontrolle

  • Bei jeder Patientin und jedem Patienten wird im Rahmen der Aufnahme eine strukturierte und vollständige ärztliche Anamnese erstellt.
  • Bei jeder Patientin und jedem Patienten wird im Rahmen der Aufnahme eine strukturierte und vollständige Pflegeanamnese erstellt.
  • Die elektronische Patientenakte stellt eine vollständige Erhebung aller erforderlichen, relevanten Anamnesedaten sicher.
  • Es ist ein abgestimmtes Verfahren zur Arzneimittelanamnese etabliert:
    Wer erfragt die Vormedikation der Patientin beziehungsweise des Patienten?
    Wo beziehungsweise an welcher Stelle wird die Vormedikation dokumentiert?
    Wird der (vorliegende) Medikationsplan der Patientin oder des Patienten für die Arzneimittelanamnese und -anordnung zugrunde gelegt und auf Aktualität geprüft?
    Werden Medikamente, die eine besondere Relevanz für die weitere Behandlung haben, zum Beispiel Antikoagulanzien, gezielt erfragt?
    Werden bestehende Arzneimittelunverträglichkeiten erfragt und an definierter Stelle in der elektronischen Dokumentation festgehalten?
    Ist die Angabe, ob eine Unverträglichkeit eines Medikaments vorliegt oder nicht, als Pflichtfeld in der elektronischen Patientenakte definiert?
    Werden die Arzneimitteltherapieanamnese sowie die Weiterverordnung der Vormedikation (inklusive Ersatzpräparate) von der aufnehmenden Ärztin/dem aufnehmenden Arzt und der Apothekerin/dem Apotheker geprüft, beziehungsweise erfolgt die Prüfung in Abstimmung mit der Apothekerin/dem Apotheker und wird an definierter Stelle von beiden Personen in der Dokumentation quittiert?

Anordnung und Kontrolle

  • Elektronische Medikationsanordnungen enthalten alle relevanten Angaben, wie zum Beispiel Medikamentenname, Dosierung, Applikationsart.
  • Zu den im Krankenhaus verfügbaren Medikamenten liegen Informationen zur Medikamentenzubereitung und Verabreichung vor (Austauschpräparate, Dosierungstabellen, Kompatibilitätshinweise, Antidots u. a.).
  • Eine funktionsfähige IT-Schnittstelle zwischen der elektronischen Patientenakte und dem Apothekenprogramm ist eingerichtet. Die Programme kommunizieren so miteinander, dass keine Informationslücken entstehen.
  • Das elektronische Verordnungsprogramm beugt Dosierungsfehlern vor. Zum Beispiel lassen sich Hochrisikoarzneien wie Methotrexat (MTX) nur im wöchentlichen Intervall anordnen beziehungsweise es sind IT-technisch Sicherheitsbarrieren eingerichtet, die Dosierungsfehlern vorbeugen.
  • Der Zeitpunkt und die Art bei Medikationsänderung sind nachvollziehbar in der elektronischen Patientenakte ersichtlich.
  • Es finden Medikationsvisiten gemeinsam mit der Apothekerin oder dem Apotheker statt. Bei Unstimmigkeiten wird dies im Behandlungsteam kommuniziert.
  • Bei Entlassung erhält der Patient oder die Patientin einen detaillierten und individuellen Medikationsplan.

Vorbereitung, Verteilung, Verabreichung und Kontrolle

  • Die „Unit-Dose-Versorgung“ wird praktiziert. Das Prozedere der Verteilung per Unit-Dose ist geregelt.
  • Mitarbeitende des Pflegeteams prüfen die sachgerechte Zusammenstellung der Medikation vor Weitergabe an die Patientin oder den Patienten.
  • Anhand der elektronischen Patientenakte ist nachvollziehbar, welche Medikamente der Patientin oder dem Patienten ausgehändigt oder verabreicht wurden. Die ausführende Person ist in der elektronischen Akte verifizierbar.
  • Alle Patientinnen und Patienten erhalten ein Patientenarmband zur Identitätssicherung. Eine aktive Patientenbefragung inklusive Abgleich mit dem Namensband erfolgt bei Übergabe der Medikation beziehungsweise Applikation.
  • Bei Injektionen ist das Verfahren „Stop-Injekt-Check“ etabliert.

