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Fachübergreifender Bereitschaftsdienst nur unter engen Voraussetzungen zulässig

Die Praxis, einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst einzurichten, ist keine Einzelerscheinung mehr, sondern sie scheint in deutschen Krankenhäusern in Zeiten zunehmenden wirtschaftlichen Drucks deutlich zuzunehmen. Zur Begründung wird meist auf kostensparenden Personaleinsatz aufgrund ökonomischer Zwänge verwiesen.

Derartige fachfremde Bereitschaftsdienste sind nach einer gerichtlichen Entscheidung zumindest in Kombination mit einer fachärztlichen Rufbereitschaft nicht per se verboten, jedoch sind sie unter dem Aspekt der zivil- und strafrechtlichen Haftung mit einem Risiko für die verantwortlichen Personen verbunden. Das Haftungsrisiko betrifft sowohl den organisationsverantwortlichen Chefarzt bzw. die Krankenhausverwaltung als auch die ausführenden Ärzte.

In einem Urteil des Landgerichts (LG) Augsburg vom 30.09.2004 (Az 3 KLs 400 Js 109903/01, Arztrecht 2005, 205 ff.) ist im Rahmen eines Strafverfahrens zu dieser Problematik Stellung genommen worden.

Zum Sachverhalt

Bei der Patientin wird komplikationslos eine subtotale Strumaresektion beidseits durchgeführt. Nach postoperativer Überwachung wird sie auf die chirurgische Normalstation verlegt. In der Nacht obliegt der Bereitschaftsdienst in der Klinik und auch in der chirurgischen Station fachübergreifend dem eingeteilten Assistenzarzt der internistischen Abteilung. Im Hintergrund steht der Oberarzt der chirurgischen Abteilung zur Hinzuziehung in Rufbereitschaft zur Verfügung.

Am frühen Abend sind die Radondrainagen bei der Patientin jeweils mit 200 ml Blut gefüllt. Ihr Blutdruck ist mit 170/80 mmHG erhöht. Der Assistenzarzt lässt daraufhin den Hb-Wert bestimmen und legt einen zusätzlichen venösen Zugang. Eine Blutdruckmessung und die Überwachung der Atmung werden jedoch nicht angeordnet. Trotz entsprechendem Hinweis der Nachtschwester sieht der Assistenzarzt keine Veranlassung, die Patientin auf die Intensivstation zu verlegen oder den Hintergrunddienst zu informieren.

Eine halbe Stunde später hat sich der Zustand der Patientin bereits lebensbedrohlich verschlechtert. Der Assistenzarzt nimmt eine Intubation vor – die Staatsanwaltschaft wird später davon ausgehen, dass hier eine Fehlintubation in die Speiseröhre erfolgt ist. Die wenig später eintreffende Anästhesistin führt eine Umintubation durch. Unmittelbar darauffolgend kommt es zum Herzstillstand. Gut zwanzig Minuten später setzt die Herztätigkeit nach aufgenommener Reanimationsmaßnahme wieder ein.

Der nun informierte Hintergrunddienst tritt 15 Minuten später zur Behandlung hinzu und beginnt sogleich mit einer Revisionsoperation. Auf der rechten Seite findet sich eine spritzende Blutung aus der Arterie des oberen Schilddrüsenpols, die operativ versorgt wird.

Infolge der mangelnden Sauerstoffversorgung erleidet die Patientin einen hypoxischen Hirnschaden und befindet sich seither im Wachkoma. Eine Aussicht auf Besserung besteht nicht.

Das Urteil

Der Chefarzt der chirurgischen Abteilung wird wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, da er, so die richterliche Begründung, im Sinne eines Organisationsverschuldens die an ihn als Chefarzt zu stellende Sorgfaltspflicht verletzt habe. Er habe versäumt, für geeignete organisatorische Maßnahmen zu sorgen, wodurch die eingetretene Komplikation bei der Patientin zeitgerecht hätte erkannt und behoben werden können.

Dem ausführenden Assistenzarzt werden fehlerhafte Behandlungsmaßnahmen angelastet. Zudem hätte er, so die Richter, erkennen können und müssen, dass es frühzeitiger fachkompetenter Unterstützung zur Bewältigung der eingetretenen Komplikationen bedurfte.

Der Assistenzarzt entgeht letztlich einer Verurteilung, da das Verfahren gegen ihn gemäß § 153a StPO nach Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 3000 € eingestellt wird.

Das Gericht sieht das Verhalten des Chefarztes als Ursache dafür an, dass der Internist die Komplikation nach der Schilddrüsenoperation nicht richtig einordnete und die Patientin daraufhin einen hypoxischen Hirnschaden erlitt.

Nach Auffassung des Gerichts hat das Fehlverhalten des Assistenzarztes deutlich gemacht, dass dieser, da ihm die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten fehlten, nicht alleinig im Nachtdienst des Krankenhauses hätte eingesetzt werden dürfen. Aufgrund der bekannten Risiken nach Schilddrüsenoperationen hätte der Chefarzt wissen müssen, dass die Einteilung eines Assistenzarztes der Inneren Abteilung im fachübergreifenden Bereitschaftsdienst ein nicht vertretbares Risiko für Patienten an sich darstelle. Es wäre daher seine Pflicht gewesen, die Geschäftsführung darauf hinzuweisen, dass „wirtschaftliche Überlegungen die Bereitstellung zweier paralleler Bereitschaftsdienste rund um die Uhr nicht verhindern dürfen, soll nicht das Leben und die Gesundheit der Patienten gefährdet werden.“

Der Chefarzt, so das Gericht, hätte im konkreten Fall nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Assistenzarzt die medizinische Situation richtig einschätzt und den Hintergrunddienst informiert. Diese Meinung vertreten die Richter ungeachtet des allgemein herrschenden Konsenses, nach dem der Vertrauensgrundsatz dort, wo gefahrträchtige Handlungen arbeitsteilig vorgenommen werden, generell die Sorgfaltspflichten begrenzen kann. Dies gilt gerade auch bei ärztlicher Behandlung. Die sorgfaltsbegrenzende Wirkung liegt darin, dass der Chefarzt für Sorgfaltsmängel anderer Ärzte bei delegierten Aufgaben nicht einstehen muss, wenn die Ärzte für die jeweiligen Aufgaben hinreichend qualifiziert sind und wenn Fehler durch eine besondere Anleitung ausgeglichen werden können.

