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Das perioperative Management chronisch antikoagulierter Patienten ist seit jeher eine Quelle erhöhter Morbidität. Neben dem allgemeinen Risiko können auch mangelnde Kenntnis der Pharmakokinetik von Antikoagulantien sowie eine Über- oder Unterschätzung des operativen Blutungsrisikos zu folgenschweren Komplikationen führen. Diese werden nachfolgend nicht selten als Behandlungsfehler reklamiert. Derzeit etabliert sind – nun seit mehr als 30 Jahren – Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocuoumon, Warfarin) für die Primärprävention von Thrombembolien bei Vorhofflimmern, zur Sekundärprophylaxe nach Bein/Beckenvenenthrombose und Lungenembolien sowie zur Behandlung von Herzklappenträgern.

CAVE: Die neuen Antikoagulantien

Aktuell wird die Situation durch die Zulassung neuer Antikoagulantien noch komplexer. Im September 2011 wurde der direkte Thrombininhibitor Dabigatran zur Thrombembolieprophylaxe des nicht-valvulären Vorhofflimmerns zugelassen. Im Dezember 2011 folgte der orale Xa-Inhibitor Rivaroxaban (nicht valvuläres Vorhofflimmern, Therapie von Phlebothrombosen, Rezidivprophylaxe der Lungenembolie). In Kürze ist mit der Einführung des Xa-Antagonisten Apixaban und nach Publikation einer positiven Zulassungsstudie auch mit Edoxaban zu rechnen.

Das Problem hat die Kliniken bereits erreicht und zu ersten Komplikationen geführt: Der Stationsarzt einer chirurgischen Abteilung etwa hatte bei einer Patientenaufnahme aus Unkenntnis über die neuen Antikoagulantien keinen entsprechenden Medikamentenabgleich vorgenommen. Neben der vorbestehenden Medikation wurde zusätzlich der „abteilungsübliche“ Gerinnungshemmer angesetzt – ohne das vom Patienten mitgebrachte „unbekannte“ Medikament abzusetzen. Der Patient musste nach drei Tagen wegen Überdosierung intensivmedizinisch behandelt werden. Erst zu diesem Zeitpunkt klärte sich die Ursache.

Gerinnungsmanagement: Gesicherte Daten vs. Expertenmeinung

Im Hinblick auf das perioperative Management chronisch antikoagulierter Patienten ist die Datenlage seit jeher spärlich: Wer braucht überhaupt eine Überbrückung („Bridging“)? Wann reicht ein pragmatisches Pausieren der Antikoagulation aus? Wie hoch ist das Blutungsrisiko der geplanten Intervention? Welches Zeitfenster ist bei den neuen Antikoagulantien zu beachten? In Ermangelung kontrollierter Studien muss hier überwiegend auf Expertenmeinungen zurückgegriffen werden. In diesem Zusammenhang wurde 2010 ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie über die „Unterbrechung antithrombotischer Behandlung („Bridging“) bei kardialen Erkrankungen“ publiziert, das als Grundlage für das Management der Patientensicherheit in diesem Szenario dienen kann [1].

Aktuelle Empfehlungen

Demnach werden Interventionen mit geringem und hohem Blutungsrisiko unterschieden (Tab. 1, 2). Für die Überbrückung wird das individuelle Thrombembolie-Risiko des Patienten kalkuliert. Letzteres erfolgt für Vorhofflimmern mittels Thrombembolie-Risiko-Score („CHADS2-Score“, Tab. 3). Diesen hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie im Oktober 2010 revidiert [2]. Je nach Blutungs- und Thrombembolie-Risiko wird die notwendige Strategie für das „Bridging“ festgelegt (Tab. 4, 5 6).