Kommunikation, Information und Schulungen

  • Das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit ist fester Bestandteil von stattfindenden Schulungen in der Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden.
  • Im jährlichen Fort- und Weiterbildungskatalog ist das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit fester Bestandteil.
  • Aktuelle Themen im Kontext Arzneimitteltherapiesicherheit werden den Mitarbeitenden unmittelbar vermittelt, zum Beispiel während der Übergaben und Abteilungsbesprechungen.
  • Die Mitarbeitenden nutzen das Critical Incident Reporting System zur Erfassung von Zwischenfällen oder Beinahe-Ereignissen unter anderem im Zusammenhang mit Arzneien.
  • Die Mitarbeitenden werden regelmäßig über Erkenntnisse zur Verbesserung im Umgang mit Arzneien informiert.
  • Es finden interne prozessbezogene Audits zur Arzneimitteltherapiesicherheit statt. Die Umsetzung der daraus abgeleiteten Verbesserungsmaßnahmen wird evaluiert und nachgehalten. Die Wirksamkeit etablierter Maßnahmen wird dabei ebenfalls überprüft.
  • Eine Fehlerkultur ist etabliert und es wird offen bei Problemen im Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie kommuniziert.

Patient Empowerment

  • Im Rahmen der Patientenaufnahme und Anamnese wird die Patientin oder der Patient aktiv dazu ermuntert, eine „Partnerrolle“ einzunehmen und Fragen, Bedenken, Beobachtungen und Abweichungen jederzeit während des Aufenthaltes anzusprechen.
  • Die Patientinnen und Patienten erhalten bei Aufnahme einen Informationsflyer (orientiert am APS-Material), in dem fünf Fragen zur Medikamentensicherheit aufgeführt sind:
    1.Was ändert sich bei meinen Medikamenten?
    2.Wie fühle ich mich mit meinen Medikamenten?
    3.Wie wende ich meine Medikamente richtig an?
    4.Wirken die Medikamente, wie sie sollen?
    5.Wie ist das weitere Vorgehen?

Fazit

Medikationsfehler gehören zu den Hauptursachen für vermeidbare Schäden im Gesundheitswesen. Die zuvor exemplarisch aufgeführten Präventionsmaßnahmen können derartigen Fehlern vorbeugen und dienen als Orientierung, um eine bestmögliche Sicherheit in der Arzneimitteltherapie zu gewährleisten.

Voraussetzung für die Umsetzung und Einhaltung (Compliance) von krankenhausintern implementierten Präventionsmaßnahmen ist jedoch, dass auch die geeigneten Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen. Zu den Rahmenbedingungen gehört auch, dass die Personaleinsatzplanung eine sichere Patientenversorgung im Tagdienst, im Nachtdienst und an den Wochenenden ermöglicht. Personalmangel kann die Patientensicherheit beeinträchtigen. Der menschliche Faktor ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Prävention!

In der finanziellen und personellen Situation, in der sich Krankenhäuser aktuell befinden, ist es eindeutig nicht leicht, immer die entsprechenden personellen Voraussetzungen qualitativ und quantitativ sicherzustellen. Dennoch sollten alle Beteiligten aufmerksam sein.

Literatur

[1]   Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. / AG AMTS / 08.2022, www.aps-ev.de., Presseinformation „5 Fragen, wenn es um Ihre Medikamente geht“ Pressemappe anlässlich des Welttags der Patientensicherheit 2022 in Berlin, 14.09.2022
[2]   Asklepios Kliniken GmbH & Co. KGaA – Exposé STOP-INJEKT CHECK, 16.11.2018

Fleischer M: Safety Clip: „Sichere Medikation“: Fehlervermeidungsstrategien im Prozess der Arzneimitteltherapie. Passion Chirurgie. 2022 Dezember; 12(12): Artikel 04_02.

Autor des Artikels

Profilbild von Marsha Fleischer

Marsha Fleischer

Diplom-KauffrauQualitätsmanagerin und RisikoberaterinGRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHKlingenbergstr. 4,32758Detmold kontaktieren

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