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Welches Lernpotenzial steckt in unerwünschten Ereignissen?

Kommt es zu einem Schadenfall oder zu einer Beeinträchtigung der Patientensicherheit, wendet sich ein Patient in der Regel mit Schadenersatzforderungen an einen Arzt oder beauftragt gar einen Rechtsanwalt. Die Entscheidung über Zu- oder Ablehnung der Forderung liegt in den Händen der Versicherer. Sie sichern Ärzte bzw. ganze Gesundheitsunternehmen über Berufs- bzw. Betriebshaftpflichtversicherungen ab. Als Entscheidungsgrundlage dienen u. a. ärztliche Stellungnahmen, die von den Versicherern oft mehrfach angefordert werden. Am Ende landen die Vorgänge nicht selten vor Gericht. Die Entscheidungen der Versicherer mögen mitunter einen faden Beigeschmack hinterlassen, weil sie wirtschaftlich motiviert scheinen. Erfreulich ist das Ganze nicht.

Man kann aber auch von Schadenfällen profitieren und aus Fehlern lernen. Die drei folgenden Beispiele verdeutlichen, welches Lernpotenzial in unerwünschten Ereignissen steckt.

Beispiel 1: Falsche Diagnose aufgrund fehlender Befunde

Ein Patient zeigt seinem Arzt eine alte Raumforderung im Oberschenkelbereich. Eine sechs Jahre alte MRT-Aufnahme hat er ebenfalls dabei. Es ist eindeutig, dass sich die Raumforderung vergrößert hat und dem Patienten Unbehagen bereitet. Der Arzt beschließt eine Sonografie. Aufgrund des Befundes empfiehlt der Arzt eine operative Entfernung der klar abgegrenzten und nicht verschiebbaren Raumforderung, die er als Lipom einschätzt. Ein erneutes MRT fertigt der Arzt nicht an.

Nach der ambulanten Operation zeigt der histologische Befund ein bösartiges Geschehen an, welches einen zweiten, diesmal stationären Eingriff mit weitergehender Resektion erfordert. Infolge der falschen Diagnose verklagt der Patient seinen Arzt auf Schadenersatz.

Bei der Begutachtung des Schadenfalls gehen die beauftragten Sachverständigen übereinstimmend davon aus, dass die Einholung einer weiteren MRT zwingend erforderlich gewesen wäre. Zudem wird die Entscheidung zur ambulanten Operation bei der Größe der Raumforderung von den Gutachtern kritisch bewertet. Wird ein als notwendig eingestufter medizinischer Befund, wie hier die Einholung einer MRT, nicht erhoben, so wird dies als sogenannter Befunderhebungsmangel eingestuft (§ 630 h V S.2 BGB). Ein Befunderhebungsmangel zieht eine ungünstige beweisrechtliche Konstellation nach sich. Wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre, dass die Erhebung des Befundes ein reaktionspflichtiges Ergebnis nach sich gezogen hätte, und das Unterlassen dieser Maßnahme einen groben Behandlungsfehler darstellen würde, so wird vermutet, dass der Fehler für den Schaden ursächlich war. Ein zweiter Eingriff mit der Gefahr der Tumorzellenverschleppung hätte dem Patienten somit erspart werden können. Insofern stellt das Unterlassen der Befunderhebung einen groben Behandlungsfehler dar. Der Fehler wird als Schadenursache gewertet. Es wird eine Schadenersatzzahlung in Höhe von 15.000 € geleistet. Dies ist kein Einzelfall. In nicht wenigen Arzthaftpflichtschäden spielt die Frage, ob alle notwendigen Untersuchungen vor einer Operation durchgeführt worden sind, eine große Rolle.

Präventionsmaßnahmen

Der Einsatz präoperativer Checklisten stellt eine optimale OP-Vorbereitung sicher und hätte in dem genannten Fallbeispiel dem Behandlungsfehler entgegengewirkt. Die Checklisten beinhalten allgemeine Kriterien wie die Prüfung von Vorbefunden aus dem Labor, Röntgenbildern, Berichten, Hinweisen auf Begleiterkrankungen, aktueller Befunde etc. Bei der Abarbeitung der Checkliste werden Begleiterkrankungen oder Patientenbesonderheiten offengelegt, die zusätzliche Behandlungsrisiken aufzeigen wie z. B.

  • ein Diabetes mit dem erhöhten Risiko einer Wundheilungsstörung.
  • ein Hinweis auf eine Keimbelastung auf der Haut, die ebenfalls zu einem zusätzlichen Risiko im Rahmen der postoperativen Wundheilung führen kann.
  • ein Hinweis auf eine in der Vergangenheit nicht vertragene Narkose oder sogar ein Hinweis auf ein unerwünschtes Ereignis im Rahmen einer Narkose/Kurznarkose (Schwierigkeiten bei der Intubation, Probleme mit der Pulsfrequenz und dem Blutdruck sowie der Sauerstoffsättigung etc.).

Sind alle Informationen bekannt, können entsprechende Vorbereitungen getroffen und die Patientensicherheit garantiert werden. Darüber hinaus dient der Einsatz von Checklisten zugleich der nachweislichen Dokumentation präoperativer Vorbereitungen.