Tab. 1: Intervention mit hohem Blutungsrisiko (modifiziert nach [1])

Große abdominale und intrathorakale OP sowie komplexe Tumorchirurgie
ACVB- und Gefäß-OP inkl. Herzklappenersatz
Neurochirurgische Eingriffe
Große orthopädische OP (z.B. Hüft-TEP)
Blasen- und Prostata-OP
Punktion nicht komprimierbarer Gefäße
Endoskopische Polypektomie, Papillotomie, Laserablation/Koagulation, Feinnadelaspiration, pneumatische Bougierung, PEG-Anlage, Varizenbehandlung, Sphinkterotomie

Tab. 2: Intervention mit niedrigem Blutungsrisiko (modifiziert nach [1])

Herniotomie und Skrotal-OP
Zahnextraktion und einfache Dentalchirurgie
Dermatologische Eingriffe
Punktion komprimierbarer Gefäße
Katarakt-OP
Endoskopie mit Biopsie, ERCP, Stentimplantation in Gallenwegen ohne Sphinkterotomie, Endosonographie, transösophageale Echokardiographie

Tab. 3: Risiko-Score für nicht valvuläres Vorhofflimmern (modifiziert nach [2])

Risikokriterien nach dem CHADS2-Score Score
Herzinsuffizienz 1
Hypertonie 1
Alter ≥ 75 Jahre 1
Diabetes mellitus 1
Apoplexie/TIA 2

Bei geringem Blutungsrisiko kann demnach der Eingriff unter Beibehaltung der Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten im niedrigen therapeutischen Bereich durchgeführt werden. Bei hohem Blutungsrisiko wird die Antikoagulation unterbrochen und eine Überbrückung mit Heparin durchgeführt. Bei niedrigem Thrombembolie-Risiko kann die Antikoagulation ohne „Bridging“ für eine Woche ausgesetzt werden.

Niedermolekulares Heparin: Keine Indikation für „Bridging“?

Da für niedermolekulares Heparin keine Zulassung zur Überbrückungstherapie besteht, erfolgt diese Therapie immer im so genannten „off label use“. Darüber ist der Patient aufzuklären und die Aufklärung muss dokumentiert werden. Ist dies erfolgt, gewährleisten die Herstellerfirmen eine rechtliche Absicherung. Für ein geringes thrombembolisches Risiko (Tabellen 4, 5, 6) reicht die Verabreichung von niedermolekularem oder unfraktioniertem Heparin in der Dosis für die konventionelle perioperative Thrombembolie-Prophylaxe. Bei mittlerem Thrombembolie-Risiko wird für die Thrombembolie-Prophylaxe Heparin in therapeutischer oder halbtherapeutischer Dosis verabreicht (im Falle eines sehr hohen Blutungsrisikos ggf. auch in prophylaktischer Dosis). Bei hohem Thrombembolie-Risiko erfolgt die perioperative Heparin-Therapie in therapeutischer Dosis.

Tab. 4: Risikogruppe nicht valvuläres Vorhofflimmern (modifiziert nach [1])

Hohes Risiko: Embolie bei Vorhofflimmern unbehandelt > 10 %/Jahr Mittleres Risiko: Embolie bei Vorhofflimmern unbehandelt 5 – 10 %/Jahr Niedriges Risiko: Embolie bei Vorhofflimmern unbehandelt < 5 %/Jahr
CHADS2-Score 5 – 6 oder cerebraler Insult < 3 Monate CHADS2-Score 3 – 4 „CHADS2-Score“ 0 – 2 (außer nach Apoplexie/TIA)

Tab. 5: Risikogruppe nach Herzklappenersatz (modifiziert nach [1])

Hohes Risiko: Mittleres Risiko: Niedriges mittleres Risiko:
Mechanische Mitralklappe, Doppelklappenersatz, biologische Mitralklappe mit Vorhofflimmern, Kippscheiben- sowie ältere Herzklappenprothesen,
Doppelflügel-Aortenklappe + mehrere Risikofaktoren *
Doppelflügel-Aortenklappe + ein Risikofaktor*,
Bioklappen oder Klappenrekonstruktion vor < 3 Monate bei Sinusrhythmus
Doppelflügel-Aortenklappe ≥ 3 Monate implantiert ohne Risikofaktoren *
* Risikofaktoren: Vorhofflimmern, Hypertonus, Diabetes, Herzinsuffizienz, ≥ 75 Jahre, nach Apoplexie/TIA

Tab. 6: Risikogruppe Antikoagulation wegen Thrombembolie in der Anamnese (modifiziert nach [1])