An dieser Voraussetzung, so die Begründung der Richter, fehle es aber gerade in diesem konkreten Fall. Der im Bereitschaftsdienst tätig gewordene Assistenzarzt habe nicht die erforderliche Qualifikation besessen, um die vorliegende Notsituation korrekt einzuschätzen. Seine Fehlinterpretation der persistierenden Blutung sei darauf zurückzuführen gewesen, dass es sich um eine für ihn als Internisten fachfremde Komplikation handelte. Die inadäquate Reaktion sei daher vorhersehbar gewesen.

An der Vorhersehbarkeit hätte auch eine allgemeine mündliche Dienstanweisung des Chefarztes, den chirurgischen Hintergrunddienst bereits bei geringsten Komplikationen einzuschalten, nichts geändert. Denn eine solche Dienstanweisung, so das Gericht weiter, wäre hier ins Leere gegangen, weil der Bereitschaftsarzt infolge mangelnder Kenntnis die Anzeichen einer Komplikation gar nicht erkannt hätte.

Darüber hinaus begründe die Chefarztstellung eine Garantenstellung gegenüber Patienten – hier: der geschädigten Patientin – in der Gestalt, dass geeignete organisatorische Vorkehrungen für eine gefahrenadäquate postoperative Versorgung auch während des Bereitschaftsdienstes gegeben sein müssen, um Fehler bereits im Vorfeld beheben zu können.

Der Chefarzt, so das LG, hätte entweder anordnen müssen, dass Schilddrüsenpatienten 24 Stunden nach der OP auf der Intensivstation bleiben müssen oder dass derartige Eingriffe, wenn sie zeitlichen Aufschub dulden, nur an Tagen durchgeführt werden, an denen ein Chirurg Bereitschaftsdienst hat. Zumindest hätte der Chefarzt aber dafür sorgen müssen, dass der Bereitschaftsdienst mit der OP einhergehende Nachblutungen wie im vorliegenden Fall zu erkennen vermag.

Schlussfolgerung

Das Urteil des LG Augsburg zeigt, dass bei der Einrichtung eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes klar definierte Vorgaben erfüllt sein müssen, um etwaigen Haftungsproblemen aus dem Weg gehen zu können.

Klar muss dabei sein, dass der Patient aus dem Behandlungsvertrag des Krankenhauses einen Anspruch auf eine ärztliche Betreuung hat, die dem Standard eines Facharztes entspricht. Auch bei Übertragung ärztlicher Tätigkeiten darf daher für den Patienten kein erhöhtes Risiko entstehen.

In der Literatur werden mittlerweile verschiedene Kriterien für einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst diskutiert. Weder handelt es sich dabei um bereits verbindliche Richtlinien, noch kann die vollständige Einhaltung eine Haftung garantiert ausschließen. Für verbindlichere Vorgaben werden weitere höhergerichtliche Entscheidungen sowie wissenschaftliche Diskussionen abzuwarten sein:

  • Keine fachübergreifenden Bereitschaftsdienste in Anästhesiologie und geburtshilflich-gynäkologischer Abteilung: Mögliche Komplikationen erfordern aufgrund ihrer Schwere sofortige Reaktionsbereitschaft und besondere Fachkenntnis.
  • Möglichkeit einer sofortigen fachspezifischen Behandlung in Universitätskliniken und Akutkrankenhäusern/Spezialkliniken; daher Besetzung immer fachspezifisch: Ein Patient, der sich in solche Häuser begibt, geht von 24-stündiger Facharztbetreuung aus.
  • Keine Zulassung von Berufsanfängern im Bereitschaftsdienst: Die aus mangelnder Erfahrung entstehenden Fehler sind nicht zu kalkulieren.
  • Operation von Risikopatienten nur an Tagen, die nicht vor einer Nacht mit fachübergreifendem Bereitschaftsdienst liegen.
  • Fachübergreifender Bereitschaftsdienst nur bei artverwandten Fächern (z.B. Orthopädie/Chirurgie).
  • Zeitspanne, bis der Hintergrunddienst vor Ort ist, nicht länger als 20 Minuten; qualifiziertes Fachpersonal muss vor Ort sein.
  • Genaue Anweisungen für den Bereitschaftsdienst: Was ist bei dem Patienten zu beachten, wie ist der Gesundheitszustand, welcher Eingriff wurde vorgenommen?
  • Schriftliche Dienstanweisung des Krankenhausträgers/Chefarztes: Bei welcher Indikation ist der Hintergrunddienst zu informieren, wie ist bei bestimmten Krankheitsbildern vorzugehen?
  • Fortbildung der diensthabenden Ärzte: Aktualisieren des allgemeinen medizinischen Wissens, Vorbereitung auf mögliche fachspezifische Komplikationen.

Bei Erfüllen dieser Kriterien können haftungs- und strafrechtliche Risiken für einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst zumindest minimiert werden.

Kruse-Rasmussen C. Safety Clip: Haftungsrisiko für Chefarzt und Krankenhausverwaltung. Passion Chirurgie. 2012 Januar; 2(1): Artikel 03_03.

Autor des Artikels

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Camilla Kruse-Rasmussen

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