Beispiel 2: OP-Stopp aufgrund defekter medizintechnischer Produkte

Ein Patient wird wegen des Verdachtes auf eine TFCC-Läsion des rechten Handgelenkes operativ behandelt. Während der Glättung des Knorpels versagt die Steuerungseinheit des eingesetzten Shavers. Der Eingriff muss abgebrochen werden. Im Verlauf weiterer Behandlungen entwickelt der Patient ein Morbus Sudeck am Handgelenk. Der Patient kann durch die Beeinträchtigung seiner Gebrauchshand seinen Beruf nicht mehr ausüben. Er führt den Schaden auf die abgebrochene Operation zurück und fordert Schadenersatz.

Der Operateur kann nachweisen, dass der Shaver regelmäßig überprüft und gewartet wird. Die Gutachter bescheinigen deshalb, dass den Operateur keine Schuld an dem Geräteausfall trifft. In zwei Instanzen wird die vom Patienten erhobene Klage abgewiesen. Eine Schadenersatzzahlung erfolgt nicht.

Präventionsmaßnahme

Im Sinne der Patientensicherheit sind medizintechnischer Produkte regelmäßig auf ihre Funktionsfähigkeit zu prüfen. Krankenhäuser und Praxen sind heutzutage dazu verpflichtet, eine fach- und sachgerechte Aufbereitung von medizintechnischen Produkten nachweislich durchzuführen. Im Medizinproduktegesetz und der Medizinbetreiberverordnung sind die Mindestanforderungen an den Aufbereitungsprozess klar definiert. Grundsätzlich gilt, die spezifischen Prozessschritte der Aufbereitung auf die jeweiligen medizintechnischen Produkte abzustimmen. Nur so ist ein erfolgreicher Aufbereitungsprozess garantiert.

In dem beschriebenen Fallbeispiel trägt die Beachtung folgender Prozessschritte zur Patientensicherheit bei:

  • Eine zeitnahe Aufbereitung nach der Gerätenutzung verhindert das Antrocknen von Gewebe und Blut.
  • Die Herstellerangaben sind zu beachten.
  • Handstück und Aufsätze sind nicht im Ultraschallbad zu reinigen.
  • Powertools und deren Aufsätze dürfen nicht zusammen mit Implantaten gereinigt werden, um die Schmierstoffe z. B. Öl nicht zu übertragen.
  • Alle Lumina und sogenannte Durchbohrungen sind durchzuspülen.
  • Die Systeme müssen zur Aufbereitung in die einzelnen Komponenten zerlegt werden.

Beispiel 3: Dokumentation

Ein Patient erhält nach der Operation seiner Schienenbeinfraktur Thrombosespritzen. Er fragt beim Arzt wiederholt nach, ob er die Spritzen absetzen könne. Der Arzt verordnet die Medikamente weiter. Als der Patient eine Mitarbeitende des Arztes nach dem Absetzen der Spritzen fragt, antwortet diese, dass die Thromboseprophylaxe nach Vollbelastung ausgesetzt werden könne. Der Patient versteht dies als Aufforderung, die Medikamente sofort abzusetzen und beendet die Medikation. Bei einer erneuten ärztlichen Wiedervorstellung wird eine tiefe Beinvenenthrombose bei dem Patienten diagnostiziert. Der Patient sieht die Ursache dafür in der ärztlichen Behandlung und klagt gegen den behandelnden Arzt bzw. dessen Personal wegen angeblicher Falschauskunft.

Rechtlich gesehen muss ein Arzt für die Aussagen seiner Mitarbeitenden einstehen. Kann der Patient beweisen, dass er eine falsche oder missverständliche Aussage zur Absetzung der Thrombosespritzen erhalten hat, droht dem Arzt eine Verurteilung auf Schadenersatz.

Präventionsmaßnahme

Merkblätter mit spezifischen Verhaltensregeln (z. B. „Gipsverband“) oder themenbezogene Flyer sind ein erleichterndes und beweissicherndes Instrument zur Weitergabe wichtiger therapiesichernder Instruktionen. In Ergänzung zur mündlichen Aufklärung/Information über therapiesichernde Verhaltensweisen haben sie sich in der Praxis bewährt. Sowohl die mündliche Aufklärung als auch die zusätzliche Aushändigung von Merkblättern sollten stichwortartig in der Patientenakte dokumentiert werden.

Fazit

Behandlungsfehler können als Grundlage für die Entwicklung präventiver Maßnahmen genutzt werden. Die Analyse von Behandlungsfehlern dient dazu, fehlerbegünstigende Faktoren zu erkennen und gezielt risikopräventive Maßnahmen aus ihnen abzuleiten. Derartige präventive Maßnahmen lassen sich für alle Bereiche des Behandlungsalltags entwickeln.

Schulz D, Vonderhagen K: Safety Clip: Aus Fehlern lernen. Passion Chirurgie. 2018 September, 8(09): Artikel 04_03.

Autoren des Artikels

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