Hohes Risiko: Mittleres Risiko: Niedriges Risiko:
Venenthrombose ≤ 3 Monate oder Lungenembolie 6 – 12 Monate und/oder bei Thrombophilie Venenthrombose 3 – 12 Monate, rezidiv Thrombose, Thrombembolie bei Karzinom Venenthrombose ≥ 12 Monate zurückliegend

Zu beachten ist die verlängerte Halbwertzeit von niedermolekularem Heparin bei Niereninsuffizienz. Die Kenntnis der Nierenfunktion in Form der Kreatinin-Clearance ist daher essenziell. Die Gerinnungskontrolle für unfraktioniertes Heparin i.v. erfolgt über die aPTT (cave bei AT-III-Mangel, ggf. mehrfach tägliche Messungen), für niedermolekulares Heparin s.c. fakultativ über die Anti-Faktor-Xa-Aktivität.

Die neuen Antikoagulantien: Perioperativ sicher?

Wie steht es jedoch mit dem perioperativen Management für die neuen Antikoagulantien (Dabigatran, Rivaroxaban)? Aufgrund der kurzen Halbwertzeit ist ein „Bridging“ oft nicht notwendig. Wegen des erhöhten Blutungsrisikos müssen die Substanzen jedoch in jedem Fall präoperativ abgesetzt werden. Hier gilt es zunächst, die vom Hersteller empfohlenen Zeiten für die präoperative Pause einzuhalten. Insbesondere bei Dabigatran ist dabei die Kenntnis der Nierenfunktion von großer Bedeutung, da die Substanz zu 80 Prozent über die Niere ausgeschieden wird.

Für elektive Operationen mit normalem Blutungsrisiko sollte Dabigatran in Abhängigkeit von der Nierenfunktion 24 Stunden bis drei Tage vor der OP abgesetzt werden. Bei Operationen am zentralen Nervensystem, vor Wirbelsäulen-Operationen und bei hohem Blutungsrisiko muss Dabigatran zwei bis vier Tage zuvor abgesetzt werden (Tab. 7).
Bei akuten Eingriffen sollte die OP möglichst um 12 Stunden nach der letzten Medikation hinausgezögert werden. Dabigatran kann aktuell nicht antagonisiert werden. Im Notfall muss unter Inkaufnahme eines erhöhten Blutungsrisikos operiert werden.

Tab. 7: Präoperatives Absetzen von Dabigatran nach Nierenfunktion und Blutungsrisiko

Nierenfunktion
(Kreatinin-Clearance)
≥ 80 ml/min ≥ 50 – < 80 ml/min ≥ 30 – < 50 ml/min
hohes Blutungsrisiko, großer Eingriff 2 Tage 2 – 3 Tage 4 Tage
kein hohes Blutungsrisiko 24 Stunden 1 – 2 Tage 2 – 3 Tage

Für den Wechsel von Dabigatran auf Heparin gilt bei normaler Nierenfunktion (Krea-Clearance > 80 ml/min) der Beginn der Heparin-Therapie 12 Stunden nach der letzten Dabigatran Einnahme. Bei einer Krea-Clearance von 30 bis 50 ml pro Minute soll Heparin erst nach zwei bis vier Tagen eingesetzt werden. Umgekehrt kann Dabigatran zwei bis drei Stunden nach Beendigung der i.v. Heparintherapie und bei unfraktioniertem Heparin zum Zeitpunkt der nächsten geplanten s.c. Injektion des niedermolekularen Heparins wieder eingenommen werden.

Für den oralen Xa-Inhibitor Rivaroxaban gilt, dass die Substanz 24 Stunden vor der geplanten Operation abgesetzt werden soll. Nach aktuellen Herstellerangaben müssen spezielle Risikoszenarien nicht berücksichtigt werden.

Keine Gerinnungskontrolle unter den neuen Antikoagulantien?

Ein praktikables perioperatives Gerinnungs-Monitoring ist für Dabigatran als Routineanwendung aktuell nicht möglich. Tatsächlich belegt eine normale aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) oder eine normale Thrombinzeit (TZ), dass keine Dabigatran-Wirkung im Blut vorliegt. Liegt die aPTT zum Zeitpunkt der nächsten geplanten Dabigatran-Dosis (Talspiegel) über 80 Sekunden, ist mit einem erhöhten Blutungsrisiko zu rechnen.

Die einzige Möglichkeit, die Dabigatran-Wirkung quantitativ zu bestimmen, ist der kalibrierte Hemoclot®-Thrombin-Inhibitor-Test, der in Spezialeinrichtungen erhältlich ist. Dieser kann vor Notfalloperationen eingesetzt werden, um das Blutungsrisiko einzuschätzen. Für den Fall lebensbedrohlicher Blutungen unter Dabigatran gibt es nur begrenzte Erfahrungen mit dem Einsatz von „fresh frozen plasma“ (FFP), Prothrombin-Komplex-Konzentraten (PPSB) oder Faktor VIIa. Ein Antidot gegen Dabigatran existiert nicht, allerdings ist die Substanz dialysabel.

Geeignete Verfahren zum Monitoring der Gerinnung unter Rivaroxaban sind die Prothrombin-Zeit (PT, gemessen in Sekunden mit Neoplastin-Plus als Reagenz) oder die Bestimmung der Faktor-Xa-Aktivität. Im Falle von lebensbedrohlichen Blutungen und dem Versagen der chirurgischen Blutungskontrolle müssen Blutprodukte je nach Ausmaß des Verlustes sowie ggf. PPSB, aktivierter Prothrombinkomplex (aPPC) oder Faktor VIIa eingesetzt werden. Breite klinische Erfahrungen für dieses Szenario liegen jedoch noch nicht vor. Auch hier steht kein spezifisches Antidot zur Verfügung.

Für die neuen Antikoagulantien gilt, dass die Antikoagulation postoperativ nach Erreichen einer ausreichenden Hämostase wieder aufgenommen werden kann.

Empfehlungen zur Patientensicherheit und zur strategischen Positionierung der Klinik

Aufgrund der demografischen Entwicklung erfolgt aktuell eine rasante Zunahme systemisch antikoagulierter Patienten. Dabei werden nicht nur die klinischen Rahmenbedingungen immer komplexer, sondern auch die Antikoagulantien mit ihren Nebenwirkungen und Interaktionen in den unterschiedlichen Indikationsfeldern. Nahezu täglich werden Erkenntnisse und Erfahrungen mit den neuen Antikoagulantien publiziert. Damit wird das perioperative Management im Hinblick auf die Vermeidung von Schäden zu einer Herausforderung für Kliniken.

Folgende Maßnahmen könnten zur Risikoreduktion beitragen:

Erstellen von Handlungsanweisungen zur perioperativen Überbrückung chronisch antikoagulierter Patenten unter Berücksichtigung der neuen Antikoagulantien einschließlich Handlungsempfehlungen in Notfallsituationen.

Vollständige Erfassung der Hausmedikation des Patienten bereits zum Zeitpunkt der Indikationsstellung.

Schulung der Ärzte, die im stationären Bereich bei Aufnahme des Patienten den Medikationsabgleich vornehmen.

Etablierung von Klinik-Gerinnungsbeauftragten, die sich durch eine besondere Expertise auf diesem Feld auszeichnen.

Die Gerinnungsbeauftragten müssten im Falle der Krankenhausaufnahme eines antikoagulierten Patienten automatisch informiert werden und könnten dann das Gerinnungs-Management während des Klinikaufenthalts und darüber hinaus zwecks Vermeidung von Komplikationen fachlich begleiten.

Literatur:

[1] Hofmeister HM et al: Unterbrechung antithrombotischer Behandlung (Bridging) bei kardialen Erkrankungen – Positionspapier. Der Kardiologe 5: 365-374, 2010

[2] Camm AJ et al: ESC Guidelines for the management of atrial fribillation. European Heart Journal 31:2369, 2010

Cadenbach A. Safety Clip: Chirurgische Fallgrube – Perioperative Überbrückung chronisch antikoagulierter Patienten („Bridging“). Passion Chirurgie. 2012 Juni; 2(06): Artikel 03_03.

Autor des Artikels

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Dr. med. Alexander Cadenbach

FA Innere Medizin - Kardiologie, Rettungsmedizin, MagnetresonanztomographieKardiologische Gemeinschaftspraxis OsnabrückDres. Lüttje/CadenbachGroße Straße 4649074Osnabrück

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